Was genau macht ein Schiedsrichter-Coach?

DFB.de: Am Freitagvormittag gibt es auch eine Art Rollenspiel, was verbirgt sich dahinter?

Fröhlich: Es wird ein Spielcoaching simuliert, das mit der Betrachtung eines kompletten Spiels beginnt. Dazu werden die üblichen Spielnotizen von den Coaches vorgenommen. Alle Coaches bereiten damit die Spielanalyse und den Beobachtungsbericht vor. Aufgabe ist es hier, die wesentlichen Aspekte in der Spielleitung herauszuarbeiten und sie mit entsprechendem Bildmaterial aus dem Spiel zu belegen. Auf dieser Basis wird dann ein Coaching-Gespräch mit einem Schiedsrichterteam simuliert und ausgewertet. Wichtig für ein effektives Gespräch sind eine strukturierte Kommunikation, in der Wichtiges von Unwichtigem klar getrennt wird. Die Spielanalyse sollte in der Regel nicht mehr als zwei, drei Schwerpunkte umfassen. Für das Coaching insgesamt sind fachliche, pädagogische und kommunikative Kompetenz von großer Bedeutung. In genau in diesen drei Bausteinen wird trainiert. Denn je fitter die Coaches hier sind, desto effektiver verläuft auch die Entwicklungsarbeit mit den Schiedsrichtern.

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Heute und Freitag treffen sich die Schiedsrichter-Coaches des DFB in Frankfurt am Main zum zweiten Lehrgang des Jahres 2013. Welche Aufgabe ein Schiedsrichter hat, ist kein Geheimnis, auch die Arbeit der Schiedsrichter-Assistenten und Vierten Offiziellen ist klar definiert. Aber was genau macht ein Schiedsrichter-Coach?

DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke hat bei Lutz Michael Fröhlich, dem Abteilungsleiter Schiedsrichter des DFB, nachgefragt. Ein Interview über Spielcoaches und Individualcoaches und deren Funktionen.

DFB.de: Herr Fröhlich, wie genau funktioniert das System der Schiedsrichter-Coaches des DFB?

Lutz Michael Fröhlich: Zunächst ist zwischen zwei Ausrichtungen des Coachings zu unterscheiden. Zum einen gibt es die Coaches bei den Spielen in der Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga, die ein sogenanntes Spielcoaching durchführen. Dieses Spielcoaching ist eine Weiterentwicklung der Funktion eines Schiedsrichter-Beobachters. Der Spielcoach beobachtet den Schiedsrichter nicht nur, er soll ihn auch in der unmittelbaren Vorbereitung auf das Spiel unterstützen. Nach dem Spiel soll er gemeinsam mit dem Schiedsrichterteam eine Analyse der Spielleitung durchführen, schließlich den Beobachtungsbericht anfertigen und den Schiedsrichter darin mit einer Note bewerten. Zum anderen gibt es die Coaches, die die Schiedsrichter über die gesamte Saison begleiten, mit Ihnen die Spielleitungen aufarbeiten, Leistungsprofile erstellen und Entwicklungsziele für und mit dem Schiedsrichter erarbeiten. Das ist dann das Individualcoaching. Das Spielcoaching ist auf eine kurzfristige Aufarbeitung und Bewertung der Spielleitung ausgerichtet, das Individualcoaching dagegen perspektivisch auf die Entwicklung des Schiedsrichters.

DFB.de: Eine Neuerung, die durch die Schiedsrichter-Kommission vor drei Jahren eingeführt wurde.

Fröhlich: Ja. Das Individualcoaching wurde über drei Jahre beginnend mit der Bundesliga stufenweise bis in die 3. Liga hinein etabliert. Die Individualcoaches begleiten die Schiedsrichter über einen längeren Zeitraum. Sie haben die Gesamtentwicklung im Auge und sehen nicht nur eine Leistung an einem Spieltag. Wobei auch die Individualcoaches jedes Spiel mit "ihrem" Schiedsrichter analysieren, aber mit einem zeitlichen Abstand zum Spiel von drei bis vier Tagen. Grundlage dieser Analyse ist die vollständige Spielaufzeichnung, der Beobachtungsbericht zum Spiel und vor allem der Dialog mit dem Schiedsrichter.

DFB.de: Wie viele Coaches gibt es für die Schiedsrichter der ersten drei Ligen?

Fröhlich: Es werden derzeit inklusive der Schiedsrichterführung 41 Coaches als Spielcoaches eingesetzt, davon dann 25 auch als Individualcoaches. In der 2. Bundesliga und der 3. Liga hat inzwischen jeder Schiedsrichter einen Individualcoach. In der Bundesliga sind es in erster Linie die Schiedsrichter, die in den vergangenen Jahren neu hinzukamen, die durch einen Individualcoach begleitet werden. Die Schiedsrichter, die schon über einen längeren Zeitraum in der Bundesliga Spiele leiten, wie Peter Gagelmann, Thorsten Kinhöfer, Florian Meyer oder Michael Weiner haben keinen Individualcoach im eigentlichen Sinne, sie werden statt dessen unmittelbar durch die Schiedsrichterführung begleitet.

DFB.de: Wie wird entschieden, welcher Schiedsrichter von welchem Coach betreut wird?

Fröhlich: Die Zuteilung der Individualcoaches wird von der Schiedsrichterführung für den Elitebereich vorgenommen, wobei nicht in jedem Jahr ein Wechsel erfolgt. In der Regel ist diese Zusammenarbeit so angelegt, dass Coach und Schiedsrichter mindestens zwei bis drei Jahre zusammenarbeiten. So lassen sich langfristige Entwicklungen besser beurteilen und steuern. Die Arbeit der Individualcoaches ist reine "Entwicklungsarbeit", sie mündet darin, dass der Coach zur Winterpause und nach der Saison jeweils ein Leistungsprofil für „seinen“ Schiedsrichter schreiben und Entwicklungsziele aufzeigen muss.

DFB.de: Diese Leistungsprofile erhält dann die Schiedsrichterführung für den Elitebereich?

Fröhlich: Ja, dadurch haben wir einen Überblick darüber, welcher Schiedsrichter sich auf welchem Leistungs- und Entwicklungsstand befindet. Für uns ist das wichtig, weil wir die Schiedsrichter nicht nur über den erreichten Notendurchschnitt beurteilen, sondern auch Entwicklungspotenziale berücksichtigen.

DFB.de: Jeder Schiedsrichter hat also "seinen" individuellen Coach. Wie wurden diese vor drei Jahren ausgewählt?

Fröhlich: Aus dem Pool der Spielcoaches. Bevor wir in der Saison 2010/2011 mit dem Individualcoaching begonnen haben, wurden für alle Spielcoaches Grundlagenseminare zum Coaching durchgeführt, mit den Inhalten Spielanalyse, Spielbewertung, Spieldokumentation, Spielaufarbeitung. Danach wurden dann die 30 Individualcoaches ausgewählt. Das System ist so angelegt, dass der Individualcoach bei „seinem“ Schiedsrichter zwei Mal pro Saison auch als Spielcoach eingesetzt werden kann, ihn dann auch mit einer Note bewerten muss. Dadurch wird der Eindruck, der sich aus den DVD-Analysen ergibt, durch einen Live-Eindruck ergänzt.

DFB.de: Die Spielcoaches verteilen Noten. Ist einem System mit Notengebung die Gefahr des Missbrauchs nicht immanent? Und wie abhängig sind die Schiedsrichter von diesen Noten?

Fröhlich: Die Note ist nur ein Parameter von vielen, wenn es um die generelle Einschätzung der Qualität eines Schiedsrichters und damit um seine Entwicklungsmöglichkeiten geht. Der Einfluss der Noten hat in den vergangenen Jahren abgenommen, aber es ist dennoch gut, dass wir dieses Notensystem beibehalten haben. Es ist ein Motivationspunkt, ein Maßstab, an dem sich die Schiedsrichter orientieren. Daher ist auch ein verantwortungsvoller Umgang bei der Notengebung wichtig. Die Schiedsrichter wissen aber auch, dass die Beobachtungsnote nicht das alleinige Kriterium dafür ist, ob man zum Beispiel bei den Spielansetzungen berücksichtigt wird oder sich für eine höhere Liga qualifiziert. Der Stellenwert des gesamten Beobachtungsberichtes ist nach wie vor hoch – aber vor allem für die Weiterentwicklung.

DFB.de: Wie sieht das Zusammenwirken der Spielcoaches mit den Individualcoaches ganz konkret aus?

Fröhlich: Die Aufgabe des Spielcoaches endet nach dem Spiel und dem Verfassen des Beobachtungsberichtes, der durchschnittlich übrigens ca. 3 Stunden in Anspruch nimmt. Die Aufgabe des Individualcoaches beginnt nach dem Spiel, zunächst mit einem kurzen Erstgespräch mit seinem Schiedsrichter meistens noch am Spieltag. Der Individualcoach erhält innerhalb von drei Tagen nach dem Spiel vom Schiedsrichter die Spielaufzeichnung und schaut sich diese an. Bis zu diesem Zeitpunkt ist auch der Beobachtungsbericht fertig gestellt, so dass alle relevanten Unterlagen vorliegen. Dann kommt es zu einem Coaching-Gespräch zwischen dem Schiedsrichter und seinem Individualcoach. Über diesen Weg erhält er einen Eindruck zu dem Schiedsrichter aus den Berichten vieler Experten. Wenn ein Spielcoach beispielsweise feststellt, dass der Schiedsrichter Schwierigkeiten bei der Auslegung der Zweikämpfe im Oberkörperbereich hat, dann ist das zunächst mal nur eine spielbezogene Feststellung. Wiederholt sich diese Einschätzung in den Beobachtungsberichten, dann weiß der Individualcoach, dass er in diesem Bereich mit seinem Schiedsrichter arbeiten muss.

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DFB.de: Sind Sie in Ihrer aktiven Karriere selber gecoacht worden?

Fröhlich: Zu meiner Zeit gab es nur das Spielcoaching - und es sah anders aus als heute. Das Spielcoaching ist inzwischen, nicht zuletzt auch durch die technische Entwicklung, wesentlich "inhaltlicher und detaillierter" als früher. Und damit auch wertvoller für die Schiedsrichter.

DFB.de: Am Donnerstag und Freitag führen Sie gemeinsam mit Hellmut Krug und Eugen Strigel einen Lehrgang für die Schiedsrichter-Coaches durch. Welche Inhalte stehen dabei auf dem Programm, wie sieht so ein Lehrgang aus?

Fröhlich: Diese Lehrgänge gezielt für die Schiedsrichter-Coaches der ersten drei Ligen führen wir seit drei Jahren durch. Sie sind als echte Trainings ausgestaltet, die in den Inhalten wesentlich von Hellmut Krug vorbereitet werden. Eugen Strigel ergänzt das mit seiner Erfahrung als Coach und seinen Einblicken, die er als Ansetzer der Coaches gewonnen hat. Zu den Inhalten der Trainings gehört ein Test zur Anwendung der Disziplinarkontrolle. Den Coaches werden zum Beispiel 20 Szenen vorgespielt, die Coaches müssen dann entscheiden, welche Disziplinarstrafe angebracht ist. Rot oder Gelb? Oder Nichts? Dieses Training haben wir mit unseren Schiedsrichtern genauso durchgeführt - Idealvorstellung ist, dass alle sich in allen Situationen über das Maß der Strafe einig sind und somit eine klare Linie erkennbar ist. Und eine Einheitlichkeit in der Bewertung von Spielsituation lässt sich nur erreichen, wenn alle über dieselbe Grundlagen verfügen. Dazu gehören auch die Informationen zur Regelauslegung, insbesondere wenn sich Veränderungen ergeben.

DFB.de: Gibt es noch weitere Inhalte?

Fröhlich: Klar. Etwa die Einordnung von mehreren Szenen aus einem Spiel in eine Gesamtbetrachtung. Da werden zum Beispiel aus verschiedenen Spielen mehrere Szenen eingespielt, Aufgabe der Coaches ist es, diese einzuordnen und zu bewerten, auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Note. Auch das ist ein praxisorientiertes Training.

DFB.de: Am Freitagvormittag gibt es auch eine Art Rollenspiel, was verbirgt sich dahinter?

Fröhlich: Es wird ein Spielcoaching simuliert, das mit der Betrachtung eines kompletten Spiels beginnt. Dazu werden die üblichen Spielnotizen von den Coaches vorgenommen. Alle Coaches bereiten damit die Spielanalyse und den Beobachtungsbericht vor. Aufgabe ist es hier, die wesentlichen Aspekte in der Spielleitung herauszuarbeiten und sie mit entsprechendem Bildmaterial aus dem Spiel zu belegen. Auf dieser Basis wird dann ein Coaching-Gespräch mit einem Schiedsrichterteam simuliert und ausgewertet. Wichtig für ein effektives Gespräch sind eine strukturierte Kommunikation, in der Wichtiges von Unwichtigem klar getrennt wird. Die Spielanalyse sollte in der Regel nicht mehr als zwei, drei Schwerpunkte umfassen. Für das Coaching insgesamt sind fachliche, pädagogische und kommunikative Kompetenz von großer Bedeutung. In genau in diesen drei Bausteinen wird trainiert. Denn je fitter die Coaches hier sind, desto effektiver verläuft auch die Entwicklungsarbeit mit den Schiedsrichtern.