Regisseurin Yusef: "Beim Fußball beweisen sich die Underdogs"

Soleen Yusef ist Regisseurin des Kinofilms "Sieger sein", der am Donnerstag in 250 Kinos in Deutschland startet - ein Fußballfilm, ein Film über eine Berliner Grundschule, ein Film über Fliehen und Ankommen. Die elfjährige Mona, mit ihrer kurdischen Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet, findet über den Fußball Freundinnen und kann wieder ein Kind sein. Im DFB.de-Interview spricht Yusef über ihren Film, der "keine übertriebene Hollywood-Geschichte" sein will.

DFB.de: Frau Yusef, darf man Ihnen zu Beginn erzählen, was uns bei der Geschichte von "Sieger sein" richtig gut gefallen hat?

Soleen Yusef: Sehr gerne.

DFB.de: Dass die Hauptfigur Mona nicht so überragend Fußball spielt.

Yusef: (lacht) Das freut mich. Ich wollte authentisch erzählen, es sind Kinder - und es dreht sich um Fußball in der Schule, nicht um hochprofessionelle Mädchen im Vereinsfußball. Wir wollten keine übertriebene Hollywood-Geschichte erzählen.

DFB.de: Sie führten Regie und haben auch das Drehbuch geschrieben. Wie kamen Sie auf die Geschichte?

Yusef: Mona und Herr Che im Film, das ist die Geschichte von mir und meinem Lehrer. Ich bin 1996 als zehnjähriges Mädchen mit meinen Eltern aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet. Mit meinen beiden Brüdern, einer älter und einer jünger, habe ich Straßenfußball gespielt. Es ging hart her. In meiner Kindheit gab es keine Puppen, aber jeden Tag den Ball. Ich kam dann in diese chaotische Grundschule in Berlin-Wedding. Was mir ermöglichte, gesehen und anerkannt zu werden, als Mädchen, das seltsam spricht und eigenartige Klamotten trägt, war der Fußball. Die Mädchenmannschaft hatte viele gute Spielerinnen, aber es fehlte ein Puzzleteil: die Torhüterin.

DFB.de: Die Gewaltzahlen an Berliner Schulen steigen: von 2021 zu 2022 verdoppelte sich die Anzahl der von der Polizei an Berliner Schulen registrierten Rohheitsdelikte, von 1133 auf mehr als 2300 in einem Jahr. Darunter 370 gefährliche Körperverletzungen. Beobachten Sie diese Entwicklung?

Yusef: Für mich damals im Jahr 1996 war diese Grundschule im Wedding erstmal unbegreiflich. Im Irak, wo heute die Autonome Region Kurdistan liegt, mussten wir vor der ersten Stunde zum Fahnenappell antreten. Alle in Schuluniform. Wir mussten morgens der Direktorin unsere Fingernägel zeigen. Die ersten vier Jahre besuchte ich also im Irak die Schule. Dann komme ich an diese anarchistische Schule in Berlin. Wie konnten die Kinder es sich trauen, so mit den Lehrern umzugehen? Ich kapierte das nicht. Und die anderen Kinder dachten, die hat wohl einen Stock im Hintern. Ich kannte nur Frontalunterricht. Partizipation? Hä, dachte ich. Lehrer waren für mich absolute Respektpersonen und unerreichbar.

DFB.de: Ihre Filmfigur Mona steht immer auf, wenn der Lehrer den Klassenraum betritt.

Yusef: Ja, genau. Mit meinem Film wollte ich aber eben nicht mit dem Finger auf die Berliner Kids zeigen. Die steigende Gewalt, das ist doch nicht die Schuld der Kinder, jedenfalls nicht nur. Sie sind im Leben benachteiligt, vernachlässigt, die Klassen sind überfüllt, dazu kommen überforderte Lehrer, die für einen fürsorglichen Umgang keine Kraft und keine Zeit mehr haben. Ich wollte aufzeigen, wie man es trotzdem schaffen kann. Dieser emotionale Mix bei vielen Kids etwa im Wedding – ich habe nicht die Kohle, kann die Sprache nicht richtig, mir fehlen die Aufstiegschancen – mündet oft in eine Aufmüpfigkeit. Letztlich lastet alles zu sehr auf den Schultern der Lehrkräfte.

DFB.de: Manche Familien aus Syrien, dem Irak oder auch Familien mit türkischen Wurzeln tun sich schwer, wenn die Tochter Fußball spielen will. Schade eigentlich, oder?

Yusef: Bei mir gar nicht. Von meinen Brüdern gab es blöde Sprüche, klar. Aber meine Eltern hatten ganz andere Probleme, die mussten erstmal ankommen, sprachlich und beruflich etwa. Wir waren fünf Kinder. In meiner Schulmannschaft damals gab es zwei Stürmerinnen, die beide mit Kopftuch spielten. Hertha BSC sprach eine an. Sie wurde von ihrem Vater stark unterstützt, doch die Mutter war dagegen. Meine Tochter kriegt dann Männerbeine, so Sprüche (lacht). Jahre später habe ich meine Schulkameradin wiedergesehen, wie sie in einem Kiosk an der Kochstraße jobbte und ich dachte mir, heute hätte sie ganz andere Möglichkeiten. Ich glaube jedenfalls nicht, dass migrantische Eltern generell gegen das Fußballspielen ihrer Tochter sind. Manchmal fehlen Chancen sowie soziale und kulturelle Zugänge.

DFB.de: Die ehemalige Bundesligaspielerin Tugba Tekkal hat ein Förderprojekt, bei dem Mädchen mit einer familiären Zuwanderungsgeschichte zum Fußball eingeladen werden. Es tut sich also etwas.

Yusef: Tugba kommt mit ihren "Scoring Girls" zur Premiere des Films. Auch andere Initiativen wie „Clara Outreach“ sind vertreten. Diese Vereine leisten eine enorme Arbeit.

DFB.de: Anderes Thema: Der Rapsong "Sieger Sein" trifft den harten Ton an der Schule. Wie haben Sie das Lied gefunden?

Yusef: Zwei befreundete Musiker, Boris Rogowski und David Menke, mit denen ich ja auch bei der Netflix-Serie "Skylines" zusammengearbeitet hatte, produzierten mir diesen Song des Künstler MMFK. "Heroes", der Song beim Abspann, stammt von Ivy Quainoo, der Siegerin der ersten "Voice"-Staffel.

DFB.de: Wie zufrieden sind Sie mit ihrer Hauptdarstellerin Dileyla Agirman und mit Andreas Döhler, der den Herrn Che spielt?

Yusef: Dileyla stand noch nie vor der Kamera. Sie ist ein riesiges Talent und hat die Figur der Mona mit so viel gefüllt, mit Ernsthaftigkeit und manchmal kindlichem Leichtsinn. Andreas Döhler kennt man etwa aus dem „Tatort“. Die Rolle des Lehrers Herr Che ist schwierig. Der harte Ton, ohne dabei die Kinder zu verletzen, einfach weil er ihnen etwas bei- und näherbringen will. Er beugt sich nie runter zu den Kindern. Er zieht sie immer hoch. Das hat Andreas großartig gespielt.

DFB.de: Was kann Sport und vielleicht besonders der Fußball wirklich bewirken?

Yusef: Dass zeigt "Sieger Sein" in der ganzen Fülle. Wie Underdogs sich beweisen können. Auf dem Fußballplatz haben alle die gleichen Chancen, für alle gelten die gleichen Regeln. Es gibt keine Sprachbarriere. Fußball kann diesen Kindern und Jugendlichen Hoffnung spenden. Und man trifft andere Menschen, rückt zusammen. Das ist doch inspirierend. Sicher wächst die Resilienz. Am Ende des Films sagt Mona, die Torfrau: "Das ist mein Tor und das verteidige ich."

[th]

Soleen Yusef ist Regisseurin des Kinofilms "Sieger sein", der am Donnerstag in 250 Kinos in Deutschland startet - ein Fußballfilm, ein Film über eine Berliner Grundschule, ein Film über Fliehen und Ankommen. Die elfjährige Mona, mit ihrer kurdischen Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet, findet über den Fußball Freundinnen und kann wieder ein Kind sein. Im DFB.de-Interview spricht Yusef über ihren Film, der "keine übertriebene Hollywood-Geschichte" sein will.

DFB.de: Frau Yusef, darf man Ihnen zu Beginn erzählen, was uns bei der Geschichte von "Sieger sein" richtig gut gefallen hat?

Soleen Yusef: Sehr gerne.

DFB.de: Dass die Hauptfigur Mona nicht so überragend Fußball spielt.

Yusef: (lacht) Das freut mich. Ich wollte authentisch erzählen, es sind Kinder - und es dreht sich um Fußball in der Schule, nicht um hochprofessionelle Mädchen im Vereinsfußball. Wir wollten keine übertriebene Hollywood-Geschichte erzählen.

DFB.de: Sie führten Regie und haben auch das Drehbuch geschrieben. Wie kamen Sie auf die Geschichte?

Yusef: Mona und Herr Che im Film, das ist die Geschichte von mir und meinem Lehrer. Ich bin 1996 als zehnjähriges Mädchen mit meinen Eltern aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet. Mit meinen beiden Brüdern, einer älter und einer jünger, habe ich Straßenfußball gespielt. Es ging hart her. In meiner Kindheit gab es keine Puppen, aber jeden Tag den Ball. Ich kam dann in diese chaotische Grundschule in Berlin-Wedding. Was mir ermöglichte, gesehen und anerkannt zu werden, als Mädchen, das seltsam spricht und eigenartige Klamotten trägt, war der Fußball. Die Mädchenmannschaft hatte viele gute Spielerinnen, aber es fehlte ein Puzzleteil: die Torhüterin.

DFB.de: Die Gewaltzahlen an Berliner Schulen steigen: von 2021 zu 2022 verdoppelte sich die Anzahl der von der Polizei an Berliner Schulen registrierten Rohheitsdelikte, von 1133 auf mehr als 2300 in einem Jahr. Darunter 370 gefährliche Körperverletzungen. Beobachten Sie diese Entwicklung?

Yusef: Für mich damals im Jahr 1996 war diese Grundschule im Wedding erstmal unbegreiflich. Im Irak, wo heute die Autonome Region Kurdistan liegt, mussten wir vor der ersten Stunde zum Fahnenappell antreten. Alle in Schuluniform. Wir mussten morgens der Direktorin unsere Fingernägel zeigen. Die ersten vier Jahre besuchte ich also im Irak die Schule. Dann komme ich an diese anarchistische Schule in Berlin. Wie konnten die Kinder es sich trauen, so mit den Lehrern umzugehen? Ich kapierte das nicht. Und die anderen Kinder dachten, die hat wohl einen Stock im Hintern. Ich kannte nur Frontalunterricht. Partizipation? Hä, dachte ich. Lehrer waren für mich absolute Respektpersonen und unerreichbar.

DFB.de: Ihre Filmfigur Mona steht immer auf, wenn der Lehrer den Klassenraum betritt.

Yusef: Ja, genau. Mit meinem Film wollte ich aber eben nicht mit dem Finger auf die Berliner Kids zeigen. Die steigende Gewalt, das ist doch nicht die Schuld der Kinder, jedenfalls nicht nur. Sie sind im Leben benachteiligt, vernachlässigt, die Klassen sind überfüllt, dazu kommen überforderte Lehrer, die für einen fürsorglichen Umgang keine Kraft und keine Zeit mehr haben. Ich wollte aufzeigen, wie man es trotzdem schaffen kann. Dieser emotionale Mix bei vielen Kids etwa im Wedding – ich habe nicht die Kohle, kann die Sprache nicht richtig, mir fehlen die Aufstiegschancen – mündet oft in eine Aufmüpfigkeit. Letztlich lastet alles zu sehr auf den Schultern der Lehrkräfte.

DFB.de: Manche Familien aus Syrien, dem Irak oder auch Familien mit türkischen Wurzeln tun sich schwer, wenn die Tochter Fußball spielen will. Schade eigentlich, oder?

Yusef: Bei mir gar nicht. Von meinen Brüdern gab es blöde Sprüche, klar. Aber meine Eltern hatten ganz andere Probleme, die mussten erstmal ankommen, sprachlich und beruflich etwa. Wir waren fünf Kinder. In meiner Schulmannschaft damals gab es zwei Stürmerinnen, die beide mit Kopftuch spielten. Hertha BSC sprach eine an. Sie wurde von ihrem Vater stark unterstützt, doch die Mutter war dagegen. Meine Tochter kriegt dann Männerbeine, so Sprüche (lacht). Jahre später habe ich meine Schulkameradin wiedergesehen, wie sie in einem Kiosk an der Kochstraße jobbte und ich dachte mir, heute hätte sie ganz andere Möglichkeiten. Ich glaube jedenfalls nicht, dass migrantische Eltern generell gegen das Fußballspielen ihrer Tochter sind. Manchmal fehlen Chancen sowie soziale und kulturelle Zugänge.

DFB.de: Die ehemalige Bundesligaspielerin Tugba Tekkal hat ein Förderprojekt, bei dem Mädchen mit einer familiären Zuwanderungsgeschichte zum Fußball eingeladen werden. Es tut sich also etwas.

Yusef: Tugba kommt mit ihren "Scoring Girls" zur Premiere des Films. Auch andere Initiativen wie „Clara Outreach“ sind vertreten. Diese Vereine leisten eine enorme Arbeit.

DFB.de: Anderes Thema: Der Rapsong "Sieger Sein" trifft den harten Ton an der Schule. Wie haben Sie das Lied gefunden?

Yusef: Zwei befreundete Musiker, Boris Rogowski und David Menke, mit denen ich ja auch bei der Netflix-Serie "Skylines" zusammengearbeitet hatte, produzierten mir diesen Song des Künstler MMFK. "Heroes", der Song beim Abspann, stammt von Ivy Quainoo, der Siegerin der ersten "Voice"-Staffel.

DFB.de: Wie zufrieden sind Sie mit ihrer Hauptdarstellerin Dileyla Agirman und mit Andreas Döhler, der den Herrn Che spielt?

Yusef: Dileyla stand noch nie vor der Kamera. Sie ist ein riesiges Talent und hat die Figur der Mona mit so viel gefüllt, mit Ernsthaftigkeit und manchmal kindlichem Leichtsinn. Andreas Döhler kennt man etwa aus dem „Tatort“. Die Rolle des Lehrers Herr Che ist schwierig. Der harte Ton, ohne dabei die Kinder zu verletzen, einfach weil er ihnen etwas bei- und näherbringen will. Er beugt sich nie runter zu den Kindern. Er zieht sie immer hoch. Das hat Andreas großartig gespielt.

DFB.de: Was kann Sport und vielleicht besonders der Fußball wirklich bewirken?

Yusef: Dass zeigt "Sieger Sein" in der ganzen Fülle. Wie Underdogs sich beweisen können. Auf dem Fußballplatz haben alle die gleichen Chancen, für alle gelten die gleichen Regeln. Es gibt keine Sprachbarriere. Fußball kann diesen Kindern und Jugendlichen Hoffnung spenden. Und man trifft andere Menschen, rückt zusammen. Das ist doch inspirierend. Sicher wächst die Resilienz. Am Ende des Films sagt Mona, die Torfrau: "Das ist mein Tor und das verteidige ich."

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