Rolf Hocke: "Nordhessen hat Hunger auf großen Fußball"

Hocke: Ja, das will ich nicht verhehlen. Aber es überwiegt eindeutig die Freude, die Mannschaft, Trainer und Betreuer kennenzulernen und so viele Jahre zu begleiten. Dazu Menschen wie unserem Trainer Horst Hrubesch zu begegnen ist schon eine große Genugtuung. Ich bin froh und dankbar, dass ich dies bei guter Gesundheit so lange erleben durfte.

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Eigentlich ist das U 21-Länderspiel heute Abend eine weitere Etappe auf dem Weg einer langen Strecke: Für Rolf Hocke, den Delegationsleiter der U 21-Nationalmannschaft, ist die Partie in Kassel hingegen ein Abschied. Seit 2004 sitzt er im DFB-Präsidium. Noch bis zum Bundestag in der kommenden Woche ist er zuständig für den Bereich Prävention, Integration, Freizeit- und Breitensport. Zwischenzeitlich hatte er das Ressort Rechts- und Satzungsfragen verantwortet.

Kürzlich ist er in seine vierte Amtszeit als Präsident des Hessischen Fußball-Verbandes gegangen, seit 1988 ist er Vizepräsident des Landessportbundes Hessen, von 1999 bis 2011 führte er den Süddeutschen Fußball-Verband an. Bei der WM 2006 und der Frauen-WM 2011 leitete Hocke das OK für den WM-Spielort Frankfurt. Für seine Verdienste hat er vom DFB, HFV und LSB die Goldene Ehrennadel erhalten. 2011 erhielt Hocke das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Vor dem U 21-Länderspiel gegen die Färöer Inseln im Kasseler Auestadion am heutigen Abend (ab 18.30 Uhr, live bei Eurosport) erklärt Rolf Hocke die Rolle des Delegationsleiters, erinnert sich an herausragende Spieler des U-Teams und spricht über sein Steckenpferd, die Integration.

DFB.de: Rolf Hocke, wie lange sind Sie als Delegationsleiter der U 21 dabei?

Rolf Hocke: Ich bin neun Jahre im DFB-Präsidium, davon habe ich insgesamt drei Jahre als Delegationsleiter die U 20 begleitet und sechs Jahre die U 21.

DFB.de: Können Sie sich noch an die Anfänge erinnern?

Hocke: Das war kein Vergleich zur heutigen Zeit. Die Betreuung unserer Teams ist professioneller geworden. Der Betreuerstab ist angewachsen. Es sind wesentlich mehr im Team hinter dem Team, die sich um das Wohl der Mannschaft kümmern. Das hat sich bezahlt gemacht und schlägt sich auch in den Ergebnissen nieder. Dadurch haben wir schon einen Vorsprung gegenüber anderen Nationen.

DFB.de: Wie haben Sie die Rolle des Delegationsleiters in den vergangenen neun Jahren interpretiert?

Hocke: Ich habe mich von Anfang an dazu entschieden, dass ich mich nicht in das Sportliche einmische. Das ist meiner Ansicht nach die alleinige Aufgabe des Cheftrainers und seines Teams. Natürlich habe ich mich mit allen abgestimmt, aber ansonsten habe ich mich um Dinge außerhalb des sportlichen Bereichs gekümmert.

DFB.de: Waren die internationalen Verpflichtungen oder das Zusammensein mit der Mannschaft die schönsten Erlebnisse?

Hocke: Ich möchte da nicht differenzieren. Beides war interessant und auch lehrreich für mich. Ich konnte einige Nationen kennenlernen mit ihrer Mentalität und ihrem Auftreten. Dazu konnte ich die Entwicklung unserer jungen Spieler begleiten, die gerade erst in der Bundesliga Fuß gefasst haben.

DFB.de: Vor allem die Integration war für Sie immer eine Herzensangelegenheit. Da muss es Sie doch besonders freuen, dass so viele Spieler mit unterschiedlichen Wurzeln das DFB-Trikot tragen?

Hocke: Natürlich, und die Integration wird für mich immer ein großes Thema sein, so lange ich im Fußball Verantwortung trage. Dass heute so viele Spieler mit Migrationshintergrund für Deutschland spielen, ist eine Bestätigung für unsere Arbeit in diesem Bereich.

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DFB.de: Welches waren die herausragenden Ereignisse für Sie mit der U 21?

Hocke: Ich möchte das nicht auf die U 21 beschränken. Ein großes Erlebnis war für mich die U 20-WM in Ägypten, wo wir das Viertelfinale erreicht haben. Dieses Land kennenzulernen, die Mentalität der Leute und ihre Lebenssituation, das wird für mich immer prägend sein. Zudem war unsere Reise mit der U 21 im September auf die Färöer Inseln hochinteressant, weil wir dort eine ganz andere Welt gesehen haben und gelernt haben, wie die Menschen unter ganz anderen Bedingungen leben, als wir es gewohnt sind.

DFB.de: Sie waren früher selbst Torwart bei Schwarz-Weiß Zennern, dem TSV Wabern und KSV Hessen Kassel...

Hocke: Ich erinnere mich gerne an meine aktive Zeit zurück. Da habe ich beispielsweise gegen Borussia Dortmund mit Torwart Hans Tilkowski 2:2 im Auestadion gespielt. Wo heute eine Tartanbahn ist, standen damals die Zuschauer auf der Aschenbahn. Später kam auch 1860 München mit Keeper Petar Radenkovic dahin, wo heute die U 21 spielen wird.

DFB.de: Dann hatten Sie in den vergangenen Jahren sicher auch ein besonderes Auge für den Nachwuchs der Torhüter-Nation Deutschland?

Hocke: Ja, in Ägypten waren beispielsweise Ron-Robert Zieler und Sebastian Mielitz dabei. Beide waren damals noch weitgehend unbekannt. Heute haben sie sich in der Bundesliga behauptet. Besonders freut mich die Entwicklung von Kevin Trapp bei Eintracht Frankfurt. Er ist einer der talentiertesten Torleute, die ich je gesehen habe und ich bin davon überzeugt, dass er irgendwann auch mal in der Nationalmannschaft eine Chance bekommt.

DFB.de: Gab es auch Feldspieler, bei denen Sie sofort großes Potenzial gesehen haben?

Hocke: Vor allem Lewis Holtby, der seine sportliche Klasse bei Schalke und auch nach seinem Wechsel zu Tottenham bestätigt hat. Er wird sich noch weiter entwickeln, aber mit seinem Auftreten und seiner Persönlichkeit sehe ich ihn auch eines Tages in der Nationalmannschaft.

DFB.de: Es ist kein Zufall, dass Sie die U 21 in Kassel zu Ihrem letzten Spiel als Delegationsleiter begleiten, oder?

Hocke: In der Tat habe ich ein wenig daran mitgewirkt. Aber nicht im eigenen Interesse, sondern weil die Region Nordhessen Hunger auf großen Fußball hat. Das hat man beispielsweise vor zwei Jahren gesehen, als beim U 21-Länderspiel gegen Italien 16.000 Zuschauer für ein Freundschaftsspiel ins Auestadion kamen. Auch heute werden wir wieder - mit Ausnahme der Stehplätze, die bei Qualifikation wegen UEFA-Vorgaben nicht genutzt werden können - eine gute Kulisse haben. Die Leute hier freuen sich darauf, potenzielle Nationalspieler zu sehen. Und es ist mein großer Wunsch, dass der KSV Hessen Kassel eines Tages den Sprung in die 3. Liga schafft.

DFB.de: Haben Sie Wehmut zum Abschied von der U 21?

Hocke: Ja, das will ich nicht verhehlen. Aber es überwiegt eindeutig die Freude, die Mannschaft, Trainer und Betreuer kennenzulernen und so viele Jahre zu begleiten. Dazu Menschen wie unserem Trainer Horst Hrubesch zu begegnen ist schon eine große Genugtuung. Ich bin froh und dankbar, dass ich dies bei guter Gesundheit so lange erleben durfte.