Blindenfußballer wollen zu Paralympics: "Wir brauchen viel Glück"

DFB.de: Wie stolz waren Sie auf die Leistung Ihrer Stuttgarter Mannschaft beim Spieltag in Düren?

Pfisterer: Wir haben auch letztes Jahr den Titel mit großem Kampf und einer Menge 1:0-Siege gewonnen. Wenn wir es diesmal wieder schaffen würden, wäre es für mich ein ganz besonderer Titel.

DFB.de: Wann ist für Sie persönlich Schluss?

Pfisterer: 2016 wird meine letzte Saison als Trainer in Stuttgart sein. Bei der Nationalmannschaft möchte ich einige der jungen Talente in den kommenden Jahren weiter aufbauen. Und in meiner Funktion bei der IBSA möchte ich einige Regeländerungen durchsetzen. Für die Sicherheit und Attraktivität des Blindenfußballs können wir noch einiges tun.

DFB.de: Wollen Sie die Tore vergrößern?

Pfisterer: Ja, natürlich. Wir werden beim Blindenfußball von Handball- auf Hockeytore wechseln. Handballtore sind 3 auf 2 Meter, Hockeytore dagegen 3,66 Meter auf 2,14 Meter groß. Für die Vergrößerung sprechen viele Argumente. Die sehenden Torwarte werden dann richtig springen müssen, und nicht wie heute in der Manier eines Eishockey-Keepers die Bälle blocken. Der Sport gehört den Blindenfußballern - im Moment aber wird der sehende Torwart immer mehr zum entscheidenden Mann auf dem Platz. Größere Tore würde die Überlegenheit von Mannschaften besser widerspiegeln. In manchen Spielen schießt Stuttgart 20-mal aufs Tor, der Gegner achtmal. Und das Spiel endet 1:0 für Stuttgart. Im regulären Fußball wäre es ein 3:0. Die Stürmer würden früher abschließen, dadurch rückt die Abwehr mehr raus. Wir müssen nur die Hockeytore fußballgerechter gestalten. Alles spricht dafür, es ist der richtige Weg.

DFB.de: Was wollen Sie noch ändern?

Pfisterer: Auch die Aus- und Einwechslungen müssen würdevoller geschehen. Heute wird der Spieler vom Schiedsrichter quasi abgeführt. Wir müssen das mehr über die Bande machen. Die Entscheidungen des Schiedsrichters müssen Zuschauer wie Spieler sofort verstehen. Dafür müssen wir die Schiedsrichter technisch ausstatten. Und auch das Defensivspiel wird momentan zu stark belohnt. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Änderungen für den nächsten olympischen Zyklus Richtung Tokio 2020 implementieren können.

DFB.de: Viel Erfolg und das nötige Fortune für die EM in England!

Pfisterer: Danke. Angesichts der vielen Ausfälle brauchen wir wirklich etwas Glück.

[th]


Olympia ist das große Ziel, auch für den Trainer Deutschlands bester blinder Fußballer. So war es bereits 1972. Auch diesmal sind seine Chancen durchwachsen. Vor mehr als 40 Jahren hatte Uli Pfisterer als junger Fußballer alle DFB-Lehrgänge absolviert, bis ihm ein anderer den Platz wegschnappte. Uli Hoeneß rückte statt Pfisterer ins Aufgebot für die Spiele von München 1972. 2016 ist Rio de Janeiro Ausrichter. Und Pfisterer trainiert heute die Blindenfußball-Nationalmannschaft. Aber man müsste schon ins Finale der am Samstag in England beginnenden Europameisterschaften einziehen, um sich denn tatsächlich für die Paralympics in Rio zu qualifizieren. Und zwei Stammspieler mussten absagen, zwei weitere sind angeschlagen.

Unmittelbar vor dem EM-Auftakt gegen die Türkei am Samstag (ab 19 Uhr) im englischen Hereford spricht der 64-jährige Ulrich Pfisterer, seit 2007 Bundestrainer und Trainer des Rekordmeisters MTV Stuttgart sowie seit 2011 auch Chairman Football der IBSA (International Blind Sports Federation), im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth über das Desaster im Test gegen Spanien, über deutsche EM-Chancen und ein würdiges Auswechseln.

DFB.de: Herr Pfisterer, wie verzweifelt sind Sie?

Ulrich Pfisterer: Na ja, geschockt war ich anfangs schon. Die beiden Testspiele gegen den Europameister Spanien Ende Juli endeten für uns im totalen Desaster. Den ersten Test haben wir noch unentschieden gestaltet. Aber beim Abpfiff hatten wir drei schwer verletzte Spieler, die Spanier keinen Kratzer. Jetzt fällt uns im schlimmsten Fall für die EM in England fast die komplette erste Mannschaft weg. Zuerst trat unser Stürmer Alican Pektas bei einer Balleroberung unglücklich auf das Leder - Kreuzbandriss. Vedat Sarikaya erlitt bei einem Pressschlag eine schwere Knöchelprellung. Und unseren Kapitän Alex Fangmann erwischte es mit einem Außenbandriss im Sprunggelenk. In der Woche danach stürzte auch noch Mulgheta Russom privat vom Bahnsteig auf U-Bahn-Gleise. Die Folge: eine schwere Gehirnerschütterung. Kurzzeitig drohte er eine Niere zu verlieren. "Ali", der gerade super in Form war, und "Mulle" mussten absagen. Alex und Vedat begleiten uns nach England, wir hoffen, beide irgendwie fit zu kriegen.

DFB.de: Reden wir über die Gesunden. Wen werden Sie für das deutsche EM-Auftaktspiel am Samstag gegen die Türkei aufstellen?

Pfisterer: Alex Fangmann vom MTV Stuttgart und Taime Kuttig von SF BG Marburg in der Abwehr. Kofi Osei von Viktoria Berlin im Sturm und Lukas Smirek aus Stuttgart als Zuspieler, Enrico Göbel von VSV/BFW Würzburg im Tor. Und bei Vedat Sarikaya müssen wir abwarten. Wenn er noch einen draufkriegt, ist sofort Schluss.

DFB.de: Mit Rasmus Narjes vom FC St. Pauli nehmen Sie einen 15-Jährigen mit zur EM. Werden Sie ihn einsetzen?

Pfisterer: Er macht bislang einen guten Eindruck, aber er kann natürlich noch keine Abwehr zusammenhalten. Im Notfall wird Rasmus uns helfen müssen.

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DFB.de: Fällt Sarikaya wirklich aus, wird Osei die Tore in England schießen müssen.

Pfisterer: Kofi ist ein Knipser. Ohne Ball schaut er natürlich nicht so athletisch und koordiniert aus, da fällt er immer von einem Bein auf das andere. Aber sobald er einen Ball am Fuß hat, ändert sich das. Gegen Spanien hat er einen Schuss gegen die Latte geknallt, da ging ein Raunen durch die Zuschauer. Der spanische Torwart dachte, es wäre ein Blitz eingeschlagen. Kofi kann an einem guten Tag selbst Brasilien abschießen.

DFB.de: Gegner in Gruppe A sind England, Polen, Italien und die Türkei. Wie sehen Sie die Chance, als Gruppenzweiter doch ins Halbfinale am 28. August einzuziehen?

Pfisterer: Möglich ist es schon. Wir starten gleich mit einem wichtigen Spiel gegen die Türkei. Die Halbfinals werden eine große Brisanz haben, auch weil man sich durch den Finaleinzug gleichzeitig für Rio qualifiziert. Spanien und England sind die Favoriten. Frankreich leidet unter dem Boykott der Spieler aus Bordeaux. Und wir haben zu viele Verletzte. Um bis ins Finale zu kommen, brauchen wir schon ungeheuer viel Glück.

DFB.de: Sie trainieren die deutsche Mannschaft seit 2007. Ist Olympia auch persönlich Ihr großes Ziel?

Pfisterer: Natürlich, mit der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen, das wäre ein absolutes Highlight.

DFB.de: Als ganz junger Fußballer standen Sie schon mal kurz vor der Olympianominierung.

Pfisterer: Ich war bei allen Vorbereitungslehrgängen dabei. 18 oder 20 Spieler hat Jupp Derwall schließlich nominiert, auf meiner Position war Uli Hoeneß mein direkter Kontrahent. Er war einfach sehr gut, muss man schon sagen. Aber als einziger Berliner im Olympiaaufgebot habe ich ein paar gute Zeitungsartikel bekommen, das hat mir meinen Weg nach Australien erleichtert. Dort habe ich am "Royal Victorian Institute for the Blind" in Melbourne fast drei Jahrzehnte gearbeitet. Erst als ich 2005 zurück nach Deutschland zog und eine Stelle bei der Nikolaipflege in Stuttgart antrat, lernte ich den Blindenfußball richtig kennen. Im Mai 2006 fand dann am Berliner Olympiastadion ein Workshop statt - der Urknall für den Blindenfußball in Deutschland.

DFB.de: Vier Mannschaften haben vor dem Bundesligafinale am 12. September in Freiburg eine Chance auf den Titel. Hat der Rest der Liga zu den Topteams Stuttgart und Marburg aufgeschlossen?

Pfisterer: Nein. Chemnitz und St. Pauli werden zwar für ihre Aufbauarbeit belohnt, aber beide stehen nur mit dort oben, weil Marburg und Stuttgart diese Saison so massives Verletzungspech hatten. Die Doppelbelastung der Nationalspieler ist ein Faktor. Jeder will Stuttgart stürzen sehen, wir sind nun mal der Rekordmeister der Liga. Mit einer absoluten Rumpfmannschaft haben wir in Düren fünf Punkte geholt. Und wenn Vedat die EM gesund übersteht, haben wir beim finalen Spieltag am 12. September in Freiburg die größte Chance auf den Titel. Dafür müssen wir dann aber St. Pauli und Marburg schlagen.

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DFB.de: Wie stolz waren Sie auf die Leistung Ihrer Stuttgarter Mannschaft beim Spieltag in Düren?

Pfisterer: Wir haben auch letztes Jahr den Titel mit großem Kampf und einer Menge 1:0-Siege gewonnen. Wenn wir es diesmal wieder schaffen würden, wäre es für mich ein ganz besonderer Titel.

DFB.de: Wann ist für Sie persönlich Schluss?

Pfisterer: 2016 wird meine letzte Saison als Trainer in Stuttgart sein. Bei der Nationalmannschaft möchte ich einige der jungen Talente in den kommenden Jahren weiter aufbauen. Und in meiner Funktion bei der IBSA möchte ich einige Regeländerungen durchsetzen. Für die Sicherheit und Attraktivität des Blindenfußballs können wir noch einiges tun.

DFB.de: Wollen Sie die Tore vergrößern?

Pfisterer: Ja, natürlich. Wir werden beim Blindenfußball von Handball- auf Hockeytore wechseln. Handballtore sind 3 auf 2 Meter, Hockeytore dagegen 3,66 Meter auf 2,14 Meter groß. Für die Vergrößerung sprechen viele Argumente. Die sehenden Torwarte werden dann richtig springen müssen, und nicht wie heute in der Manier eines Eishockey-Keepers die Bälle blocken. Der Sport gehört den Blindenfußballern - im Moment aber wird der sehende Torwart immer mehr zum entscheidenden Mann auf dem Platz. Größere Tore würde die Überlegenheit von Mannschaften besser widerspiegeln. In manchen Spielen schießt Stuttgart 20-mal aufs Tor, der Gegner achtmal. Und das Spiel endet 1:0 für Stuttgart. Im regulären Fußball wäre es ein 3:0. Die Stürmer würden früher abschließen, dadurch rückt die Abwehr mehr raus. Wir müssen nur die Hockeytore fußballgerechter gestalten. Alles spricht dafür, es ist der richtige Weg.

DFB.de: Was wollen Sie noch ändern?

Pfisterer: Auch die Aus- und Einwechslungen müssen würdevoller geschehen. Heute wird der Spieler vom Schiedsrichter quasi abgeführt. Wir müssen das mehr über die Bande machen. Die Entscheidungen des Schiedsrichters müssen Zuschauer wie Spieler sofort verstehen. Dafür müssen wir die Schiedsrichter technisch ausstatten. Und auch das Defensivspiel wird momentan zu stark belohnt. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Änderungen für den nächsten olympischen Zyklus Richtung Tokio 2020 implementieren können.

DFB.de: Viel Erfolg und das nötige Fortune für die EM in England!

Pfisterer: Danke. Angesichts der vielen Ausfälle brauchen wir wirklich etwas Glück.