Zorniger: "Würde beim Handspiel mehr nach der Intention gehen"

Auch im diesjährigen Trainingslager der Elite-Schiedsrichter gab es einen regen Austausch zwischen Unparteiischen und Trainern. Zu Gast in Herzogenaurach waren diesmal Michael Köllner vom Bund Deutscher Fußball-Lehrer und Alexander Zorniger, der Chefcoach der SpVgg Greuther Fürth. Im DFB.de-Interview sprachen Alex Feuerherdt und Marcel Voß mit den beiden über das Verhältnis von Unparteiischen und Übungsleitern, spieltaktische Herausforderungen für die Referees, eine Regeländerung beim Strafstoß und die Handspielregel.

DFB.de: Herr Köllner, was sind Ihre Eindrücke vom Trainingslager der Elite-Schiris?

Michael Köllner: Für mich war es sehr interessant und aufschlussreich, einmal hinter die Kulissen zu blicken. Hier im Trainingslager der Schiris gab es die Möglichkeit, sich einmal näher kennenzulernen und intensiver auszutauschen. Dafür hat man während der Saison oft nur wenig Zeit. Bei den Regelschulungen für die Schiedsrichter gab es eine große Klarheit, das fand ich gut. Man merkt den Willen, bei den Spielleitungen in der anstehenden Saison möglichst einheitlich, konsequent und berechenbar vorzugehen.

DFB.de: Sie kennen die Perspektive der Unparteiischen gut, weil Sie selbst vor 32 Jahren die Schiri-Prüfung absolviert und danach auch Spiele gepfiffen haben. Wie kam es dazu?

Köllner: Es war damals Pflicht, beim Erwerb der B-Lizenz als Trainer auch eine Schiedsrichter-Prüfung abzulegen und zehn Spiele zu pfeifen. Diese Prüfung gibt es heute noch, aber die Spielleitungen sind nicht mehr verpflichtend. Das habe ich persönlich nie verstanden, denn ich finde es wichtig, den Perspektivwechsel vom Trainer zum Schiedsrichter selbst zu erleben. Ich bin dann Mitglied der Schiedsrichtergruppe Marktredwitz geblieben, war jahrelang Referent bei Neulingskursen und habe mich dort immer wohl gefühlt. Der Austausch mit den Unparteiischen ist auch sehr wertvoll für mich. Und als ich mal Trainer eines Jugendteams war, habe ich die Spieler motiviert, alle zusammen die Schiri-Prüfung zu absolvieren. Einige von ihnen pfeifen heute noch.

DFB.de: Reagieren Sie als Trainer verständnisvoller auf die Schiris, weil Sie deren Perspektive kennen?

Köllner: Nein. (lacht) Ich erwische mich selbst immer mal wieder dabei, dass ich überreagiere, und meine Frau fragt mich nach einem Spiel manchmal auch, ob das wirklich nötig war, so aus dem Sattel zu gehen. Der Druck, die Anspannung und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, sind oft groß, ich gebe als Trainer alles für meine Mannschaft. Und dann passiert es leider schon mal, dass ich eine Grenze überschreite. Ein Unschuldslamm bin ich sicherlich nicht. Wichtig ist aber, dass nichts hängen bleibt. Ich weiß nach einem Spiel meist sehr schnell schon gar nicht mehr, wer es gepfiffen hat, und erinnere mich dann auch bei der nächsten Begegnung mit dem betreffenden Schiedsrichter nicht mehr daran. Es gibt also keine Vorbelastung.

DFB.de: Wie ließe sich das Verhältnis zwischen Trainern und Unparteiischen denn verbessern?

Alexander Zorniger: Grundsätzlich führt Kommunikation miteinander dazu, dass es mehr Verständnis füreinander gibt. Wir stehen alle unter Strom, wenn es raus auf den Platz geht. Und wenn ich den Menschen besser kenne, mit dem ich im Spiel zu tun habe, beeinflusst das den Umgang miteinander. Das gilt für den Trainerkollegen im betreffenden Spiel, aber eben auch für den Schiedsrichter.

DFB.de: In der Gesprächsrunde mit den Referees haben Sie das immer häufiger zu beobachtende Blocken von Angreifern durch gegnerische Verteidiger thematisiert. Inwiefern sollten sich die Schiedsrichter verstärkt damit beschäftigen?

Zorniger: Die immer dynamischer werdenden vertikalen Bewegungen der Stürmer kannst du als Verteidiger nicht in einer Drehbewegung so aufnehmen, dass du im gleichen Geschwindigkeitsbereich bist wie der Angreifer. Also versuchst du, seine Geschwindigkeit zu bremsen, und das kannst du durch das Blockverhalten. Spanien beispielsweise macht das bei jedem Spielzug des Gegners. Für die Schiedsrichter ist es natürlich eine Herausforderung, darauf bei der Regelauslegung zu reagieren. Da gibt es viele Grenzfälle, aber wenn ein Spieler dem Gegner durch einen Block eine klare Vorteilsposition nimmt, müsste das geahndet werden.

DFB.de: So wie im Achtelfinale der Europameisterschaft zwischen Deutschland und Dänemark, als ein Tor von Nico Schlotterbeck nach einem Eckstoß nicht zählte, weil Joshua Kimmich zuvor einen Gegenspieler unfair weggeblockt hatte?

Köllner: Aus meiner Sicht war das ein Foul, das Tor ist also zu Recht annulliert worden. Ich glaube allerdings nicht, dass das auch bei uns alle Schiris abpfeifen würden.

Zorniger: Ich hätte es nicht gepfiffen, aber das Blocken bei Standardsituationen ist auch noch mal ein anderes Thema als das Blocken im laufenden Spiel. Für die Schiris ist sicherlich beides von Belang, und es ist wichtig, dass sie da zu einer berechenbaren Regelauslegung kommen.

DFB.de: Beim Thema Handspiel sagten Sie, Herr Zorniger, die Spieler wüssten in der Regel genau, was sie mit ihren Armen und Händen machen, verstünden es aber gut, absichtliche Handlungen unabsichtlich aussehen zu lassen. Entscheiden die Unparteiischen aus Ihrer Sicht also eher zu selten auf strafbares Handspiel?

Zorniger: Das kommt darauf an. Beim seitlichen Verteidigen von Flanken wird mir zu häufig auf strafbares Handspiel erkannt – da ergibt sich die Armhaltung oft aus einer normalen Laufbewegung, und das sollte nicht bestraft werden. Bei Torschüssen dagegen sieht es vielfach anders aus. Wenn der Ball aufs Tor kommt und da plötzlich die Hand eines Verteidigers im Weg ist und den Ball ablenkt, ist das für mich häufiger strafbar, als es die Schiedsrichter entscheiden. Kurz gesagt: Nach meinem Dafürhalten sollte es weniger Handelfmeter bei Flanken geben, aber mehr bei Torschüssen.

DFB.de: Das Regelwerk unterscheidet beim Handspiel allerdings nicht zwischen Flanken und Torschüssen – und generell nicht, ob der Ball aufs Tor kommt oder nicht.

Zorniger: Ja, aber die Spieler können das Risiko meist gut einschätzen. Und wenn der Ball gefährlich aufs Tor kommt, nehmen sie das auch wahr. Aber ein Handelfmeter, wie ihn Deutschland im EM-Spiel gegen Dänemark bekommen hat – das ist für mich einfach keiner. Seitliche Flanke, eine kaum erkennbare Berührung mit der Hand, die Flugbahn des Balles hat sich auch nicht verändert. Da steht die Sanktion in keinem Verhältnis zum "Vergehen". Anders war es im Spiel zwischen Deutschland und Spanien. Das Handspiel von Cucurella hätte aus meiner Sicht unbedingt einen Strafstoß nach sich ziehen müssen. Der wusste genau, wo sein Arm ist und was er mit ihm macht.

Köllner: Mich stört an der gegenwärtigen Handspielregel nicht zuletzt, dass sie zu unnatürlichen Bewegungen der Spieler geführt hat. Da müsste man unbedingt noch einmal ran, weil es nicht sein kann, dass die Spieler ihre Arme auf dem Rücken verschränken, um kein Handspiel zu begehen. Der Fußball benötigt eine Handspielregel, die für Spieler, Trainer und Fans, aber auch für die Schiedsrichter wieder völlig eindeutig ist.

Zorniger: Ich würde auch die Regel wieder abschaffen, nach der ausnahmslos jedes Handspiel des Torschützen unmittelbar vor der Torerzielung strafbar ist, also auch ein völlig unabsichtliches und unvermeidbares. Insgesamt würde ich wieder viel mehr nach der Absicht, der Intention der Spieler gehen und weniger technisch urteilen, wann eine "unnatürliche Vergrößerung" des Körpers vorliegt. Das bekommen die Schiris auch hin, da bin ich sicher.

[af/mv]

Auch im diesjährigen Trainingslager der Elite-Schiedsrichter gab es einen regen Austausch zwischen Unparteiischen und Trainern. Zu Gast in Herzogenaurach waren diesmal Michael Köllner vom Bund Deutscher Fußball-Lehrer und Alexander Zorniger, der Chefcoach der SpVgg Greuther Fürth. Im DFB.de-Interview sprachen Alex Feuerherdt und Marcel Voß mit den beiden über das Verhältnis von Unparteiischen und Übungsleitern, spieltaktische Herausforderungen für die Referees, eine Regeländerung beim Strafstoß und die Handspielregel.

DFB.de: Herr Köllner, was sind Ihre Eindrücke vom Trainingslager der Elite-Schiris?

Michael Köllner: Für mich war es sehr interessant und aufschlussreich, einmal hinter die Kulissen zu blicken. Hier im Trainingslager der Schiris gab es die Möglichkeit, sich einmal näher kennenzulernen und intensiver auszutauschen. Dafür hat man während der Saison oft nur wenig Zeit. Bei den Regelschulungen für die Schiedsrichter gab es eine große Klarheit, das fand ich gut. Man merkt den Willen, bei den Spielleitungen in der anstehenden Saison möglichst einheitlich, konsequent und berechenbar vorzugehen.

DFB.de: Sie kennen die Perspektive der Unparteiischen gut, weil Sie selbst vor 32 Jahren die Schiri-Prüfung absolviert und danach auch Spiele gepfiffen haben. Wie kam es dazu?

Köllner: Es war damals Pflicht, beim Erwerb der B-Lizenz als Trainer auch eine Schiedsrichter-Prüfung abzulegen und zehn Spiele zu pfeifen. Diese Prüfung gibt es heute noch, aber die Spielleitungen sind nicht mehr verpflichtend. Das habe ich persönlich nie verstanden, denn ich finde es wichtig, den Perspektivwechsel vom Trainer zum Schiedsrichter selbst zu erleben. Ich bin dann Mitglied der Schiedsrichtergruppe Marktredwitz geblieben, war jahrelang Referent bei Neulingskursen und habe mich dort immer wohl gefühlt. Der Austausch mit den Unparteiischen ist auch sehr wertvoll für mich. Und als ich mal Trainer eines Jugendteams war, habe ich die Spieler motiviert, alle zusammen die Schiri-Prüfung zu absolvieren. Einige von ihnen pfeifen heute noch.

DFB.de: Reagieren Sie als Trainer verständnisvoller auf die Schiris, weil Sie deren Perspektive kennen?

Köllner: Nein. (lacht) Ich erwische mich selbst immer mal wieder dabei, dass ich überreagiere, und meine Frau fragt mich nach einem Spiel manchmal auch, ob das wirklich nötig war, so aus dem Sattel zu gehen. Der Druck, die Anspannung und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, sind oft groß, ich gebe als Trainer alles für meine Mannschaft. Und dann passiert es leider schon mal, dass ich eine Grenze überschreite. Ein Unschuldslamm bin ich sicherlich nicht. Wichtig ist aber, dass nichts hängen bleibt. Ich weiß nach einem Spiel meist sehr schnell schon gar nicht mehr, wer es gepfiffen hat, und erinnere mich dann auch bei der nächsten Begegnung mit dem betreffenden Schiedsrichter nicht mehr daran. Es gibt also keine Vorbelastung.

DFB.de: Wie ließe sich das Verhältnis zwischen Trainern und Unparteiischen denn verbessern?

Alexander Zorniger: Grundsätzlich führt Kommunikation miteinander dazu, dass es mehr Verständnis füreinander gibt. Wir stehen alle unter Strom, wenn es raus auf den Platz geht. Und wenn ich den Menschen besser kenne, mit dem ich im Spiel zu tun habe, beeinflusst das den Umgang miteinander. Das gilt für den Trainerkollegen im betreffenden Spiel, aber eben auch für den Schiedsrichter.

DFB.de: In der Gesprächsrunde mit den Referees haben Sie das immer häufiger zu beobachtende Blocken von Angreifern durch gegnerische Verteidiger thematisiert. Inwiefern sollten sich die Schiedsrichter verstärkt damit beschäftigen?

Zorniger: Die immer dynamischer werdenden vertikalen Bewegungen der Stürmer kannst du als Verteidiger nicht in einer Drehbewegung so aufnehmen, dass du im gleichen Geschwindigkeitsbereich bist wie der Angreifer. Also versuchst du, seine Geschwindigkeit zu bremsen, und das kannst du durch das Blockverhalten. Spanien beispielsweise macht das bei jedem Spielzug des Gegners. Für die Schiedsrichter ist es natürlich eine Herausforderung, darauf bei der Regelauslegung zu reagieren. Da gibt es viele Grenzfälle, aber wenn ein Spieler dem Gegner durch einen Block eine klare Vorteilsposition nimmt, müsste das geahndet werden.

DFB.de: So wie im Achtelfinale der Europameisterschaft zwischen Deutschland und Dänemark, als ein Tor von Nico Schlotterbeck nach einem Eckstoß nicht zählte, weil Joshua Kimmich zuvor einen Gegenspieler unfair weggeblockt hatte?

Köllner: Aus meiner Sicht war das ein Foul, das Tor ist also zu Recht annulliert worden. Ich glaube allerdings nicht, dass das auch bei uns alle Schiris abpfeifen würden.

Zorniger: Ich hätte es nicht gepfiffen, aber das Blocken bei Standardsituationen ist auch noch mal ein anderes Thema als das Blocken im laufenden Spiel. Für die Schiris ist sicherlich beides von Belang, und es ist wichtig, dass sie da zu einer berechenbaren Regelauslegung kommen.

DFB.de: Beim Thema Handspiel sagten Sie, Herr Zorniger, die Spieler wüssten in der Regel genau, was sie mit ihren Armen und Händen machen, verstünden es aber gut, absichtliche Handlungen unabsichtlich aussehen zu lassen. Entscheiden die Unparteiischen aus Ihrer Sicht also eher zu selten auf strafbares Handspiel?

Zorniger: Das kommt darauf an. Beim seitlichen Verteidigen von Flanken wird mir zu häufig auf strafbares Handspiel erkannt – da ergibt sich die Armhaltung oft aus einer normalen Laufbewegung, und das sollte nicht bestraft werden. Bei Torschüssen dagegen sieht es vielfach anders aus. Wenn der Ball aufs Tor kommt und da plötzlich die Hand eines Verteidigers im Weg ist und den Ball ablenkt, ist das für mich häufiger strafbar, als es die Schiedsrichter entscheiden. Kurz gesagt: Nach meinem Dafürhalten sollte es weniger Handelfmeter bei Flanken geben, aber mehr bei Torschüssen.

DFB.de: Das Regelwerk unterscheidet beim Handspiel allerdings nicht zwischen Flanken und Torschüssen – und generell nicht, ob der Ball aufs Tor kommt oder nicht.

Zorniger: Ja, aber die Spieler können das Risiko meist gut einschätzen. Und wenn der Ball gefährlich aufs Tor kommt, nehmen sie das auch wahr. Aber ein Handelfmeter, wie ihn Deutschland im EM-Spiel gegen Dänemark bekommen hat – das ist für mich einfach keiner. Seitliche Flanke, eine kaum erkennbare Berührung mit der Hand, die Flugbahn des Balles hat sich auch nicht verändert. Da steht die Sanktion in keinem Verhältnis zum "Vergehen". Anders war es im Spiel zwischen Deutschland und Spanien. Das Handspiel von Cucurella hätte aus meiner Sicht unbedingt einen Strafstoß nach sich ziehen müssen. Der wusste genau, wo sein Arm ist und was er mit ihm macht.

Köllner: Mich stört an der gegenwärtigen Handspielregel nicht zuletzt, dass sie zu unnatürlichen Bewegungen der Spieler geführt hat. Da müsste man unbedingt noch einmal ran, weil es nicht sein kann, dass die Spieler ihre Arme auf dem Rücken verschränken, um kein Handspiel zu begehen. Der Fußball benötigt eine Handspielregel, die für Spieler, Trainer und Fans, aber auch für die Schiedsrichter wieder völlig eindeutig ist.

Zorniger: Ich würde auch die Regel wieder abschaffen, nach der ausnahmslos jedes Handspiel des Torschützen unmittelbar vor der Torerzielung strafbar ist, also auch ein völlig unabsichtliches und unvermeidbares. Insgesamt würde ich wieder viel mehr nach der Absicht, der Intention der Spieler gehen und weniger technisch urteilen, wann eine "unnatürliche Vergrößerung" des Körpers vorliegt. Das bekommen die Schiris auch hin, da bin ich sicher.

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