3. Liga

Neuer RWE-Trainer Uwe Koschinat: "Das ist ein Quantensprung"

19.01.2025
RWE-Trainer Uwe Koschinat: "Es wird auf einen langen Atem ankommen" Foto: Getty Images

Uwe Koschinat soll den Traditionsklub Rot-Weiss Essen in der Rückrunde der 3. Liga aus der Abstiegszone führen. Gleich zum Auftakt der zweiten Saisonhälfte steht am heutigen Sonntag (ab 16.30 Uhr, live bei MagentaSport) der Klassiker bei Alemannia Aachen an. Im DFB.de-Interview spricht der 53 Jahre alte RWE-Cheftrainer mit Mitarbeiter Ralf Debat über den Kampf um den Klassenverbleib und die Entwicklung der Liga.

DFB.de: Rot-Weiss Essen startet bei Alemannia Aachen in die Rückrunde. Ist Ihr Team gut vorbereitet, Herr Koschinat?

Uwe Koschinat: Unter dem Strich haben wir eine erfolgreiche Vorbereitung absolviert, zunächst in der Heimat mit einem gelungenen Testspiel gegen den niederländischen Zweitligisten FC Emmen, dann mit dem sehr guten Trainingslager in der Türkei. Wermutstropfen waren, dass mit Torben Müsel ein wichtiger Spieler die Reise aufgrund von Rückenproblemen nicht mit antreten konnte und dass sich Thomas Eisfeld vor Ort am Oberschenkel verletzte und vorerst ausfallen wird. Er hatte zuvor einen richtig guten Eindruck gemacht. Dennoch haben wir gut gearbeitet und sind für den Start gerüstet.

DFB.de: Mehr als 30.000 Fans werden im Tivoli-Stadion erwartet. Ist das auch für Sie als erfahrener Trainer etwas Besonderes?

Koschinat: Es ist immer etwas Besonderes, auf diesem Niveau zu coachen. Bei einer solchen Kulisse gilt das erst recht. Ich bin nicht so abgezockt, um das als Selbstverständlichkeit anzusehen, auch wenn ich beispielsweise auch schon in Hamburg vor mehr als 50.000 Leuten an der Seitenlinie stand. Im Vordergrund steht aber immer das Team. Für uns wird es darauf ankommen, in diesem Hexenkessel von Beginn an voll da zu sein und mit der richtigen Körpersprache aufzutreten.

DFB.de: Der Abstand zur Alemannia beträgt schon acht Punkte. Treffen dennoch zwei direkte Konkurrenten aufeinander?

Koschinat: Damit sollten wir uns jetzt gar nicht erst beschäftigen. Für uns geht es in der Rückrunde darum, genügend Punkte zu sammeln, um den Klassenverbleib zu sichern. Gegen welche Gegner wir die Zähler holen, spielt keine wesentliche Rolle. Die Vergangenheit hat oft genug gezeigt, dass noch Mannschaften unten reinrutschen, die zur Winterpause gar nicht damit rechnen, und dass sich umgekehrt noch Teams befreien, die für einige schon abgeschrieben waren. Es wird auf einen langen Atem ankommen.

DFB.de: Welche Bedeutung hat das Auftaktspiel denn für den weiteren Saisonverlauf?

Koschinat: Ich habe jetzt schon oft gehört, es sei ein richtungsweisendes Spiel. Da wäre ich lieber vorsichtig. Wenn wir gewinnen, sind wir nicht gerettet, bei einer Niederlage aber auch nicht abgestiegen. Es sind noch sehr viele Spiele bis zum Saisonende. Entscheidend ist, dass wir nach dem 38. Spieltag über dem Strich stehen.

DFB.de: Nach zuletzt sechs Spielen ohne Sieg musste Ihre Mannschaft auf einem Abstiegsplatz überwintern. Hat das die Vorbereitung erschwert oder sogar erleichtert?

Koschinat: Erleichtert sicherlich nicht. Jeder Punkt mehr auf dem Konto hätte unsere Ausgangslage verbessert. Außerdem waren die Sinne auch schon vor der Winterpause geschärft, nicht zuletzt durch den Trainerwechsel. Jeder bei uns weiß, worum es geht.

DFB.de: Die Zeit nach der kurzen Weihnachtspause war knapp. Worauf haben Sie ganz besonders den Fokus gelegt?

Koschinat: Der Schlüssel, um unser Ziel zu erreichen, wird die Stabilität in der Defensive sein. Da benötigen wir klare Abläufe und Strukturen. Außerdem haben wir intensiv daran gearbeitet, in jeglicher Beziehung widerstandsfähiger zu werden. Beim 1:1 im abschließenden Testspiel gegen Dynamo Dresden sah das schon sehr ordentlich aus. Das gibt uns allen ein gutes Gefühl.

DFB.de: Was stimmt Sie sonst noch optimistisch?

Koschinat: Im Vergleich zu den beiden Partien vor der Winterpause hat sich die personelle Situation deutlich verbessert - zum einen durch unsere Neuverpflichtungen, aber auch durch die Rückkehr von verletzten oder gesperrten Spielern. Das abschließende Heimspiel gegen den VfB Stuttgart II, aber auch die Vorbereitung haben außerdem gezeigt, dass unsere Fans in dieser prekären Situation bedingungslos hinter der Mannschaft stehen.

DFB.de: Mit Klaus Gjasula wurde ein Routinier verpflichtet, der im Vorjahr mit Albanien noch an der EM teilgenommen hatte. Was erwarten Sie von ihm?

Koschinat: Klaus soll und kann der Schlüssel für die gewünschte defensive Stabilität sein. Er ist auf Anhieb der Mittelpunkt unseres Spiels, gibt Anweisungen, die anderen können sich an ihm orientieren. Er ist körperlich voll auf der Höhe, hat das Programm komplett durchgezogen. Gemeinsam mit Torhüter Jakob Golz, unseren Innenverteidigern sowie Ahmet Arslan auf der Zehnerposition wird er eine starke Achse bilden.

DFB.de: Für den Angriff kam unter anderem Dominik Martinovic, der in der 3. Liga vor allem im Trikot des SV Waldhof Mannheim sehr erfolgreich war. Ist RWE jetzt auch in der Offensive gut genug aufgestellt?

Koschinat: Es ist klar, dass wir insgesamt auch torgefährlicher werden müssen, als es in der Hinserie der Fall war. Dazu wird Dominik seinen Beitrag leisten. Er verfügt über eine hohe Geschwindigkeit und ist heiß darauf, Tore zu erzielen. Nach dem zurückliegenden Halbjahr mit wenig Spielpraxis ist er noch nicht bei 100 Prozent, konnte aber auch jede Trainingseinheit mitmachen und hat seine Qualitäten schon gezeigt.

DFB.de: In der Hinrunde reichte es lediglich zu 17 Punkten. Haben Sie schon eine Hochrechnung angestellt, wie gut RWE in der Rückserie abschneiden muss?

Koschinat: Unser Ziel muss es sein, die Marke von 45 oder 46 Punkten zu erreichen. Es ist klar, dass wir dafür eine sehr gute Rückrunde spielen müssen. Aber das traue ich uns zu.

DFB.de: Im Trainingslager in der Türkei waren rund 200 Anhänger vor Ort, die Stimmung wirkte fast euphorisch. Wie sehr berührt und pusht so was auch das Team?

Koschinat: Ich habe die Atmosphäre ebenfalls als sehr positiv wahrgenommen, speziell beim gemeinsamen Abend mit den Fans, aber auch beim Testspiel und bei den Trainingseinheiten. In dieser Form habe ich das während meiner Karriere auch noch nicht erlebt. Zur Euphorie besteht in unserer Situation sicherlich kein Anlass. Aber es tut gut, dass die Leute unserer Arbeit vertrauen und voller Hoffnung sind.

DFB.de: Die Partie in Aachen wird Ihr 219. Spiel in der 3. Liga sein. Damit kommen Sie unter den derzeitigen 20 Trainern auf die meisten Einsätze und belegen in der Liste der Rekordtrainer insgesamt Platz sieben. Was bedeutet Ihnen das?

Koschinat: Das ist zweifellos etwas Besonderes. Gerade wenn ich an meine Anfangszeit als Co-Trainer bei der TuS Koblenz oder dann an meine erste Cheftrainerstelle beim damaligen Aufsteiger Fortuna Köln in der Regionalliga West zurückdenke, wird mir erst bewusst, welch lange Strecke dafür zurückgelegt werden musste, um mehr als 300 Partien in der 2. Bundesliga und der 3. Liga bestreiten zu können. In der täglichen Arbeit ist mir das aber gar nicht so bewusst. Da zählt das Hier und Jetzt.

DFB.de: Wie sehr hilft Ihnen die große Erfahrung denn in der aktuellen Lage?

Koschinat: Es hilft definitiv, um klare Entscheidungen zu treffen und die Richtung vorzugeben. Dafür ist Erfahrung ein wichtiger Faktor. Es wäre aber falsch, nur darauf zu setzen, was früher mal funktioniert hat. Dafür sind die einzelnen Vereine zu unterschiedlich. Jede Situation erfordert auch andere Impulse und Herangehensweisen.

DFB.de: Vor mehr als zehn Jahren waren Sie mit Fortuna Köln erstmals in der 3. Liga aktiv. Wie bewerten Sie die Entwicklung der Spielklasse seitdem?

Koschinat: Das ist ein Quantensprung. Schon damals waren zahlreiche Traditionsvereine, die viele Menschen bewegen, in der 3. Liga am Start. Dennoch ist das mit der heutigen Situation nicht mehr vergleichbar.

DFB.de: Was sind die größten Unterschiede?

Koschinat: Die mediale Präsenz hat sich vervielfacht, jedes Spiel wird live übertragen. Die Zuschauerzahlen gehen fast Jahr für Jahr noch weiter nach oben, die Liga bekommt einen immer höheren Stellenwert und ist sportlich nicht weit von der 2. Bundesliga entfernt. Ein wesentlicher Unterschied ist auch, dass es seit einigen Jahren nicht mehr drei, sondern vier direkte Absteiger gibt. Das hat den Wettbewerb noch einmal deutlich verändert.

DFB.de: Welche Merkmale zeichnen die Liga vor allem aus?

Koschinat: Das Interesse ist auf allen Ebenen riesig. Viele ambitionierte Trainer arbeiten in dieser Liga und haben einen großen Einfluss auf ihre Teams. Es wird ein sehr körperlicher Fußball gespielt, aber auch gepaart mit taktischen Finessen. Spannend ist die unterschiedliche Ausrichtung vieler Mannschaften, beispielsweise auch durch die U 23-Teams mit ihren Toptalenten. Sportlich sind nahezu alle Teams auf einem ähnlichen Niveau, so dass wirklich auch der Tabellenletzte den Spitzenreiter besiegen kann.

DFB.de: Ihr Sohn Jan-Ole ist ebenfalls als Trainer tätig, arbeitet im Nachwuchsbereich von Fortuna Köln. Wie verfolgen Sie seinen Werdegang? Nimmt er Ihre Ratschläge an?

Koschinat: Wir sind täglich in einem sehr engen Austausch, natürlich möchte ich Ratgeber und auch Vorbild sein. Grundsätzlich lege ich aber Wert darauf, dass er seinen eigenen Weg geht, und das macht er auch schon sehr gut. Ole absolviert aktuell ein kaufmännisches Studium, trainiert die U 14 der Fortuna und ist gleichzeitig noch Co-Trainer bei der U 19. Als nächsten Schritt strebt er die B+-Lizenz an. Das alles macht mich schon sehr stolz.

DFB.de: Könnten Sie sich eines Tages auch eine Zusammenarbeit vorstellen?

Koschinat: Warum nicht? Vielleicht werde ich mal sein Co-Trainer. (lacht) Wie gesagt: Er ist noch jung, soll seine eigenen Erfahrungen machen. Dennoch ist mir seine Meinung schon jetzt wichtig. Kürzlich war er mal einige Tage bei uns beim Training dabei, um mir über die Schulter zu schauen. Das war schon sehr angenehm.

Kategorien: 3. Liga

Autor: mspw