"World Cup Willi" Schulz wird 85

Wenn die Bundesliga Jubiläum feiert, so wie in diesem Jahr, fehlt er in keinem filmischen Rückblick. Die Schwarz-Weiß-Bilder, die ihn beim Bierzapfen hinter der Theke zeigen, hat fast jeder Fußballfan schon einmal gesehen. Im breitesten Ruhrpott-Slang erklärt Willi Schulz, dass man eben vom Fußball alleine nicht leben könne und seine Kneipe auf Schalke zur Sicherung seiner Existenz nötig sei. Das war 1963, Schulz war 25 und Nationalspieler – und schon damals mehr als nur ein Fußballer. Der Mann, der Deutschland bei drei Weltmeisterschaften vertrat und heute seinen 85. Geburtstag feiert, hatte immer schon ein Näschen fürs Geschäft.

Seit 58 Jahren ist der Junge aus dem Pott nun schon Wahlhanseate, der HSV war seine letzte Profistation, und dann blieb er einfach da. Der gelernte Versicherungskaufmann ist noch immer Geschäftsführer seiner Willi Schulz GmbH und bietet auf der Homepage "erstklassige Beratung und Betreuung unserer Kunden an" in Sachen Geldanlagen und Vorsorge.

Die Menschen wollten eben schon immer wissen, was Willi Schulz zu sagen hatte. Er schrieb nach der Karriere von den Protagonisten der Liga oft gefürchtete Fußball-Kolumnen für die Welt am Sonntag und saß im Aufsichtsrat des HSV – von 2004 bis 2009 als dessen zweiter Vorsitzender. Denn er brachte praktische Erfahrungen ein wie nur wenige in diesem Gremium.

Länderspieldebüt gegen Jugoslawien 1959

Willi Schulz kann nämlich auf eine außergewöhnliche Karriere zurück blicken. Nachdem er bei dem Wattenscheider Vorortklub Union 08 Günnigfeld schon als Teenager überragende Leistungen in der Seniorenmannschaft gezeigt hatte, kam er zu acht Amateur-Länderspielen. Sein Verein spielte in der Westfalen-Staffel 2, zuweilen auf Asche. Eine harte Schule für harte Kerle, aber gewiss kein klassisches Sprungbrett in die Nationalmannschaft. Doch Bundestrainer Sepp Herberger berief den damals 20 Jahre alten Betriebsschlosser-Lehrling im Dezember 1959 nach einem Hinweis von Verbandstrainer Dettmar Cramer in den Kader des Jugoslawien-Spiels (1:1) in Hannover.

Vier Tage vor Weihnachten erhielt Schulz sein verfrühtes Geschenk: An der Seite eines Helmut Rahn und Uwe Seeler debütierte der Junge aus dem Verein, den die meisten Zuschauer im Niedersachsen-Stadion nie gehört hatten, als rechter Läufer, da er nicht nur Herberger an den Lauterer Horst Eckel erinnerte. Im Sport Magazin las man: "Der lang aufgeschossene Doppelgänger von Horst Eckel bestand jedoch sein Debut mit 'Ausgezeichnet'." Herbergers Fazit viel von Amts wegen etwas nüchterner aus: "Er hat spieltechnische Fähigkeiten, aber in der taktischen Spielauffassung und im Einsatz bedarf er weiterer Förderung." Nun, die sollte er bekommen.

Schon 1960 wechselte er zu Schalke 04, nachdem er noch zwei weitere Länderspiele als Günnigfelder gemacht hatte. Borussia Dortmund wollte ihn übrigens auch haben. Dortmund bot ihm 10.000 Mark Handgeld, Schalke ein Grundstück, auf dem er seine Kneipe aufmachen konnte. Also ging er zu Schalke, auch weil er da von Günnigfeld einfacher mit der Straßenbahn hinkam.

WM-Dauerbrenner und "Meister der Grätsche"

Doch Willi Schulz zeichnete nicht nur sein Geschäftssinn aus, er war natürlich auch ein besonders cleverer Fußballer. Hätte er 30 Jahre später Bundesliga gespielt, wäre er fraglos Multimillionär geworden. "Zwischen 1959 und 1970 war eine Nationalelf ohne ihn nicht denkbar", schrieb Karl-Heinz Heimann im kicker schon 1973 zu seinem Abschied vom Profifußball.

Schulz, der als "Meister der Grätsche" galt, aber nie vom Platz flog, war ein echter Führungsspieler. 20-mal trug er die Kapitänsbinde für Deutschland und nahm an drei Weltmeisterschaften teil: 1962 in Chile und 1966 in England verpasste er keine Minute – auch nicht die, als das legendäre Wembley-Tor fiel (Schulz: "Wir waren alle der Meinung, der Ball war nicht drin."). Bei der WM 1966 wurde sein legendärer Spitzname "World Cup-Willi" von der Bild-Zeitung geboren. So hieß eigentlich das englische WM-Maskottchen, aber auch die Deutschen hatten bei dieser WM ihren Willi. Das macht man nicht mit jemandem, den man nicht mag.

Italien-Spiel 1970: "Die glücklichere Mannschaft hat gewonnen"

Doch Willi Schulz war Kult. Da er sich großer Beliebtheit erfreute, riefen die Zuschauer oft seinen Vornamen, wenn der Ausputzer mit langen Schritten nach vorne preschte. Wenn er das Toreschießen auch eher Uwe Seeler überließ. In 263 Bundesligaspielen traf Schulz nur fünfmal. Aber als letzter deutscher Abwehrchef vor der Erfindung des Liberos war er mit seiner Erfahrung und Zweikampfhärte unverzichtbar. Gerade bei der WM 1966, in einer glanzvollen Mannschaft, in der viele kommende Welt-Stars ihre ersten Gehversuche auf internationalem Parkett machten. Mit Wolfgang Overath und Franz Beckenbauer spielte er noch 1970 in Mexiko, wo er nach einem Trainingsunfall seinen Stammplatz verlor.

Aber in den Jahrhundertspielen gegen England (3:2 n.V.) und Italien (3:4 n.V.) war er dabei. Schulz war am letzten Gegentor nicht ganz unbeteiligt: "Ich musste meinem Gegenspieler Boninsegna eine Flanke erlauben, am Elfmeterpunkt stand Riviera frei und so haben wir verloren. Damals hat nicht die bessere, sondern die glücklichere Mannschaft gewonnen."

Fehlende Schuhe beenden Nationalmannschaftkarriere

Dass das Drama von Mexiko City sein letztes und nicht sein vorletztes Länderspiel war, ist auch wieder so eine Geschichte. Bundestrainer Helmut Schön wollte im Spiel um Platz drei den Reservisten eine Chance geben und Schulz sollte erst nach der Pause Karl-Heinz Schnellinger ablösen. So der Plan. Dummerweise landete seine Sporttasche mit den Schuhen im Bus mit den Reisekoffern, der zum Hotel statt ins Stadion fuhr. "Ein Versehen beim Verladen", beteuert Schulz noch heute. Die Legende besagt, er habe seine Schuhe absichtlich vergessen, weil er nicht mehr spielen wollte. Sie wird gern geglaubt, ist aber falsch.

Helmut Schön war nicht sonderlich amüsiert, als er erfuhr dass einer seiner Ersatzspieler keine Schuhe mit hatte. Jedenfalls fehlten die Schuhe, und so kam der Bremer Max Lorenz zu seinem WM-Debüt. Willi Schulz dagegen spielte nie mehr für Deutschland. Nicht nur deswegen natürlich – sondern weil er gleich nach der Rückkehr am Meniskus operiert wurde und er im fortgeschrittenen Alter von fast 32 Jahren war.

Drei Finalniederlagen

Als die Goldenen Siebziger des deutschen Fußballs anbrachen, musste er allmählich ans Aufhören denken. Die Europameister von 1972 und die Weltmeister von 1974 hat er fast alle noch als Mitspieler erlebt – aber bei ihren Triumphen war er nicht mehr dabei. Als Willi am 24. April 1973 im Volksparkstadion abtrat, endete eine stolze Karriere, die ihn zweimal bis in die Weltauswahl geführt hatte, leider ohne Titel. Denn er hatte nicht nur in Wembley Pech: 1968 verlor er mit dem HSV das Europacupfinale gegen AC Mailand, 1967 zog er im DFB-Pokalfinale gegen die Bayern den Kürzeren.

Aber zum Abschied gab es natürlich noch eine echte Schulz-Geschichte. Er organisierte 1973 ein Spiel zwischen dem HSV und einer Weltauswahl, zu der Stars wie Bobby Charlton, Carlos Alberto, Bobby Moore, Franz Beckenbauer und Gerd Müller gehörten. Selbst Pelé war eingeladen, und Willi hatte ihm schon ein Flugticket erster Klasse zugesandt. Doch der Weltstar sagte ab. Dennoch kamen 32.000 Zuschauer und brachten ihm 130.000 Mark ein, viel Geld vor 50 Jahren. Sein HSV hatte zu wenig davon, und Willi lieh ihm die komplette Einnahme zum "Freundschaftspreis". Er nahm zehn Prozent Zinsen.

Womit nicht der Eindruck entstehen soll, er habe keine soziale Seite. Das widerlegte er nur zu oft, wenn er an Golfturnieren teilnahm, deren Erlöse den Stiftungen von Uwe Seeler und Franz Beckenbauer zu Gute kamen.

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Wenn die Bundesliga Jubiläum feiert, so wie in diesem Jahr, fehlt er in keinem filmischen Rückblick. Die Schwarz-Weiß-Bilder, die ihn beim Bierzapfen hinter der Theke zeigen, hat fast jeder Fußballfan schon einmal gesehen. Im breitesten Ruhrpott-Slang erklärt Willi Schulz, dass man eben vom Fußball alleine nicht leben könne und seine Kneipe auf Schalke zur Sicherung seiner Existenz nötig sei. Das war 1963, Schulz war 25 und Nationalspieler – und schon damals mehr als nur ein Fußballer. Der Mann, der Deutschland bei drei Weltmeisterschaften vertrat und heute seinen 85. Geburtstag feiert, hatte immer schon ein Näschen fürs Geschäft.

Seit 58 Jahren ist der Junge aus dem Pott nun schon Wahlhanseate, der HSV war seine letzte Profistation, und dann blieb er einfach da. Der gelernte Versicherungskaufmann ist noch immer Geschäftsführer seiner Willi Schulz GmbH und bietet auf der Homepage "erstklassige Beratung und Betreuung unserer Kunden an" in Sachen Geldanlagen und Vorsorge.

Die Menschen wollten eben schon immer wissen, was Willi Schulz zu sagen hatte. Er schrieb nach der Karriere von den Protagonisten der Liga oft gefürchtete Fußball-Kolumnen für die Welt am Sonntag und saß im Aufsichtsrat des HSV – von 2004 bis 2009 als dessen zweiter Vorsitzender. Denn er brachte praktische Erfahrungen ein wie nur wenige in diesem Gremium.

Länderspieldebüt gegen Jugoslawien 1959

Willi Schulz kann nämlich auf eine außergewöhnliche Karriere zurück blicken. Nachdem er bei dem Wattenscheider Vorortklub Union 08 Günnigfeld schon als Teenager überragende Leistungen in der Seniorenmannschaft gezeigt hatte, kam er zu acht Amateur-Länderspielen. Sein Verein spielte in der Westfalen-Staffel 2, zuweilen auf Asche. Eine harte Schule für harte Kerle, aber gewiss kein klassisches Sprungbrett in die Nationalmannschaft. Doch Bundestrainer Sepp Herberger berief den damals 20 Jahre alten Betriebsschlosser-Lehrling im Dezember 1959 nach einem Hinweis von Verbandstrainer Dettmar Cramer in den Kader des Jugoslawien-Spiels (1:1) in Hannover.

Vier Tage vor Weihnachten erhielt Schulz sein verfrühtes Geschenk: An der Seite eines Helmut Rahn und Uwe Seeler debütierte der Junge aus dem Verein, den die meisten Zuschauer im Niedersachsen-Stadion nie gehört hatten, als rechter Läufer, da er nicht nur Herberger an den Lauterer Horst Eckel erinnerte. Im Sport Magazin las man: "Der lang aufgeschossene Doppelgänger von Horst Eckel bestand jedoch sein Debut mit 'Ausgezeichnet'." Herbergers Fazit viel von Amts wegen etwas nüchterner aus: "Er hat spieltechnische Fähigkeiten, aber in der taktischen Spielauffassung und im Einsatz bedarf er weiterer Förderung." Nun, die sollte er bekommen.

Schon 1960 wechselte er zu Schalke 04, nachdem er noch zwei weitere Länderspiele als Günnigfelder gemacht hatte. Borussia Dortmund wollte ihn übrigens auch haben. Dortmund bot ihm 10.000 Mark Handgeld, Schalke ein Grundstück, auf dem er seine Kneipe aufmachen konnte. Also ging er zu Schalke, auch weil er da von Günnigfeld einfacher mit der Straßenbahn hinkam.

WM-Dauerbrenner und "Meister der Grätsche"

Doch Willi Schulz zeichnete nicht nur sein Geschäftssinn aus, er war natürlich auch ein besonders cleverer Fußballer. Hätte er 30 Jahre später Bundesliga gespielt, wäre er fraglos Multimillionär geworden. "Zwischen 1959 und 1970 war eine Nationalelf ohne ihn nicht denkbar", schrieb Karl-Heinz Heimann im kicker schon 1973 zu seinem Abschied vom Profifußball.

Schulz, der als "Meister der Grätsche" galt, aber nie vom Platz flog, war ein echter Führungsspieler. 20-mal trug er die Kapitänsbinde für Deutschland und nahm an drei Weltmeisterschaften teil: 1962 in Chile und 1966 in England verpasste er keine Minute – auch nicht die, als das legendäre Wembley-Tor fiel (Schulz: "Wir waren alle der Meinung, der Ball war nicht drin."). Bei der WM 1966 wurde sein legendärer Spitzname "World Cup-Willi" von der Bild-Zeitung geboren. So hieß eigentlich das englische WM-Maskottchen, aber auch die Deutschen hatten bei dieser WM ihren Willi. Das macht man nicht mit jemandem, den man nicht mag.

Italien-Spiel 1970: "Die glücklichere Mannschaft hat gewonnen"

Doch Willi Schulz war Kult. Da er sich großer Beliebtheit erfreute, riefen die Zuschauer oft seinen Vornamen, wenn der Ausputzer mit langen Schritten nach vorne preschte. Wenn er das Toreschießen auch eher Uwe Seeler überließ. In 263 Bundesligaspielen traf Schulz nur fünfmal. Aber als letzter deutscher Abwehrchef vor der Erfindung des Liberos war er mit seiner Erfahrung und Zweikampfhärte unverzichtbar. Gerade bei der WM 1966, in einer glanzvollen Mannschaft, in der viele kommende Welt-Stars ihre ersten Gehversuche auf internationalem Parkett machten. Mit Wolfgang Overath und Franz Beckenbauer spielte er noch 1970 in Mexiko, wo er nach einem Trainingsunfall seinen Stammplatz verlor.

Aber in den Jahrhundertspielen gegen England (3:2 n.V.) und Italien (3:4 n.V.) war er dabei. Schulz war am letzten Gegentor nicht ganz unbeteiligt: "Ich musste meinem Gegenspieler Boninsegna eine Flanke erlauben, am Elfmeterpunkt stand Riviera frei und so haben wir verloren. Damals hat nicht die bessere, sondern die glücklichere Mannschaft gewonnen."

Fehlende Schuhe beenden Nationalmannschaftkarriere

Dass das Drama von Mexiko City sein letztes und nicht sein vorletztes Länderspiel war, ist auch wieder so eine Geschichte. Bundestrainer Helmut Schön wollte im Spiel um Platz drei den Reservisten eine Chance geben und Schulz sollte erst nach der Pause Karl-Heinz Schnellinger ablösen. So der Plan. Dummerweise landete seine Sporttasche mit den Schuhen im Bus mit den Reisekoffern, der zum Hotel statt ins Stadion fuhr. "Ein Versehen beim Verladen", beteuert Schulz noch heute. Die Legende besagt, er habe seine Schuhe absichtlich vergessen, weil er nicht mehr spielen wollte. Sie wird gern geglaubt, ist aber falsch.

Helmut Schön war nicht sonderlich amüsiert, als er erfuhr dass einer seiner Ersatzspieler keine Schuhe mit hatte. Jedenfalls fehlten die Schuhe, und so kam der Bremer Max Lorenz zu seinem WM-Debüt. Willi Schulz dagegen spielte nie mehr für Deutschland. Nicht nur deswegen natürlich – sondern weil er gleich nach der Rückkehr am Meniskus operiert wurde und er im fortgeschrittenen Alter von fast 32 Jahren war.

Drei Finalniederlagen

Als die Goldenen Siebziger des deutschen Fußballs anbrachen, musste er allmählich ans Aufhören denken. Die Europameister von 1972 und die Weltmeister von 1974 hat er fast alle noch als Mitspieler erlebt – aber bei ihren Triumphen war er nicht mehr dabei. Als Willi am 24. April 1973 im Volksparkstadion abtrat, endete eine stolze Karriere, die ihn zweimal bis in die Weltauswahl geführt hatte, leider ohne Titel. Denn er hatte nicht nur in Wembley Pech: 1968 verlor er mit dem HSV das Europacupfinale gegen AC Mailand, 1967 zog er im DFB-Pokalfinale gegen die Bayern den Kürzeren.

Aber zum Abschied gab es natürlich noch eine echte Schulz-Geschichte. Er organisierte 1973 ein Spiel zwischen dem HSV und einer Weltauswahl, zu der Stars wie Bobby Charlton, Carlos Alberto, Bobby Moore, Franz Beckenbauer und Gerd Müller gehörten. Selbst Pelé war eingeladen, und Willi hatte ihm schon ein Flugticket erster Klasse zugesandt. Doch der Weltstar sagte ab. Dennoch kamen 32.000 Zuschauer und brachten ihm 130.000 Mark ein, viel Geld vor 50 Jahren. Sein HSV hatte zu wenig davon, und Willi lieh ihm die komplette Einnahme zum "Freundschaftspreis". Er nahm zehn Prozent Zinsen.

Womit nicht der Eindruck entstehen soll, er habe keine soziale Seite. Das widerlegte er nur zu oft, wenn er an Golfturnieren teilnahm, deren Erlöse den Stiftungen von Uwe Seeler und Franz Beckenbauer zu Gute kamen.

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