Dr. Markus Merk: "Es fehlt mir nichts!"

Als Schiedsrichter hat er eigentlich alles erreicht, was man erreichen kann: Dr. Markus Merk war bei den Weltmeisterschaften 2002 in Korea und Japan sowie 2006 in Deutschland im Einsatz, er hat unter anderem das Endspiel der EURO 2004 in Portugal geleitet und war schon bei der EURO 2000 in Belgien und den Niederlanden dabei, er pfiff das Champions-League-Finale 2003 zwischen Juventus Turin und dem AC Mailand und das Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger 1997 zwischen Paris St. Germain und dem FC Barcelona. In 50 A-Länderspielen und 78 Europapokal-Spielen war der heute 46-jährige nicht nur in Europa, sondern rund um den Globus unterwegs. Merk wurde 2004, 2005 und 2007 zum Weltschiedsrichter des Jahres und gleich sechsmal zum Schiedsrichter des Jahres vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) gewählt. Und auch die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona hat der ausgebildete Zahnarzt nicht verpasst.

Nach nunmehr 338 Einsätzen in der Bundesliga seit 1988, was einsamer Rekord ist, neigt sich die große Karriere des in Kaiserslautern geborenen Unparteiischen, der heute erfolgreich Manager-Seminare abhält und sich um soziale Projekte in Indien kümmert, langsam dem Ende entgegen. Er will es so, könnte er doch in der Bundesliga bis zur nationalen Altersgrenze von 47 Jahren noch ein Jahr dranhängen. So wird er am Samstag ab 15.30 Uhr sein letztes Bundesliga-Spiel pfeifen – FC Bayern München gegen Hertha BSC Berlin.

Warum Dr. Markus Merk schon seine beachtliche Schiedsrichter-Karriere beendet, welche schönen wie schweren Momente er mit seiner langen Laufbahn verbindet und wie er seinem letzten Spiel am Samstag entgegen sieht – über das alles und noch mehr spricht er im aktuellen „DFB.de-Gespräch der Woche“ mit DFB-Internetredakteur Michael Morsch.

Frage: Dr. Markus Merk, warum zeigen Sie dem Schiedsrichter Merk am Saisonende die Rote Karte und beenden Ihre Laufbahn? Sie könnten eigentlich bis zum Erreichen der nationalen Altersgrenze noch ein Jahr Bundesliga-Spiele leiten…

Dr. Markus Merk: lch denke, dass es eine Lebenseinstellung von mir ist, dass ich anstehende Veränderungen selbst in die Hand nehme. Es war immer eine meiner Visionen, meine Laufbahn selbst zu beenden und mich nicht durch eine Altersgrenze in den Ruhestand versetzen zu lassen. Ich hatte tolle Jahre – 25 Jahre Profifußball, 20 Jahre Bundesliga, 15 Jahre international. Dann zum dritten Mal die Wahl zum Weltschiedsrichter gegen Ende meiner internationalen Laufbahn. Ich finde es spannend, am Höhepunkt abzutreten, auch wenn ich von der körperlichen Konstitution her sicher noch vier, fünf Jahre weitermachen könnte. Und mich würde es als Sportler auch ärgern, wenn nächste Saison plötzlich jemand suggerieren würde: „Das ist sein letztes Jahr, der nimmt das nicht mehr ernst.“

Frage: Wie waren die Reaktionen auf Ihre Rücktritts-Ankündigung?

Merk: Die letzen Wochen habe ich eigentlich immer nur ein Wort gehört, und zwar „schade“. Aber, wie gesagt: Ich nehme eine positive Zeit und viel positive Energie mit. Und die Entscheidung, es so zu machen, stand für mich eigentlich schon länger fest.

Frage: Sie haben 20 Jahre lang in der Bundesliga Spiele geleitet. Können Sie sich überhaupt noch an Ihren ersten Einsatz im deutschen Oberhaus erinnern?

Merk: Es gibt natürlich Eckdaten, Eckpunkte und Spiele, die den Lebensweg skizzieren, natürlich auch dieses erste Bundesliga-Spiel: VfL Bochum gegen Bayer Uerdingen im Jahr 1988. Als kleiner Junge stand ich immer auf dem Betzenberg in Kaiserslautern, schon damals haben mich die Schiedsrichter fasziniert: Dass es drei Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen in einem solchen Hexenkessel. Deswegen bin ich Schiedsrichter geworden und habe mir immer als junger Mensch gesagt, da will ich auch mal stehen. Somit schloss sich in Bochum für mich ein Lebenskreis.

Markus Merk: Stationen eines Weltklasse-Schiedsrichters

Frage: Wie würden Sie selbst den Schiedsrichter Dr. Markus Merk und seine Entwicklung charakterisieren beziehungsweise reflektieren?

Merk: Ich glaube, das ist wie bei allen großen Entscheidungsaufgaben, dass eine persönliche Entwicklung dazukommen muss. Damals was das eine Revolution, als ich als 26-jähriger in der Bundesliga debütierte. Da war man nicht so geformt, wie es heute unsere jungen Schiedsrichter sind, die natürlich viel besser vorbereitet werden. Es war vielmehr in dieser Phase „Learning by doing“. Aber man setzt auch keinen in die Bundesliga rein, von dem man nicht überzeugt ist, dass er ein Top-Entscheider ist. Und wenn ich so aus dem Fenster der DFB-Zentrale auf das Frankfurter Stadion schaue, dann hatte ich hier 1989 vielleicht mein schwerstes Spiel, eine Art Schnittstelle, als ich bei Bayern Münchens 2:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt zwei Tore für die Eintracht nicht gab und ein strittiges Tor für Bayern anerkannte – und die Fernsehbilder später alle Entscheidungen bestätigten. Später, speziell ab 1991, als ich erstmals als Zahnarzt in Indien war, nahm ich dann noch die Gelassenheit mit ins Stadion – das war für mich persönlich ein Durchbruch.

Frage: Welcher Moment war für Sie der Höhepunkt Ihrer sportlichen Karriere?

Merk: Da gibt es viele Dinge. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich so viel Positives erleben durfte und deshalb habe ich mir Superlativen abgewöhnt. Natürlich nennt man die Champions-League-Spiele oder das erste Bundesliga-Spiel. Natürlich kann ich mich auch noch an mein erstes Spiel überhaupt als Schiedsrichter erinnern: Am 21. September 1974 in Kaiserslautern, ein E-Jugend-Spiel. Das war mein schnellster Aufstieg, weil anschließend zum D-Jugend-Spiel der Schiedsrichter nicht kam und ich das dann gleich auch noch gepfiffen habe.

Frage: Gibt es auch Momente in Ihrer langen sportlichen Karriere, die Sie lieber streichen würden?

Merk: Der schwerste Moment für mich überhaupt war im Jahr 2003, als beim Konföderations-Cup in Frankreich der Kameruner Marc-Vivien Foe auf dem Platz starb. In den Spielen danach hatte ich schon beim Betreten des Stadions ein ungutes Gefühl.

Frage: Gibt es Spieler und Trainer, die Ihnen in besonderer Erinnerung bleiben werden? Und wenn ja – warum?

Merk: Da gibt es sehr viele! Ich müsste im Norden anfangen und bis Süden runtergehen. Ich müsste hunderte Spielernamen und viele Trainernamen nennen, mit denen es absolut positiv war. Wenn ich jetzt einen rauspicke, würde ich den anderen nicht gerecht werden.

arkus Merk © Bongarts/Getty/Images
Merk im „DFB.de-Gespräch der Woche“

Frage: Nach den Ereignissen um die knappe Meisterschafts-Entscheidung 2001 haben Sie bewusst kein Spiel mehr auf Schalke gepfiffen. Was bleibt im Rückblick davon hängen?

Merk: Meine Vision war immer, im Fußball ein wichtiger Bestandteil eines tollen Spiels zu sein. Ein Bestandteil, der möglichst unauffällig agiert. Ich habe nie meine Aufgabe darin gesehen, irgendwo rauszugehen in ein Stadion und der Focus der Massen zu sein, der Focus der Medien. Wenn ich die letzten Jahre auf Schalke gegangen wäre, auch wenn viele das wollten, hätten sich die Medien darauf gestürzt. Was hätte das dem Spiel und dem Fußball gebracht?

Frage: Bundesliga-Spieler und -Trainer behaupten immer wieder gerne, in der Bundesliga würde kleinlicher gepfiffen als international. Was sagen Sie als langjähriger FIFA-Schiedsrichter zu dieser These?

Merk: Ich glaube, dass diejenigen, die diese These aufstellen, selbst nicht daran glauben. Entscheidungen haben immer ein Bestimmungsumfeld. Bei einem englischen Derby beispielsweise ist das Bestimmungsumfeld einfach so, dass nicht bei jedem Zweikampf lamentiert oder sich auf dem Boden gewälzt wird. Da geht es immer weiter, da brauche ich mich zum Wohl des Spiels weniger einzubringen. Mein Ziel ist immer, ein Spiel laufen zu lassen. Das geht auf der Insel viel einfacher als in der Bundesliga, wo bei jeder Aktion interveniert wird, wo eine zweite oder dritte Aktion folgt.

Frage: Herbert Fandel war bei Großturnieren lange außen vor, da Sie die deutschen Farben vertraten. Nachdem Sie die internationale Altersgrenze von 45 Jahren überschritten haben, wurde Herbert Fandel nun mit seinen Assistenten Carsten Kadach und Volker Wezel für die EURO 2008 in Österreich und der Schweiz nominiert. Freuen Sie sich für Ihre Schiedsrichter-Kollegen?

Merk: Es freut mich für jeden, der erfolgreich ist. Ich durfte diese tollen Momente ja selbst genießen, und das ist ein Segen. Natürlich – wenn ich nicht gewesen wäre, dann hätte Herbert Fandel mindestens ein, zwei Turniere mehr pfeifen können, keine Frage. Bei der WM 2006 wurde von der FIFA halt nur ein Deutscher nominiert. Deswegen freut es mich, dass er jetzt ein großes Turnier pfeifen kann. Das hat er absolut verdient. Auch sein Team, seine Assistenten, die über Jahre unglaublich tolle Leistungen gebracht haben. Ich bin mir sicher, dass sie ein großes Turnier vor Augen haben. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

Frage: Michael Kempter hat Sie 2006 mit 23 Jahren als jüngster Bundesliga-Schiedsrichter aller Zeiten beerbt. Haben Sie als erfahrener Schiedsrichter Kontakt zu den jüngeren Kollegen und werden vielleicht auch mal um Rat gefragt?

Merk: Die Schiedsrichter sind wie eine Mannschaft. Und damit meine ich nicht nur uns in der Bundesliga, sondern auch die übrigen fast 80.000 in Deutschland, gerade die an der Basis, die wahren Helden, die Woche für Woche soziale Verantwortung leben. Die Bundesliga-Schiedsrichter haben gemeinsame Lehrgänge, wir diskutieren zusammen, machen Videoanalysen zusammen, weil wir ja insgesamt als Team in unserer Außenwirkung und an der möglichst einheitlichen Regelauslegung gemessen werden. Natürlich fragen die jungen Unparteiischen. Das wäre auch fatal, wenn sie es nicht tun würden. Aber es kommen viele tolle junge Leute nach, da brauchen wir uns die nächsten Jahrzehnte keine Sorgen zu machen. Und ich denke, dass es viele Schiedsrichter gibt, die es international sofort an die Spitze packen würden.

Frage: Die neuste Schiedsrichter-Statistik des DFB weist einen leichten Rückgang aus. Was würden Sie mit Ihrer heutigen Erfahrung einem jungen Menschen sagen, der sich mit Gedanken trägt, Schiedsrichter zu werden?

Merk: Schiedsrichter zu sein ist eine tolle Aufgabe, natürlich auch eine schwere. Man hat hier die Chance, in recht frühen Jahren aktiv eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Du lernst sehr schnell, dich mit anderen Menschen zu befassen, du bewegst dich auf einer Spielwiese mit anderen Charakteren. Es festigt einen jungen Menschen in seiner Persönlichkeit. Den Nutzen daraus kann man als Schule des Lebens bezeichnen.

Frage: Das heißt, Sie könnten den Schiedsrichter-Job weiterempfehlen?

Merk: Natürlich. Wichtig ist allerdings, dass die Schiedsrichter insgesamt – von der „Pampersliga“ bis zur Bundesliga – eine viel größere Toleranz brauchen, die Wertschätzung einfach gesteigert werden muss. Dafür müssen wir eintreten. Denn auch die Schiedsrichter stellen eine wichtige Mannschaft innerhalb des Fußballs dar.

Frage: Am kommenden Wochenende steht Ihr letzter Einsatz in der Bundesliga an. Sehen Sie diesem mit gemischten Gefühlen entgegen?

Merk: Der Samstag wird ein emotionaler Tag werden. Ich pfeife seit 34 Jahren, da lässt man in den letzten Tagen viel mehr Revue passieren. Aber ohne ein weinendes Auge, sondern nur mit positiven Gedanken. Ich bin davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war. Ich habe meine Emotionen auch immer auf dem Platz gelebt, und so wird es auch am Wochenende sein. Fußball ist eine emotionale Sache, Emotion pur.

Frage: Was genau machen Sie nach Beendigung Ihrer Schiedsrichter-Karriere? Bleiben Sie dem Schiedsrichter-Bereich beziehungsweise dem Fußball treu?

Merk: Wenn man allein das Zeitfenster misst, ändert sich in meinem Leben zunächst nicht viel. 80 Prozent bleibt gleich, nur 20 Prozent ändern sich. Ich werde auch weiterhin Seminar-Vorträge halten und will noch ein paar hohe Berge besteigen. Im August, am ersten Spieltag der neuen Saison, bin ich in Ecuador, wo ich einen Sechstausender besteigen will. Der Flug ist schon gebucht. Ansonsten bin ich Fußballer mit Leib und Seele und nach allen Seiten offen. Ich will mich bewegen – und ich will andere bewegen. Die Frage ist jetzt: Wie werden die 20 Prozent ersetzt? Und genau das wird man dann nach dem nächsten Samstag sehen. Ich werde das mit aller Ruhe und Gelassenheit angehen.

Frage: Welche Frage würden Sie sich zum Abschluss des Gespräches selbst stellen?

Merk: Ich werde oft gefragt: Vermisst Markus Merk irgendwas, hat ihm in seiner Karriere irgendetwas gefehlt? Und die Antwort darauf ist: Nein, es fehlt mir nichts!

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Als Schiedsrichter hat er eigentlich alles erreicht, was man erreichen kann: Dr. Markus Merk war bei den Weltmeisterschaften 2002 in Korea und Japan sowie 2006 in Deutschland im Einsatz, er hat unter anderem das Endspiel der EURO 2004 in Portugal geleitet und war schon bei der EURO 2000 in Belgien und den Niederlanden dabei, er pfiff das Champions-League-Finale 2003 zwischen Juventus Turin und dem AC Mailand und das Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger 1997 zwischen Paris St. Germain und dem FC Barcelona. In 50 A-Länderspielen und 78 Europapokal-Spielen war der heute 46-jährige nicht nur in Europa, sondern rund um den Globus unterwegs. Merk wurde 2004, 2005 und 2007 zum Weltschiedsrichter des Jahres und gleich sechsmal zum Schiedsrichter des Jahres vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) gewählt. Und auch die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona hat der ausgebildete Zahnarzt nicht verpasst.

Nach nunmehr 338 Einsätzen in der Bundesliga seit 1988, was einsamer Rekord ist, neigt sich die große Karriere des in Kaiserslautern geborenen Unparteiischen, der heute erfolgreich Manager-Seminare abhält und sich um soziale Projekte in Indien kümmert, langsam dem Ende entgegen. Er will es so, könnte er doch in der Bundesliga bis zur nationalen Altersgrenze von 47 Jahren noch ein Jahr dranhängen. So wird er am Samstag ab 15.30 Uhr sein letztes Bundesliga-Spiel pfeifen – FC Bayern München gegen Hertha BSC Berlin.

Warum Dr. Markus Merk schon seine beachtliche Schiedsrichter-Karriere beendet, welche schönen wie schweren Momente er mit seiner langen Laufbahn verbindet und wie er seinem letzten Spiel am Samstag entgegen sieht – über das alles und noch mehr spricht er im aktuellen „DFB.de-Gespräch der Woche“ mit DFB-Internetredakteur Michael Morsch.

Frage: Dr. Markus Merk, warum zeigen Sie dem Schiedsrichter Merk am Saisonende die Rote Karte und beenden Ihre Laufbahn? Sie könnten eigentlich bis zum Erreichen der nationalen Altersgrenze noch ein Jahr Bundesliga-Spiele leiten…

Dr. Markus Merk: lch denke, dass es eine Lebenseinstellung von mir ist, dass ich anstehende Veränderungen selbst in die Hand nehme. Es war immer eine meiner Visionen, meine Laufbahn selbst zu beenden und mich nicht durch eine Altersgrenze in den Ruhestand versetzen zu lassen. Ich hatte tolle Jahre – 25 Jahre Profifußball, 20 Jahre Bundesliga, 15 Jahre international. Dann zum dritten Mal die Wahl zum Weltschiedsrichter gegen Ende meiner internationalen Laufbahn. Ich finde es spannend, am Höhepunkt abzutreten, auch wenn ich von der körperlichen Konstitution her sicher noch vier, fünf Jahre weitermachen könnte. Und mich würde es als Sportler auch ärgern, wenn nächste Saison plötzlich jemand suggerieren würde: „Das ist sein letztes Jahr, der nimmt das nicht mehr ernst.“

Frage: Wie waren die Reaktionen auf Ihre Rücktritts-Ankündigung?

Merk: Die letzen Wochen habe ich eigentlich immer nur ein Wort gehört, und zwar „schade“. Aber, wie gesagt: Ich nehme eine positive Zeit und viel positive Energie mit. Und die Entscheidung, es so zu machen, stand für mich eigentlich schon länger fest.

Frage: Sie haben 20 Jahre lang in der Bundesliga Spiele geleitet. Können Sie sich überhaupt noch an Ihren ersten Einsatz im deutschen Oberhaus erinnern?

Merk: Es gibt natürlich Eckdaten, Eckpunkte und Spiele, die den Lebensweg skizzieren, natürlich auch dieses erste Bundesliga-Spiel: VfL Bochum gegen Bayer Uerdingen im Jahr 1988. Als kleiner Junge stand ich immer auf dem Betzenberg in Kaiserslautern, schon damals haben mich die Schiedsrichter fasziniert: Dass es drei Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen in einem solchen Hexenkessel. Deswegen bin ich Schiedsrichter geworden und habe mir immer als junger Mensch gesagt, da will ich auch mal stehen. Somit schloss sich in Bochum für mich ein Lebenskreis.

Markus Merk: Stationen eines Weltklasse-Schiedsrichters

Frage: Wie würden Sie selbst den Schiedsrichter Dr. Markus Merk und seine Entwicklung charakterisieren beziehungsweise reflektieren?

Merk: Ich glaube, das ist wie bei allen großen Entscheidungsaufgaben, dass eine persönliche Entwicklung dazukommen muss. Damals was das eine Revolution, als ich als 26-jähriger in der Bundesliga debütierte. Da war man nicht so geformt, wie es heute unsere jungen Schiedsrichter sind, die natürlich viel besser vorbereitet werden. Es war vielmehr in dieser Phase „Learning by doing“. Aber man setzt auch keinen in die Bundesliga rein, von dem man nicht überzeugt ist, dass er ein Top-Entscheider ist. Und wenn ich so aus dem Fenster der DFB-Zentrale auf das Frankfurter Stadion schaue, dann hatte ich hier 1989 vielleicht mein schwerstes Spiel, eine Art Schnittstelle, als ich bei Bayern Münchens 2:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt zwei Tore für die Eintracht nicht gab und ein strittiges Tor für Bayern anerkannte – und die Fernsehbilder später alle Entscheidungen bestätigten. Später, speziell ab 1991, als ich erstmals als Zahnarzt in Indien war, nahm ich dann noch die Gelassenheit mit ins Stadion – das war für mich persönlich ein Durchbruch.

Frage: Welcher Moment war für Sie der Höhepunkt Ihrer sportlichen Karriere?

Merk: Da gibt es viele Dinge. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich so viel Positives erleben durfte und deshalb habe ich mir Superlativen abgewöhnt. Natürlich nennt man die Champions-League-Spiele oder das erste Bundesliga-Spiel. Natürlich kann ich mich auch noch an mein erstes Spiel überhaupt als Schiedsrichter erinnern: Am 21. September 1974 in Kaiserslautern, ein E-Jugend-Spiel. Das war mein schnellster Aufstieg, weil anschließend zum D-Jugend-Spiel der Schiedsrichter nicht kam und ich das dann gleich auch noch gepfiffen habe.

Frage: Gibt es auch Momente in Ihrer langen sportlichen Karriere, die Sie lieber streichen würden?

Merk: Der schwerste Moment für mich überhaupt war im Jahr 2003, als beim Konföderations-Cup in Frankreich der Kameruner Marc-Vivien Foe auf dem Platz starb. In den Spielen danach hatte ich schon beim Betreten des Stadions ein ungutes Gefühl.

Frage: Gibt es Spieler und Trainer, die Ihnen in besonderer Erinnerung bleiben werden? Und wenn ja – warum?

Merk: Da gibt es sehr viele! Ich müsste im Norden anfangen und bis Süden runtergehen. Ich müsste hunderte Spielernamen und viele Trainernamen nennen, mit denen es absolut positiv war. Wenn ich jetzt einen rauspicke, würde ich den anderen nicht gerecht werden.

arkus Merk © Bongarts/Getty/Images
Merk im „DFB.de-Gespräch der Woche“

Frage: Nach den Ereignissen um die knappe Meisterschafts-Entscheidung 2001 haben Sie bewusst kein Spiel mehr auf Schalke gepfiffen. Was bleibt im Rückblick davon hängen?

Merk: Meine Vision war immer, im Fußball ein wichtiger Bestandteil eines tollen Spiels zu sein. Ein Bestandteil, der möglichst unauffällig agiert. Ich habe nie meine Aufgabe darin gesehen, irgendwo rauszugehen in ein Stadion und der Focus der Massen zu sein, der Focus der Medien. Wenn ich die letzten Jahre auf Schalke gegangen wäre, auch wenn viele das wollten, hätten sich die Medien darauf gestürzt. Was hätte das dem Spiel und dem Fußball gebracht?

Frage: Bundesliga-Spieler und -Trainer behaupten immer wieder gerne, in der Bundesliga würde kleinlicher gepfiffen als international. Was sagen Sie als langjähriger FIFA-Schiedsrichter zu dieser These?

Merk: Ich glaube, dass diejenigen, die diese These aufstellen, selbst nicht daran glauben. Entscheidungen haben immer ein Bestimmungsumfeld. Bei einem englischen Derby beispielsweise ist das Bestimmungsumfeld einfach so, dass nicht bei jedem Zweikampf lamentiert oder sich auf dem Boden gewälzt wird. Da geht es immer weiter, da brauche ich mich zum Wohl des Spiels weniger einzubringen. Mein Ziel ist immer, ein Spiel laufen zu lassen. Das geht auf der Insel viel einfacher als in der Bundesliga, wo bei jeder Aktion interveniert wird, wo eine zweite oder dritte Aktion folgt.

Frage: Herbert Fandel war bei Großturnieren lange außen vor, da Sie die deutschen Farben vertraten. Nachdem Sie die internationale Altersgrenze von 45 Jahren überschritten haben, wurde Herbert Fandel nun mit seinen Assistenten Carsten Kadach und Volker Wezel für die EURO 2008 in Österreich und der Schweiz nominiert. Freuen Sie sich für Ihre Schiedsrichter-Kollegen?

Merk: Es freut mich für jeden, der erfolgreich ist. Ich durfte diese tollen Momente ja selbst genießen, und das ist ein Segen. Natürlich – wenn ich nicht gewesen wäre, dann hätte Herbert Fandel mindestens ein, zwei Turniere mehr pfeifen können, keine Frage. Bei der WM 2006 wurde von der FIFA halt nur ein Deutscher nominiert. Deswegen freut es mich, dass er jetzt ein großes Turnier pfeifen kann. Das hat er absolut verdient. Auch sein Team, seine Assistenten, die über Jahre unglaublich tolle Leistungen gebracht haben. Ich bin mir sicher, dass sie ein großes Turnier vor Augen haben. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

Frage: Michael Kempter hat Sie 2006 mit 23 Jahren als jüngster Bundesliga-Schiedsrichter aller Zeiten beerbt. Haben Sie als erfahrener Schiedsrichter Kontakt zu den jüngeren Kollegen und werden vielleicht auch mal um Rat gefragt?

Merk: Die Schiedsrichter sind wie eine Mannschaft. Und damit meine ich nicht nur uns in der Bundesliga, sondern auch die übrigen fast 80.000 in Deutschland, gerade die an der Basis, die wahren Helden, die Woche für Woche soziale Verantwortung leben. Die Bundesliga-Schiedsrichter haben gemeinsame Lehrgänge, wir diskutieren zusammen, machen Videoanalysen zusammen, weil wir ja insgesamt als Team in unserer Außenwirkung und an der möglichst einheitlichen Regelauslegung gemessen werden. Natürlich fragen die jungen Unparteiischen. Das wäre auch fatal, wenn sie es nicht tun würden. Aber es kommen viele tolle junge Leute nach, da brauchen wir uns die nächsten Jahrzehnte keine Sorgen zu machen. Und ich denke, dass es viele Schiedsrichter gibt, die es international sofort an die Spitze packen würden.

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Frage: Die neuste Schiedsrichter-Statistik des DFB weist einen leichten Rückgang aus. Was würden Sie mit Ihrer heutigen Erfahrung einem jungen Menschen sagen, der sich mit Gedanken trägt, Schiedsrichter zu werden?

Merk: Schiedsrichter zu sein ist eine tolle Aufgabe, natürlich auch eine schwere. Man hat hier die Chance, in recht frühen Jahren aktiv eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Du lernst sehr schnell, dich mit anderen Menschen zu befassen, du bewegst dich auf einer Spielwiese mit anderen Charakteren. Es festigt einen jungen Menschen in seiner Persönlichkeit. Den Nutzen daraus kann man als Schule des Lebens bezeichnen.

Frage: Das heißt, Sie könnten den Schiedsrichter-Job weiterempfehlen?

Merk: Natürlich. Wichtig ist allerdings, dass die Schiedsrichter insgesamt – von der „Pampersliga“ bis zur Bundesliga – eine viel größere Toleranz brauchen, die Wertschätzung einfach gesteigert werden muss. Dafür müssen wir eintreten. Denn auch die Schiedsrichter stellen eine wichtige Mannschaft innerhalb des Fußballs dar.

Frage: Am kommenden Wochenende steht Ihr letzter Einsatz in der Bundesliga an. Sehen Sie diesem mit gemischten Gefühlen entgegen?

Merk: Der Samstag wird ein emotionaler Tag werden. Ich pfeife seit 34 Jahren, da lässt man in den letzten Tagen viel mehr Revue passieren. Aber ohne ein weinendes Auge, sondern nur mit positiven Gedanken. Ich bin davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war. Ich habe meine Emotionen auch immer auf dem Platz gelebt, und so wird es auch am Wochenende sein. Fußball ist eine emotionale Sache, Emotion pur.

Frage: Was genau machen Sie nach Beendigung Ihrer Schiedsrichter-Karriere? Bleiben Sie dem Schiedsrichter-Bereich beziehungsweise dem Fußball treu?

Merk: Wenn man allein das Zeitfenster misst, ändert sich in meinem Leben zunächst nicht viel. 80 Prozent bleibt gleich, nur 20 Prozent ändern sich. Ich werde auch weiterhin Seminar-Vorträge halten und will noch ein paar hohe Berge besteigen. Im August, am ersten Spieltag der neuen Saison, bin ich in Ecuador, wo ich einen Sechstausender besteigen will. Der Flug ist schon gebucht. Ansonsten bin ich Fußballer mit Leib und Seele und nach allen Seiten offen. Ich will mich bewegen – und ich will andere bewegen. Die Frage ist jetzt: Wie werden die 20 Prozent ersetzt? Und genau das wird man dann nach dem nächsten Samstag sehen. Ich werde das mit aller Ruhe und Gelassenheit angehen.

Frage: Welche Frage würden Sie sich zum Abschluss des Gespräches selbst stellen?

Merk: Ich werde oft gefragt: Vermisst Markus Merk irgendwas, hat ihm in seiner Karriere irgendetwas gefehlt? Und die Antwort darauf ist: Nein, es fehlt mir nichts!