DER DFB
Teresa Enke: "Wir wollen Verständnis schaffen"
Am 10. November 2009 nahm sich Nationaltorwart Robert Enke das Leben. Er wurde 32 Jahre alt. Aus Anlass des 15. Todestags von Robert Enke veröffentlichen wir hier noch einmal ein Interview mit Teresa Enke aus dem Jahr 2019.
DFB.de: Frau Enke, die Bilder Ihrer Pressekonferenz einen Tag nach dem Suizid Ihres Mannes hat damals ganz Deutschland gesehen und bis heute nicht vergessen. Wie kamen Sie zu dem Entschluss, so öffentlich auftreten zu wollen?
Enke: Wir saßen alle bei uns draußen in Empede. Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Menschen. Jörg Schmadtke war da; Jörg Neblung, der damalige Pressesprecher von Hannover 96. Was können wir denn mitteilen? Es ging hin und her. Irgendwann habe ich dann gesagt: "Ich spreche über Robbi. Ich spreche über meinen Mann." Alle waren erleichtert, dass ich das schultern wollte. Meine Intention an dem Tag war noch überhaupt nicht, mal eine Stiftung zu gründen oder öffentlich über Depression zu reden. Ich wollte damals einfach nur für Robbi sprechen, für mich und unsere kleine Tochter Leila.
DFB.de: Blicken wir kurz zurück: Wie haben Sie Robert kennengelernt?
Enke: Das war in der 11. Klasse in Jena. Ich war dem bayerischen Schulsystem wegen des Latinums entflohen. Beim humanistischen Abitur in Bayern war das zumindest damals verpflichtend. Also habe ich mich fürs Sportgymnasium Jena angemeldet. Man überlegt ja als Teenager vor dem ersten Tag in der neuen Schule genau, wo setzt du dich hin. Ich hatte also beschlossen, du fängst hier neu an, du setzt dich nach vorne. Robbi saß in der ersten Reihe und neben ihm war noch ein Platz frei. Wir haben uns trotzdem selten gesehen, er war ja ständig mit dem FC Carl Zeiss Jena oder der DFB-Junioren-Nationalmannschaft unterwegs. Und mich hat Fußball null interessiert. Irgendwann saß er dann spätabends am Bahnhof, ich kam mit dem Zug zurück von meiner Familie. Er wusste nicht mal, mit welchem Zug ich fahren würde und hat da wohl ein paar Stunden am Bahnsteig gesessen. Ich sagte nur: "Was machst du denn hier?" Und er sagte: "Ich warte auf dich." Er hatte Charme. Und ich hatte damals einen festen Freund. Aber er war entschlossen und selbstbewusst.
DFB.de: Wann merkten Sie zum ersten Mal, dass Robert Probleme hat?
Enke: Beim Wechsel von Jena zu Borussia Mönchengladbach. Aber selbst das war für mich normal. Er war das erste Mal von zu Hause weg. Er war auf einmal dritter Torwart, nicht mehr der Star. Für Robbi war der Rückhalt durch den Trainer und die Fans immer wichtig. Bis er sich den erarbeitet hatte, war es für ihn schwierig. Damals in Gladbach hat es angefangen, dass es ihm schlecht ging, dass er nicht ins Training wollte. Richtig konfrontiert mit dem Thema Depression wurde ich das erste Mal in Lissabon. Als er direkt nach der Vertragsunterschrift wieder abreisen wollte. Jupp Heynckes war damals Trainer von Benfica. Und eine Stunde, nachdem Robbi den Vertrag unterschrieben hatte, wollte er wieder abreisen. Was wir dann ja auch gemacht haben. Später haben wir oft drüber gelacht. Er hat dann selbst gesagt "Der Rob mit dem kaputten Kopp." Damals an dem Nachmittag in Lissabon war ich fassungslos. "Du unterschreibst, und keine Stunde später sagst du, ich bleibe hier nicht" – so stand ich vor ihm. Das war Irrsinn (lacht). Neblung rief bei Norbert Pflippen in Deutschland an und der meinte "„Hau' ihm eine runter." Und Heynckes war stinksauer, weil er dachte, Robbi hätte ein besseres Angebot und wolle jetzt irgendwie rauskommen. Es war schwer, ich hatte Angst, und dann gab es wieder lustige Momente. So richtig begriffen habe ich’s aber erst in Istanbul. Da ging gar nichts mehr. Alles war dunkel.
DFB.de: Damals konnte er nach ein paar Tagen Urlaub mit Ihnen seinen Vertrag bei Benfica Lissabon antreten. Ließ seine Bedrückung erst mal wieder nach
Enke: Ja, er hat dann für Benfica gleich ein gutes Spiel gemacht. Die Fans haben ihn geliebt. Sobald er die Sicherheit hatte, machte er keine Fehler mehr. Er musste einfach spüren, dass der Trainer und alle wissen, was er kann, dass sie ihn ernst nehmen.
DFB.de: Wie schwer waren die dunklen Phasen für Sie selbst?
Enke: Schwer. Ich musste den Alltag aufrechterhalten und ich musste auch auf mich achten, nicht zuletzt, um ihm weiter helfen zu können. Am schlimmsten war das Versteckspiel. Es war ein Teufelskreis. Er wollte der Welt den Rücken kehren, er wollte nur im Dunkeln liegen, und dann wieder fehlten ihm sein Team, die Sprüche. Man muss sich nur das Foto von der Vertragsunterschrift in Istanbul anschauen. Er sieht aus wie ein gehetztes Tier. Nach Istanbul haben wir ihm klipp und klar gesagt, dass er sich Hilfe holen muss.
DFB.de: Wenn Sie heute an ihn denken, was fällt Ihnen ein?
Enke: Dass er unglaublich witzig sein konnte. Dass er fürsorglich war, er hat sich anderen angenommen. Er hat sein Leben geliebt, das weiß ich, auch wenn Halligalli nicht so seins war. Aber wenn er ausgeglichen war, hatten wir so schöne Tage. Wir haben zusammen gelacht. Und seine – und das meine ich positiv – Arroganz, die hat mir auch gefallen. Er wusste, was er kann.
DFB.de: Wie häufig kommt es zu depressiven Erkrankungen im Spitzenfußball?
Enke: Genauso oft wie in der Bevölkerung insgesamt: Zehn bis 15 Prozent erkranken im Laufe oder nach ihrer Karriere an Depressionen. Nur im Spitzenfußball ist es schwieriger, sich therapieren zu lassen. Die Fußballer haben Angst. Die biegen sich das erst mal zurecht, es ginge doch noch. Hier setzten wir mit der Arbeit der Robert-Enke-Stiftung an. In den Köpfen der Vereinsführung, der Trainer und Mitspieler musste etwas passieren. Dass ein Spieler nach einem Kreuzbandriss behandelt wird und dann wiederkommt, ist normal. So muss es irgendwann auch bei einer Depression sein. Und ich möchte in den Köpfen verankern, dass du nach einer Therapie stärker als je zuvor zurückkommen kannst.
DFB.de: Wie häufig wenden sich Profifußballer an Sie und die Stiftung?
Enke: Wir behandeln die Zahlen vertraulich. Es gibt viele Fälle, aber nicht nur aus dem Fußball, auch aus anderen Sportarten, auch Menschen ohne eine Bindung zum Sport. Wir bieten unter anderem die "Beratungshotline Seelische Gesundheit im Sport" als erste Kontaktstelle an. Wir garantieren binnen weniger Tage einen Therapieplatz. Insgesamt haben wir ein Netzwerk von mehr als 70 Sportpsychiatern bzw. -psychotherapeuten in ganz Deutschland geschaffen. Dazu ist es in den Nachwuchsleistungszentren verpflichtend geworden, einen Sportpsychologen unter anderem für die Prävention einzustellen.
DFB.de: Wie oft passiert es, dass jemand, der sich bei der Stiftung meldet, dies nicht gegenüber seinem Verein kundtut?
Enke: Das wissen wir nicht. Das geht uns auch nichts an. Für uns ist in erster Linie wichtig, dass der Betroffene professionelle Hilfe erhält. Wie er mit seiner Erkrankung umgehen möchte, ist seine ganz persönliche Entscheidung.
DFB.de: Wirken innerhalb des Systems Profifußball Faktoren, die eine Depression mitauslösen können?
Enke: Natürlich gibt es einen hohen Druck im Fußball. Wobei ich denke, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen heutzutage auch ziemlich viel Druck aushalten müssen. Oder jemand im niedrigen Lohnsektor, den treibt dann die Frage: "Kann ich nächsten Monat noch meine Familie anständig ernähren?" Die Robert-Enke-Stiftung kann den Fußball nicht verändern. Aber ich verachte es, wenn Medien Spieler persönlich diffamieren. Oder wenn Trainer sich verächtlich über Spieler äußern. Da läuft etwas aus dem Ruder. Journalisten, Trainer und Manager tragen eine Verantwortung, für das, was sie sagen. Ein bekannter und erfolgreicher Trainer hat mal über Robbi geurteilt, er habe keine Ausstrahlung. Das hat Robbi getroffen.
DFB.de: Hat sich nichts geändert?
Enke: Der Fußball ist Fußball und das hat auch nichts mit der Geschichte von Robert Enke zu tun. Nachdem die Medien berichtet hatten, dass er den Verein verlassen will, wurde er von den Gladbacher Fans angepöbelt, obwohl er in einer schwachen Mannschaft eine starke Saison spielte. Die riefen "Judas", "Erstick an deinem Geld", "Verräter". Er wollte dann, dass ich nicht mehr ins Stadion gehe. Aber diese Seiten des Fußballs – respektlose, verächtliche Fans oder Medien – haben ihn nicht umgebracht. Ich gebe dem Fußball keine Schuld.
DFB.de: Hat sich aus Ihrer Sicht in den Vereinen etwas verändert?
Enke: Ja, die meisten Klubs beschäftigen einen Sportpsychologen, zuvorderst mit dem Ziel der Leistungsoptimierung, aber dennoch hat der einen Blick auf die mentale Hygiene der Spieler. Auch in der Trainerausbildung wird heute Wissen über Depression und andere psychische Erkrankungen vermittelt. In den Nachwuchsleistungszentren sind Psychologen verpflichtend beschäftigt. Da hat sich viel getan. Der Autor Ronald Reng geht mit Ex-Profi Martin Amedick zu den Vereinen, um einen interaktiven Vortrag zu halten, was sehr gut von den jungen Spielern angenommen wird. Es bewegt sich viel und die Notwendigkeit dafür nimmt auch weiter zu.
DFB.de: Wie gehen Sie selbst mit der Fassungslosigkeit von Menschen um, die nicht verstehen können, warum sich ein junger, erfolgreicher und beliebter Nationalspieler das Leben nimmt?
Enke: Ich war ja genauso fassungslos und bin es eigentlich bis heute. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, ein Mensch, der zwar auf der einen Seite ängstlich ist, auf der anderen aber das Leben liebt? Was macht diese Krankheit mit einem Menschen? Bis zu dem Punkt, dass einer sagt, ich ertrage es nicht mehr in meinem Kopf. Der in den gesunden Phasen der liebevollste Ehemann, Freund und Vater war. Und dann sagen Leute, er kann ja wohl kein liebender Ehemann gewesen sein, sonst hätte er doch seine Familie nicht alleine gelassen. Nicht Robbi hat uns alleine gelassen. Diese Krankheit hat das mit ihm getan. In dem Moment damals am 10. November 2009, das war nicht Robbi.
DFB.de: Wie werden Sie den 10. November verbringen?
Enke: Robbis Mama kommt, wir werden ans Grab fahren, Freunde kommen zu Besuch. Wir werden an Robbi denken. Und uns die schönen und lustigen Geschichten erzählen. Traurig werde ich auch sein – schließlich fehlt er uns.
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Autor: dfb
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