Zurück auf dem Fußballplatz: Voss im Glück

Andreas Voss war mal Junioren-Nationalspieler. Seit dieser Saison trainiert der 36-Jährige einen Landesligisten vom Niederrhein. Alles bis hierhin normal. Doch Voss hat eine dramatische Geschichte hinter sich. Vor etwas mehr als einem Jahr lag er im Koma, wäre beinahe gestorben. Noch im Krankenhaus beschloss er, wieder als Trainer einzusteigen. Sein nächstes Ziel: Fußball-Lehrer werden.

Andreas Voss kommt ein paar Minuten zu spät zum Termin. Er entschuldigt sich sofort. "Sorry, das kommt bei der Dreifachbelastung schon mal vor", sagt er und grinst. Voss muss sich nach dem Aufstehen um Sohn Noah, sechs Jahre alt, und die zweijährige Tochter Amelie kümmern. Da Ehefrau Daniela berufstätig ist, schmeißt der 36-Jährige den Haushalt. Und dann gibt es noch den Trainerjob: Voss coacht seit Saisonbeginn die Landesliga-Mannschaft des SV Viktoria Goch, einem Klub aus einer Kleinstadt am Niederrhein. Das bedeutet, neben Spielen und Trainingseinheiten unzählige Telefonate zu führen und die kommenden Gegner zu studieren. Voss will nichts dem Zufall überlassen.

Voss gehörte zu den größten Talenten Deutschlands

"Meine Tage sind schon ziemlich vollgepackt. Da merke ich manchmal die Nachwirkungen der Geschichte noch", sagt Voss. Er sagt Geschichte. Überlebenskampf würde besser passen. Voss bestellt einen Latte macchiato und beginnt zu erzählen. Doch bevor er über die dramatischen Tage im Sommer 2014 spricht, geht es um seine Zeit als Fußballprofi. Voss gehörte um die Jahrtausendwende zu den größten Talenten in Deutschland. Er trug das Trikot der U 21 und spielte für das "Team 2006", die Perspektivauswahl des DFB. Seine Teamkollegen waren spätere Ausnahmespieler wie Sebastian Kehl, Christoph Metzelder und Sebastian Deisler. Auch Roman Weidenfeller, Weltmeister von 2014, stand gemeinsam mit Voss auf dem Platz.

Der Mittelfeldspieler brachte ebenfalls alles für eine große Karriere mit: Leidenschaft, Spielintelligenz, Technik. Doch Verletzungen warfen Voss immer wieder zurück. Sehnenabrisse, Rückenprobleme und ein Knorpelschaden im Knie zwangen ihn zu langen Pausen. "Mir fehlte das nötige Glück", sagt er heute über seine Zeit als Spieler. So musste Voss mit 29 Jahren seine Karriere beenden. Es hatte nicht für mehr gereicht als insgesamt 22 Bundesliga- und 96 Zweitliga-Spiele für den MSV Duisburg und den VfL Wolfsburg. Voss entschied sich, die Trainer-Laufbahn einzuschlagen. "Ich wollte dem Fußball treu bleiben. Schließlich liebe ich den Sport so sehr", sagt er.

Routine-OP löst Kampf um sein Leben aus

Voss war glücklich, als die Gocher ihm ein Angebot machten. Er nahm es an, verhandelte mit Spielern und tüftelte am Vorbereitungsplan. Im Sommer 2014 sollte es losgehen. Zuvor stand Voss noch eine Routine-OP bevor. Beim Eingriff am 20. Juni 2014 lief auf den ersten Blick alles glatt. Doch eine Woche später bekam Voss hohes Fieber und Schüttelfrost. Eine bakterielle Infektion – so erfährt er Wochen später – löste dies aus. "Das war wie eine Grippe mal Hundert", so beschreibt er es. Seine Frau brachte ihn ins Krankenhaus. Dort verschlechterte sich sein Zustand. Die Ärzte versetzten Voss in ein künstliches Koma. Die Organe versagten. Nur eine Herz-Lungen-Maschine hielt ihn am Leben.

Die Ärzte sagten seiner Frau, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen müsse. Es schien, als würde Voss den Kampf um Leben und Tod verlieren. Am Ende gewann er ihn – nach zwölf Tagen im Koma. "Als meine Frau mir erzählt hat, was gewesen ist, stand ich erst mal unter Schock", sagt der Ex-Profi. Doch Voss kämpfte sich zurück ins Leben. "Die ganzen Nachrichten von meinen alten Weggefährten haben mir dabei sehr geholfen", sagt er. Ehefrau Daniela las ihm die Genesungswünsche von Bayern Münchens Technischem Direktor Michael Reschke vor. Sie kannten sich von Bayer Leverkusen. Dort hatte Voss in der Jugend gespielt. Auch Ivo Grlic, Manager beim MSV Duisburg, hatte an seinen Kumpel geschrieben, als dieser noch im Koma lag. Daniela Voss verbrachte viele Stunden damit, ihrem Mann vorzulesen. Die Nachrichten bauten ihn auf. Unterdessen war Deutschland Weltmeister geworden. Die Spiele schaute er sich später an.

Voss' großes Ziel: Teilnahme am Fußball-Lehrer-Lehrgang

Noch im Krankenhaus fasste er den Entschluss, bald wieder als Trainer zu arbeiten. Mit einem Jahr Verspätung stieg Voss ein. "Das war schon ein tolles Gefühl, in der Kabine zu stehen und mit den Spielern zu sprechen", erzählt er. Das Gehör bereitet ihm bis heute Probleme, auf dem rechten Ohr beträgt das Hörvermögen nur noch 30, auf dem linken 70 Prozent. Es ist ein Folgeschaden des Komas. Aber den kann Voss verschmerzen. Er trägt heute zwei Hörgeräte. Ansonsten hat er ähnliche Probleme wie viele seiner Kollegen in der Landesliga. Gesperrte Rasenplätze im Winter. Fehlzeiten von Spielern wegen Wechselschichten. Bittere Niederlagen. Im Spätherbst 2015 gab es davon vier in Serie. Doch Voss dachte nicht daran, aufzugeben. Im Gegenteil: Er verlängerte seinen Vertrag bei den Gochern um eine weitere Saison. "Ich bin überzeugt, dass wir die Klasse halten werden", sagt Voss.

Ihm gefällt es bei diesem Verein, der so unaufgeregt ist wie er selbst. Und doch will er dieses familiäre Umfeld irgendwann wieder verlassen. "Wenn sich meine Gesundheit stabilisiert, dann möchte ich noch höherklassig trainieren", sagt Voss. Sein großes Ziel: die Teilnahme am Fußball-Lehrer-Lehrgang des DFB. Eigentlich wollte er sich schon für den 2015er-Jahrgang bewerben. Doch dann kam der Kampf um sein Leben dazwischen. "Nun verschiebt sich alles. Das ist halb so wild", sagt Voss. Dann verabschiedet er sich. Seine Jobs als Familienvater, Hausmann und Trainer von Amateurfußballern warten.

[dd]

Andreas Voss war mal Junioren-Nationalspieler. Seit dieser Saison trainiert der 36-Jährige einen Landesligisten vom Niederrhein. Alles bis hierhin normal. Doch Voss hat eine dramatische Geschichte hinter sich. Vor etwas mehr als einem Jahr lag er im Koma, wäre beinahe gestorben. Noch im Krankenhaus beschloss er, wieder als Trainer einzusteigen. Sein nächstes Ziel: Fußball-Lehrer werden.

Andreas Voss kommt ein paar Minuten zu spät zum Termin. Er entschuldigt sich sofort. "Sorry, das kommt bei der Dreifachbelastung schon mal vor", sagt er und grinst. Voss muss sich nach dem Aufstehen um Sohn Noah, sechs Jahre alt, und die zweijährige Tochter Amelie kümmern. Da Ehefrau Daniela berufstätig ist, schmeißt der 36-Jährige den Haushalt. Und dann gibt es noch den Trainerjob: Voss coacht seit Saisonbeginn die Landesliga-Mannschaft des SV Viktoria Goch, einem Klub aus einer Kleinstadt am Niederrhein. Das bedeutet, neben Spielen und Trainingseinheiten unzählige Telefonate zu führen und die kommenden Gegner zu studieren. Voss will nichts dem Zufall überlassen.

Voss gehörte zu den größten Talenten Deutschlands

"Meine Tage sind schon ziemlich vollgepackt. Da merke ich manchmal die Nachwirkungen der Geschichte noch", sagt Voss. Er sagt Geschichte. Überlebenskampf würde besser passen. Voss bestellt einen Latte macchiato und beginnt zu erzählen. Doch bevor er über die dramatischen Tage im Sommer 2014 spricht, geht es um seine Zeit als Fußballprofi. Voss gehörte um die Jahrtausendwende zu den größten Talenten in Deutschland. Er trug das Trikot der U 21 und spielte für das "Team 2006", die Perspektivauswahl des DFB. Seine Teamkollegen waren spätere Ausnahmespieler wie Sebastian Kehl, Christoph Metzelder und Sebastian Deisler. Auch Roman Weidenfeller, Weltmeister von 2014, stand gemeinsam mit Voss auf dem Platz.

Der Mittelfeldspieler brachte ebenfalls alles für eine große Karriere mit: Leidenschaft, Spielintelligenz, Technik. Doch Verletzungen warfen Voss immer wieder zurück. Sehnenabrisse, Rückenprobleme und ein Knorpelschaden im Knie zwangen ihn zu langen Pausen. "Mir fehlte das nötige Glück", sagt er heute über seine Zeit als Spieler. So musste Voss mit 29 Jahren seine Karriere beenden. Es hatte nicht für mehr gereicht als insgesamt 22 Bundesliga- und 96 Zweitliga-Spiele für den MSV Duisburg und den VfL Wolfsburg. Voss entschied sich, die Trainer-Laufbahn einzuschlagen. "Ich wollte dem Fußball treu bleiben. Schließlich liebe ich den Sport so sehr", sagt er.

Routine-OP löst Kampf um sein Leben aus

Voss war glücklich, als die Gocher ihm ein Angebot machten. Er nahm es an, verhandelte mit Spielern und tüftelte am Vorbereitungsplan. Im Sommer 2014 sollte es losgehen. Zuvor stand Voss noch eine Routine-OP bevor. Beim Eingriff am 20. Juni 2014 lief auf den ersten Blick alles glatt. Doch eine Woche später bekam Voss hohes Fieber und Schüttelfrost. Eine bakterielle Infektion – so erfährt er Wochen später – löste dies aus. "Das war wie eine Grippe mal Hundert", so beschreibt er es. Seine Frau brachte ihn ins Krankenhaus. Dort verschlechterte sich sein Zustand. Die Ärzte versetzten Voss in ein künstliches Koma. Die Organe versagten. Nur eine Herz-Lungen-Maschine hielt ihn am Leben.

Die Ärzte sagten seiner Frau, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen müsse. Es schien, als würde Voss den Kampf um Leben und Tod verlieren. Am Ende gewann er ihn – nach zwölf Tagen im Koma. "Als meine Frau mir erzählt hat, was gewesen ist, stand ich erst mal unter Schock", sagt der Ex-Profi. Doch Voss kämpfte sich zurück ins Leben. "Die ganzen Nachrichten von meinen alten Weggefährten haben mir dabei sehr geholfen", sagt er. Ehefrau Daniela las ihm die Genesungswünsche von Bayern Münchens Technischem Direktor Michael Reschke vor. Sie kannten sich von Bayer Leverkusen. Dort hatte Voss in der Jugend gespielt. Auch Ivo Grlic, Manager beim MSV Duisburg, hatte an seinen Kumpel geschrieben, als dieser noch im Koma lag. Daniela Voss verbrachte viele Stunden damit, ihrem Mann vorzulesen. Die Nachrichten bauten ihn auf. Unterdessen war Deutschland Weltmeister geworden. Die Spiele schaute er sich später an.

Voss' großes Ziel: Teilnahme am Fußball-Lehrer-Lehrgang

Noch im Krankenhaus fasste er den Entschluss, bald wieder als Trainer zu arbeiten. Mit einem Jahr Verspätung stieg Voss ein. "Das war schon ein tolles Gefühl, in der Kabine zu stehen und mit den Spielern zu sprechen", erzählt er. Das Gehör bereitet ihm bis heute Probleme, auf dem rechten Ohr beträgt das Hörvermögen nur noch 30, auf dem linken 70 Prozent. Es ist ein Folgeschaden des Komas. Aber den kann Voss verschmerzen. Er trägt heute zwei Hörgeräte. Ansonsten hat er ähnliche Probleme wie viele seiner Kollegen in der Landesliga. Gesperrte Rasenplätze im Winter. Fehlzeiten von Spielern wegen Wechselschichten. Bittere Niederlagen. Im Spätherbst 2015 gab es davon vier in Serie. Doch Voss dachte nicht daran, aufzugeben. Im Gegenteil: Er verlängerte seinen Vertrag bei den Gochern um eine weitere Saison. "Ich bin überzeugt, dass wir die Klasse halten werden", sagt Voss.

Ihm gefällt es bei diesem Verein, der so unaufgeregt ist wie er selbst. Und doch will er dieses familiäre Umfeld irgendwann wieder verlassen. "Wenn sich meine Gesundheit stabilisiert, dann möchte ich noch höherklassig trainieren", sagt Voss. Sein großes Ziel: die Teilnahme am Fußball-Lehrer-Lehrgang des DFB. Eigentlich wollte er sich schon für den 2015er-Jahrgang bewerben. Doch dann kam der Kampf um sein Leben dazwischen. "Nun verschiebt sich alles. Das ist halb so wild", sagt Voss. Dann verabschiedet er sich. Seine Jobs als Familienvater, Hausmann und Trainer von Amateurfußballern warten.

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