Weidenfeller: Ein Halbjahr zum Vergessen

Manchmal lässt sich die Gemütslage von ziemlich vielen Menschen mit ziemlich wenigen Begriffen beschreiben. Im Fall von Borussia Dortmund und seiner Anhänger genügen dafür zwei Ziffern beziehungsweise eine Zahl: 17. Hinter dem BVB liegt eine Halbserie, in der schiefging, was schiefgehen konnte, nur einmal verwechselte Murphy die Borussias und beförderte den Rückpass von Gladbachs Christoph Kramer über den halben Platz ins eigene Tor. Ganze 15 Punkte sammelte Dortmund, nach 17 Spieltagen steht Platz 17 als erschütterndes Resultat.

Die Therapie, die Jürgen Klopp seiner Mannschaft verordnete, lässt sich als willkürliche Amnesie beschreiben: Sechs Monate und 17 Spieltage sollen aus dem Gedächtnis gelöscht werden, der Blick einzig der Rückserie gelten. "Wir müssen irgendwann aufhören mit dem Rückblick auf die Vorrunde", sagt Klopp.

Und seine Spieler folgen ihm. "Sich jetzt mit der Vergangenheit zu beschäftigen, wäre ein Fehler", sagt etwa Roman Weidenfeller in der Bild. "Wir sind mitten in 2015, wir sollten uns nicht mehr mit 2014 beschäftigen." Nicht mit 2014 beschäftigen hieße für ihn auch: die WM aus seinem Gedächtnis löschen. Macht er natürlich nicht. Präzise muss es heißen: Nicht mit dem beschäftigen, was sich ab dem ersten Spieltag der Bundesligasaison 2014/2015 ereignete, nicht mit dem, was nach dem Triumph von Maracana über den BVB und Weltmeister Weidenfeller hereingebrochen ist.

Weidenfeller über WM-Triumph: "Gemeinsamer Erfolg war gigantisch"

Beim Torhüter setzt die Erinnerungen folglich vor dem ersten Spieltag der Saison 2013/2014 ein. Mit der wunderbaren Konsequenz, dass sein Blick in die Vergangenheit mit dem 13. Juli 2014 beginnt. Die frischeste Erinnerung ist folglich die schönste, und so kann der Torhüter über die Zeit bis zum 13. Juli reden, als hätte die WM erst gestern geendet: "Ich habe mich riesig gefreut, dass ich die Möglichkeit hatte, in Brasilien dabei zu sein. Es gibt nichts Größeres, als diesen Pokal nach Hause zu bringen. Ich kann mich über die Nationalelf nur positiv äußern. Der gemeinsame Erfolg war natürlich gigantisch."

Bei Weidenfeller hat die Therapie angeschlagen, wobei - Fragmente aus der Zeit nach Brasilien sind dann doch vorhanden, umfassend ist seine Amnesie nicht. Die Frage der Bild-Zeitung, ob er sich als Nummer eins des BVB sieht, hätte bei ihm vor der WM wohl ein mittleres Beben ausgelöst. Und jetzt? War Weidenfeller weniger irritiert, als ein voller Gedächtnisverlust vermuten lässt.

Denn natürlich weiß er noch, dass da etwas war. Mitch Langerak, die Auswechselbank, Untätigkeit - einige Bruchstücke haben sich nicht verdrängen lasen. Aber Weidenfeller hat intus, dass sich die Zukunft nicht in der Vergangenheit gestalten lässt. Also sagt er zu seiner Situation beim BVB: "Ich trage die Nummer eins auf dem Rücken, von daher gehe ich davon aus, dass ich die Nummer eins bin!"

Individualist und Teamplayer

Mit fehlender Kollegialität hat dies nichts zu tun, eher mit vorhandenem Selbstvertrauen. Und wer in Brasilien erlebt hat, wie überragend Weidenfeller die Position hinter Manuel Neuer angenommen und gefüllt hat, kann keinen Zweifel daran haben, dass Weidenfeller als Torwart ein großartiger Individualist und als Sportler ein exzellenter Teamplayer ist. Es ist Zeugnis gleichermaßen der Größe Weidenfellers und der Fähigkeiten Neuers, wenn Weidenfeller nach der Wahl zum Weltfußballer sagt: "Oliver Kahn hat es versucht, Manuel hat es probiert. Wenn diese Torhüter so nah dran waren und es keiner schaffte, dann wird es danach womöglich keiner mehr schaffen."

Die junge Vergangenheit liegt für ihn im Nebel, für die Zukunft hat Weidenfeller klare Vorstellungen. Mit Dortmund und genauso mit der Nationalmannschaft. Der Torhüter will zur EM nach Frankreich, Weidenfeller will Rio in Paris fortsetzen. "Es ist jedenfalls mein Ziel, dass ich 2016 wieder ein Teil des Teams bin", sagt er.

Und er weiß, was dafür die Voraussetzung ist: Leistung beim BVB. "Jetzt beginnt ein neues Jahr, und wir wollen alle gemeinsam nach vorne schauen", sagt er. "Wir müssen sehen, dass wir schnellstmöglich die Kurve bekommen. Für uns zählt allein, möglichst schnell eine Serie zu starten, um aus dem Keller zu kommen." Damit beim Blick auf die Tabelle nicht ganz schnell die böse Erinnerung an das vergangenen Halbjahr den Weg in seine Gedanken findet.

[sl]

Manchmal lässt sich die Gemütslage von ziemlich vielen Menschen mit ziemlich wenigen Begriffen beschreiben. Im Fall von Borussia Dortmund und seiner Anhänger genügen dafür zwei Ziffern beziehungsweise eine Zahl: 17. Hinter dem BVB liegt eine Halbserie, in der schiefging, was schiefgehen konnte, nur einmal verwechselte Murphy die Borussias und beförderte den Rückpass von Gladbachs Christoph Kramer über den halben Platz ins eigene Tor. Ganze 15 Punkte sammelte Dortmund, nach 17 Spieltagen steht Platz 17 als erschütterndes Resultat.

Die Therapie, die Jürgen Klopp seiner Mannschaft verordnete, lässt sich als willkürliche Amnesie beschreiben: Sechs Monate und 17 Spieltage sollen aus dem Gedächtnis gelöscht werden, der Blick einzig der Rückserie gelten. "Wir müssen irgendwann aufhören mit dem Rückblick auf die Vorrunde", sagt Klopp.

Und seine Spieler folgen ihm. "Sich jetzt mit der Vergangenheit zu beschäftigen, wäre ein Fehler", sagt etwa Roman Weidenfeller in der Bild. "Wir sind mitten in 2015, wir sollten uns nicht mehr mit 2014 beschäftigen." Nicht mit 2014 beschäftigen hieße für ihn auch: die WM aus seinem Gedächtnis löschen. Macht er natürlich nicht. Präzise muss es heißen: Nicht mit dem beschäftigen, was sich ab dem ersten Spieltag der Bundesligasaison 2014/2015 ereignete, nicht mit dem, was nach dem Triumph von Maracana über den BVB und Weltmeister Weidenfeller hereingebrochen ist.

Weidenfeller über WM-Triumph: "Gemeinsamer Erfolg war gigantisch"

Beim Torhüter setzt die Erinnerungen folglich vor dem ersten Spieltag der Saison 2013/2014 ein. Mit der wunderbaren Konsequenz, dass sein Blick in die Vergangenheit mit dem 13. Juli 2014 beginnt. Die frischeste Erinnerung ist folglich die schönste, und so kann der Torhüter über die Zeit bis zum 13. Juli reden, als hätte die WM erst gestern geendet: "Ich habe mich riesig gefreut, dass ich die Möglichkeit hatte, in Brasilien dabei zu sein. Es gibt nichts Größeres, als diesen Pokal nach Hause zu bringen. Ich kann mich über die Nationalelf nur positiv äußern. Der gemeinsame Erfolg war natürlich gigantisch."

Bei Weidenfeller hat die Therapie angeschlagen, wobei - Fragmente aus der Zeit nach Brasilien sind dann doch vorhanden, umfassend ist seine Amnesie nicht. Die Frage der Bild-Zeitung, ob er sich als Nummer eins des BVB sieht, hätte bei ihm vor der WM wohl ein mittleres Beben ausgelöst. Und jetzt? War Weidenfeller weniger irritiert, als ein voller Gedächtnisverlust vermuten lässt.

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Denn natürlich weiß er noch, dass da etwas war. Mitch Langerak, die Auswechselbank, Untätigkeit - einige Bruchstücke haben sich nicht verdrängen lasen. Aber Weidenfeller hat intus, dass sich die Zukunft nicht in der Vergangenheit gestalten lässt. Also sagt er zu seiner Situation beim BVB: "Ich trage die Nummer eins auf dem Rücken, von daher gehe ich davon aus, dass ich die Nummer eins bin!"

Individualist und Teamplayer

Mit fehlender Kollegialität hat dies nichts zu tun, eher mit vorhandenem Selbstvertrauen. Und wer in Brasilien erlebt hat, wie überragend Weidenfeller die Position hinter Manuel Neuer angenommen und gefüllt hat, kann keinen Zweifel daran haben, dass Weidenfeller als Torwart ein großartiger Individualist und als Sportler ein exzellenter Teamplayer ist. Es ist Zeugnis gleichermaßen der Größe Weidenfellers und der Fähigkeiten Neuers, wenn Weidenfeller nach der Wahl zum Weltfußballer sagt: "Oliver Kahn hat es versucht, Manuel hat es probiert. Wenn diese Torhüter so nah dran waren und es keiner schaffte, dann wird es danach womöglich keiner mehr schaffen."

Die junge Vergangenheit liegt für ihn im Nebel, für die Zukunft hat Weidenfeller klare Vorstellungen. Mit Dortmund und genauso mit der Nationalmannschaft. Der Torhüter will zur EM nach Frankreich, Weidenfeller will Rio in Paris fortsetzen. "Es ist jedenfalls mein Ziel, dass ich 2016 wieder ein Teil des Teams bin", sagt er.

Und er weiß, was dafür die Voraussetzung ist: Leistung beim BVB. "Jetzt beginnt ein neues Jahr, und wir wollen alle gemeinsam nach vorne schauen", sagt er. "Wir müssen sehen, dass wir schnellstmöglich die Kurve bekommen. Für uns zählt allein, möglichst schnell eine Serie zu starten, um aus dem Keller zu kommen." Damit beim Blick auf die Tabelle nicht ganz schnell die böse Erinnerung an das vergangenen Halbjahr den Weg in seine Gedanken findet.