Frauen-Nationalmannschaft
Wück: "Durch Siege Selbstvertrauen gewinnen"
Christian Wück ist seit August Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft des DFB. Im großen DFB.de-Interview spricht der 51-Jährigen über seinen Start, über Ziele und die Europameisterschaft im kommenden Jahr in der Schweiz. Aber Wück verrät auch, warum Schlagworte wie Überzeugung und Selbstvertrauen für ihn entscheidend sind.
DFB.de: Herr Wück, bevor wir nach vorne blicken, lassen Sie uns einmal kurz zurückschauen: Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen. Sie sind zwar erst seit ein paar Monaten Nationaltrainer der DFB-Frauen, aber das Thema wird sie vermutlich auch vorher in 2024 schon stark beschäftigt haben. Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?
Christian Wück: Uns war klar, dass wir einen Neustart machen wollten. Auch durch die Rücktritte von Alexandra Popp, Marina Hegering und Merle Frohms nach den Olympischen Spielen war es der richtige Zeitpunkt dafür. Wir wollten eine Aufbruchstimmung erzeugen. Und ich denke, dass uns das auch gelungen ist. Wir haben einige Umstellungen im Team vorgenommen und einigen Spielerinnen zum Debüt verholfen. Im Zuge dessen haben wir festgestellt, dass die Mannschaft offen für Veränderungen ist. Diese Offenheit innerhalb des Teams für etwas Neues auf dem Platz war für mich eine ganz wichtige Erkenntnis. Jeder Trainer hat seine eigene Handschrift – auch ich und mein Trainerinnenteam. Mir war es wichtig, dass die Mannschaft unsere Ideen annimmt und wir sie davon überzeugen konnten, dass das der richtige Weg ist. Entscheidend war in diesem Zusammenhang natürlich unser 4:3-Sieg in Wembley gegen England bei meinem Debüt als Bundestrainer. Die Spielerinnen haben da direkt gemerkt, dass es funktionieren kann und funktionieren wird.
DFB.de: Sportlich lief es mit zwei Siegen und zwei Niederlagen mal besser und mal schlechter. Wie sehen Sie diese Bilanz?
Wück: Durchaus positiv. Jedes dieser Spiele hat uns sehr viele Erkenntnisse geliefert. Und darum ging es in dieser Phase. Wir wollten viel ausprobieren – personell und taktisch. Wir haben hinterher in der Analyse viele Dinge entdeckt, wo wir ansetzen wollen. Wir wollten schauen, welche Spielerinnen harmonieren. Auf vielen Positionen konnten wir spannende Tendenzen erkennen.
DFB.de: Kann man sagen, dass mit dem Jahresende auch die erste Phase des Kennenlernens Ihrer Bundestrainertätigkeit abgeschlossen ist? Geht es nun über in die zweite Phase des Festigens der Strukturen und Abläufe?
Wück: Ja, so würde ich es ebenfalls einordnen. Es dauert immer etwas, bis das Vertrauen auf beiden Seiten aufgebaut ist. Bei uns musste das recht schnell gehen. Ich denke, dass die Mannschaft es so sieht wie ich. Ich bin von dem Team überzeugt, ich bin von der individuellen Qualität der Spielerinnen überzeugt. Sie wissen jetzt, was ich erwarte und wie ich eine Mannschaft führe. Ich habe schon den Eindruck, dass wir alle gemeinsam in eine Richtung gehen.
DFB.de: Wie sieht das konkret aus? Wie führen Sie eine Mannschaft?
Wück: Mir ist Kommunikation extrem wichtig. Aber das darf keine Einbahnstraße sein. Ich bin kein Freund des Monologs. Ich möchte die Spielerinnen und das Trainerteam mit einbeziehen. Außerdem bin ich ein sehr ehrlicher Typ. Das ist vielleicht nicht immer angenehm. Es wird auch Entscheidungen geben, mit denen eine Spielerin nicht gerechnet hat. Oder noch deutlicher gesagt: Eine Entscheidung, die die Spielerin vielleicht auch mal nicht nachvollziehen kann. Aber auch das gehört dazu. Ich habe aus meiner eigenen Profilaufbahn mitgenommen, dass Ehrlichkeit eminent wichtig ist. Ich wollte immer wissen, woran ich bin. Ich wollte vor allem wissen, warum sich der Trainer vielleicht für mich oder gegebenenfalls für einen anderen Spieler entschieden hat. So habe ich auch im Jugendbereich gearbeitet und das werde ich auch bei den Frauen fortsetzen.
DFB.de: Und ist die dritte Phase dann der Feinschliff vor der Women’s Euro 2025 in der Schweiz?
Wück: Die zweite und dritte Phase werden miteinander verschmelzen. Es wird jetzt darum gehen, der Mannschaft Sicherheit zu geben. Und wie gelingt das am besten? Mit positiven Ergebnissen. Wir brauchen einen Kern innerhalb des Teams, der Führungsaufgaben übernimmt. Diese Spielerinnen werden die anderen führen und so für Stabilität und Klarheit sorgen in vielen Phasen eines Spiels.
DFB.de: Sie treffen bei der EURO in der Gruppe auf Polen, Dänemark und Schweden. Wie denken Sie über diese Gegner?
Wück: Wir dürfen nicht den Fehler machen, in ein Spiel zu gehen und davon auszugehen, dass wir es schon gewinnen werden. Jede Mannschaft hat die Qualität, die Gruppenphase zu überstehen. Wir haben das Potenzial, gegen alle zu gewinnen, wenn wir unsere Leistung abrufen. Aber gleichzeitig bekommen wir auch gegen vermeintlich schwächere Gegner Probleme, wenn wir eben dies nicht tun. Wir müssen unsere Stärken und unsere individuellen Qualitäten auf den Rasen bringen, dann können wir sehr weit kommen. Vielleicht sogar bis zum Ende.
DFB.de: 16 Nationen sind bei der EURO dabei. Die Weltspitze im Frauenfußball ist sehr eng zusammengerückt. Mit welchen Zielen reisen Sie in die Schweiz?
Wück: Ich durfte schon mehrere Europa- und Weltmeisterschaften im Jugendbereich mitmachen und weiß deshalb, wie wichtig es ist, gut vorbereitet in so ein Turnier gehen. Wir müssen über Ergebnisse sowie die Art und Weise, wie wir Fußball spielen, die Überzeugung festigen, dieses Turnier gewinnen zu können. Ich will nicht mit der Einstellung zu einem Turnier fahren, dass wir schauen, wie weit es geht. Wir müssen es in dem kommenden halben Jahr hinbekommen, dass alle überzeugt davon sind, es zu schaffen, wenn wir unsere Leistung auf den Platz bringen. Die individuelle Qualität in der Mannschaft ist in allen Mannschaftsteilen sehr hoch. Es darf nicht am Gegner liegen, wie weit wir kommen. Wir müssen uns vor keiner Mannschaft der Welt verstecken. Das ist keine Floskel, ich bin davon überzeugt.
DFB.de: Entscheiden auf diesem Niveau also Aspekte wie Selbstvertrauen und Überzeugung?
Wück: Auf jeden Fall. Vor allem dann, wenn alle Mannschaften auf einem ähnlichen Niveau unterwegs sind. Wichtig ist, dass man nicht nur darüber redet, sondern dass man davon auch überzeugt ist, dass man es fühlen kann.
DFB.de: Hoffen Sie aufgrund der räumlichen Nähe auf viele deutsche Fans vor Ort?
Wück: Ja, natürlich. Wir brauchen diese Unterstützung der Fans. Wir wollen die Menschen hinter uns bringen und den Stellenwert des Frauenfußballs weiter ausbauen. Dabei freuen wir uns über so viel Unterstützung in der Schweiz wie nur möglich.
DFB.de: Vorher stehen noch Begegnungen in der Nations League auf dem Programm. Welche Bedeutung hat dieser Wettbewerb für Sie im Hinblick auf das große Turnier im Sommer?
Wück: Die Nations League ist wichtig für uns. Wir wollen durch Siege in diesem Wettbewerb die Überzeugung holen, die wir benötigen. Darüber haben wir eben bereits gesprochen. Deshalb ist es auch kein Widerspruch zu sagen, dass die Nations League wichtig ist, aber wir sie gleichzeitig als Vorbereitung auf die EURO ansehen. Wir müssen gute Leistungen zeigen und durch Siege Selbstvertrauen gewinnen. Das sind Pflichtspiele auf hohem Niveau, die wir sehr ernst nehmen. Es geht auch darum, unsere Idee vom Fußball weiter zu verinnerlichen.
DFB.de: In den vergangenen Wochen hat ein größerer Umbruch stattgefunden – vor allem mit dem Rücktritt von Alexandra Popp aus der Nationalmannschaft. Mehrere junge Spielerinnen haben zuletzt unter Ihnen Ihr Debüt gefeiert. Wird das so bleiben?
Wück: Wir werden nicht mehr diese Quantität an neuen Spielerinnen sehen. Aber wir werden auf wenigen Positionen noch etwas ausprobieren. Deshalb kann es schon sein, dass neue Spielerinnen eingeladen werden. Wir haben einige Langzeitverletzte mit Lena Oberdorf und Bibiana Schulze Solano, die wir gerne dabei hätten. Die Tür ist auf jeden Fall nicht zu. Wer sich in der Bundesliga über Leistungen anbietet, kann es in unseren Kreis schaffen.
DFB.de: Giulia Gwinn hat zuletzt die Kapitänsbinde von Alexandra Popp übernommen. Ist das eine Entscheidung für die Zukunft und nur für den Moment?
Wück: Wir wollen die Kapitänin und die Stellvertreterinnen zur Nations League bestimmen. Natürlich in Abstimmung mit der Mannschaft. Giulia hat es sehr gut gemacht und gezeigt, dass sie Verantwortung übernehmen und eine Mannschaft führen kann. Ich werde nochmal mit ihr reden. Und dann werden wir die Entscheidung kommunizieren. Aber zuerst an das Team und dann die Öffentlichkeit.
DFB.de: Auch für Sie hat in diesem Jahr ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Sie sind erstmals im Frauenfußball als Cheftrainer tätig. Wie haben Sie ganz persönlich die ersten Wochen und Monate erlebt? Was waren besondere Momente, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind.
Wück: Für mich ist es in erster Linie einfach nur Fußball. Egal ob Nachwuchs, Männer oder Frauen. Es geht um Fußball. Ich mache da keine Unterschiede, weil die Inhalte gleich sind. Wir sollten nicht immer wieder den Fehler machen und Frauen- und Männerfußball zu vergleichen. Klar habe ich mir Gedanken gemacht, wie es wird, wenn man das erste Mal auf die Mannschaft trifft oder wie die erste Ansprache aussehen sollte. Rückblickend bin ich sehr offen, wertschätzend und freundlich empfangen worden. Das hat mir ein sehr gutes Gefühl gegeben, für das ich mich bei allen Beteiligten gerne bedanken möchte.
DFB.de: Nun stehen erstmal der Jahreswechsel an. Können Sie in dieser Zeit abschalten? Und was sind Ihre Wünsche für 2025?
Wück: Ja, ich freue mich auf diese Zeit. Ich werde sie im Kreise meiner Familie verbringen. Ich bin so viel unterwegs und freue mich deshalb darauf, die Zeit einfach nur zuhause genießen zu können. Sicher werde ich die Tage auch nochmal nutzen, um zurückzublicken und alles etwas Revue passieren zu lassen. Und dann können wir mit frischen Kräften in das neue Jahr starten. Die Herausforderungen, die auf uns warten, sind riesig – aber eben auch die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Chancen.
Kategorien: Frauen-Nationalmannschaft
Autor: sw
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