Wolfgang Sidka: "Wir waren bester Absteiger aller Zeiten"

34 Spieltage, 34 besondere Begegnungen, 34 Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesligageschichte an ganz spezielle Duelle, passend zum jeweils aktuellen Spieltag der Saison 2013/2014.

Heute: Vor dem fünften Spieltag der Bundesliga berichtet der heute 59 Jahre alte Wolfgang Sidka im DFB.de-Gespräch mit Udo Muras über den Tag, als Hertha BSC mit einem Bundesligarekord und trotz eines Sieges gegen den VfB Stuttgart abstieg. Am Freitag (ab 20.30 Uhr, live bei Sky) stehen sich die Klubs wieder gegenüber - das historische Interview.

DFB.de: Danke für Ihren Rückruf, Herr Sidka! Wie teuer wird das für Sie?

Wolfgang Sidka: Wieso?

DFB.de: Na ja, weil Sie doch zumeist in der arabischen Welt anzutreffen sind. Bahrain, Katar, Irak…

Sidka: Das ist vorbei, ich bin seit einem Jahr wieder in Berlin und würde jetzt gerne mal wieder einen Job in Deutschland antreten. Aber in den meisten Klubs sind jetzt andere Verantwortliche am Ruder als zu meiner Zeit als Bundesligatrainer, und einen Berater hab ich nicht. Juniorentrainer bei der Hertha wäre zum Beispiel ein Superjob für mich…

DFB.de: Da sind wir schon fast beim Thema. Wir wollen mit Ihnen über den 31. Mai 1980 reden. Warum ist die Hertha damals nach zwölf teils sehr beachtlichen Jahren abgestiegen?

Sidka: Da muss man weiter ausholen.

DFB.de: Holen Sie!

Sidka: Die Hertha hatte vor der Saison sehr viele Leistungsträger verkauft. Norbert Nigbur, Hanne Weiner, Erich "Ete" Beer, Karl-Heinz Granitza - und nach der Vorrunde noch Jürgen Milewski, der dann beim HSV Nationalspieler wurde. Im Sturm standen mit Agerbeck, Schlumberger und Remark drei 19-Jährige.

DFB.de: Mit welchen Gefühlen gingen Sie in die Saison?

Sidka: Ich habe schon im Sommer geahnt: Das geht dieses Jahr gegen den Abstieg. Dabei hatten wir 1979 noch im DFB-Pokalfinale gestanden. Aber das war jetzt quasi eine ganz neue Mannschaft. Im Herbst wurde der Trainer entlassen, auf Kuno Klötzer folgte Helmut "Fiffi" Kronsbein. Nach der Vorrunde waren wir Letzter.

DFB.de: Und dann?

Sidka: Haben wir uns als Mannschaft gefunden, nur leider etwas zu spät. Wir haben eine super Rückrunde gespielt (siebter Platz in der Rückrundentabelle; die Red.) und von den letzten acht Spielen sechs gewonnen. Es herrschte plötzlich Euphorie in der Stadt, die Berliner haben das unglaublich honoriert.

DFB.de: Und doch reichte es nicht. Warum?

Sidka: In dem Jahr waren 29 Punkte nicht genug, das hatte es erst einmal gegeben. Und gegenüber den Nürnbergern von 1969 hatten wir sogar noch das bessere Torverhältnis - sprich: Wir waren der beste Absteiger aller Zeiten.

DFB.de: Und doch lag es an der Tordifferenz. Wie war die Lage am 31. Mai 1980?

Sidka: Bayer Uerdingen hatte zwei Punkte mehr als wir und musste zum 1. FC Köln, bei dem damals die halbe Nationalmannschaft gespielt hat. Wir hofften auf Schützenhilfe, mussten aber selbst den VfB schlagen, der schon im UEFA-Cup war. Weil wir am 33. Spieltag in Düsseldorf 0:4 verloren hatten, mussten wir auch fünf Tore aufholen.

DFB.de: Hatte der Vorstand eine Extraprämie ausgelobt?

Sidka: Ich kann mich nicht erinnern, nur an die packende Ansprache von Präsident Wolfgang Holst am Dienstag vorher. Wir waren alle hochmotiviert und schworen uns: "Wir hauen noch mal alles raus."

DFB.de: Und das haben Sie dann auch getan.

Sidka: Ja, wir haben nur gleich einen Elfmeter verschossen. Da flatterten dem Kollegen Diefenbach wohl etwas die Nerven. Wir hatten ja noch nie so viele Zuschauer in der Saison gehabt - 51.000!

DFB.de: Gegen den VfB stand es zur Halbzeit schon 3:1, Köln führte 1:0. Es fehlten nur noch zwei Tore.

Sidka: Ja, an mir lag es ja nicht. Ich habe selbst zwei geschossen und mich nebenbei noch um Hansi Müller gekümmert, der damals auf dem Weg zum Superstar war. Aber als der VfB das 2:3 schoss, war es fast gegessen. In Köln passierte ja auch nix mehr.

DFB.de: Sie haben trotzdem im Gegenzug das 4:2 nachgelegt. Waren die Förster-Brüder etwa schon im Urlaub?

Sidka: Der eine hat gespielt. (Bernd; die Red.) Egal, es hat nicht gereicht. Die Zuschauer haben uns gefeiert, wie es wohl selten ein Absteiger erlebt hat. Aber wir waren total traurig, gerade für mich als Berliner war es bitter.

DFB.de: Wie war es in der Kabine? Gab es Tränen?

Sidka: Es herrschte Totenstille. Ich weiß noch: Ich saß neben dem langen Kliemann, der eigentlich immer einen Spruch auf den Lippen hatte. Der sagte auch kein Wort.

DFB.de: Umso mehr danken wir Ihnen dafür, dass Sie noch nach über 30 Jahren darüber gesprochen haben.

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34 Spieltage, 34 besondere Begegnungen, 34 Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesligageschichte an ganz spezielle Duelle, passend zum jeweils aktuellen Spieltag der Saison 2013/2014.

Heute: Vor dem fünften Spieltag der Bundesliga berichtet der heute 59 Jahre alte Wolfgang Sidka im DFB.de-Gespräch mit Udo Muras über den Tag, als Hertha BSC mit einem Bundesligarekord und trotz eines Sieges gegen den VfB Stuttgart abstieg. Am Freitag (ab 20.30 Uhr, live bei Sky) stehen sich die Klubs wieder gegenüber - das historische Interview.

DFB.de: Danke für Ihren Rückruf, Herr Sidka! Wie teuer wird das für Sie?

Wolfgang Sidka: Wieso?

DFB.de: Na ja, weil Sie doch zumeist in der arabischen Welt anzutreffen sind. Bahrain, Katar, Irak…

Sidka: Das ist vorbei, ich bin seit einem Jahr wieder in Berlin und würde jetzt gerne mal wieder einen Job in Deutschland antreten. Aber in den meisten Klubs sind jetzt andere Verantwortliche am Ruder als zu meiner Zeit als Bundesligatrainer, und einen Berater hab ich nicht. Juniorentrainer bei der Hertha wäre zum Beispiel ein Superjob für mich…

DFB.de: Da sind wir schon fast beim Thema. Wir wollen mit Ihnen über den 31. Mai 1980 reden. Warum ist die Hertha damals nach zwölf teils sehr beachtlichen Jahren abgestiegen?

Sidka: Da muss man weiter ausholen.

DFB.de: Holen Sie!

Sidka: Die Hertha hatte vor der Saison sehr viele Leistungsträger verkauft. Norbert Nigbur, Hanne Weiner, Erich "Ete" Beer, Karl-Heinz Granitza - und nach der Vorrunde noch Jürgen Milewski, der dann beim HSV Nationalspieler wurde. Im Sturm standen mit Agerbeck, Schlumberger und Remark drei 19-Jährige.

DFB.de: Mit welchen Gefühlen gingen Sie in die Saison?

Sidka: Ich habe schon im Sommer geahnt: Das geht dieses Jahr gegen den Abstieg. Dabei hatten wir 1979 noch im DFB-Pokalfinale gestanden. Aber das war jetzt quasi eine ganz neue Mannschaft. Im Herbst wurde der Trainer entlassen, auf Kuno Klötzer folgte Helmut "Fiffi" Kronsbein. Nach der Vorrunde waren wir Letzter.

DFB.de: Und dann?

Sidka: Haben wir uns als Mannschaft gefunden, nur leider etwas zu spät. Wir haben eine super Rückrunde gespielt (siebter Platz in der Rückrundentabelle; die Red.) und von den letzten acht Spielen sechs gewonnen. Es herrschte plötzlich Euphorie in der Stadt, die Berliner haben das unglaublich honoriert.

DFB.de: Und doch reichte es nicht. Warum?

Sidka: In dem Jahr waren 29 Punkte nicht genug, das hatte es erst einmal gegeben. Und gegenüber den Nürnbergern von 1969 hatten wir sogar noch das bessere Torverhältnis - sprich: Wir waren der beste Absteiger aller Zeiten.

DFB.de: Und doch lag es an der Tordifferenz. Wie war die Lage am 31. Mai 1980?

Sidka: Bayer Uerdingen hatte zwei Punkte mehr als wir und musste zum 1. FC Köln, bei dem damals die halbe Nationalmannschaft gespielt hat. Wir hofften auf Schützenhilfe, mussten aber selbst den VfB schlagen, der schon im UEFA-Cup war. Weil wir am 33. Spieltag in Düsseldorf 0:4 verloren hatten, mussten wir auch fünf Tore aufholen.

DFB.de: Hatte der Vorstand eine Extraprämie ausgelobt?

Sidka: Ich kann mich nicht erinnern, nur an die packende Ansprache von Präsident Wolfgang Holst am Dienstag vorher. Wir waren alle hochmotiviert und schworen uns: "Wir hauen noch mal alles raus."

DFB.de: Und das haben Sie dann auch getan.

Sidka: Ja, wir haben nur gleich einen Elfmeter verschossen. Da flatterten dem Kollegen Diefenbach wohl etwas die Nerven. Wir hatten ja noch nie so viele Zuschauer in der Saison gehabt - 51.000!

DFB.de: Gegen den VfB stand es zur Halbzeit schon 3:1, Köln führte 1:0. Es fehlten nur noch zwei Tore.

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Sidka: Ja, an mir lag es ja nicht. Ich habe selbst zwei geschossen und mich nebenbei noch um Hansi Müller gekümmert, der damals auf dem Weg zum Superstar war. Aber als der VfB das 2:3 schoss, war es fast gegessen. In Köln passierte ja auch nix mehr.

DFB.de: Sie haben trotzdem im Gegenzug das 4:2 nachgelegt. Waren die Förster-Brüder etwa schon im Urlaub?

Sidka: Der eine hat gespielt. (Bernd; die Red.) Egal, es hat nicht gereicht. Die Zuschauer haben uns gefeiert, wie es wohl selten ein Absteiger erlebt hat. Aber wir waren total traurig, gerade für mich als Berliner war es bitter.

DFB.de: Wie war es in der Kabine? Gab es Tränen?

Sidka: Es herrschte Totenstille. Ich weiß noch: Ich saß neben dem langen Kliemann, der eigentlich immer einen Spruch auf den Lippen hatte. Der sagte auch kein Wort.

DFB.de: Umso mehr danken wir Ihnen dafür, dass Sie noch nach über 30 Jahren darüber gesprochen haben.