Löw: "Schlusspfiff war vielleicht der schönste Moment überhaupt"

Am 13. Juli 2014 gewann Deutschland in Rio de Janeiro den vierten Stern. Das WM-Finale war eine epische Partie, die viele Dramen und Wendungen enthielt und an deren Ende der Triumph stand. Zehn Jahre nach dem Titelgewinn erinnert sich Weltmeistertrainer Joachim Löw an das Spiel gegen Argentinien und an die lange Nacht von Rio.

Vor dem Finale stand für uns ein Abschied an. Wir mussten das Campo Bahia verlassen, den Ort, der uns so ans Herz gewachsen ist, an dem wir gewachsen und zusammengewachsen sind. Es fiel uns nicht leicht, die Menschen dort zu verlassen, es war aber ein schönes Gefühl, ihre vielen guten Wünsche und viele schöne Erinnerungen mitzunehmen. Wir kehrten nach Rio zurück, wo wir schon beim 1:0-Sieg im Viertelfinale gegen Frankreich gespielt hatten. Im Finale ging es gegen Argentinien und damit in der Rückschau irgendwie gegen den logischen Gegner. Schon zwei Mal zuvor standen sich diese beiden Nationen im WM-Finale gegenüber, und auch auf meinem und unserem Weg mit der Nationalmannschaft war Argentinien neben Spanien die Mannschaft, die uns am meisten und stärksten gefordert hatte.

Bei der WM 2010 in Südafrika hatten wir gegen sie im Viertelfinale ein überragendes Spiel gemacht, fast alles hat funktioniert, fast alles ist aufgegangen. Arne weiß, wie ich das meine, aber: Wenn selbst Arne Friedrich ein Tor erzielt, dann muss es ein besonderer Tag gewesen sein. Wir waren voll im Flow und auf dem höchsten Level was Konzentration, Laufleistung, Spielfreude, Klarheit, Wachheit, Zweikampfhärte betrifft. Argentinien hatte eine richtig starke Mannschaft, mit vielen gefährlichen Offensivspielern, auch mit einer Kompaktheit und auch mit individueller Klasse in der Defensive. Schon bei der WM 2006 hatten wir gegen sie gewonnen, aber damals waren sie noch die bessere Mannschaft, unser Sieg im Viertelfinale war glücklich. 2010 war es anders. Wir waren aufsässig, stark im Spiel nach vorne, überzeugt von uns und unseren Fähigkeiten – das hatte Wirkung auf Argentinien. In jeglicher Hinsicht waren wir ihnen überlegen: läuferisch, spielerisch, kämpferisch. Damit haben wir Argentinien Minute um Minute mehr demoralisiert, das 4:0 am Ende war nicht zu hoch. Für das WM-Finale 2014 hieß das nicht viel, aber immerhin: Wir wussten, dass wir sie schlagen können, ein Angstgegner war Argentinien für uns nicht.

"Und dann kommt der Mario in so ein Finale rein..."

Die Intensität eines WM-Finales ist schwer zu greifen und noch schwerer zu beschreiben. Ich war die ganze Zeit positiv, das kann ich sagen. Meine Mannschaft und meine Spieler haben ausgestrahlt, dass sie wussten, dass ihre Zeit gekommen ist. Wir waren einen langen Weg gegangen, hatten Rückschläge verkraftet, waren gemein gewachsen und zusammengewachsen und immer besser geworden. Ich war sehr optimistisch, dass wir nicht an uns selbst scheitern, dass wir das Finale nicht deswegen verlieren würden, weil wir unser Limit nicht erreichen. Argentinien, das war mir klar, würde besser Fußball spielen müssen als wir. Und ich wusste, dass sie das normalerweise nicht können.

Vor dem Spiel war für uns die Frage: Spielt Mario oder spielt Miro? Wir haben gegrübelt, welche Konstellation erfolgversprechender ist. Wir standen vor einem WM-Finale, es war klar, dass uns Knochenarbeit erwarten würde, unglaubliche Widerstände. Wir mussten abwägen: Ist Miro jemand, der, wenn er kommt und frisch ist, für einen müder werdenden Gegner nicht zu halten ist? Oder ist es für uns besser, wenn Miro von Beginn an spielt und den Gegner fordert. Für diese Variante haben wir uns dann entschieden.

Wir wussten, dass die Verteidiger von Beginn an unter Druck sein würden, wenn Miro spielt. Dass sie viel arbeiten müssen und dass es auch in ihren Köpfen arbeiten wird. Es löst etwas in den Gegenspielern aus, wenn sie wissen, dass der beste Torschütze der WM-Geschichte auf dem Platz steht. Miro müssen immer zwei in Schach halten, auf Miro muss man in jeder Sekunde aufpassen. Das kostet Nerven und Kraft und macht dem Gegner Stress. Unser Kalkül war: 'Und dann kommt der Mario in so ein Finale rein, ist frisch und trifft auf ausgelaugte Gegenspieler, die sich auf seine Art erst einstellen müssen.'

"Die Dramaturgie kann man sich nicht ausdenken"

Die Dramaturgie des Finals kann man sich nicht ausdenken. Sami Khedira kann ich nicht genug nicht loben. Es gehört sehr viel dazu, sich einzugestehen, dass es nicht geht und auf ein WM-Finale zu verzichten. Wer seinen Ehrgeiz kennt, der weiß, wie schwer ihm dies gefallen sein muss. Er hat für die Mannschaft gehandelt und seine Interessen nach hinten geschoben. Sein Beispiel ist das wohl eindrucksvollste von vielen, die für den besonderen Geist in dieser Mannschaft stehen und die sich während der WM 2014 ereignet haben.

Mit dem Ausfall von Khedira hatte das Spiel schon vor dem Anpfiff eine Wendung bekommen. Nach dem Anpfiff kamen weitere hinzu. Die Partie war ausgeglichen, aber, das muss man zugegen, Argentinien hatte zunächst die besseren Chancen. Gonzalo Higuain hatte mehrfach das 1:0 auf dem Fuß, und hätte ihm ein anderer Torwart als Manuel Neuer gegenüberstanden, mindestens eine der Chancen hätte er genutzt. Wir haben eine Weile benötigt, um ins Spiel zu finden, natürlich auch wegen der Gehirnerschütterung von Christoph Kramer, die uns dazu zwang, schon früh zu tauschen.

"Schweini, der alles und mehr von sich gegeben hat"

Je länger das Spiel ging, desto besser haben wir hineingefunden und die Härte der Argentinier angenommen. Bastian Schweinsteiger war schon vor diesem Spiel groß, in diesem Spiel ist er noch einmal gewachsen. Basti war vor der WM einige Wochen verletzt, er ging angeschlagen ins Turnier. Im Laufe der WM ist er immer stärker und immer wichtiger geworden. Im Finale hat er das Spiel seines Lebens gemacht. Allen voran bei ihm hat man gespürt, dass er alles, was er an Energie hat, in dieses eine Spiel geben will.

Er war 2006 dabei, 2010, 2012, immer war es knapp, nie hat es gereicht. Diesen großen Titel wollte er jetzt mit jeder Faser. Er war unser emotionaler Leader, nie war das spürbarer als an diesem Abend. Gegen Argentinien war er unfassbar gut. Seine läuferische Leistung, seine Haltung, seine Ausstrahlung - alles bei ihm war extrem. Die Organisation, wie er sich in die Zweikämpfe geworfen hat, im wichtigsten Spiel seiner Karriere hat er seine beste Leistung abgerufen. Dass er sich dann auch noch diese Platzwunde zugezogen hat, war fast wie gemalt. Es sind ikonische Bilder entstanden, Schweini der Krieger, der Kämpfer, der alles und mehr von sich gegeben hat.

"Das Tor ist ein Kunstwerk"

In den 90 Minuten der regulären Spielzeit gab es auf beiden Seiten einige Chancen, richtig zwingend wurde keine von ihnen. So ging es torlos in die Verlängerung, das Drama spitzte sich zu. Für die Verlängerung hatten wir Mario Götze eingewechselt, das, was ich zu ihm in diesem Augenblick gesagt habe, war spontan. Messi war damals der beste Spieler der Welt. Viele waren sicher, dass er das Spiel entscheiden wird. Ich war sicher, dass wir dies verhindern und dass unser Moment gekommen ist.

Deswegen habe ich zu Mario gesagt, dass er der Welt zeigen soll, dass er besser ist und dass er dieses Spiel entscheiden wird. Sein Moment kam in der 113. Minute, Toni Kroos schickte André Schürrle auf der linken Seite und dann kam: Geschichte. Götze macht ihn. Und wie er ihn machte. Das Tor ist ein Kunstwerk, unglaublich anspruchsvoll, es war ein Treffer, den so nur ganz wenige Fußballer zu Stande bringen. Mario gehörte dazu. Und es passte, dass die Flanke von Schü kam, seinem Kumpel, dessen Leistungen bei diesem Turnier und in diesem Spiel manchmal zu wenig gewürdigt werden.

Wenn ich hier einzelne Spieler lobe, dann können sich alle angesprochen fühlen. Zu diesem Titel hat der ganze Kader beigetragen, es gab nicht einen Spieler, der seine Rolle nicht grandios erfüllt hätte. Die Stimmung in der Mannschaft, das Niveau im Training, die Energie auf der Bank, auch die Kompetenz und die Hingabe im Betreuerteam – all das war wesentlich, nichts davon kann aus dieser Geschichte entfernt werden.

"Eine unglaubliche, eine unbeschreibliche Freude"

Das Glücksgefühl, das einen unmittelbar nach dem Schlusspfiff durchströmt, lässt sich kaum beschreiben. Der Schlusspfiff war vielleicht der schönste Moment überhaupt. Die Sekunde, in der ich so richtig realisierte, dass das Spiel zu Ende ist, war, als mir Andy Köpke und Oliver Bierhoff und Hansi Flick und einige andere um den Hals gefallen sind. Da habe ich gewusst: 'Jetzt sind wir Weltmeister, jetzt kann uns das keiner mehr nehmen.'

In diesen Sekunden spürte ich eine unglaubliche, eine unbeschreibliche Freude. Alles, was danach kam, die Zeremonie, die Pokalübergabe, das läuft irgendwie an einem vorbei. Man weiß dann gar nicht, mit wem man sich umarmt, mit wem man sich unterhält, wer einem alles gratuliert und wem man gratuliert. In der Nacht nach dem Finale habe ich schnell gemerkt, dass ich platt und unendlich müde bin. Wenn mich früher jemand gefragt hätte, wie ich mich nach einem WM-Titel verhalte, wäre meine Prognose eine zweitägige Feier gewesen. Aber ich war durch, völlig hinüber. Die Feier konnte ich nicht richtig genießen. Vergleichsweise früh habe ich mich verabschiedet und bin ins Bett gegangen. Alle haben mich angeschaut, als wäre ich ein Außerirdischer, niemand konnte glauben, dass ich mich schon zurückziehe. Aber es ging nicht anders. Ich war müde, völlig am Ende, ausgelaugt, ich musste schlafen.

"Das Gefühl, Weltmeister zu sein, war nie intensiver"

Es war einfach sehr anstrengend. Der Tag des Finals und auch alles, was davor war, hat Kraft gekostet, mentale Kraft vor allem. Ich bin dann ins Bett gegangen und fast sofort eingeschlafen. Als ich nach zwei, drei Stunden wieder wach wurde, musste ich mich erst orientieren. Dass wir am Abend zuvor Weltmeister geworden waren, habe ich erst gespürt und dann gewusst. Ich bin dann runter zum Frühstück und wollte die Ruhe genießen.

Aber ich war nicht der Einzige, es waren noch ein paar Spieler vom Vorabend da. Es waren wunderschöne Augenblicke mit den Spielern, dieser Morgen danach war intensiv, innig, es waren Genussmomente. Das Gefühl, Weltmeister zu sein, war nie intensiver als an diesem Morgen und in diesen Stunden. Aber seither ist es immer spürbar, es begleitet mich und uns und wird immer Teil unserer Leben sein.

[dfb]

Am 13. Juli 2014 gewann Deutschland in Rio de Janeiro den vierten Stern. Das WM-Finale war eine epische Partie, die viele Dramen und Wendungen enthielt und an deren Ende der Triumph stand. Zehn Jahre nach dem Titelgewinn erinnert sich Weltmeistertrainer Joachim Löw an das Spiel gegen Argentinien und an die lange Nacht von Rio.

Vor dem Finale stand für uns ein Abschied an. Wir mussten das Campo Bahia verlassen, den Ort, der uns so ans Herz gewachsen ist, an dem wir gewachsen und zusammengewachsen sind. Es fiel uns nicht leicht, die Menschen dort zu verlassen, es war aber ein schönes Gefühl, ihre vielen guten Wünsche und viele schöne Erinnerungen mitzunehmen. Wir kehrten nach Rio zurück, wo wir schon beim 1:0-Sieg im Viertelfinale gegen Frankreich gespielt hatten. Im Finale ging es gegen Argentinien und damit in der Rückschau irgendwie gegen den logischen Gegner. Schon zwei Mal zuvor standen sich diese beiden Nationen im WM-Finale gegenüber, und auch auf meinem und unserem Weg mit der Nationalmannschaft war Argentinien neben Spanien die Mannschaft, die uns am meisten und stärksten gefordert hatte.

Bei der WM 2010 in Südafrika hatten wir gegen sie im Viertelfinale ein überragendes Spiel gemacht, fast alles hat funktioniert, fast alles ist aufgegangen. Arne weiß, wie ich das meine, aber: Wenn selbst Arne Friedrich ein Tor erzielt, dann muss es ein besonderer Tag gewesen sein. Wir waren voll im Flow und auf dem höchsten Level was Konzentration, Laufleistung, Spielfreude, Klarheit, Wachheit, Zweikampfhärte betrifft. Argentinien hatte eine richtig starke Mannschaft, mit vielen gefährlichen Offensivspielern, auch mit einer Kompaktheit und auch mit individueller Klasse in der Defensive. Schon bei der WM 2006 hatten wir gegen sie gewonnen, aber damals waren sie noch die bessere Mannschaft, unser Sieg im Viertelfinale war glücklich. 2010 war es anders. Wir waren aufsässig, stark im Spiel nach vorne, überzeugt von uns und unseren Fähigkeiten – das hatte Wirkung auf Argentinien. In jeglicher Hinsicht waren wir ihnen überlegen: läuferisch, spielerisch, kämpferisch. Damit haben wir Argentinien Minute um Minute mehr demoralisiert, das 4:0 am Ende war nicht zu hoch. Für das WM-Finale 2014 hieß das nicht viel, aber immerhin: Wir wussten, dass wir sie schlagen können, ein Angstgegner war Argentinien für uns nicht.

"Und dann kommt der Mario in so ein Finale rein..."

Die Intensität eines WM-Finales ist schwer zu greifen und noch schwerer zu beschreiben. Ich war die ganze Zeit positiv, das kann ich sagen. Meine Mannschaft und meine Spieler haben ausgestrahlt, dass sie wussten, dass ihre Zeit gekommen ist. Wir waren einen langen Weg gegangen, hatten Rückschläge verkraftet, waren gemein gewachsen und zusammengewachsen und immer besser geworden. Ich war sehr optimistisch, dass wir nicht an uns selbst scheitern, dass wir das Finale nicht deswegen verlieren würden, weil wir unser Limit nicht erreichen. Argentinien, das war mir klar, würde besser Fußball spielen müssen als wir. Und ich wusste, dass sie das normalerweise nicht können.

Vor dem Spiel war für uns die Frage: Spielt Mario oder spielt Miro? Wir haben gegrübelt, welche Konstellation erfolgversprechender ist. Wir standen vor einem WM-Finale, es war klar, dass uns Knochenarbeit erwarten würde, unglaubliche Widerstände. Wir mussten abwägen: Ist Miro jemand, der, wenn er kommt und frisch ist, für einen müder werdenden Gegner nicht zu halten ist? Oder ist es für uns besser, wenn Miro von Beginn an spielt und den Gegner fordert. Für diese Variante haben wir uns dann entschieden.

Wir wussten, dass die Verteidiger von Beginn an unter Druck sein würden, wenn Miro spielt. Dass sie viel arbeiten müssen und dass es auch in ihren Köpfen arbeiten wird. Es löst etwas in den Gegenspielern aus, wenn sie wissen, dass der beste Torschütze der WM-Geschichte auf dem Platz steht. Miro müssen immer zwei in Schach halten, auf Miro muss man in jeder Sekunde aufpassen. Das kostet Nerven und Kraft und macht dem Gegner Stress. Unser Kalkül war: 'Und dann kommt der Mario in so ein Finale rein, ist frisch und trifft auf ausgelaugte Gegenspieler, die sich auf seine Art erst einstellen müssen.'

"Die Dramaturgie kann man sich nicht ausdenken"

Die Dramaturgie des Finals kann man sich nicht ausdenken. Sami Khedira kann ich nicht genug nicht loben. Es gehört sehr viel dazu, sich einzugestehen, dass es nicht geht und auf ein WM-Finale zu verzichten. Wer seinen Ehrgeiz kennt, der weiß, wie schwer ihm dies gefallen sein muss. Er hat für die Mannschaft gehandelt und seine Interessen nach hinten geschoben. Sein Beispiel ist das wohl eindrucksvollste von vielen, die für den besonderen Geist in dieser Mannschaft stehen und die sich während der WM 2014 ereignet haben.

Mit dem Ausfall von Khedira hatte das Spiel schon vor dem Anpfiff eine Wendung bekommen. Nach dem Anpfiff kamen weitere hinzu. Die Partie war ausgeglichen, aber, das muss man zugegen, Argentinien hatte zunächst die besseren Chancen. Gonzalo Higuain hatte mehrfach das 1:0 auf dem Fuß, und hätte ihm ein anderer Torwart als Manuel Neuer gegenüberstanden, mindestens eine der Chancen hätte er genutzt. Wir haben eine Weile benötigt, um ins Spiel zu finden, natürlich auch wegen der Gehirnerschütterung von Christoph Kramer, die uns dazu zwang, schon früh zu tauschen.

"Schweini, der alles und mehr von sich gegeben hat"

Je länger das Spiel ging, desto besser haben wir hineingefunden und die Härte der Argentinier angenommen. Bastian Schweinsteiger war schon vor diesem Spiel groß, in diesem Spiel ist er noch einmal gewachsen. Basti war vor der WM einige Wochen verletzt, er ging angeschlagen ins Turnier. Im Laufe der WM ist er immer stärker und immer wichtiger geworden. Im Finale hat er das Spiel seines Lebens gemacht. Allen voran bei ihm hat man gespürt, dass er alles, was er an Energie hat, in dieses eine Spiel geben will.

Er war 2006 dabei, 2010, 2012, immer war es knapp, nie hat es gereicht. Diesen großen Titel wollte er jetzt mit jeder Faser. Er war unser emotionaler Leader, nie war das spürbarer als an diesem Abend. Gegen Argentinien war er unfassbar gut. Seine läuferische Leistung, seine Haltung, seine Ausstrahlung - alles bei ihm war extrem. Die Organisation, wie er sich in die Zweikämpfe geworfen hat, im wichtigsten Spiel seiner Karriere hat er seine beste Leistung abgerufen. Dass er sich dann auch noch diese Platzwunde zugezogen hat, war fast wie gemalt. Es sind ikonische Bilder entstanden, Schweini der Krieger, der Kämpfer, der alles und mehr von sich gegeben hat.

"Das Tor ist ein Kunstwerk"

In den 90 Minuten der regulären Spielzeit gab es auf beiden Seiten einige Chancen, richtig zwingend wurde keine von ihnen. So ging es torlos in die Verlängerung, das Drama spitzte sich zu. Für die Verlängerung hatten wir Mario Götze eingewechselt, das, was ich zu ihm in diesem Augenblick gesagt habe, war spontan. Messi war damals der beste Spieler der Welt. Viele waren sicher, dass er das Spiel entscheiden wird. Ich war sicher, dass wir dies verhindern und dass unser Moment gekommen ist.

Deswegen habe ich zu Mario gesagt, dass er der Welt zeigen soll, dass er besser ist und dass er dieses Spiel entscheiden wird. Sein Moment kam in der 113. Minute, Toni Kroos schickte André Schürrle auf der linken Seite und dann kam: Geschichte. Götze macht ihn. Und wie er ihn machte. Das Tor ist ein Kunstwerk, unglaublich anspruchsvoll, es war ein Treffer, den so nur ganz wenige Fußballer zu Stande bringen. Mario gehörte dazu. Und es passte, dass die Flanke von Schü kam, seinem Kumpel, dessen Leistungen bei diesem Turnier und in diesem Spiel manchmal zu wenig gewürdigt werden.

Wenn ich hier einzelne Spieler lobe, dann können sich alle angesprochen fühlen. Zu diesem Titel hat der ganze Kader beigetragen, es gab nicht einen Spieler, der seine Rolle nicht grandios erfüllt hätte. Die Stimmung in der Mannschaft, das Niveau im Training, die Energie auf der Bank, auch die Kompetenz und die Hingabe im Betreuerteam – all das war wesentlich, nichts davon kann aus dieser Geschichte entfernt werden.

"Eine unglaubliche, eine unbeschreibliche Freude"

Das Glücksgefühl, das einen unmittelbar nach dem Schlusspfiff durchströmt, lässt sich kaum beschreiben. Der Schlusspfiff war vielleicht der schönste Moment überhaupt. Die Sekunde, in der ich so richtig realisierte, dass das Spiel zu Ende ist, war, als mir Andy Köpke und Oliver Bierhoff und Hansi Flick und einige andere um den Hals gefallen sind. Da habe ich gewusst: 'Jetzt sind wir Weltmeister, jetzt kann uns das keiner mehr nehmen.'

In diesen Sekunden spürte ich eine unglaubliche, eine unbeschreibliche Freude. Alles, was danach kam, die Zeremonie, die Pokalübergabe, das läuft irgendwie an einem vorbei. Man weiß dann gar nicht, mit wem man sich umarmt, mit wem man sich unterhält, wer einem alles gratuliert und wem man gratuliert. In der Nacht nach dem Finale habe ich schnell gemerkt, dass ich platt und unendlich müde bin. Wenn mich früher jemand gefragt hätte, wie ich mich nach einem WM-Titel verhalte, wäre meine Prognose eine zweitägige Feier gewesen. Aber ich war durch, völlig hinüber. Die Feier konnte ich nicht richtig genießen. Vergleichsweise früh habe ich mich verabschiedet und bin ins Bett gegangen. Alle haben mich angeschaut, als wäre ich ein Außerirdischer, niemand konnte glauben, dass ich mich schon zurückziehe. Aber es ging nicht anders. Ich war müde, völlig am Ende, ausgelaugt, ich musste schlafen.

"Das Gefühl, Weltmeister zu sein, war nie intensiver"

Es war einfach sehr anstrengend. Der Tag des Finals und auch alles, was davor war, hat Kraft gekostet, mentale Kraft vor allem. Ich bin dann ins Bett gegangen und fast sofort eingeschlafen. Als ich nach zwei, drei Stunden wieder wach wurde, musste ich mich erst orientieren. Dass wir am Abend zuvor Weltmeister geworden waren, habe ich erst gespürt und dann gewusst. Ich bin dann runter zum Frühstück und wollte die Ruhe genießen.

Aber ich war nicht der Einzige, es waren noch ein paar Spieler vom Vorabend da. Es waren wunderschöne Augenblicke mit den Spielern, dieser Morgen danach war intensiv, innig, es waren Genussmomente. Das Gefühl, Weltmeister zu sein, war nie intensiver als an diesem Morgen und in diesen Stunden. Aber seither ist es immer spürbar, es begleitet mich und uns und wird immer Teil unserer Leben sein.

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