Schulleiter Neubert: "Es gibt kein Aldi-Abitur"

Um seine Talentförderung wird der deutsche Fußball in der ganzen Welt beneidet. Leistungszentren, Eliteschulen, Stützpunkte, Amateurvereine – je nach individuellem Leistungsniveau und Entwicklungsstand erfährt jedes Talent die bestmögliche Ausbildung. Doch wie funktioniert die Talentförderung im Detail? Wie werden aus den Kindern und Jugendlichen von heute die Weltmeister von morgen? Wie sieht die Arbeit an Leistungszentren, Eliteschulen und Stützpunkten aus? DFB.de wirft einen Blick hinter die Kulissen.

Seit 1993 ist Wolfgang Neubert Leiter der Lausitzer Sportschule und nebenher noch Präsident des Landessportbundes Brandenburg sowie vom Drittligisten Energie Cottbus. Seine Einrichtung war 2006 die erste Schule, die mit dem Zertifikat Eliteschule des Fußballs ausgezeichnet wurde. Im DFB.de-Interview spricht er über die Nachwuchsförderung in Cottbus als Zusammenspiel von Schule und Leistungszentrum und räumt mit der Legende vom "Aldi-Abitur" auf.

DFB.de: Herr Neubert, was macht ein Schuldirektor eigentlich in den Ferien?

Wolfgang Neubert: Da ich als Präsident des Landessportbundes Brandenburg sowie des FC Energie Cottbus nebenbei noch zwei Ehrenämter bekleide, war ich immer in der Gegend. Wenn ich richtig Ferien haben will, muss ich mich schon in den Flieger setzen. 14 Tage lang nicht erreichbar zu sein, ist ein Privileg, das ich mir nur im Herbst genehmige. Im Moment versuche ich nur, von der Belastung her etwas runterzukommen.

DFB.de: Durch Ihre Vernetzung in sämtliche Bereiche bestehen für die Lausitzer Sportschule Cottbus doch sicher große Vorteile?

Neubert: Die Schule partizipiert ganz klar an den Kooperationen. Gerade im Fußball, der im Cottbus der DDR-Zeit noch keine Rolle spielte. So ist der Fußball heute eine feste Größe, es gibt sogar eigenständige Fußballer-Klassen.

DFB.de: Wie genau sieht denn die Zusammenarbeit zwischen Verein und Schule aus?

Neubert: An unserer Schule gibt es drei Lehrer-Trainer, die die Jungs sowohl in der Schule betreuen, als auch die entsprechende Altersklassen-Mannschaft beim FC Energie trainieren. Sie leiten den normalen Schulsport, den Wahlpflicht-Unterricht Fußball sowie das Fußballtraining mit den Jungs, die somit in Verein und Schule dieselbe Bezugsperson haben. Und auch die Trainingseinheiten in Verein und Schule können dadurch aufeinander aufbauen.

DFB.de: Wie genau sieht das Gleichgewicht zwischen Schule und Fußball aus?

Neubert: Die Schüler haben den normalen Stundenplan des Landes. In der Regel fangen sie mit der ersten Unterrichtsstunde um 7.30 Uhr an, das erste Trainingsband folgt dann von 9.30 Uhr bis um 11 Uhr. Nach dem Mittag kommen drei bis vier Stunden Unterricht und nachmittags wird nochmal trainiert.

DFB.de: Schulisch wird an einer Sportschule also nicht weniger verlangt, wie oft behauptet wird?

Neubert: Ich habe auch schon vom sogenannten Aldi-Abitur gehört, es gibt jedoch keine Abstriche. Die Schüler stehen um 6 Uhr auf und sind abends um 19 Uhr fertig mit allem, so wird die duale Ausbildung gewährleistet. Wir hatten dieses Jahr auch einen Abgänger, der es zwar nicht zum Profi gebracht hat, aber ein 1,0-Abi hingelegt hat und jetzt neben seinem Studium in der Oberliga spielt. Andere Schüler sind Sänger, Ärzte oder Radiomoderatoren geworden.

DFB.de: Aber Hand aufs Herz: Wie wichtig sind die Noten bei der Aufnahme in der 7. Klasse? Lassen Sie ein Toptalent, das Cottbus irgendwann wieder zurück in die 2. Liga schießen könnte, wirklich nicht auf Ihre Schule, weil er eine 5 auf dem Zeugnis hat?

Neubert: Ich könnte Ihnen ein Gegenbeispiel nennen: Wir haben in der 8. Klasse einen Jungen mit Migrationshintergrund aus Afrika. Der hat Lernprobleme, dafür aber ein herausragendes Talent. Er ist 1,85 Meter groß, hat Schuhgröße 45 und ist sportlich sehr begabt. Rein vom Schulischen her wäre er zu schwach gewesen, doch wir haben ihn aufgenommen und so hinbekommen, dass er nun normal benotet werden kann. Eingebettet in unsere Sportförderung hat er eine Chance, sein Leben vorzubereiten. Das ist für mich ein Beispiel von Inklusion. Wenn da also jemand kommt, der das hier als Gelegenheit begreift, kann auch mal eine schlechte Note auf dem Zeugnis stehen.

DFB.de: Da scheinen auch eine Menge Zusatzschichten vonnöten zu sein?

Neubert: Klar, das geht nur mit Lehrern, die auch in den Ferien Einzelunterricht mit den Schülern machen. So war es auch bei Tim Kleindienst, der mit 13 Toren bester Cottbuser Drittliga-Torschütze war und parallel das Abitur gemacht hat.

DFB.de: Im Jahr 2006 war die Lausitzer Sportschule die erste Anstalt, die mit dem DFB-Siegel "Eliteschule des Fußballs" ausgestattet wurde. Was hat sich seitdem verändert?

Neubert: Bemerkenswert ist erstmal, dass auch Potsdam im Mädchen- und Frauenfußball 2007 die erste Sportschule Deutschlands war, die dieses Zertifikat bekommen hat. Das zeigt, dass die Unterstützung der Landesregierung hier keine unwesentliche Rolle spielt. Verändert hat sich vom Grundprinzip über die Sichtung, die Beschulung und die duale Ausbildung nicht sonderlich viel. Auch die Zusammenarbeit mit dem DFB und dem FLB war auch vorher schon immer gut. Vielleicht hat sich die Arbeit mit Energie Cottbus verbessert.

DFB.de: Inwiefern?

Neubert: Die Durchlässigkeit junger Spieler in den Profibereich ist größer geworden. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Energie nicht mehr in der 1., sondern der 3. Liga spielt. Dennoch hat es vor ein paar Jahren mit Claus-Dieter Wollitz als Profi-Trainer angefangen, der hier vielen Talenten die Tür aufgemacht hat. Wenn ich mir heute den Sturm von Freiburg angucke, dann ist das ja komplett Cottbus. Maximilian Philipp und Tim Kleindienst waren sogar beide Schüler bei uns. Es ist unglaublich, wenn ich am Wochenende im Fernsehen Fußball gucke und sehe, wer bei uns war. Da bekommt man mehr als eine komplette Elf zusammen. Und wir verfügen über weitere Talente aus unserer letzten A-Jugend.

DFB.de: Ihre U 19, die im Sommer ins DFB-Pokalfinale eingezogen ist und deutschlandweit Aufmerksamkeit bekommen hat, ist ein gutes Stichwort: Welchen Anteil hat die Schule an solch einem Erfolg?

Neubert: Der Anteil der Schule ist natürlich nicht unerheblich. Denn sogar Trainer Sebastian Abt ist ein Absolvent unserer Sportschule und mittlerweile festangestellt beim FC Energie. Das ist eine tolle Story.

DFB.de: In welchem Maß bereiten Sie die Schüler eigentlich auch mental und medial vor?

Neubert: Leistungen werden nicht nur auf dem Platz gebracht. Wir arbeiten diesbezüglich mit einem Sportpsychologen zusammen, der unsere U 19 auch auf das angesprochene Endspiel vorbereitet hat, damit sie kein Fracksausen kriegen und auch schon mal erlebt haben, wie es ist, wenn die Nationalhymne abgespielt wird. Auch Ernährungsberater sind wichtig. Medial könnten wir noch etwas mehr machen, aber entweder man verkraftet es oder nicht.

[stw]

Um seine Talentförderung wird der deutsche Fußball in der ganzen Welt beneidet. Leistungszentren, Eliteschulen, Stützpunkte, Amateurvereine – je nach individuellem Leistungsniveau und Entwicklungsstand erfährt jedes Talent die bestmögliche Ausbildung. Doch wie funktioniert die Talentförderung im Detail? Wie werden aus den Kindern und Jugendlichen von heute die Weltmeister von morgen? Wie sieht die Arbeit an Leistungszentren, Eliteschulen und Stützpunkten aus? DFB.de wirft einen Blick hinter die Kulissen.

Seit 1993 ist Wolfgang Neubert Leiter der Lausitzer Sportschule und nebenher noch Präsident des Landessportbundes Brandenburg sowie vom Drittligisten Energie Cottbus. Seine Einrichtung war 2006 die erste Schule, die mit dem Zertifikat Eliteschule des Fußballs ausgezeichnet wurde. Im DFB.de-Interview spricht er über die Nachwuchsförderung in Cottbus als Zusammenspiel von Schule und Leistungszentrum und räumt mit der Legende vom "Aldi-Abitur" auf.

DFB.de: Herr Neubert, was macht ein Schuldirektor eigentlich in den Ferien?

Wolfgang Neubert: Da ich als Präsident des Landessportbundes Brandenburg sowie des FC Energie Cottbus nebenbei noch zwei Ehrenämter bekleide, war ich immer in der Gegend. Wenn ich richtig Ferien haben will, muss ich mich schon in den Flieger setzen. 14 Tage lang nicht erreichbar zu sein, ist ein Privileg, das ich mir nur im Herbst genehmige. Im Moment versuche ich nur, von der Belastung her etwas runterzukommen.

DFB.de: Durch Ihre Vernetzung in sämtliche Bereiche bestehen für die Lausitzer Sportschule Cottbus doch sicher große Vorteile?

Neubert: Die Schule partizipiert ganz klar an den Kooperationen. Gerade im Fußball, der im Cottbus der DDR-Zeit noch keine Rolle spielte. So ist der Fußball heute eine feste Größe, es gibt sogar eigenständige Fußballer-Klassen.

DFB.de: Wie genau sieht denn die Zusammenarbeit zwischen Verein und Schule aus?

Neubert: An unserer Schule gibt es drei Lehrer-Trainer, die die Jungs sowohl in der Schule betreuen, als auch die entsprechende Altersklassen-Mannschaft beim FC Energie trainieren. Sie leiten den normalen Schulsport, den Wahlpflicht-Unterricht Fußball sowie das Fußballtraining mit den Jungs, die somit in Verein und Schule dieselbe Bezugsperson haben. Und auch die Trainingseinheiten in Verein und Schule können dadurch aufeinander aufbauen.

DFB.de: Wie genau sieht das Gleichgewicht zwischen Schule und Fußball aus?

Neubert: Die Schüler haben den normalen Stundenplan des Landes. In der Regel fangen sie mit der ersten Unterrichtsstunde um 7.30 Uhr an, das erste Trainingsband folgt dann von 9.30 Uhr bis um 11 Uhr. Nach dem Mittag kommen drei bis vier Stunden Unterricht und nachmittags wird nochmal trainiert.

DFB.de: Schulisch wird an einer Sportschule also nicht weniger verlangt, wie oft behauptet wird?

Neubert: Ich habe auch schon vom sogenannten Aldi-Abitur gehört, es gibt jedoch keine Abstriche. Die Schüler stehen um 6 Uhr auf und sind abends um 19 Uhr fertig mit allem, so wird die duale Ausbildung gewährleistet. Wir hatten dieses Jahr auch einen Abgänger, der es zwar nicht zum Profi gebracht hat, aber ein 1,0-Abi hingelegt hat und jetzt neben seinem Studium in der Oberliga spielt. Andere Schüler sind Sänger, Ärzte oder Radiomoderatoren geworden.

DFB.de: Aber Hand aufs Herz: Wie wichtig sind die Noten bei der Aufnahme in der 7. Klasse? Lassen Sie ein Toptalent, das Cottbus irgendwann wieder zurück in die 2. Liga schießen könnte, wirklich nicht auf Ihre Schule, weil er eine 5 auf dem Zeugnis hat?

Neubert: Ich könnte Ihnen ein Gegenbeispiel nennen: Wir haben in der 8. Klasse einen Jungen mit Migrationshintergrund aus Afrika. Der hat Lernprobleme, dafür aber ein herausragendes Talent. Er ist 1,85 Meter groß, hat Schuhgröße 45 und ist sportlich sehr begabt. Rein vom Schulischen her wäre er zu schwach gewesen, doch wir haben ihn aufgenommen und so hinbekommen, dass er nun normal benotet werden kann. Eingebettet in unsere Sportförderung hat er eine Chance, sein Leben vorzubereiten. Das ist für mich ein Beispiel von Inklusion. Wenn da also jemand kommt, der das hier als Gelegenheit begreift, kann auch mal eine schlechte Note auf dem Zeugnis stehen.

DFB.de: Da scheinen auch eine Menge Zusatzschichten vonnöten zu sein?

Neubert: Klar, das geht nur mit Lehrern, die auch in den Ferien Einzelunterricht mit den Schülern machen. So war es auch bei Tim Kleindienst, der mit 13 Toren bester Cottbuser Drittliga-Torschütze war und parallel das Abitur gemacht hat.

###more###

DFB.de: Im Jahr 2006 war die Lausitzer Sportschule die erste Anstalt, die mit dem DFB-Siegel "Eliteschule des Fußballs" ausgestattet wurde. Was hat sich seitdem verändert?

Neubert: Bemerkenswert ist erstmal, dass auch Potsdam im Mädchen- und Frauenfußball 2007 die erste Sportschule Deutschlands war, die dieses Zertifikat bekommen hat. Das zeigt, dass die Unterstützung der Landesregierung hier keine unwesentliche Rolle spielt. Verändert hat sich vom Grundprinzip über die Sichtung, die Beschulung und die duale Ausbildung nicht sonderlich viel. Auch die Zusammenarbeit mit dem DFB und dem FLB war auch vorher schon immer gut. Vielleicht hat sich die Arbeit mit Energie Cottbus verbessert.

DFB.de: Inwiefern?

Neubert: Die Durchlässigkeit junger Spieler in den Profibereich ist größer geworden. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Energie nicht mehr in der 1., sondern der 3. Liga spielt. Dennoch hat es vor ein paar Jahren mit Claus-Dieter Wollitz als Profi-Trainer angefangen, der hier vielen Talenten die Tür aufgemacht hat. Wenn ich mir heute den Sturm von Freiburg angucke, dann ist das ja komplett Cottbus. Maximilian Philipp und Tim Kleindienst waren sogar beide Schüler bei uns. Es ist unglaublich, wenn ich am Wochenende im Fernsehen Fußball gucke und sehe, wer bei uns war. Da bekommt man mehr als eine komplette Elf zusammen. Und wir verfügen über weitere Talente aus unserer letzten A-Jugend.

DFB.de: Ihre U 19, die im Sommer ins DFB-Pokalfinale eingezogen ist und deutschlandweit Aufmerksamkeit bekommen hat, ist ein gutes Stichwort: Welchen Anteil hat die Schule an solch einem Erfolg?

Neubert: Der Anteil der Schule ist natürlich nicht unerheblich. Denn sogar Trainer Sebastian Abt ist ein Absolvent unserer Sportschule und mittlerweile festangestellt beim FC Energie. Das ist eine tolle Story.

DFB.de: In welchem Maß bereiten Sie die Schüler eigentlich auch mental und medial vor?

Neubert: Leistungen werden nicht nur auf dem Platz gebracht. Wir arbeiten diesbezüglich mit einem Sportpsychologen zusammen, der unsere U 19 auch auf das angesprochene Endspiel vorbereitet hat, damit sie kein Fracksausen kriegen und auch schon mal erlebt haben, wie es ist, wenn die Nationalhymne abgespielt wird. Auch Ernährungsberater sind wichtig. Medial könnten wir noch etwas mehr machen, aber entweder man verkraftet es oder nicht.