Weltmeister-Verteidiger unter sich: Boateng trifft Augenthaler

Zwei Weltmeister an einem Tisch, zwei Generationen, zwei Defensivkünstler. Die BILD hat Klaus Augenthaler, Weltmeister von 1990 und Jerome Boateng, Weltmeister von 2014, zum gemeinsamen Gespräch gebeten. Aus dem Interview entstand eine spezielle Fahrt. Boateng (26) wurde von Augenthaler (57) mit auf eine Zeitreise genommen. Von 2015 aus ging es an der WM 2006 vorbei über die Jahrtausendwende bis zum Fall der Berliner Mauer. Bremsen, stopp, zu weit. Ein wenig rückwärts. Augenthaler entführte Boateng nicht in den Herbst 1989, die Reise endet im Sommer 1990. Die Mauer war schon gefallen, die Wiedervereinigung stand kurz vor ihrem formellen Abschluss.

Schon vor dem 3. Oktober konnte das neue Gesamtdeutschland ein erstes Mal gemeinsam über einen großen sportlichen Sieg jubeln. Rom am 8. Juli 1990, gegen 22.15 Uhr. Hier setzt die Erzählung Augenthalers ein. Sie ist ein klein wenig unappetitlich, aber eigentlich auch nicht. Augenthaler war mit der deutschen Nationalmannschaft soeben Weltmeister geworden. Beckenbauer war einsam auf dem Spielfeld gewandelt und hatte damit ein Bild für die Ewigkeit geliefert, die Spieler hatten den WM-Pokal in den Nachthimmel gereckt.

Jetzt sollte es in die Kabine gehen, die interne Feier sollte beginnen. Und sie begann. Auch für Augenthaler. Nur währte sie für ihn nicht lang. Er erzählt: "Ich musste nach dem Finalsieg leider zur Dopingkontrolle. Da war ich vier Stunden lang. Ich hatte gerade mal einen Becher Sekt getrunken, bevor die Männer von der FIFA kamen. Sie marschierten direkt hinter Helmut Kohl in die Kabine. Als ich zurückkam, waren bloß noch meine Klamotten da. Und der Fahrer, der auf mich gewartet hatte."

So trug es sich zu, dass Augenthaler die spontane Feier in der Kabine nicht miterleben konnte. In der Gegenwart gibt Boateng ihm einen Ratschlag, der zwar richtig ist, die Vergangenheit jedoch nicht zu ändern vermag. Für Probleme mit dem ausbleibenden Harndrang gibt es eine simple Rezeptur: "Immer nachschütten." Boateng selbst musste sich dieses Mittels nach dem Finale von Rio nicht bedienen, er hatte weniger Pech als Augenthaler. "Also ich konnte sofort mit dem Feiern loslegen. Ich musste nicht zur Dopingkontrolle", sagt er.

Boateng "verschmäht" Augenthalers Nummer

Als Augenthaler Weltmeister wurde, war Boateng keine zwei Jahre alt. Er, der Jüngere, kennt die Leistungen des Älteren nur aus Erzählungen. Umgekehrt hat Augenthaler die Karriere eines seiner Nachnachnachfolger in der Abwehr der Nationalmannschaft mit eigenen Augen verfolgt, besonders intensiv, seit Boateng im Jahr 2011 aus Manchester nach München gewechselt ist.

Die Münchner Ära Boatengs begann aus Sicht Augenthalers mit einer persönlichen Enttäuschung. Bei der Wahl der Rückennummer hat Boateng die Zahl verschmäht, mit der Augenthaler sein Leben lang durch die Stadien der Bundesliga spaziert ist. "Es hat mich erstmal gewundert, dass er nicht die Nummer fünf von mir genommen hat", sagt Augenthaler. Boateng kontert den scherzhaften Angriff mit der ernsten Wahrheit: "Die war schon belegt." So wählte der Berliner die Nummer 17.

Seiner Karriere hat dies nicht geschadet. Auch Augenthaler war nicht so nachhaltig beleidigt, um zu ignorieren, welchen Werdegang Boateng auch ohne die Nummer fünf genommen hat. "Früher habe ich manchmal gedacht: Du spielst zu sehr Harakiri. Du hattest schon Gelb ist bist trotzdem nochmal so riskant in einem Zweikampf gegangen", sagt Augenthaler. Heute denkt er anders über Boateng. "Jerome hat sich jede Saison gesteigert und eine absolut souveräne WM gespielt."

Boateng bleibt bescheiden

Sogar mehr als das. Es gibt Experten, die in Boateng den besten Spieler des Turniers ausgemacht haben. Als Verteidiger fehlen ihm die spektakulären Szenen in der Offensive. Was Boateng macht, wird nicht von allen als das gesehen, was es ist: große Kunst. Denn es hat sehr wohl etwas von Spektakel, wie ruhig und zugleich fast majestätisch Boateng den Gegenspielern den Ball vom Fuß zu nehmen pflegt. Wenn Boateng den Ball gewinnt, setzt er hinter die Aussage zumeist mehr als nur ein Ausrufezeichen: Mit mir nicht!!!

Gleichwohl gehört die ganz große Aufmerksamkeit anderen. Weltfußballer wurde Ronaldo, ihm folgte Messi auf Platz zwei. Augenthaler kennt dieses Problem, er war schließlich selbst Defensivspieler. Augenthaler zitiert einen großen Trainer, um das Missverhältnis zu beschreiben. "Otto Rehhagel hat immer gesagt: Die Stürmer stehen vor der Kamera. Und die Abwehrspieler müssen unter dem Teppich durch."

Ein Klage ist dies nicht, eher eine Zustandsbeschreibung. Augenthaler beschwert sich nicht, auch Boateng zieht sein Ego nicht aus der Anzahl der Artikel in den Zeitungen. "Mich stört das überhaupt nicht", sagt er. "Für mich ist es in erster Linie wichtig, dass ich vom Trainer ein gutes Feedback bekomme. Ich muss nicht auf die Titelseite." [sl]


Zwei Weltmeister an einem Tisch, zwei Generationen, zwei Defensivkünstler. Die BILD hat Klaus Augenthaler, Weltmeister von 1990 und Jerome Boateng, Weltmeister von 2014, zum gemeinsamen Gespräch gebeten. Aus dem Interview entstand eine spezielle Fahrt. Boateng (26) wurde von Augenthaler (57) mit auf eine Zeitreise genommen. Von 2015 aus ging es an der WM 2006 vorbei über die Jahrtausendwende bis zum Fall der Berliner Mauer. Bremsen, stopp, zu weit. Ein wenig rückwärts. Augenthaler entführte Boateng nicht in den Herbst 1989, die Reise endet im Sommer 1990. Die Mauer war schon gefallen, die Wiedervereinigung stand kurz vor ihrem formellen Abschluss.

Schon vor dem 3. Oktober konnte das neue Gesamtdeutschland ein erstes Mal gemeinsam über einen großen sportlichen Sieg jubeln. Rom am 8. Juli 1990, gegen 22.15 Uhr. Hier setzt die Erzählung Augenthalers ein. Sie ist ein klein wenig unappetitlich, aber eigentlich auch nicht. Augenthaler war mit der deutschen Nationalmannschaft soeben Weltmeister geworden. Beckenbauer war einsam auf dem Spielfeld gewandelt und hatte damit ein Bild für die Ewigkeit geliefert, die Spieler hatten den WM-Pokal in den Nachthimmel gereckt.

Jetzt sollte es in die Kabine gehen, die interne Feier sollte beginnen. Und sie begann. Auch für Augenthaler. Nur währte sie für ihn nicht lang. Er erzählt: "Ich musste nach dem Finalsieg leider zur Dopingkontrolle. Da war ich vier Stunden lang. Ich hatte gerade mal einen Becher Sekt getrunken, bevor die Männer von der FIFA kamen. Sie marschierten direkt hinter Helmut Kohl in die Kabine. Als ich zurückkam, waren bloß noch meine Klamotten da. Und der Fahrer, der auf mich gewartet hatte."

So trug es sich zu, dass Augenthaler die spontane Feier in der Kabine nicht miterleben konnte. In der Gegenwart gibt Boateng ihm einen Ratschlag, der zwar richtig ist, die Vergangenheit jedoch nicht zu ändern vermag. Für Probleme mit dem ausbleibenden Harndrang gibt es eine simple Rezeptur: "Immer nachschütten." Boateng selbst musste sich dieses Mittels nach dem Finale von Rio nicht bedienen, er hatte weniger Pech als Augenthaler. "Also ich konnte sofort mit dem Feiern loslegen. Ich musste nicht zur Dopingkontrolle", sagt er.

Boateng "verschmäht" Augenthalers Nummer

Als Augenthaler Weltmeister wurde, war Boateng keine zwei Jahre alt. Er, der Jüngere, kennt die Leistungen des Älteren nur aus Erzählungen. Umgekehrt hat Augenthaler die Karriere eines seiner Nachnachnachfolger in der Abwehr der Nationalmannschaft mit eigenen Augen verfolgt, besonders intensiv, seit Boateng im Jahr 2011 aus Manchester nach München gewechselt ist.

Die Münchner Ära Boatengs begann aus Sicht Augenthalers mit einer persönlichen Enttäuschung. Bei der Wahl der Rückennummer hat Boateng die Zahl verschmäht, mit der Augenthaler sein Leben lang durch die Stadien der Bundesliga spaziert ist. "Es hat mich erstmal gewundert, dass er nicht die Nummer fünf von mir genommen hat", sagt Augenthaler. Boateng kontert den scherzhaften Angriff mit der ernsten Wahrheit: "Die war schon belegt." So wählte der Berliner die Nummer 17.

Seiner Karriere hat dies nicht geschadet. Auch Augenthaler war nicht so nachhaltig beleidigt, um zu ignorieren, welchen Werdegang Boateng auch ohne die Nummer fünf genommen hat. "Früher habe ich manchmal gedacht: Du spielst zu sehr Harakiri. Du hattest schon Gelb ist bist trotzdem nochmal so riskant in einem Zweikampf gegangen", sagt Augenthaler. Heute denkt er anders über Boateng. "Jerome hat sich jede Saison gesteigert und eine absolut souveräne WM gespielt."

Boateng bleibt bescheiden

Sogar mehr als das. Es gibt Experten, die in Boateng den besten Spieler des Turniers ausgemacht haben. Als Verteidiger fehlen ihm die spektakulären Szenen in der Offensive. Was Boateng macht, wird nicht von allen als das gesehen, was es ist: große Kunst. Denn es hat sehr wohl etwas von Spektakel, wie ruhig und zugleich fast majestätisch Boateng den Gegenspielern den Ball vom Fuß zu nehmen pflegt. Wenn Boateng den Ball gewinnt, setzt er hinter die Aussage zumeist mehr als nur ein Ausrufezeichen: Mit mir nicht!!!

Gleichwohl gehört die ganz große Aufmerksamkeit anderen. Weltfußballer wurde Ronaldo, ihm folgte Messi auf Platz zwei. Augenthaler kennt dieses Problem, er war schließlich selbst Defensivspieler. Augenthaler zitiert einen großen Trainer, um das Missverhältnis zu beschreiben. "Otto Rehhagel hat immer gesagt: Die Stürmer stehen vor der Kamera. Und die Abwehrspieler müssen unter dem Teppich durch."

Ein Klage ist dies nicht, eher eine Zustandsbeschreibung. Augenthaler beschwert sich nicht, auch Boateng zieht sein Ego nicht aus der Anzahl der Artikel in den Zeitungen. "Mich stört das überhaupt nicht", sagt er. "Für mich ist es in erster Linie wichtig, dass ich vom Trainer ein gutes Feedback bekomme. Ich muss nicht auf die Titelseite."