Weiß: "Wir dürfen die Menschen nicht allein lassen"

Weiß: Es muss ja weitergehen. Wir müssen die Situation annehmen und aus ihr machen, was möglich ist. Außerdem glaube ich, dass wir auch eine gewisse Verantwortung dem Land gegenüber haben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn der berühmte Boxer Manny Pacquiao kämpft, dann sitzt das ganze Land vor dem Fernseher und fiebert mit. Neulich hat er mal verloren, aber trotzdem haben ihn alle angefeuert. Vor einigen Wochen ist er zurückgekommen und hat wieder gewonnen, und die Leute haben ihn gefeiert – nur zwei Wochen nach dieser schlimmen Katastrophe. So hat der Sport auch eine psychologische Komponente: Er kann Ablenkung bieten, auch Hoffnung. Das ist etwas, das wir auch mit der philippinischen Nationalmannschaft den Menschen geben wollen.

DFB.de: Weihnachten steht vor der Tür. Was wünschen Sie sich?

Weiß: Dass sich das Land sobald wie möglich wieder erholt. Es ist leider so, dass Naturkatastrophen auf den Philippinen irgendwie zum Leben dazu gehören, aber diese war besonders schwer und hat unheimlich viele Menschen betroffen. Und ich wünsche mir, dass die Hilfsbereitschaft im Ausland möglichst groß ist. Wir dürfen die Menschen dort nicht allein lassen. Jeder Euro kann ihnen helfen und Hoffnung geben, das Elend einigermaßen zu überstehen.

[gt]


Anfang November 2013 zog der Taifun "Haiyan" über die Philippinen. Tausende Menschen kamen ums Leben, mehrere Millionen verloren ihr Hab und Gut. Michael Weiß erlebt die Situation hautnah. Seit 2010 arbeitet der deutsche Trainer und DFB-Auslandsexperte als Nationaltrainer auf den Philippinen. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Gereon Tönnihsen schildert der 48-Jährige seine Eindrücke und erklärt, warum die Unterstützung aus Deutschland so wichtig ist.

DFB.de: Herr Weiß, wo waren Sie, als der Taifun über die Philippinen hereinbrach?

Michael Weiß: Ich war mit der Nationalmannschaft gerade in Abu Dhabi, wo wir uns auf ein Spiel gegen die Vereinigten Arabischen Emirate vorbereitet haben, die gerade zu den besten Teams in Asien gehören. Wir haben 0:4 verloren. Aber natürlich wurde alles überschattet von der Meldung, dass der Taifun über das Land gezogen ist. Es war schockierend, diese Bilder zu sehen, sehr, sehr schlimm. Zum Glück waren keine Angehörigen meiner Spieler betroffen. Aber unser Teammanager Dan Palani, der den Fußball auf den Philippinen praktisch aufgebaut und dafür gesorgt hat, dass die Arbeit der Nationalmannschaft professionalisiert wurde, stammt aus Tacloban. Dort hat der Taifun besonders schlimm gewütet.

DFB.de: Was hat er erzählt?

Weiß: Zwei seiner Hausmädchen sind auf dramatische Weise ums Leben gekommen. Sie sind ertrunken. Das Wasser ist binnen Sekunden gestiegen. Sein Bruder, der vor Ort war, hat noch versucht, sie zu retten, aber das ist ihm nicht gelungen. Das war furchtbar, so etwas zu hören. Ein Haus von ihm ist zerstört, auch die Schule, in der sich engagiert.

DFB.de: Inwieweit lässt sich das Ausmaß der Katastrophe überhaupt abschätzen?

Weiß: Das ist natürlich schwierig. Aber man kann sagen, dass es Jahre dauern wird, bis die Schäden behoben sind und alles wieder aufgebaut ist, das schon. Ich kann mich noch erinnern, wir waren damals in einem Trainingscamp am Mount Fuji, als der Tsunami das Land heimsuchte. Eigentlich hätten wir das Camp in Fukushima haben sollen, was dann zum Glück nicht geklappt hat, aber wir haben gemerkt, dass die Erde gewackelt hat. Der Unterschied zu den Philippinen ist aber unter anderem der, dass dort die Häuser eine ganz andere Substanz haben. Die hatten gegen die Wucht dieser Katastrophe überhaupt keine Chance.

DFB.de: Woran fehlt es den Menschen in der Krisenregion derzeit besonders?

Weiß: An sehr vielen Dingen, vor allem an ganz elementaren: an Essen, Zucker, Getreide, Milch, an sauberem Wasser, auch an Medikamenten. Es wird viel getan, aber es ist schwierig, die Versorgung zu gewährleisten. Ein Problem ist, dass in Tacloban auch der Flughafen zerstört ist, ebenso viele Zufahrtswege, so dass man kaum reinkommt in diese Region und nur schwer die benötigten Dinge dorthin gelangen. Das erschwert auch die Arbeiten vor Ort.

DFB.de: Was können Sie konkret tun?

Weiß: Ich möchte mich vor allem bei zwei Projekten einbringen, zum einem dem Wiederaufbau der Schule in Tacloban, für die sich auch mein Teammanager engagiert. Das zweite Projekt soll Menschen im Norden von Cebu, einer Insel, die an Tacloban in Leyte angrenzt, beim Wiederaufbau der Infrastruktur unterstützen.

DFB.de: Wie wichtig ist in der aktuellen Situation die Hilfe durch die Egidius-Braun-Stiftung?

Weiß: Sehr wichtig, im Moment zählt jede Unterstützung. Zumal, was besonders wichtig ist, durch die Braun-Stiftung auch gewährleistet ist, dass das Geld auch ankommt. Dazu möchte ich ebenfalls beitragen. Und deshalb hoffe ich auch, dass möglichst viele Menschen spenden, denn hier gibt es im Moment wirklich unfassbar großes Leid. Jeden Euro, der an die Braun-Stiftung gespendet wird, verdoppeln dann die "Sternsinger", das ist eine tolle Sache.

DFB.de: Haben Sie darüber nachgedacht, das Land zu verlassen?

Weiß: Nein, auf keinen Fall. Ich arbeite gerne auf den Philippinen, meine Familie fühlt sich wohl. Und es ist auch nicht so, dass wir uns in Manila, wo wir leben, unsicher fühlen. Außerdem habe ich einen Vertrag hier, und ich spüre auch eine Verpflichtung. Meine Spieler sind sehr engagiert, es macht mir große Freude, zu sehen, wie sie sich weiterentwickeln. Unser Ziel ist weiterhin der Gewinn des AFC Challenge Cups 2014 auf den Malediven, mit dem wir die Teilnahme am Asien Cup 2015 in Australien erreichen können. Das wäre für das ganze Land wichtig, eine Riesenchance.

DFB.de: Wie schaffen Sie es, in solch einer Situation überhaupt, an den Fußball zu denken?

Weiß: Es muss ja weitergehen. Wir müssen die Situation annehmen und aus ihr machen, was möglich ist. Außerdem glaube ich, dass wir auch eine gewisse Verantwortung dem Land gegenüber haben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn der berühmte Boxer Manny Pacquiao kämpft, dann sitzt das ganze Land vor dem Fernseher und fiebert mit. Neulich hat er mal verloren, aber trotzdem haben ihn alle angefeuert. Vor einigen Wochen ist er zurückgekommen und hat wieder gewonnen, und die Leute haben ihn gefeiert – nur zwei Wochen nach dieser schlimmen Katastrophe. So hat der Sport auch eine psychologische Komponente: Er kann Ablenkung bieten, auch Hoffnung. Das ist etwas, das wir auch mit der philippinischen Nationalmannschaft den Menschen geben wollen.

DFB.de: Weihnachten steht vor der Tür. Was wünschen Sie sich?

Weiß: Dass sich das Land sobald wie möglich wieder erholt. Es ist leider so, dass Naturkatastrophen auf den Philippinen irgendwie zum Leben dazu gehören, aber diese war besonders schwer und hat unheimlich viele Menschen betroffen. Und ich wünsche mir, dass die Hilfsbereitschaft im Ausland möglichst groß ist. Wir dürfen die Menschen dort nicht allein lassen. Jeder Euro kann ihnen helfen und Hoffnung geben, das Elend einigermaßen zu überstehen.