Herberger wird wieder "Monnemer"

Der Debütant für Deutschland schießt zwei Tore

Am 21. August 1909 starb sein Vater Josef Herberger im Alter von 53 Jahren an einer Grippe. Er hatte in der Spiegelfabrik gearbeitet, nun fehlte sein Verdienst, die Familie musste aus der Werkswohnung ausziehen. Für Sepp Herberger, immer Einser-Schüler und aus Überzeugung Klassenprimus, bedeutete der frühe Tod des Vaters auch das Ende seiner schulischen Laufbahn. Die Familie brauchte Geld, mit 14 Jahren arbeitete er als Hilfsarbeiter. Der ehemalige Spiegel-Journalist und Herberger-Biograf Jürgen Leinemann schrieb über diesen Moment: "Die lebenslange Einsamkeit des Mannes Herberger, die selbst seine Fähigkeiten zum Plauschen und Sprüchemachen dunkel grundierte, dürfte besiegelt gewesen sein mit dem Tod des Vaters."

Sein Weg als Fußballer führte bis zur verhängnisvollen Berufsspieleraffäre steil nach oben. Der 16-jährige Herberger lief am Neujahrstag 1914 erstmals für die erste Mannschaft des SV Waldhof Mannheim auf, im Sommer absolvierte der hochtalentierte Stürmer sein erstes Spiel, gegen seinen späteren Klub VfR Mannheim. Sein Gegenspieler an diesem Tag war ausgerechnet Otto Nerz, der spätere Trainer der Nationalmannschaft. Der "Drei-H-Sturm" bestehend aus Karl Höger, Willi Hutter und Herberger begeisterte mit anspruchsvollem Flachpassspiel. 1921 spielten alle drei für Deutschland. Beim 3:3 in Helsinki schoss Debütant Herberger zwei Tore.

Zwei Länderspiele folgten. Zu Beginn der Saison 1921/1922 meldete dann eine Zeitung, Herberger wechsle zum MFC Phönix Mannheim, tatsächlich lief er aber für den VfR Mannheim auf. Phönix hatte ihm ein Handgeld von 10.000 Mark ausgezahlt, das er jedoch nach einer Woche zurückzahlte. "Der gute Geist hieß Ev", berichtete er später. Doch das Unheil nahm seinen Lauf. Er wurde wegen Verstoßes gegen den Amateurstatus für ein Jahr gesperrt. Und viele Mannheimer verübelten ihm den Wechsel vom Arbeiterverein SV Waldhof zum eher bürgerlichen VfR Mannheim. Herberger ging nach Berlin und begann dort bei Otto Nerz an der Hochschule für Leibesübungen sein Studium.

Auszeichnung mit dem "Bloomaul"-Orden

"Sein Wechsel und sein Wegzug haben bei früheren Generationen von Mannheimern jedenfalls eine gewisse Distanz zu Sepp Herberger entstehen lassen", berichtet der Oberbürgermeister. Peter Kurz, Jahrgang 1962, hat das selbst noch erlebt. "Das wurde einem erzählt, das war ein Teil der Mannheimer Lokalgeschichte. Aus heutiger, auch aus nationaler Sicht, ist das nicht nachvollziehbar. Schon in den sechziger Jahren wäre es höchste Zeit gewesen, diese blöde Geschichte abzubauen", sagt der promovierte Jurist.

Sepp Herberger jedenfalls hatte jenen Mannheimern, die ihm wegen seines Weggangs vom Waldhof Vorhaltungen gemacht hatten, schon zu Lebzeiten verziehen. Als er 1973 mit dem "Bloomaul"-Orden, der höchsten bürgerlichen Auszeichnung, geehrt wurde, erinnerte er an die Stadtgeschichte. Die aus Norden eintreffenden Züge waren früher im Stadtteil Friedrichsfeld immer geteilt worden, der vordere Teil fuhr weiter nach Heidelberg, die hinteren Waggons nach Mannheim. Als Herberger also 1973 als Mannheimer Schandmaul mit dem "Bloomaul"-Orden ausgezeichnet wurde, sagte er im besten kurpfälzer Dialekt: "Ich bin viel in der Welt rumkumme, aber ich hab‘ immer gewusst, wo ich herkumm, wo ich hingehör‘, es gibt bloß a Monnem. Und für mich war Monnem immer vorn."

[th]


Mit der feierlichen Einweihung eines biografisch gestalteten Platzes an diesem Freitag ehrt die Stadt Mannheim ihren berühmten Sohn - Sepp Herberger. Dass der junge, talentierte Stürmer einst den Verein zu wechseln gewagt hatte, war ihm in den 1920er- und 30er-Jahren von manchen "Monnemern" krummgenommen worden. Das Missverständnis, einmal in die Welt gesetzt, gehörte lange zur Stadtfolklore. Mitten aus der Bürgerschaft entsprang nun die Idee, dem Gedenken an den Alt-Bundestrainer einen Platz im Stadtteil Waldhof zu widmen.

"Wir freuen uns, dass Sepp Herberger zusammen mit seiner Frau Eva dorthin zurückkehrt, von wo er einst auszog, um die Entwicklung von Fußball-Deutschland erheblich zu beeinflussen. Wir dürfen sie beide wieder willkommen heißen: Daheim auf ihrem Waldhof", sagt Jürgen Kurtz von der Bürgerinitiative Waldhof-West. Weltmeister Horst Eckel, Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und die DFB-Präsidiumsmitglieder Eugen Gehlenborg und Ronny Zimmermann gehören am Freitag ebenfalls zu den Ehrengästen der Einweihung des "Seppl-Herberger-Platzes" an der Ecke Oppauer Straße/Jakob-Faulhaber-Straße, unweit des Ortes, an dem Herberger zur Welt kam.

Fußballerischer Aufstieg, persönliche Prüfungen

"Es war uns ein besonderes Anliegen, Sepp Herberger gerade hier im Stadtteil Waldhof zusammen mit seiner Frau Eva zu zeigen", sagt DFB-Vizepräsident Gehlenborg. "Die beiden hatten sich einst unweit des Platzes kennen und lieben gelernt. Eva Herberger war zeitlebens eine wesentliche Unterstützerin ihres Mannes. Der Erfolg des 'Chefs' war auch ihr Erfolg", sagt Gehlenborg, der Vorsitzende der Sepp-Herberger-Stiftung. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hatte die Idee eines "Herberger-Platzes" in einem Briefwechsel mit OB Peter Kurz im Herbst 2013 unterstützt. Nach positiven Beschlüssen in den zuständigen städtischen Gremien, beauftragte die DFB-Stiftung Sepp Herberger daraufhin die Gestaltung einer Glas-Stehle. Der gewählte Werkstoff erinnert auch an die Bedeutung der "Spiegel", einer seinerzeit für den Stadtteil und das Leben Sepp Herbergers bedeutungsvollen Glasfabrik im "Alten Waldhof".

Herbergers frühe "Mannheimer Jahre" waren vom fußballerischen Aufstieg und persönlichen Prüfungen gezeichnet. Als Sonntagskind kam er auf die Welt, am 28. März 1897 im Mannheimer Stadtteil Waldhof, als das jüngste von sechs Geschwistern. Die Familie mit Vater Josef und seiner zweiten Frau Theresia wohnte in der Rue de France 171 in der Spiegelsiedlung. Die kleinsten Jungs, noch vom Gekicke der Größeren ausgeschlossen, zeichneten dort an fensterlose Wände per Kreidestrich die Tore. Viel später beschrieb Herberger im Tagebuch seine Anfänge in dem Spiel, dass sein Leben prägen sollte: "Es war, als ob mich störte, was da herum- und mir im Wege lag; wenn es irgendwie zum Befördern geeignet erschien, erhielt es einen Tritt."

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Der Debütant für Deutschland schießt zwei Tore

Am 21. August 1909 starb sein Vater Josef Herberger im Alter von 53 Jahren an einer Grippe. Er hatte in der Spiegelfabrik gearbeitet, nun fehlte sein Verdienst, die Familie musste aus der Werkswohnung ausziehen. Für Sepp Herberger, immer Einser-Schüler und aus Überzeugung Klassenprimus, bedeutete der frühe Tod des Vaters auch das Ende seiner schulischen Laufbahn. Die Familie brauchte Geld, mit 14 Jahren arbeitete er als Hilfsarbeiter. Der ehemalige Spiegel-Journalist und Herberger-Biograf Jürgen Leinemann schrieb über diesen Moment: "Die lebenslange Einsamkeit des Mannes Herberger, die selbst seine Fähigkeiten zum Plauschen und Sprüchemachen dunkel grundierte, dürfte besiegelt gewesen sein mit dem Tod des Vaters."

Sein Weg als Fußballer führte bis zur verhängnisvollen Berufsspieleraffäre steil nach oben. Der 16-jährige Herberger lief am Neujahrstag 1914 erstmals für die erste Mannschaft des SV Waldhof Mannheim auf, im Sommer absolvierte der hochtalentierte Stürmer sein erstes Spiel, gegen seinen späteren Klub VfR Mannheim. Sein Gegenspieler an diesem Tag war ausgerechnet Otto Nerz, der spätere Trainer der Nationalmannschaft. Der "Drei-H-Sturm" bestehend aus Karl Höger, Willi Hutter und Herberger begeisterte mit anspruchsvollem Flachpassspiel. 1921 spielten alle drei für Deutschland. Beim 3:3 in Helsinki schoss Debütant Herberger zwei Tore.

Zwei Länderspiele folgten. Zu Beginn der Saison 1921/1922 meldete dann eine Zeitung, Herberger wechsle zum MFC Phönix Mannheim, tatsächlich lief er aber für den VfR Mannheim auf. Phönix hatte ihm ein Handgeld von 10.000 Mark ausgezahlt, das er jedoch nach einer Woche zurückzahlte. "Der gute Geist hieß Ev", berichtete er später. Doch das Unheil nahm seinen Lauf. Er wurde wegen Verstoßes gegen den Amateurstatus für ein Jahr gesperrt. Und viele Mannheimer verübelten ihm den Wechsel vom Arbeiterverein SV Waldhof zum eher bürgerlichen VfR Mannheim. Herberger ging nach Berlin und begann dort bei Otto Nerz an der Hochschule für Leibesübungen sein Studium.

Auszeichnung mit dem "Bloomaul"-Orden

"Sein Wechsel und sein Wegzug haben bei früheren Generationen von Mannheimern jedenfalls eine gewisse Distanz zu Sepp Herberger entstehen lassen", berichtet der Oberbürgermeister. Peter Kurz, Jahrgang 1962, hat das selbst noch erlebt. "Das wurde einem erzählt, das war ein Teil der Mannheimer Lokalgeschichte. Aus heutiger, auch aus nationaler Sicht, ist das nicht nachvollziehbar. Schon in den sechziger Jahren wäre es höchste Zeit gewesen, diese blöde Geschichte abzubauen", sagt der promovierte Jurist.

Sepp Herberger jedenfalls hatte jenen Mannheimern, die ihm wegen seines Weggangs vom Waldhof Vorhaltungen gemacht hatten, schon zu Lebzeiten verziehen. Als er 1973 mit dem "Bloomaul"-Orden, der höchsten bürgerlichen Auszeichnung, geehrt wurde, erinnerte er an die Stadtgeschichte. Die aus Norden eintreffenden Züge waren früher im Stadtteil Friedrichsfeld immer geteilt worden, der vordere Teil fuhr weiter nach Heidelberg, die hinteren Waggons nach Mannheim. Als Herberger also 1973 als Mannheimer Schandmaul mit dem "Bloomaul"-Orden ausgezeichnet wurde, sagte er im besten kurpfälzer Dialekt: "Ich bin viel in der Welt rumkumme, aber ich hab‘ immer gewusst, wo ich herkumm, wo ich hingehör‘, es gibt bloß a Monnem. Und für mich war Monnem immer vorn."