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Eine Auszeit vom Krieg
40 Kinder und Jugendliche verbringen auf Einladung des DFB und organisiert durch die DFB-Stiftung Egidius Braun eine Woche in Malente. Eine Auszeit vom Krieg. Und eine Gelegenheit, sich gegenseitig besser zu verstehen.
Die dreizehnjährige Oleksandra muss sich mit einer Handvoll Schulstunden in der Woche begnügen. Die Schule in ihrem kleinen Dorf in der Region Donezk ist geschlossen. "Wir sitzen zuhause vor dem Computer und bekommen sporadisch Online-Unterricht. Aber das ist nicht das Gleiche." Das geht nun schon ein Jahr so. Dabei will sie Medizin studieren und später einmal als Augenärztin arbeiten. Vor rund zehn Jahren hatte sie ihr Vater mit in die Donbass-Arena genommen. Kurz darauf zog der aus der Champions League bekannte Klub Schachtar Donezk nach Kiew um. Die Arena wurde später durch Explosionen und Druckwellen stark beschädigt. "Seit damals war ich nie mehr in einem Stadion", erzählt Oleksandra, die den Fußball liebt.
Andrii spielte draußen und sah, wie eine Rakete nur wenige Meter über das Dach des Hauses seiner Eltern donnerte. Er wuchs ebenfalls tief im Osten des Landes, in der Region Donezk auf und sagt: "Für meine Familie hat der Krieg schon 2014 begonnen." Die Holovchenkos verließen ihr Zuhause und ihre Heimat und flüchteten in den Westen der Ukraine. Der Großvater blieb. "An ihn muss ich oft denken", sagt Andrii.
Zweite Freizeit folgt in Barsinghausen
Andrii und Oleksandra sind zwei der 40 Jugendlichen aus der Ukraine, die noch bis zum Freitag ein Fußball-Camp im Uwe Seeler Fußball Park im schleswig-holsteinischen Malente besuchen. Eingeladen hat sie der DFB, finanziert und umgesetzt vor Ort wird das Camp von der DFB-Stiftung Egidius Braun. Ballon d’Or-Preisträger Andreij Schewtschenko, der Präsident des Ukrainischen Fußballverbandes (UAF), und DFB-Präsident Bernd Neuendorf hatten Anfang Juni anlässlich des Länderspiels in Nürnberg ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Damit vereinbart wurden neben Trainerfortbildungen "auch gemeinsame Aktivitäten beider Verbände für die jungen ukrainischen Fußballerinen und Fußballer". Eine zweite Freizeit für ukrainische Nachwuchsfußballer*innen findet vom 19. bis 23. August im niedersächsischen Barsinghausen statt.
Taisia ist 14 Jahre alt und erinnert sich an den Februar vor zwei Jahren: "Der Krieg brach einfach aus, ganz plötzlich, trotz aller Drohungen unerwartet." Veronika, ein Jahr älter als Taisia, berichtet: "Schon nach wenigen Kriegstagen waren die Regale im Supermarkt leergefegt. Eine Weile lang bekamen wir nichts zu Essen." Die drei Mädchen und Andrii sitzen auf dem Rasen vor der Sportschule. Den Mittag hatten sie mit einer Bootstour über die fünf Seen und einem Minigolfturnier verbracht. Danach gab es ein paar sehr deutsche Bratwürstchen. Jetzt senkt sich die Abendsonne über Malente. Wir stellten unsere Anfrage ein paar Tage vorher, vier wollen nun ihre Erlebnisse erzählen, sie sind 13, 14 und 15 Jahre alt, Andrii mit seinen neun Jahren ist der mit Abstand Jüngste.
Alle haben zumindest einmal einen Raketenangriff überlebt. Verwandte beim Militär hat nur Veronika. Ihre beiden Eltern kämpfen in der ukrainischen Armee. "Nachhause werden sie erst kommen, wenn der Krieg endet. Ich habe immer Angst um sie. Ich weiß einfach nicht, was passieren wird. Vielleicht habe ich schon morgen keine Eltern mehr." Als die Jugendlichen in Malente an einem ausgebrannten Dachstuhl vorbeilaufen, sagt einer "Wie bei uns zuhause." Sie wirken abgeklärt und sachlich, aber vielleicht ist das besser als immer von der Angst kontrolliert zu leben.
Engagement in der Ukraine bereits seit 2001
Die 24-jährige Anastassia Lopashchuk arbeitet als Managerin für internationale Zusammenarbeit für die UAF, sie begleitet die Gruppe in Malente. Die Anfahrt aus Kiew dauerte 40 Stunden, wegen der Papiere stand der Bus stundenlang an der Grenze. Aufgrund der gezielten russischen Schläge gegen die Infrastruktur, hat Anastasia zuhause in Kiew nur selten Wasser. "Meine Wohnung liegt im 11. Stock, aber ohne Strom kriegen die das Wasser nur bis in den 5. Stock", erzählt sie. Ihr morgendlicher Weg zum Verband führt an einem Militärstützpunkt vorbei. "Da sehe ich, wie junge Soldaten aus den Lastern klettern, vielen fehlt ein Bein oder ein Arm."
Der größte Konflikt in Europa seit dem 2. Weltkrieg begann schon 2014 mit der Krimannexion und den Unruhen im Donbass. Doch seit Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den Krieg entfacht hat, den er zynisch als eine "militärische Operation zur Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine" bezeichnet, spürt bis auf wenige Gebiete weit im Westen das ganze Land den Furor aus Gewalt und Entbehrungen. Schätzungen zu Folge waren im August 2023 eine halbe Million ukrainischer und russischer Soldaten getötet und schwer verletzt und verstümmelt worden. Die Verluste auch auf russischer Seite sind Experten zufolge riesig.
Es ist kein Zufall, dass die Umsetzung des Camps von der DFB-Stiftung Egidius Braun übernommen wurde. Bereits seit 2001 engagiert man sich auf Bestreben des inzwischen verstorbenen DFB-Ehrenpräsidenten Egidius Braun in der Ukraine. Dieses Wirken wurde mit Kriegsbeginn erheblich ausgeweitet. Rund zehn Millionen Euro wurden für Hilfsprojekte und notleidende Menschen in der Ukraine bereitgestellt, unter anderem über das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und die Klitschko Foundation. Darüber hinaus hat die DFB-Stiftung Egidius Braun 587 Vereine in Deutschland, die sich für geflüchtete Menschen aus der Ukraine engagieren, jeweils mit einer Anerkennungsprämie in Höhe von 500 Euro unterstützt.
Viel Herzblut für eine unbeschwerte Woche
Zurück nach Malente: Oleksandra antwortet als einzige auf Englisch, die Betreuer erzählen, sie sei bei jedem Wettbewerb sehr ehrgeizig. Veronika wirkt fast schüchtern, aber wenn sie spricht, erzählt sie frei und aus vollem Herzen. Später einmal will sie Modell werden. Andrii ergreift mehrfach das Wort, auch wenn er es ist, will er partout nicht der Kleinste sein. Taisia hat ihre Baseballkappe tief in die Stirn gezogen. Sie strahlt ironische Skepsis aus und ist die Einzige, die überlegt, die Ukraine irgendwann einmal zu verlassen.
Alle vier lehnen einen Kompromiss ab, also ein Abtreten von Gebieten oder andere Zugeständnisse an den Aggressor. Der Krieg könne nur mit einem Sieg der Ukraine enden. "Es sind zu viele schon gestorben. Da können wir doch keinen Strich drunter machen", sagt Taisia und alle nicken. Sie sind sehr jung, Kinder eigentlich noch, an der Schwelle zum Teenager. Aber der Krieg als Thema ist nicht zu groß für sie. Der Krieg gehört jeden Tag zu ihrem Leben.
Auf die Frage am Ende, ob sie wütend seien, hört man viermal "Tak". Auf die Russen? Tak. Auf Putin? "Tak". Tak heißt Ja auf Ukrainisch. Und dann bedanken sie sich für das tolle Camp, und der Dank gilt vor allem Campleiter Martin Nowak und seinem starken Team. Alle haben mit viel Herzblut versucht, den 40 Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine eine unbeschwerte Woche zu bereiten. Am Freitag aber beginnt ihre Rückkehr in den Krieg.
Kategorien: Über uns, DER DFB
Autor: th
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