"Wirklich nah dran sein": Aljoscha Pause über "Trainer!"

Pause: Broich hatte einen Mitspieler im Auto, es lief "Carmina Burana" von Carl Orff, und Stefan Reisinger, sein damaliger Teamkollege, ordnete die Musik eben Mozart zu.

DFB.de: Ist die Schublade nicht zu eng? Machen es der Fußball und die Medien gerade jungen Kreativspielern nicht zu schwer?

Pause: Die mediale Öffentlichkeit sucht einfache Muster. Auch Trainer kommen aus so einer Ecke nicht mehr raus. Ich habe kein Patentrezept. 2003 habe ich nach einem Spieler gesucht, der ein derartiges Langzeitprojekt von seiner Persönlichkeit her tragen und der mit seiner Eloquenz und seinem Horizont das Fußballgeschäft spiegeln könnte. In den zehn Jahren seitdem ist der Fußball durchaus noch hermetischer geworden. Kein vom Pressesprecher unkontrolliertes Wort dringt nach draußen. TV-Interviews sind oft auf 90 Sekunden beschränkt. Der Sport ist in dieser Zeit US-amerikanischer geworden. Dadurch bleibt Echtes, Authentisches auf der Strecke.

DFB.de: Eigentlich wollten Sie doch einen Film über den neuen Netzer drehen. Als sich bei Broich die Verletzungen und die Rückschläge häuften, dachten Sie da schon mal: "Oh, Schande"?

Pause: Mir wurde schon häufiger unterstellt, dass ich die große Erfolgsgeschichte auf dem Zettel hatte. Stimmt schon, ich hätte mich nicht gewehrt, wenn es so gekommen wäre. Aber in erster Linie ging es mir um einen Typen. Für ein Projekt über acht Jahre gibt es keinen Präzedenzfall. Es gibt keine Vergleichswerte, dass man sagt: "Aha, jetzt bin ich an dem Punkt", und jetzt gilt es auszuhalten, bis die nächste spannende Wendung kommt. Nach einem Jahr beim 1. FC Köln entwickelte sich Broichs Karriere kaum noch. Da denkt man schon: "Wie soll das weitergehen?" Ich muss es Thomas extrem zugute halten, dass er genauso wie ich an der Linie festhielt: Wenn man so etwas macht, dann richtig. Wir hatten keinen Vertrag, alles beruhte auf Absprachen.

DFB.de: 40 Treffen, rund 100 Stunden Rohmaterial – ein toller Film, aber ihr Buchhalter muss an ihrem Verstand gezweifelt haben, oder?

Pause: Ja, wie haben wir das gemacht? Mit sehr viel Herzblut, mit sehr viel eigenem Risiko. Ich hatte weder einen Sender noch eine Filmstiftung im Boot. Nach dem letzten Dreh haben wir dann glücklicherweise Partner gefunden: etwa Steffen Simon vom WDR oder auch die DFB-Kulturstiftung. Die Ausstrahlung in der ARD war für die Refinanzierung des Films schon wichtig.

DFB.de: Wie läuft derzeit der DVD-Verkauf?



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Aljoscha Pause dreht Fußballfilme. "Tom meets Zizou" etwa, der gerade als Sportfilm des Jahres ausgezeichnet wurde. Auch sein neuer Film "Trainer!" versucht, tiefer zu schauen als es im tagesaktuellen Journalismus üblich ist. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht der Regisseur und Fernsehjournalist über Schubladen-Denken im Fußball und seinen neuen Film "Trainer!", für den er drei Profitrainer und Frank Wormuths Lehrgang über ein Jahr begleitet hat.

DFB.de: Herr Pause, der Verband Deutscher Sportjournalisten hat Ihren Film "Tom meets Zizou" gerade prämiert. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Aljoscha Pause: Ich habe Thomas Broich über acht Jahre filmisch begleitet. Das ist eine Menge Energie, Zeit, Herzblut und auch Geld. Dafür dann eine solche Anerkennung zu erhalten, ist wirklich schön.

DFB.de: Es soll tatsächlich Fußballfans geben, die "Tom meets Zizou" noch nicht gesehen haben. Welche Geschichte wird erzählt?

Pause: Es geht um acht Jahre im Leben des Thomas Broich. 2003 ist er ein aufstrebender Fußballer bei Wacker Burghausen. Nach dem Wechsel in die Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach, wird Broich gehyped und findet sich recht schnell im sogenannten Dunstkreis der Nationalmannschaft. Allerdings entwickelt sich die Sache nicht zu einer linearen Erfolgsgeschichte. Die Brechungen sind teils selbstverschuldet. Er entpuppt sich als ein anderer Fußballer, einer, der das Geschäft hinterfragt, der nicht nur Interessen außerhalb des Fußballs pflegt, sondern die auch noch öffentlich mitteilt. Erst gerät er mit Dick Advocaat in Gladbach aneinander, später mit Christoph Daum in Köln. Trotz seines großen Talentes läuft seine Karriere in eine Sackgasse. Auch ein letzter Versuch in der Saison 2009/2010 beim 1. FC Nürnberg scheitert. Broich leidet auch psychisch, er entschließt sich, einen Neuanfang in Australien zu versuchen. Broichs acht Jahre zwischen Burghausen und Brisbane – das ist die Geschichte.

DFB.de: Darf sich ein hochtalentierter junger Fußballer für klassische Musik und Literatur interessieren? Oder ist so ein Verhalten ein Karrierekiller?

Pause: Ich denke, er darf das. Möglichweise ist einem jungen Spieler anzuraten, sich nicht ganz so zu exponieren, wie es Thomas Broich gerade zu Beginn seiner Karriere getan hat. Auch bei Broich waren die Medien anfangs dankbar, stellten ihn als Intellektuellen dar, er bekam den Spitznamen "Mozart" verliehen…

DFB.de: …obwohl das falsch war.

Pause: Broich hatte einen Mitspieler im Auto, es lief "Carmina Burana" von Carl Orff, und Stefan Reisinger, sein damaliger Teamkollege, ordnete die Musik eben Mozart zu.

DFB.de: Ist die Schublade nicht zu eng? Machen es der Fußball und die Medien gerade jungen Kreativspielern nicht zu schwer?

Pause: Die mediale Öffentlichkeit sucht einfache Muster. Auch Trainer kommen aus so einer Ecke nicht mehr raus. Ich habe kein Patentrezept. 2003 habe ich nach einem Spieler gesucht, der ein derartiges Langzeitprojekt von seiner Persönlichkeit her tragen und der mit seiner Eloquenz und seinem Horizont das Fußballgeschäft spiegeln könnte. In den zehn Jahren seitdem ist der Fußball durchaus noch hermetischer geworden. Kein vom Pressesprecher unkontrolliertes Wort dringt nach draußen. TV-Interviews sind oft auf 90 Sekunden beschränkt. Der Sport ist in dieser Zeit US-amerikanischer geworden. Dadurch bleibt Echtes, Authentisches auf der Strecke.

DFB.de: Eigentlich wollten Sie doch einen Film über den neuen Netzer drehen. Als sich bei Broich die Verletzungen und die Rückschläge häuften, dachten Sie da schon mal: "Oh, Schande"?

Pause: Mir wurde schon häufiger unterstellt, dass ich die große Erfolgsgeschichte auf dem Zettel hatte. Stimmt schon, ich hätte mich nicht gewehrt, wenn es so gekommen wäre. Aber in erster Linie ging es mir um einen Typen. Für ein Projekt über acht Jahre gibt es keinen Präzedenzfall. Es gibt keine Vergleichswerte, dass man sagt: "Aha, jetzt bin ich an dem Punkt", und jetzt gilt es auszuhalten, bis die nächste spannende Wendung kommt. Nach einem Jahr beim 1. FC Köln entwickelte sich Broichs Karriere kaum noch. Da denkt man schon: "Wie soll das weitergehen?" Ich muss es Thomas extrem zugute halten, dass er genauso wie ich an der Linie festhielt: Wenn man so etwas macht, dann richtig. Wir hatten keinen Vertrag, alles beruhte auf Absprachen.

DFB.de: 40 Treffen, rund 100 Stunden Rohmaterial – ein toller Film, aber ihr Buchhalter muss an ihrem Verstand gezweifelt haben, oder?

Pause: Ja, wie haben wir das gemacht? Mit sehr viel Herzblut, mit sehr viel eigenem Risiko. Ich hatte weder einen Sender noch eine Filmstiftung im Boot. Nach dem letzten Dreh haben wir dann glücklicherweise Partner gefunden: etwa Steffen Simon vom WDR oder auch die DFB-Kulturstiftung. Die Ausstrahlung in der ARD war für die Refinanzierung des Films schon wichtig.

DFB.de: Wie läuft derzeit der DVD-Verkauf?

Pause: Richtig gut. Die Leute wollen diese Fußballgeschichte sehen, und das freut mich sehr.

DFB.de: Reden wir über Ihr neues Projekt, die Dokumentation "Trainer!" Weshalb hat Sie der Fußballtrainer so interessiert?

Pause: Fußballtrainer werden permanent beurteilt, meistens hart und kritisch. Kaum ein Beruf in Deutschland wird medial stärker transportiert. Trainer werden auf großer Bühne ausgestellt. In der Folge lassen sie kaum einen Menschen an sich ran. Mir ging es bei meinem neuen Film "Trainer!" darum, die Perspektive zu wechseln und mal nicht zu urteilen. Ich wollte eine deutlich größere Nähe erzeugen. Die Resonanz war enorm, auch bei den Trainern, die abgesagt haben.

DFB.de: Sie bekamen einige Absagen aus der Bundesliga.

Pause: Ich hätte im Idealfall gerne einen Trainer aus der ersten, einen aus der zweiten und einen aus der dritten Liga über ein Jahr begleitet, um die ganze Bandbreite zu zeigen. Bei einem Bundesligatrainer hätte ich zumindest große Kompromisse machen müssen. Ich habe mit Felix Magath gesprochen, mit Thomas Schaaf, Mirko Slomka, Mike Büskens, Bruno Labbadia, Dieter Hecking und Christian Streich. Letztlich wollten sie diese Nähe, die ich mit meinem Filmteam gebraucht hätte, politisch nicht zulassen.

DFB.de: Schade, dieses Jahr von Christian Streich wäre ein schöner Film geworden.

Pause: Total, ich habe lange mit ihm telefoniert, aber er hatte gerade den Klassenverbleib gepackt und stand noch am Anfang seiner Trainerzeit beim SC Freiburg. Ihm fehlte damals der Überblick, wie so ein Film wirken könnte, deshalb sagte er lieber ab. Besonders weit war ich bei Thomas Schaaf, aber auch dort klappte es am Ende nicht. Ich begleite also zwei Trainer aus der 2. Bundesliga und einen Trainer aus der 3. Liga. Die Bundesliga wird durch ausführliche Interviews im Film abgebildet: etwa mit Jürgen Klopp, Mirko Slomka, Armin Veh und Thomas Schaaf.

DFB.de: Bei welchen Trainern durften Sie und Ihr Team also für ein Jahr in die Umkleide?

Pause: Begleitet habe ich André Schubert vom FC St. Pauli, Stephan Schmidt vom SC Paderborn und nicht zuletzt Frank Schmidt vom 1. FC Heidenheim. So schlimm das natürlich persönlich für André Schubert war, für den Film war sein früher Rauswurf in Hamburg interessant. Nichts ist im Leben eines Trainers schließlich so garantiert wie die Entlassung, und wir zeigen die Anatomie dieser Trennung sowie die darauffolgende Phase, in der man probiert, wieder aufs Karussell zu kommen.

DFB.de: Was haben Sie im Lauf der einjährigen Dreharbeiten Neues über den Fußballtrainer erfahren?

Pause: Es geht weniger um ganz neue Erkenntnisse. Der Film ist der Versuch, wirklich nah dran zu sein. Als langjähriger Sportreporter kenne ich die geltenden Grenzen dessen, was man zeigen kann und darf. Mit sehr viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl haben wir uns über diese Grenzen hinaus bewegt. "Trainer!" ist ein differenzierter, abendfüllender Blick aus nächster Nähe auf den Alltag mehrerer Fußballtrainer. Der Film zeigt auch, was diese tägliche harte Beurteilung mit manchen Trainern macht.

DFB.de: Verändert sich das Jobprofil des Fußballtrainers?

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Pause: Es kommt nicht darauf an, ob einer Ex-Fußballer ist oder der Konzepttrainer mit sportwissenschaftlichem Hintergrund. Beide Typen wird es weiter geben. Sozialkompetenz wird immer wichtiger. Der Motivator alter Schule hat abgedankt. Der Trainer muss den heutigen Spieler inhaltlich überzeugen. Nur mit Angst und Druck diktatorisch seine Linie durchziehen, das ist nicht mehr haltbar. Über Entertainer-Qualitäten muss der Trainer heute schon verfügen. Wenn man sich dieser Anforderung bewusst widersetzt, kommt man nicht mehr durch.

DFB.de: Die Drehtage sind gezählt…

Pause: So ist es. Der letzte Dreh wäre vorstellbar bei einem Relegationsspiel des FC Heidenheim am 28. Mai. Die TV-Premiere wird bereits am 3. Juni im WDR sein. Die TV-Fassung dauert 90 Minuten, die Kino-und DVD-Version wird deutlich länger.

DFB.de: Ein anderer Film von Ihnen - "Mesut, 17" - lief Ende März in Berlin beim "11mm-Festival", danach war der Kurzfilm ein Hit im Internet. Worum geht's?

Pause: Eine schöne, spannende Zeitreise. Wir drehten im Januar 2006 beim Mercedes-Benz-Juniorcup in Sindelfingen. Meine Reportage habe ich an einigen jungen Spielern aufgehängt, unter anderem an dem damals 17-jährigen Mesut Özil. Joachim Löw, damals Klinsmanns Assistent, war vor Ort. Eingedenk der Entwicklung, die Mesut Özil inzwischen genommen hat, ist es doch schön, noch mal zurückzublicken.

DFB.de: Sie arbeiten bei Ihren Projekten mit der DFB-Kulturstiftung zusammen.

Pause: Das läuft sensationell. Ein Verband von der Größe des DFB sollte sich kulturell engagieren, aber wie die Kulturstiftung sich ins Zeug legt, ist schon aller Ehren wert. Ohne die Stiftung wäre das Berliner Fußballfilmfestival nicht möglich. Die DFB-Kulturstiftung Theo Zwanziger hat sowohl "Tom meets Zizou" als auch "Trainer!" gefördert. Und dabei gibt es keinerlei inhaltliche Einflussnahme.

DFB.de: Ganz Deutschland ist im Champions-League-Fieber. Sie auch?

Pause: Und wie. Ich stamme aus Bonn, bin aber Bayern-Fan. Schön, dass wir den Dortmundern jetzt erst im Finale begegnen werden.