Integration
Yervand Voskanian: Einer von knapp 200 beim UEFA Unity Cup
Yervand Voskanian hätte nichts dagegen, den Ball noch einmal so zu treffen wie vor zwei Jahren. Der OP-Assistent aus Mecklenburg-Vorpommern wird morgen am UEFA-Sitz in Nyon als Spieler der vom DFB entsandten Flüchtlingsmannschaft die deutschen Farben repräsentieren. Zum dritten Mal veranstaltet der Europäische Fußball-Dachverband ein Turnier für Refugees. Für Fußballerinnen und Fußballer mit einer Fluchtgeschichte. 16 Nationen nehmen teil, darunter Italien, Spanien, Frankreich, die Niederlande und eben Deutschland.
Vor rund zehn Jahren beschlossen Voskanians Eltern die Ukraine zu verlassen. Er war noch ein Teenager damals, die Familie lebte in Dnipro, der viertgrößten Stadt des Landes. Dnipro liegt etwa 150 Kilometer westlich von Donezk. "Für uns brach schon 2014 der Krieg aus", erzählt Yervand Voskanian. "Also immigrierten wir nach Deutschland. Wenn ich heute zurückschaue, sage ich: Meine Eltern haben damals alles richtig gemacht".
Als kurz darauf in Deutschland die Flüchtlingszahlen anstiegen, bald deutlich anstiegen, reagierte der Fußball. Das fußballerische Ehrenamt im Land öffnete die Plätze und Vereinsheime. Später organisierte man Jobbörsen und Sprachkurse. Teilhabe, wenn man so will. Aber am Anfang war es eine zutiefst einfache Einladung: Lasst uns zusammen Fußball spielen.
Der Fußball gibt Halt
Für den damals 17-jährigen Voskanian war es eine schwere Zeit. "Meine Deutschkenntnisse lagen so bei fünf Prozent. Eigentlich konnte ich fast gar nichts. In Deutschland angekommen, besuchte ich für eine Weile überhaupt keine Schule mehr. Für mich war es eine Zeit des Umbruchs. Wir wurden in einem Heim in Bayern untergebracht, dann sieben Monate in Demmin. Erst dann kamen wir hier nach Neubrandenburg."
Voskanian begann zu kicken, er wurde Vereinsmitglied beim FC Motor Neubrandenburg-Süd. Der Wendepunkt, der Game Changer. Alles wurde besser. Der Fußball gab ihm Halt, schnell lernte er die Sprache und sogar Dialekt. Hört man ihm heute zu, klingt er ein wenig wie Tatort-Kommissar Wotan-Wilke Möhring. Norddeutsch halt. Wenn gerade kein Flüchtlingsturnier in der Schweiz stattfindet, spielt er in der Kreisoberliga-Mannschaft des Vereins. "Freundschaft" sei ein zu großes Wort, aber bis heute gehe es "bei uns in der Mannschaft um gute Kumpels, um eine gute Kommunikation, ums Wohlfühlen im Team."
Einer aus der Mannschaft nahm ihn irgendwann mit ins städtische Krankenhaus. Nach seinem Schulabschluss begann er dort ein Freiwilliges Soziales Jahr. Er absolvierte eine Ausbildung zum Operationstechnischen Assistenten. Seit 2019 ist er fest angestellt. Die zwölf OP-Säle im Neubrandenburger Krankenhaus sind unter drei Teams aufgeteilt, er gehört zum Fachbereich der Hals, Nasen, Ohren und Augen sowie Verletzungen an Mund, Kiefer und Gesicht operiert. Vor zwei Jahren wurde er zum fachverantwortlichen OP-Assistenten befördert. Operiert wird immer, weshalb er auch abends oder am Wochenende arbeiten muss. "Unter dem Strich bin ich mit meinem Leben in Deutschland sehr glücklich. Mein Job bringt viel Verantwortung mit sich, das Lernen hört nicht auf. Dabei versuche ich immer noch jung zu sein", sagt er und lacht. Sein Arbeitgeber hat ihn für das Turnier in der Schweiz freigestellt. "In manchen Momenten fühle ich mich sehr deutsch, in manchen Momenten nicht so ganz. Ich will nicht vergessen, woher meine Eltern kommen. Dabei spüre ich, wie gut mir auch dank der Unterstützung vieler Menschen die Integration gelungen ist. Ich bin auf dem richtigen Weg."
Turnier startet am 10. Oktober
Nach einem Tag Mini-Trainingslager auf dem DFB-Campus fliegt das DFB-Team heute nach Nyon. Das Turnier wird am 10. Oktober ausgetragen. Jedes Team hat 12 Spieler*innen im Aufgebot, man spielt Halbfeld mit jeweils sieben Feldspieler*innen. Es kann unbegrenzt gewechselt werden, immer wird mindestens eine Frau auf dem Feld stehen. DFB-Vizepräsidentin Celia Šašić begleitet die Mannschaft und wird an einer Diskussion teilnehmen, bei der auch der UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen, Filippo Grandi, und UEFA-Vizepräsidentin Laura McAlister mit auf dem Podium sitzen werden. Das Finale leitet Roberto Rosetti, der 2008 Schiedsrichter war beim EM-Finale Deutschland gegen Spanien. Alle freuen sich auf das Turnier, man spürt es bei den Vorbereitungsmeetings.
Doch "Flucht" und "Einwanderung" sind gerade in Deutschland mal wieder auch mit Ressentiments und Ängsten besetzt. Zuletzt war es in Mannheim und Solingen zu fürchterlichen Messerattentaten gekommen. Als Reaktion spürten etwa Menschen muslimischen Glaubens eine Verhärtung durchs Land ziehen. Voskanian versucht so gut es geht, gelassen zu bleiben: "Nur weil man einen ausländischen Namen hat, begegnet einem manchmal jemand mit Distanz und man spürt, das läuft irgendwie schräg. Ich kann damit umgehen, etwa indem ich darauf nicht reagiere. Aber ich frage mich schon: Wie kann man so denken? Bloß weil ein einzelner anderer Mensch eine furchtbare und irrsinnige Gewalttat begeht, kann es doch nicht sein, dass du aggro auf alle bist. Auf alle Flüchtlinge oder sogar auf alle mit einem anderen Namen oder einer anderen Hautfarbe. Was soll man da machen? Wenn jemand nicht zwei plus zwei rechnen kann, dann wird es schon ein bisschen schwer. Ich sage dann "Ja, ja, ist schon gut" und gehe fort."
Der FC Motor Neubrandenburg-Süd hat den DFB auch schon 2022 beim Unity Cup vertreten. Damals gewann man das Turnier und im Finale schoss Yervand Voskanian das Tor zur 1:0-Führung. "Ich stehe da am Ball mit Mo, unserem Kapitän, und eigentlich macht der alle Freistöße. Sozusagen stehe ich also nur als Kegel da, aber denke mir, den würde ich reinmachen. Und dann sagt Mo: "Schieß mal". Und wirklich die Ecke rechts unten war frei. Und dann habe ich ihn reingeschossen."
Wäre auch am Donnerstag kein schlechter Ausgang.
Kategorien: Integration, Über uns, Vielfalt und Anti-Diskriminierung
Autor: DFB
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