Männer-Nationalmannschaft
"Mister Fallrückzieher": Klaus Fischer wird 75
Die wichtigste Frage, gleich zum Anfang gestellt, wird befriedigend beantwortet. "Mir geht es gut", versichert Klaus Fischer, die lebende Schalke-Legende im Gespräch mit DFB.de-Mitarbeiter Udo Muras.
Das ist keine Selbstverständlichkeit, schließlich wird der Ex-Nationalspieler am Tag nach Weihnachten runde 75 Jahre alt und die Kunde, dass seine Fußballschule nach 27 Jahren eingestellt wurde, ließ manchen aufhorchen. Aber nun feiert er seinen Geburtstag im Familienkreise und am nächsten Tag geht es zur Vierschanzentournee, die Familie hat eine Einladung für das Springen in Oberstdorf und der Wintersport affine Fischer nahm sie gern an.
Sein letzter runder Geburtstag 2019 stand im Schatten von Reha-Besuchen und Krankengymnastik, weil Fischer ja noch mit 69 in der Schalker Traditionself kicken musste. "Da hat mich beim Stand von 4:1 ein Japaner regelrecht umgeholzt und sah nicht mal Gelb dafür", erinnert sich Fischer noch gut. Er kann jetzt darüber schmunzeln. Damals nicht, ein Sehnenriss in der Schulter gehört zu den unangenehmsten, weil langwierigsten Sportverletzungen.
Fischers Markenzeichen: Der Fallrückzieher
Er musste operiert werden, dann folgten Monate der Rehabilitation und eine unausweichliche Konsequenz: "Ich habe mein letztes Tor schon geschossen", sagt Fischer, der seit jenem Tag nicht mehr Fußball spielen kann, nicht mal mehr aus Jux. Die Traditionsmannschaft von Schalke 04 hat keinen Mittelstürmer mehr, der die Bälle im Zweifel auch mal per Fallrückzieher in den Kasten setzt. Das war sein Markenzeichen, das war sein zweiter Name: "Mister Fallrückzieher!" Dabei waren es nur vier, die zu Toren führten. Aber alle erregten sie Aufsehen und wurden ausgezeichnet, zuletzt noch 2003 in der Traditionself von 1860 München.
Das hat zur bis heute andauernden Popularität Klaus Fischers wesentlich beigetragen. Er gehört zu den Menschen, deren Leben reich und erfüllt war und doch in der öffentlichen Wahrnehmung auf wenige Momente reduziert wird. Klaus Fischer aus Zwiesel im Bayerischen Wald hat 20 Jahre in der Bundesliga gespielt und dort nach dem wohl auf ewig unerreichbaren Gerd Müller und dem Polen Robert Lewandowski die meisten Tore erzielt. Er hat an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen und zwei Mal den DFB-Pokal gewonnen, 1976 war er sogar Bundesliga-Torschützenkönig.
Doch bis heute steht er für eine Spezialität, die ihn am 16. November 1977 weltberühmt wurde: Den Fallrückzieher. Damals lag er wieder mal schräg in der Luft, als beim Länderspiel gegen die Schweiz eine Rechtsflanke seines Schalker Vereinskameraden Rüdiger Abramczik in den Strafraum segelte. Fischer traf den Ball mit dem Rücken zum Tor voll und was dann geschah sah er nicht mehr – aber danach noch hunderte Mal auf Video. Der Treffer wurde von den ARD-Zuschauern zum Tor des Monats und Jahres gewählt, später wurde es das des Jahrzehnts und sogar des Viertel-Jahrhunderts.
"Das war das wichtigste Tor meiner Karriere"
Schlagartig war der Mittelstürmer mit dem nicht ganz makellosen Lebenslauf, er war mit Schalke 04 in den Bundesligaskandal von 1971 verwickelt (Fischer: "Dümmer kann man nicht sein") und wurde bis zu seiner Begnadigung 1977 für Länderspiele gesperrt, ein Held. Anfang 1980 wählten ihn die Leser einer Sportzeitschrift zum beliebtesten Stürmer des Landes – mit mehr Stimmen als die fünf Verfolger zusammen.
Warum? Klaus Fischer war nicht nur ein kompletter Stürmer, er hatte das gewisse Extra. Er hat in seiner Glanzzeit die Ästhetik des Toreschießens per Fallrückzieher in die nächst höhere Dimension bugsiert, er war sozusagen ein Hochballartist. Auch Seitfallzieher ("die habe ich trainiert") und Flugkopfbälle hatte er im Repertoire, die normalen, eher nüchternen Abstauber überließ er Gerd Müller. Für einen wie ihn ging man ins Stadion. 1975 war ihm bereits in der Bundesliga in Karlsruhe das Tor des Jahres per Fallrückzieher gelungen.
Die Krönung erfolgte am 8. Juli 1982, als ihm im legendären WM-Halbfinale in Sevilla gegen Frankreich der Ausgleich zum 3:3 in der Verlängerung gelang. "Das war das wichtigste Tor meiner Karriere", beteuert er. 32 schoss er für sein Land, für das er nach der Begnadigung der Schalker Skandalsünder von 1977 bis 1982 45-Mal auflief, zweimal bei WM-Endrunden. In der Bundesliga brachte er es in 535 Spiele (für 1860 München, Schalke, den 1. FC Köln und den VfL Bochum) auf 268 Tore.
Für immer königsblau
Vor 36 Jahren beendete er seine Profikarriere, davon erzählen muss und will er als Repräsentant seiner Schalker, bei denen er auch Mitglied ist, bis heute. Seit 54 Jahren lebt er mit seiner Frau in Gelsenkirchen, er hat seine Wahl getroffen. In Zwiesel haben sie zwar ein Haus, aber das erfreut sich nur kurzer Visiten. Königsblau ein Leben lang – was die Fans singen, hat der Bayer Fischer längst verinnerlicht. "Bei jedem Heimspiel bin ich dabei. Die Älteren kennen mich noch und das Thema, auf das sie alle immer wieder kommen, sind meine Tore. Natürlich besonders die Fallrückzieher."
Und natürlich reden die alten Kameraden wie die Kremers-Zwillinge oder Abramczik auf der Tribüne mit ihm über die damals so viel bessere Schalker Zeit. "Ein Verein wie Schalke gehört in die Bundesliga", ist nicht nur Fischers Credo. Natürlich würde er sich wünschen, seinen nächsten Geburtstag – nicht erst den nächsten runden – wieder als Mitglied eines Erstligisten zu begehen. Und warum auch nicht? "In dieser Liga kann jeder jeden schlagen. Sie haben jetzt beim Tabellenführer Paderborn gewonnen und auch Fortuna Düsseldorf beherrscht. Aber sie haben die Tore nicht gemacht." Sie haben eben keinen Klaus Fischer mehr.
Kategorien: Männer-Nationalmannschaft
Autor: dfb
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