Rothmund: Nachhaltigkeit statt Lippenbekenntnisse

Vor dem Bundestag am Donnerstag und Freitag in Essen spricht Karl Rothmund, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben, im Interview über den Stellenwert des deutschen Fußball, das soziale Engagement des DFB und die Idee der Nachhaltigkeit.

DFB.de: Die Nationalmannschaft hat eine erfolgreiche WM in Südafrika gespielt, zuvor haben wir eine packende Bundesliga-Saison mit fast allen WM-Helden und vielen internationalen Stars gesehen, und nun startet der Fußball eine neue Offensive im Bereich gesellschaftliches Engagement im Fußball. Gibt es hier einen Zusammenhang?

Karl Rothmund: Man muss nur sehen, wie stark sich der Deutsche Fußball-Bund und die Bundesliga in den vergangenen Jahren bei der Nachwuchsförderung eingebracht haben. Der DFB engagiert sich seit 2001 sehr stark in diesem Bereich, die DFL hat unglaublich hochwertige Leistungszentren bei allen Klubs der Bundesliga und 2. Bundesliga einrichten lassen. Vor 25 Jahren noch gab es drei oder vier hauptamtliche Jugendtrainer in Deutschland. Heute haben wir verteilt übers Land 366 Stützpunkte, 46 Leistungszentren und 29 Eliteschulen des Fußballs. Jedes Talent wird entdeckt und bestmöglich gefördert. Und den Erfolg ernten wir schon jetzt. Unser WM-Team war mit einem Altersschnitt von 24,96 Jahren die jüngste deutsche WM-Mannschaft seit 1934.

DFB.de: Wie schaut das in der Bundesliga aus?

Rothmund: In der vergangenen Saison spielten 77 Profis, die jünger als 21 Jahre waren, in der Bundesliga – doppelt so viele wie in der Saison 2000/2001. Von diesen 77 „Youngstern“ kamen nur 14 aus dem Ausland, doch viele waren Deutsche mit einer Zuwanderungsgeschichte. Mesut Özil, Sami Khedira und Jérôme Boateng sind Leistungsträger unserer Nationalmannschaft. Für die Fans gehören Mesut, Sami und Jérôme ohnehin längst zu „unseren Jungs“. Dass Fußball über eine enorme integrative Kraft verfügt, hat gerade die WM in Südafrika deutlich gemacht. Der sportliche Erfolg belegt auch, wie gut die Wertevermittlung und Persönlichkeitsentwicklung greifen. Unsere jungen Spieler gehen die Aufgabe mit Respekt an, sie leben einen positiven Teamgeist, und sie verfügen über ein ausgeprägtes Selbst bewusstsein, um auch Führungsaufgaben zu schultern. Von all diesen direkten Auswirkungen des Fußballs profitiert auch unsere Gesellschaft. Bislang war Nachhaltigkeit doch ein Betätigungsfeld für Wirtschaftsunternehmen. Das Thema Nachhaltigkeit hat im vergangenen Jahrzehnt an Bedeutung gewonnen. Der organisierte Fußball in Deutschland hat über die Spiele der Nationalmannschaften der Männer und Frauen, die Spiele der Bundesliga und den wöchentlich 80.000 Partien im Amateur- und Breitenfußball direkte und emotionale Zugangswege zu den Menschen. Der DFB kann und will deshalb eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnehmen, aufbauend auf einer langen Tradition: Die Organisation des Spielbetriebs im Spitzen- wie im Breitenfußball ging immer schon mit einer besonderen sozialen Verpflichtung einher. Der DFB-Sozialausschuss wurde bereits 1951 gegründet.

DFB.de: Warum wird der organisierte Fußball mit der Einleitung eines Nachhaltigkeits-Prozesses gerade jetzt aktiv? Ist das am Ende nur der Versuch, von anderen Spielfeldern abzulenken?

Rothmund: Uns geht es um Nachhaltigkeit, nicht um Lippenbekenntnisse. Denn es ist doch so, dass Sie die Verbreitung einer Skandalgeschichte niemals durch ein positives Sozialthema stoppen oder in der Reichweite einschränken könnten. Die Vertragsverhandlung der Bundestrainer wird immer ein „Seite-1-Thema“ sein, unsere Hilfe für Kinder, die auf einer Müllkippe in Mexiko ihr Dasein fristen – wenn überhaupt – als kleine Meldung im Vermischten erscheinen. So ist die Medienwelt nun mal. Seit Ende 2008 arbeiten wir an der Neustrukturierung unseres gesellschaftlichen Engagements. Dabei wollten wir kein Stückwerk, sondern die Einführung eines ganzheitlichen Ansatzes.

DFB.de: Welche Schwerpunkte wurden bislang gesetzt?



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Vor dem Bundestag am Donnerstag und Freitag in Essen spricht Karl Rothmund, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben, im Interview über den Stellenwert des deutschen Fußball, das soziale Engagement des DFB und die Idee der Nachhaltigkeit.

DFB.de: Die Nationalmannschaft hat eine erfolgreiche WM in Südafrika gespielt, zuvor haben wir eine packende Bundesliga-Saison mit fast allen WM-Helden und vielen internationalen Stars gesehen, und nun startet der Fußball eine neue Offensive im Bereich gesellschaftliches Engagement im Fußball. Gibt es hier einen Zusammenhang?

Karl Rothmund: Man muss nur sehen, wie stark sich der Deutsche Fußball-Bund und die Bundesliga in den vergangenen Jahren bei der Nachwuchsförderung eingebracht haben. Der DFB engagiert sich seit 2001 sehr stark in diesem Bereich, die DFL hat unglaublich hochwertige Leistungszentren bei allen Klubs der Bundesliga und 2. Bundesliga einrichten lassen. Vor 25 Jahren noch gab es drei oder vier hauptamtliche Jugendtrainer in Deutschland. Heute haben wir verteilt übers Land 366 Stützpunkte, 46 Leistungszentren und 29 Eliteschulen des Fußballs. Jedes Talent wird entdeckt und bestmöglich gefördert. Und den Erfolg ernten wir schon jetzt. Unser WM-Team war mit einem Altersschnitt von 24,96 Jahren die jüngste deutsche WM-Mannschaft seit 1934.

DFB.de: Wie schaut das in der Bundesliga aus?

Rothmund: In der vergangenen Saison spielten 77 Profis, die jünger als 21 Jahre waren, in der Bundesliga – doppelt so viele wie in der Saison 2000/2001. Von diesen 77 „Youngstern“ kamen nur 14 aus dem Ausland, doch viele waren Deutsche mit einer Zuwanderungsgeschichte. Mesut Özil, Sami Khedira und Jérôme Boateng sind Leistungsträger unserer Nationalmannschaft. Für die Fans gehören Mesut, Sami und Jérôme ohnehin längst zu „unseren Jungs“. Dass Fußball über eine enorme integrative Kraft verfügt, hat gerade die WM in Südafrika deutlich gemacht. Der sportliche Erfolg belegt auch, wie gut die Wertevermittlung und Persönlichkeitsentwicklung greifen. Unsere jungen Spieler gehen die Aufgabe mit Respekt an, sie leben einen positiven Teamgeist, und sie verfügen über ein ausgeprägtes Selbst bewusstsein, um auch Führungsaufgaben zu schultern. Von all diesen direkten Auswirkungen des Fußballs profitiert auch unsere Gesellschaft. Bislang war Nachhaltigkeit doch ein Betätigungsfeld für Wirtschaftsunternehmen. Das Thema Nachhaltigkeit hat im vergangenen Jahrzehnt an Bedeutung gewonnen. Der organisierte Fußball in Deutschland hat über die Spiele der Nationalmannschaften der Männer und Frauen, die Spiele der Bundesliga und den wöchentlich 80.000 Partien im Amateur- und Breitenfußball direkte und emotionale Zugangswege zu den Menschen. Der DFB kann und will deshalb eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnehmen, aufbauend auf einer langen Tradition: Die Organisation des Spielbetriebs im Spitzen- wie im Breitenfußball ging immer schon mit einer besonderen sozialen Verpflichtung einher. Der DFB-Sozialausschuss wurde bereits 1951 gegründet.

DFB.de: Warum wird der organisierte Fußball mit der Einleitung eines Nachhaltigkeits-Prozesses gerade jetzt aktiv? Ist das am Ende nur der Versuch, von anderen Spielfeldern abzulenken?

Rothmund: Uns geht es um Nachhaltigkeit, nicht um Lippenbekenntnisse. Denn es ist doch so, dass Sie die Verbreitung einer Skandalgeschichte niemals durch ein positives Sozialthema stoppen oder in der Reichweite einschränken könnten. Die Vertragsverhandlung der Bundestrainer wird immer ein „Seite-1-Thema“ sein, unsere Hilfe für Kinder, die auf einer Müllkippe in Mexiko ihr Dasein fristen – wenn überhaupt – als kleine Meldung im Vermischten erscheinen. So ist die Medienwelt nun mal. Seit Ende 2008 arbeiten wir an der Neustrukturierung unseres gesellschaftlichen Engagements. Dabei wollten wir kein Stückwerk, sondern die Einführung eines ganzheitlichen Ansatzes.

DFB.de: Welche Schwerpunkte wurden bislang gesetzt?

Rothmund: Egidius Braun hat das soziale Engagement des DFB entscheidend geprägt. „Fußball ist mehr als ein 1:0“ – das stimmt heute mehr denn je. Bereits seit Jahrzehnten übernehmen wir durch die DFB-Stiftungen Sepp Herberger und Egidius Braun soziale Verantwortung. Zu ihrem wertvollen Tätigkeitsfeld zählen etwa die Mexiko-Hilfe, für die 2011 das 25-jährige Bestehen gefeiert werden kann, die Resozialisierung von Strafgefangenen durch die Aktion „Anstoß für ein neues Leben“, die Organisation und Förderung der Deutschen Blindenfußball-Liga (DBFL) und etliche karitative Maßnahmen, wie zuletzt Geldspenden für Notleidende in Haiti.

DFB.de: Welche weiteren Stiftungen gibt es? Unsere DFB-Kulturstiftung geht gesellschaftliche und historische Fragen des Fußballs auf kreative und unkonventionelle Art an. Dazu gehören Spiele und Lesungen der Autoren-Nationalmannschaft. 2009 schließlich wurde die Bundesliga-Stiftung gegründet, die durch die Partnerschaft mit der Deutschen Sporthilfe wertvolle Unterstützung für die Förderung von Elitesportlern leistet. Aber auch jenseits der Stiftungen setzt der DFB gesellschaftspolitische Zeichen. 2005 haben wir eine unabhängige wissenschaftliche Studie zur Rolle des DFB im Dritten Reich vorgelegt und den Julius-Hirsch-Preis ins Leben gerufen. Der Preis wird in ehrender Erinnerung an den in Auschwitz ermordeten Nationalspieler verliehen. Gemeinsam mit unserem Generalsponsor Mercedes-Benz verleihen wir den Integrationspreis. Gerade der Fußball ist für viele Menschen, unabhängig von ihrer Her kunft, ein gemeinsamer Fixpunkt.

DFB.de: Wie sieht es bei Themen aus, denen klassischerweise die „Corporate Social Responsibility“ eines Unternehmens gewidmet ist?

Rothmund: Es wäre ein Fehler, wollten wir etablierte Ansätze kopieren. Wenn Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, was auch als „CSR” bezeichnet wird, geschieht das unter anderen Voraussetzungen. Der organisierte Fußball in Deutschland wäre überfordert, wollte er den Regenwald in Südamerika retten oder die Menschenrechte in China einfordern. Gleich wohl haben wir ein international gewürdigtes Umweltprogramm für die WM 2006 umgesetzt. Die Stadien der Bundesliga-Klubs setzen längst auch beim Umweltschutz international Maßstäbe. So ist das Nürnberger Stadion EMAS-zertifiziert, in Kaiserslautern und Dortmund wurden große Polarflächen auf den Dächern installiert, in Berlin eine der größten Wasserzisternen Europas gebaut. Und auch bei der Frauen-WM 2011 wird es ein Green-Goal-Programm geben.

DFB.de: Die Einleitung des Nachhaltigkeitsprinzips richtet sich also an unterschiedliche interne und externe Anspruchsgruppen?

Rothmund: Ja, der organisierte Fußball steht vor der schwierigen Aufgabe, den Wünschen und Erwartungen einer Vielzahl von Anspruchsgruppen („Stakeholder“) gerecht zu werden.

DFB.de: Wie strukturiert sich die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Idee?

Rothmund: Das Kerngeschäft Spielbetrieb, unsere Verantwortungsdimension eins, beinhaltet zum Bei spiel den Aufbau und die Etablierung von Strukturen für die Talent- und Nachwuchsförderung. In der Arbeit unserer Stützpunkte und der Leistungszentren der Bundesliga-Klubs achten wir dabei nicht ausschließlich auf die sportliche Leistung, sondern fördern gleichzeitig die Entwicklung der Persönlichkeit unserer jungen Spieler und Spielerinnen. An unseren Eliteschulen legen wir besonderen Wert auf die schulische Ausbildung. Weitere Themen des Kerngeschäfts sind die Qualifizierung von Schiedsrichtern und Trainern, die Organisationsentwicklung von Verbänden und Vereinen, aber auch die Gewährleistung von Sicherheit bei der Abwicklung von Fußballspielen.

DFB.de: Wo verorten Sie Themen wie Integration und Anti-Diskriminierung?

Rothmund: Diese Themen, die über das fußballerische Kerngeschäft hinaus gehen, haben wir in den Verantwortungsdimensionen zwei, drei und vier verortet. In der zweiten Dimension geht es in der Tat um Themen wie Integration, Anti-Diskriminierung und Fairplay, aber auch um generelle Themen der Wertevermittlung.

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DFB.de: Wie haben Sie die Felder organisiert, die bisher zum klassischen Bereich der Übernahme sozialer Verantwortung gezählt haben?

Rothmund: Die Themen der sozialen Verantwortung haben wir in zwei Bereiche unterteilt, zum einen in die Dimension drei, in der wir weiterhin gesellschaftliche Themen mit den Möglichkeiten des Fußballs unterstützen möchten. Dies umfasst beispielsweise die Förderung des Behindertensports und die Unterstützung der Resozialisierung durch die Sepp-Herberger-Stiftung, die Förderung von Spitzensportlern durch die Bundesliga-Stiftung und die für 2014 geplante Eröffnung des nationalen Fußballmuseums in Dortmund. Zum anderen widmen wir uns – als vierte Dimension benannt – über den Fußball karitativen und humanitären Maßnahmen. So unterstützt die Egidius-Braun-Stiftung viele kleine Einzelprojekte, wie Kinder- und Lebenshilfe-Einrichtungen. Die Bundesliga-Stiftung unterstützt SOS-Kinderdörfer und engagierte sich zuletzt bei sozialen Projekten in Südafrika. Überdies werden über das DFB-Sozialwerk Fußballer unterstützt, die in Not geraten sind.

DFB.de: Konzeptionell befinden sich die Fußballverbände in Deutschland also auf einem guten Weg. Aber wie steht es mit der praktischen Umsetzung?

Rothmund: Der organisierte Fußball ist bei weitem nicht perfekt. Auch uns passieren Fehler, aber wir haben uns auf den Weg zur Nachhaltigkeit in dem Wissen begeben, dass wir Zeit brauchen. Auf diesem Weg wird es Fort- und Rückschritte geben. Wichtig ist, dass sich seit Ende 2009 in der Steuerungsgruppe „Soziale und gesellschaftspolitische Verantwortung“ wichtige Repräsentanten der DFL, der Regional- und Landesverbände und des DFB versammelt haben. Wir müssen auch die Grenzen des Fußballs erkennen. Da müssen wir ehrlich gegenüber unseren Mitgliedern Bericht erstatten.

DFB.de: Was sind die nächsten Schritte des organisierten Fußballs in Deutschland?

Rothmund: Wir wollen als organisierter Fußball in Deutschland mit unserem Engagement eine solide Grundlage für erfolgreichen Spitzenfußball legen und gleichzeitig bestmögliche Rahmenbedingungen für den Ausbau des Breitenfußballs setzen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten durch, mit und über den Fußball wollen wir darüber hinaus zu einer fairen und gerechten Weiterentwicklung der Gesellschaft beitragen.