Politik am und mit dem Ball

Schweiz setzt früh auf die integrative Kraft des Fußballs

Dass die in vielerlei Beziehung heterogene Schweiz schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf die integrative Kraft des Fußballs setzte und sowohl einen nationalen Verband als auch ein Nationalteam forcierte, erläuterten Philippe Vonnard und Grégory Quin von der Uni Lausanne. Einen ähnlichen Effekt konstatierte Nicola Sbetti von der Uni Bologna für die Spiele der italienischen Nationalmannschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch in den böhmischen Ländern mit ihrer ethnisch vielfältigen Bevölkerung und der wechselhaften Geschichte bis 1945 war Fußball immer wieder ein Mittel der Abgrenzung, aber auch der Integration, wie Stefan Zwicker von der Uni Bonn ausführte.

Gleiches gilt für den Fußballsport in Lothringen, wo sich die deutschen Spieler nach der Wiedereingliederung nach Frankreich schnell den neuen Gegebenheiten anpassten – nicht zuletzt, um ihrem geliebten Sport weiterhin uneingeschränkt frönen zu können, erklärte Bernd Reichelt vom ZfP Südwürttemberg. Ein aktuelles Beispiel dafür, dass der Sport der Politik bisweilen auch voraus sein kann, stellte Sertac Sonan vor. In seiner zyprischen Heimat gab es in den vergangenen Jahren große Fortschritte im Bestreben, die Fußballverbände des griechischen und des türkischen Teils der geteilten Insel organisatorisch zu vereinen. Diese Bemühungen werden jedoch von der politischen Seite bis auf Weiteres blockiert.

FC Barcelona mit Bekenntnis zu Katalonien

Nationale und nationalistische Abgrenzungstendenzen in ganz verschiedenen Ausprägungen und Intensitäten wurden von weiteren Referenten dargestellt. So wurde in Österreich der Fußball genutzt, um nach dem Zusammenbruch der k.u.k-Monarchie eine nationale Identität im Gegensatz zum übermächtigen Deutschen Reich zu schaffen. Gegen den bestehenden spanischen Nationalstaat ist dagegen das fundamentale und bisweilen schon religiös aufgeladene Bekenntnis das FC Barcelona zu Katalonien, seiner Sprache und seiner angestrebten Unabhängigkeit gerichtet, analysierte Valentyna Kotenko von der Uni Kiew.

Noch drastischer fiel die Analyse von Dario Brentin von der Uni Graz aus. Er beleuchtete die Rolle des Fußballs beim Zerfall von Jugoslawien, wo die nationalistischen Ausschreitungen in den Stadien 1990 direkt in den Bürgerkrieg führten. Nicht minder erschreckend die Analyse von Manfred Zeller von der Uni Bremen, der die rechtsradikalen Umtriebe der ukrainischen Fußballfanszene in den sozialen Netzwerken im Zusammenhang mit den Protesten auf dem Kiewer Maidan-Platz 2013/2014 unter die Lupe genommen hat.

Angesichts solcher Auswüchse war das - durchaus bewusst provokant formulierte - Plädoyer des Sportphilosophen Sven Güldenpfennig geschickt platziert. Er forderte, den (Fußball-)Sport als gleichberechtigt mit den klassischen Künsten zu sehen und vollständig von politischer oder gesellschaftlicher Vereinnahmung frei zu halten. Pragmatischer war da Sven Ismers Resümee: "Fußball trägt gesellschaftliche Verantwortung und die Akteure sollten sich dessen bewusst sein."

[dfb]


Egal, ob Kreisklassen-Kick oder Weltmeisterschaft, kaum einer kann sich der emotionalen Kraft entziehen, wenn "unsere Jungs" auf dem Feld sind und gegen die "anderen" um Tore, um den Sieg kämpfen. Diesem Phänomen widmete sich die neunte Sporthistorische Konferenz "Fußball als Instrument der Nationenbildung" in der Schwabenakademie Irsee, bei der sich am Wochenende Wissenschaftler aus acht europäischen Ländern trafen - unterstützt von der DFB-Kulturstiftung.

Mit dem runden Leder werden Tore, aber auch Politik gemacht. Ein untrügliches Zeichen dafür ist auch, dass sich immer mehr Wissenschaftler mit einer Fülle an historischen, soziokulturellen und politischen Aspekten des Fußballs beschäftigen. Zu Kristallisationspunkten dieser Bemühungen sind seit etlichen Jahren die sporthistorischen Tagungen der Schwabenakademie im Kloster Irsee mit Unterstützung der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes geworden. Zur jüngsten Tagung trafen sich in der barocken ehemaligen Reichsabtei im Ostallgäu Experten, aber auch interessierte Vereinsvertreter und Fans, um zu erörtern, welche Rolle der Fußball auf die Bildung oder auch die Auflösung von Nationen und staatlichen Gebilden haben kann.

Dass dieser (Neben-)Effekt des Fußballspiels von Anfang an sowohl von politischen Kräften als auch von den Protagonisten des Sports erkannt und genutzt wurde und wird, darin waren sich nahezu alle Referenten einig.  Über die Bewertung und die Auswirkungen wurde allerdings kontrovers diskutiert. Die Bildung neuer Staaten und Nationen, vor allem nach einschneidenden politischen Veränderungen wie den beiden Weltkriegen, sei in vielen Fällen mit Gewalt, der Unterdrückung oder gar Auslöschung von Minderheiten verbunden, stellte Tagungsleiter Dominik J. Schaller von der Universität Heidelberg klar. Fußball könne in solchen Situationen sowohl eine integrative Wirkung entfalten, aber auch dem Nationalismus Vorschub leisten.

Fußball als Propaganda-Aktion der DDR-Führung

Exemplarisch sind in diesem Zusammenhang die Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland, wo zum einen eine durch die NS-Gewaltherrschaft diskreditierte Nation wieder zu Selbstbewusstsein und Anerkennung gelangen wollte und zum anderen ein neuer deutscher Staat seine Identität finden musste. So berichtete René Wiese, der sich im Rahmen eines vom DFB geförderten Forschungsprojekts mit der Fußballgeschichte der DDR beschäftigt, von den Bemühungen der jungen DDR, eine Fußball-Meisterschaft für das gesamte Land zu etablieren. Doch die Initiative "Sport bricht Zonengrenzen" mit einem zeitweisen Boom von Spielen zwischen west- und ostdeutschen Mannschaften habe sich schnell als großangelegte, bisweilen plumpe Propaganda-Aktion der DDR-Führung erwiesen.

Während es dann mit dem WM-Titel 1954 in Westdeutschland endgültig hieß "Wir sind wieder wer" und das "Wunder von Bern" bisweilen als eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik gesehen wird, habe die DDR Zeit ihres Bestehens ein schwieriges Verhältnis zu ihrer "ungeliebten Nationalmannschaft" gehabt, legte Christian Becker von der Uni Münster dar. Ein Grund dafür war die magere sportliche Bilanz des DDR-Nationalteams, die ihre Ursachen nicht zuletzt in der Abschaffung der traditionellen Vereinsstruktur sowie in der Konzentration des DDR-Staatssports auf (olympische) Individualsportarten hatte. Aber selbst der Sieg der DDR-Auswahl gegen das klar favorisierte DFB-Team bei der WM 1974 in Deutschland sei von der Staatsführung kaum propagandistisch genutzt, sondern betont sachlich kommuniziert worden. Diese hat laut Johannes Schütz (Dresden) wohl um die Sympathien auch vieler Ostdeutscher für die westdeutsche Mannschaft und um das immer noch diffuse nationale Selbstverständnis der DDR gewusst.

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Schweiz setzt früh auf die integrative Kraft des Fußballs

Dass die in vielerlei Beziehung heterogene Schweiz schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf die integrative Kraft des Fußballs setzte und sowohl einen nationalen Verband als auch ein Nationalteam forcierte, erläuterten Philippe Vonnard und Grégory Quin von der Uni Lausanne. Einen ähnlichen Effekt konstatierte Nicola Sbetti von der Uni Bologna für die Spiele der italienischen Nationalmannschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch in den böhmischen Ländern mit ihrer ethnisch vielfältigen Bevölkerung und der wechselhaften Geschichte bis 1945 war Fußball immer wieder ein Mittel der Abgrenzung, aber auch der Integration, wie Stefan Zwicker von der Uni Bonn ausführte.

Gleiches gilt für den Fußballsport in Lothringen, wo sich die deutschen Spieler nach der Wiedereingliederung nach Frankreich schnell den neuen Gegebenheiten anpassten – nicht zuletzt, um ihrem geliebten Sport weiterhin uneingeschränkt frönen zu können, erklärte Bernd Reichelt vom ZfP Südwürttemberg. Ein aktuelles Beispiel dafür, dass der Sport der Politik bisweilen auch voraus sein kann, stellte Sertac Sonan vor. In seiner zyprischen Heimat gab es in den vergangenen Jahren große Fortschritte im Bestreben, die Fußballverbände des griechischen und des türkischen Teils der geteilten Insel organisatorisch zu vereinen. Diese Bemühungen werden jedoch von der politischen Seite bis auf Weiteres blockiert.

FC Barcelona mit Bekenntnis zu Katalonien

Nationale und nationalistische Abgrenzungstendenzen in ganz verschiedenen Ausprägungen und Intensitäten wurden von weiteren Referenten dargestellt. So wurde in Österreich der Fußball genutzt, um nach dem Zusammenbruch der k.u.k-Monarchie eine nationale Identität im Gegensatz zum übermächtigen Deutschen Reich zu schaffen. Gegen den bestehenden spanischen Nationalstaat ist dagegen das fundamentale und bisweilen schon religiös aufgeladene Bekenntnis das FC Barcelona zu Katalonien, seiner Sprache und seiner angestrebten Unabhängigkeit gerichtet, analysierte Valentyna Kotenko von der Uni Kiew.

Noch drastischer fiel die Analyse von Dario Brentin von der Uni Graz aus. Er beleuchtete die Rolle des Fußballs beim Zerfall von Jugoslawien, wo die nationalistischen Ausschreitungen in den Stadien 1990 direkt in den Bürgerkrieg führten. Nicht minder erschreckend die Analyse von Manfred Zeller von der Uni Bremen, der die rechtsradikalen Umtriebe der ukrainischen Fußballfanszene in den sozialen Netzwerken im Zusammenhang mit den Protesten auf dem Kiewer Maidan-Platz 2013/2014 unter die Lupe genommen hat.

Angesichts solcher Auswüchse war das - durchaus bewusst provokant formulierte - Plädoyer des Sportphilosophen Sven Güldenpfennig geschickt platziert. Er forderte, den (Fußball-)Sport als gleichberechtigt mit den klassischen Künsten zu sehen und vollständig von politischer oder gesellschaftlicher Vereinnahmung frei zu halten. Pragmatischer war da Sven Ismers Resümee: "Fußball trägt gesellschaftliche Verantwortung und die Akteure sollten sich dessen bewusst sein."