Ziege: "Deutschland ist immer der Gejagte"

72 Länderspiele bestritt Christian Ziege für die deutsche Nationalmannschaft. 1996 gewann er in England den Europameister-Titel, 2002 wurde er Vize-Weltmeister in Japan und Südkorea.

Vor dem WM-Qualifikationsspiel in seiner Wahlheimat Mönchengladbach am Mittwoch (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) gegen Wales traf sich Jan Lustig, Redakteur beim kicker-Sportmagazin, mit dem 36 Jahre alten Sportdirektor und Interimstrainer von Bundesliga-Aufsteiger Borussia Mönchengladbach zum aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche", das auch im Stadionheft DFB aktuell zum Wales-Spiel abgedruckt ist.

Frage: Christian Ziege, gegen Wales gastiert die deutsche Nationalmannschaft zum dritten Mal im Borussia-Park. Wird die stimmungsvolle Atmosphäre im Stadion helfen, drei Punkte in der WM-Qualifikation einzufahren?

Christian Ziege: Davon bin ich überzeugt. In der Vergangenheit konnte sich die Nationalmannschaft stets auf die Unterstützung der Fans in Mönchengladbach verlassen. Das wird in diesem wichtigen Spiel nicht anders sein.

Frage:Wie sehen Sie die Situation in der deutschen WM-Qualifikationsgruppe?

Ziege: Wales sollte eine lösbare Aufgabe sein. Der Hauptkonkurrent ist zweifelsohne Russland. Dort hat der Fußball in den vergangenen Jahren einen enormen Sprung nach vorne gemacht. Über das riesige Potenzial dieses Teams muss man seit der Europameisterschaft nicht mehr diskutieren.

Frage:Sie haben während Ihrer Nationalmannschaftskarriere viele Qualifikationsphasen erlebt. Welche Chancen und Risiken liegen im Zeitraum zwischen zwei Turnieren?

Ziege: Normalerweise vollziehen die meisten Nationen nach einer EM oder WM personell einen Schnitt. Neue, junge Spieler werden getestet. Ältere beenden ihre Karriere und machen den Weg frei. Die Chance liegt darin, dem Team eine neue Struktur mit frischen Kräften zu geben. Das Risiko ist, dass – besonders in Deutschland – trotzdem ein immenser Qualifikationsdruck herrscht und positive Ergebnisse erzielt werden müssen. Diesen Spagat zu schaffen, ist das Kunststück.

Frage: Bei der deutschen Mannschaft fiel der Schnitt erwartungsgemäß recht klein aus.

Ziege: Ja, im Kader stehen bereits viele Spieler, die heute noch vergleichsweise jung sind und gleichzeitig schon eine Menge Erfahrung mitbringen. Ich nenne stellvertretend Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski. Trotzdem wurden auch ohne großen Umbruch punktuell einige Dinge ausprobiert, siehe die neue Innenverteidigung mit Heiko Westermann und Serdar Tasci in Finnland. Das sind Möglichkeiten, um sich zu profilieren.

Frage: Borussia Mönchengladbach lieferte zuletzt auch zwei Talente für die DFB-Auswahl. Erst Marcell Jansen, jetzt Marko Marin.

Ziege: Ein Verein wie die Borussia muss den Weg über den eigenen Nachwuchs gehen. Marcell ist bereits ein fester Bestandteil der Nationalmannschaft, und Marko wird seine Entwicklung ebenfalls fortsetzen, ganz sicher. Er hat wirklich gute Perspektiven.

Frage: Sie haben selbst zwei Torhüterwechsel erlebt in der Nationalmannschaft. Von Bodo Illgner zu Andreas Köpke und von Köpke zu Oliver Kahn. Was bedeutet ein Tausch auf dieser Position für ein Team?

Ziege: Egal wer die Nachfolge von Jens Lehmann antreten wird – am wichtigsten ist, dass derjenige das absolute Vertrauen spürt. Für einen Torwart ist es wichtiger als auf allen anderen Positionen, dass er Rückhalt genießt und weiß, dass er sogar einen Fehler machen darf. Der Torhüter besitzt eine Sonderrolle. Umso schöner wäre es, wenn sich frühzeitig ein Kandidat herauskristallisiert.

Frage: Jürgen Klinsmann brachte viele Neuerungen auf den Weg, die Joachim Löw nun fortsetzt. Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundestrainers?

Ziege: Um ein fundiertes Urteil abgeben zu können, müsste ich die tägliche Arbeit kennen, die bei den Zusammenkünften der Nationalmannschaft geleistet wird. Quasi als Außenstehender glaube ich aber schon, dass der Übergang von Jürgen Klinsmann zu Joachim Löw fließend vonstatten gegangen ist und der seit 2004 eingeschlagene Weg beibehalten wurde. Mir hat bei der Europameisterschaft vor allem imponiert, dass nach der Vorrunde der Mut zu einem Systemwechsel vorhanden war.

Frage: Die Abkehr vom System mit zwei Stürmern?

Ziege: Richtig. Ich finde es wichtig, dass nicht stur an einer Sache festgehalten wird, nur weil es einmal als Richtlinie ausgegeben wurde. Meiner Meinung nach muss man im modernen Fußball variabel sein. Das heißt: sich einstellen auf den Gegner, ihm die Stärken nehmen, ohne dass die eigenen Stärken beschnitten werden. Das praktizierte das deutsche Team bei der EM-Endrunde gegen Portugal mit dem 4-2-3-1-System hervorragend.

Frage: Sie kennen den Qualifikationsdruck aus eigener Erfahrung. Wie groß ist die Belastung für Spieler und Trainer?

Ziege: Deutschland ist in der Qualifikation immer der Gejagte. Der Sprung zum Turnier gestaltet sich oftmals schwieriger als eine erfolgreiche Teilnahme an der Endrunde. Bei einer EM oder WM spürt man den Respekt der Gegner vor der Turniermannschaft Deutschland. Das hört sich leicht daher gesagt an, entspricht jedoch den Tatsachen. Deutschland kann stolz sein, seit vielen Jahren immer die Qualifikation gemeistert zu haben.

Frage: Zur Weltmeisterschaft 2002 wurde es allerdings sehr eng in den Play-offs gegen die Ukraine...

Ziege: Da war der Druck für uns brutal. Scheidet man dort aus, diskutiert ganz Deutschland, dann ist richtig was los. Die Play-offs sind eine ganz heiße Nummer, der man tunlichst aus dem Weg geht. Ich hoffe sehr, dass die DFB-Auswahl diesmal wieder als Gruppenerster zur Weltmeisterschaft fährt.

Frage: Sie waren beim letzten Titelgewinn einer deutschen A-Nationalmannschaft dabei. Warum klappte es seit der Europameisterschaft 1996 in England nicht mehr mit dem großen Wurf?

Ziege: Natürlich will jeder einen Titel, die Spieler selbst ja auch. Dennoch sollten wir uns von dem Gedanken lösen, dass immer nur Platz eins zählt und über allem steht. Deutschland schneidet bei den Turnieren so konstant gut ab wie wohl keine andere Nation. Zumal die Ausgeglichenheit enorm zugenommen hat. Die Teams, die das Potenzial besitzen, eine EM oder WM zu gewinnen, werden mehr. Daher benötigt man oft ein Quäntchen Glück, um am Ende die Nase vorn zu haben. So einen beeindruckenden Durchmarsch, wie ihn Spanien bei der Europameisterschaft gezeigt hat, erlebt man nicht allzu häufig.

Frage: Was hat Ihnen an den Spaniern imponiert?

Ziege: Sie hatten die absolute Überzeugung, Fußballspielen zu können, das Vertrauen in ihre Stärke. Die Passgeschwindigkeit, die unglaublich schnelle Ballannahme und -mitnahme. Die Flexibilität besonders der Mittelfeldspieler, wo es keinen Unterschied machte, ob einer auf der Sechs, Acht oder der Zehn auftauchte. Das blitzschnelle Umschalten in beide Richtungen. All' das war wirklich beeindruckend. Sie haben in England und Italien Ihr Geld als Profi verdient.

Frage: Würde die Nationalmannschaft von mehr Legionären in den Top-Ligen profitieren?

Ziege: Schaden würde es sicherlich nicht. Mich hat es wahnsinnig weitergebracht, ich musste mich an vieles gewöhnen und darauf einstellen. Die Einflüsse aus anderen Ligen können das eigene Spiel bereichern. Bei Michael Ballack zum Beispiel sehe ich den Wechsel zum FC Chelsea als richtigen Schritt. Er ist in meinen Augen nochmals stärker geworden. Er ist ein Beispiel dafür, dass sich ein Fußballer auch mit 30 durchaus weiterentwickeln kann.

Frage: Bei der Borussia wurden Sie nun schon zum zweiten Mal "überrumpelt", wenn man das mal so formulieren darf. Im März 2007 wurden Sie über Nacht vom U 17-Trainer zum Sportdirektor, nach der Trennung von Jos Luhukay standen sie plötzlich als Trainer auf dem Platz...

Ziege: An Überraschungen mangelt es sicherlich nicht. Doch die Situation hat es eben erforderlich gemacht. Als wir uns zu dem Schritt entschlossen haben, die Zusammenarbeit mit Jos Luhukay zu beenden, stand für uns fest: Wir wollen uns bei der Suche nach einem Nachfolger zeitlich nicht unter Druck setzen. Also habe ich mich bereit erklärt, kommissarisch das Training zu übernehmen.

Frage: Waren Sie auch als Psychologe gefragt?

Ziege: Natürlich. Ich habe selbst als Spieler gegen den Abstieg gekämpft und weiß, wie es um die Verfassung der Profis steht. Das Selbstvertrauen ist weg, und man zerbricht sich den Kopf, warum es nicht mehr läuft. Also benötigen die Spieler viel Zuspruch, damit sie das Potenzial, das sie in sich tragen, wieder voll ausschöpfen. Sie brauchen von außen Unterstützung, um die innere Stärke aufzubauen.

Frage: Den Trainer-Lehrgang zum Fußball-Lehrer in Köln brachen Sie wegen der vielen Fehlzeiten gezwungenermaßen ab. Haben Sie die Belastung unterschätzt?

Ziege: Nein, ich wusste, dass es für mich einen immensen zeitlichen Aufwand bedeutet, neben dem Job bei der Borussia auch die Fußball-Lehrer-Ausbildung zu machen. Darauf war ich vorbereitet. Durch unsere sportliche Situation allerdings musste ich eine Entscheidung treffen, und die konnte nur lauten, meine gesamte Konzentration und Zeit auf den Verein zu verwenden.

Frage: Als Verantwortlicher mussten Sie Ihre erste Trainer- Entlassung hinter sich bringen. Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung?

Ziege: Sehr schwer. Der ganze Verein hat gut mit Jos Luhukay zusammengearbeitet, inklusive meiner Person. Der Aufstieg war ein riesiger Erfolg, an dem der Trainer einen großen Anteil hatte. Aber in dieser Saison fehlen uns die Punkte, wir liegen hinter unseren Ansprüchen zurück. So bitter das in manchen Momenten ist – das Geschäft zwingt die Entscheidungsträger zu schwierigen und teilweise unangenehmen Maßnahmen.

Frage: Die Borussen-Fans befürchten, dass es sofort wieder Richtung 2. Bundesliga geht. Wie groß sind ihre Sorgen?

Ziege: Ich bin von unserer Mannschaft überzeugt. Wir haben die Qualität, den Klassenerhalt zu schaffen. Höhere Ambitionen, als in der Liga zu bleiben, sollte ein Aufsteiger sowieso nicht formulieren. Wir waren uns bewusst, dass es ein schwerer Weg bis zum nächsten Sommer wird.

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72 Länderspiele bestritt Christian Ziege für die deutsche Nationalmannschaft. 1996 gewann er in England den Europameister-Titel, 2002 wurde er Vize-Weltmeister in Japan und Südkorea.

Vor dem WM-Qualifikationsspiel in seiner Wahlheimat Mönchengladbach am Mittwoch (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) gegen Wales traf sich Jan Lustig, Redakteur beim kicker-Sportmagazin, mit dem 36 Jahre alten Sportdirektor und Interimstrainer von Bundesliga-Aufsteiger Borussia Mönchengladbach zum aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche", das auch im Stadionheft DFB aktuell zum Wales-Spiel abgedruckt ist.

Frage: Christian Ziege, gegen Wales gastiert die deutsche Nationalmannschaft zum dritten Mal im Borussia-Park. Wird die stimmungsvolle Atmosphäre im Stadion helfen, drei Punkte in der WM-Qualifikation einzufahren?

Christian Ziege: Davon bin ich überzeugt. In der Vergangenheit konnte sich die Nationalmannschaft stets auf die Unterstützung der Fans in Mönchengladbach verlassen. Das wird in diesem wichtigen Spiel nicht anders sein.

Frage:Wie sehen Sie die Situation in der deutschen WM-Qualifikationsgruppe?

Ziege: Wales sollte eine lösbare Aufgabe sein. Der Hauptkonkurrent ist zweifelsohne Russland. Dort hat der Fußball in den vergangenen Jahren einen enormen Sprung nach vorne gemacht. Über das riesige Potenzial dieses Teams muss man seit der Europameisterschaft nicht mehr diskutieren.

Frage:Sie haben während Ihrer Nationalmannschaftskarriere viele Qualifikationsphasen erlebt. Welche Chancen und Risiken liegen im Zeitraum zwischen zwei Turnieren?

Ziege: Normalerweise vollziehen die meisten Nationen nach einer EM oder WM personell einen Schnitt. Neue, junge Spieler werden getestet. Ältere beenden ihre Karriere und machen den Weg frei. Die Chance liegt darin, dem Team eine neue Struktur mit frischen Kräften zu geben. Das Risiko ist, dass – besonders in Deutschland – trotzdem ein immenser Qualifikationsdruck herrscht und positive Ergebnisse erzielt werden müssen. Diesen Spagat zu schaffen, ist das Kunststück.

Frage: Bei der deutschen Mannschaft fiel der Schnitt erwartungsgemäß recht klein aus.

Ziege: Ja, im Kader stehen bereits viele Spieler, die heute noch vergleichsweise jung sind und gleichzeitig schon eine Menge Erfahrung mitbringen. Ich nenne stellvertretend Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski. Trotzdem wurden auch ohne großen Umbruch punktuell einige Dinge ausprobiert, siehe die neue Innenverteidigung mit Heiko Westermann und Serdar Tasci in Finnland. Das sind Möglichkeiten, um sich zu profilieren.

Frage: Borussia Mönchengladbach lieferte zuletzt auch zwei Talente für die DFB-Auswahl. Erst Marcell Jansen, jetzt Marko Marin.

Ziege: Ein Verein wie die Borussia muss den Weg über den eigenen Nachwuchs gehen. Marcell ist bereits ein fester Bestandteil der Nationalmannschaft, und Marko wird seine Entwicklung ebenfalls fortsetzen, ganz sicher. Er hat wirklich gute Perspektiven.

Frage: Sie haben selbst zwei Torhüterwechsel erlebt in der Nationalmannschaft. Von Bodo Illgner zu Andreas Köpke und von Köpke zu Oliver Kahn. Was bedeutet ein Tausch auf dieser Position für ein Team?

Ziege: Egal wer die Nachfolge von Jens Lehmann antreten wird – am wichtigsten ist, dass derjenige das absolute Vertrauen spürt. Für einen Torwart ist es wichtiger als auf allen anderen Positionen, dass er Rückhalt genießt und weiß, dass er sogar einen Fehler machen darf. Der Torhüter besitzt eine Sonderrolle. Umso schöner wäre es, wenn sich frühzeitig ein Kandidat herauskristallisiert.

Frage: Jürgen Klinsmann brachte viele Neuerungen auf den Weg, die Joachim Löw nun fortsetzt. Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundestrainers?

Ziege: Um ein fundiertes Urteil abgeben zu können, müsste ich die tägliche Arbeit kennen, die bei den Zusammenkünften der Nationalmannschaft geleistet wird. Quasi als Außenstehender glaube ich aber schon, dass der Übergang von Jürgen Klinsmann zu Joachim Löw fließend vonstatten gegangen ist und der seit 2004 eingeschlagene Weg beibehalten wurde. Mir hat bei der Europameisterschaft vor allem imponiert, dass nach der Vorrunde der Mut zu einem Systemwechsel vorhanden war.

Frage: Die Abkehr vom System mit zwei Stürmern?

Ziege: Richtig. Ich finde es wichtig, dass nicht stur an einer Sache festgehalten wird, nur weil es einmal als Richtlinie ausgegeben wurde. Meiner Meinung nach muss man im modernen Fußball variabel sein. Das heißt: sich einstellen auf den Gegner, ihm die Stärken nehmen, ohne dass die eigenen Stärken beschnitten werden. Das praktizierte das deutsche Team bei der EM-Endrunde gegen Portugal mit dem 4-2-3-1-System hervorragend.

Frage: Sie kennen den Qualifikationsdruck aus eigener Erfahrung. Wie groß ist die Belastung für Spieler und Trainer?

Ziege: Deutschland ist in der Qualifikation immer der Gejagte. Der Sprung zum Turnier gestaltet sich oftmals schwieriger als eine erfolgreiche Teilnahme an der Endrunde. Bei einer EM oder WM spürt man den Respekt der Gegner vor der Turniermannschaft Deutschland. Das hört sich leicht daher gesagt an, entspricht jedoch den Tatsachen. Deutschland kann stolz sein, seit vielen Jahren immer die Qualifikation gemeistert zu haben.

Frage: Zur Weltmeisterschaft 2002 wurde es allerdings sehr eng in den Play-offs gegen die Ukraine...

Ziege: Da war der Druck für uns brutal. Scheidet man dort aus, diskutiert ganz Deutschland, dann ist richtig was los. Die Play-offs sind eine ganz heiße Nummer, der man tunlichst aus dem Weg geht. Ich hoffe sehr, dass die DFB-Auswahl diesmal wieder als Gruppenerster zur Weltmeisterschaft fährt.

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Frage: Sie waren beim letzten Titelgewinn einer deutschen A-Nationalmannschaft dabei. Warum klappte es seit der Europameisterschaft 1996 in England nicht mehr mit dem großen Wurf?

Ziege: Natürlich will jeder einen Titel, die Spieler selbst ja auch. Dennoch sollten wir uns von dem Gedanken lösen, dass immer nur Platz eins zählt und über allem steht. Deutschland schneidet bei den Turnieren so konstant gut ab wie wohl keine andere Nation. Zumal die Ausgeglichenheit enorm zugenommen hat. Die Teams, die das Potenzial besitzen, eine EM oder WM zu gewinnen, werden mehr. Daher benötigt man oft ein Quäntchen Glück, um am Ende die Nase vorn zu haben. So einen beeindruckenden Durchmarsch, wie ihn Spanien bei der Europameisterschaft gezeigt hat, erlebt man nicht allzu häufig.

Frage: Was hat Ihnen an den Spaniern imponiert?

Ziege: Sie hatten die absolute Überzeugung, Fußballspielen zu können, das Vertrauen in ihre Stärke. Die Passgeschwindigkeit, die unglaublich schnelle Ballannahme und -mitnahme. Die Flexibilität besonders der Mittelfeldspieler, wo es keinen Unterschied machte, ob einer auf der Sechs, Acht oder der Zehn auftauchte. Das blitzschnelle Umschalten in beide Richtungen. All' das war wirklich beeindruckend. Sie haben in England und Italien Ihr Geld als Profi verdient.

Frage: Würde die Nationalmannschaft von mehr Legionären in den Top-Ligen profitieren?

Ziege: Schaden würde es sicherlich nicht. Mich hat es wahnsinnig weitergebracht, ich musste mich an vieles gewöhnen und darauf einstellen. Die Einflüsse aus anderen Ligen können das eigene Spiel bereichern. Bei Michael Ballack zum Beispiel sehe ich den Wechsel zum FC Chelsea als richtigen Schritt. Er ist in meinen Augen nochmals stärker geworden. Er ist ein Beispiel dafür, dass sich ein Fußballer auch mit 30 durchaus weiterentwickeln kann.

Frage: Bei der Borussia wurden Sie nun schon zum zweiten Mal "überrumpelt", wenn man das mal so formulieren darf. Im März 2007 wurden Sie über Nacht vom U 17-Trainer zum Sportdirektor, nach der Trennung von Jos Luhukay standen sie plötzlich als Trainer auf dem Platz...

Ziege: An Überraschungen mangelt es sicherlich nicht. Doch die Situation hat es eben erforderlich gemacht. Als wir uns zu dem Schritt entschlossen haben, die Zusammenarbeit mit Jos Luhukay zu beenden, stand für uns fest: Wir wollen uns bei der Suche nach einem Nachfolger zeitlich nicht unter Druck setzen. Also habe ich mich bereit erklärt, kommissarisch das Training zu übernehmen.

Frage: Waren Sie auch als Psychologe gefragt?

Ziege: Natürlich. Ich habe selbst als Spieler gegen den Abstieg gekämpft und weiß, wie es um die Verfassung der Profis steht. Das Selbstvertrauen ist weg, und man zerbricht sich den Kopf, warum es nicht mehr läuft. Also benötigen die Spieler viel Zuspruch, damit sie das Potenzial, das sie in sich tragen, wieder voll ausschöpfen. Sie brauchen von außen Unterstützung, um die innere Stärke aufzubauen.

Frage: Den Trainer-Lehrgang zum Fußball-Lehrer in Köln brachen Sie wegen der vielen Fehlzeiten gezwungenermaßen ab. Haben Sie die Belastung unterschätzt?

Ziege: Nein, ich wusste, dass es für mich einen immensen zeitlichen Aufwand bedeutet, neben dem Job bei der Borussia auch die Fußball-Lehrer-Ausbildung zu machen. Darauf war ich vorbereitet. Durch unsere sportliche Situation allerdings musste ich eine Entscheidung treffen, und die konnte nur lauten, meine gesamte Konzentration und Zeit auf den Verein zu verwenden.

Frage: Als Verantwortlicher mussten Sie Ihre erste Trainer- Entlassung hinter sich bringen. Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung?

Ziege: Sehr schwer. Der ganze Verein hat gut mit Jos Luhukay zusammengearbeitet, inklusive meiner Person. Der Aufstieg war ein riesiger Erfolg, an dem der Trainer einen großen Anteil hatte. Aber in dieser Saison fehlen uns die Punkte, wir liegen hinter unseren Ansprüchen zurück. So bitter das in manchen Momenten ist – das Geschäft zwingt die Entscheidungsträger zu schwierigen und teilweise unangenehmen Maßnahmen.

Frage: Die Borussen-Fans befürchten, dass es sofort wieder Richtung 2. Bundesliga geht. Wie groß sind ihre Sorgen?

Ziege: Ich bin von unserer Mannschaft überzeugt. Wir haben die Qualität, den Klassenerhalt zu schaffen. Höhere Ambitionen, als in der Liga zu bleiben, sollte ein Aufsteiger sowieso nicht formulieren. Wir waren uns bewusst, dass es ein schwerer Weg bis zum nächsten Sommer wird.