Frauen-Nationalmannschaft

Voss-Tecklenburg: "Wir sind weit entfernt von einem 'Weiter so'"

05.08.2023
Joti Chatzialexiou: "Die Mentalität hat uns in Deutschland früher ausgezeichnet"

In einer Abschlusspressekonferenz haben Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg und Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaften, die Frauen-WM in Australien und Neuseeland Revue passieren lassen und über Gründe für das Aus, ihre Zukunft und Bereiche mit Nachholbedarf gesprochen. DFB.de hat mitgeschrieben.

Martina Voss-Tecklenburg über...

... ihre Zukunft: Ich bleibe hartnäckig und bleibe stark. Das Einfache im Leben ist, wegzulaufen, wenn es schwierig ist. Ich bin noch nie weggelaufen. Ich habe weiterhin den festen Willen, zusammen mit allen Beteiligten die nächsten Schritte im deutschen Frauenfußball zu gehen.

... die Reaktion auf das Aus: Unmittelbar nach dem Spiel hatte jeder erstmal mit sich zu tun, mit dem Schockzustand, den Gefühlen und Emotionen umzugehen, das ist ganz klar. Danach gab es in der Mannschaft schon erste Gespräche untereinander. Von den Fans kam unheimlich viel positiver Support und Rückmeldung. Ich erlebe die Spielerinnen jetzt im Miteinander. Die haben sich gestern sehr gut ausgetauscht, das gehört dazu nach so einem Misserfolg.

... die Aufarbeitung: Wir haben mehrfach betont, dass wir das aufarbeiten und immer sachlich mit den Dingen umgehen. Das haben wir auch im Erfolgsfall nach der EM getan. Dort haben wir genauso die Dinge angeschaut, die gut liefen und wo Optimierungsbedarf besteht. Wir sind weit entfernt von einem "Weiter so". Das ist eine permanente Entwicklung und ein permanenter Auftrag. Wenn man sich hohe Ziele setzt, kann man auch tief fallen. Alle, die hier waren, haben 24 Stunden am Tag gearbeitet, um am Ende eine sportliche Leistung in den Rahmenbedingungen sicherzustellen.

... die Rückkehr in die Weltspitze und den Umgang mit Drucksituationen: Ich glaube, das geht nur über Erfahrungen. Dieser Prozess, warum bin ich in gewissen Situationen vielleicht nicht in der Lage, meine optimale Leistung abzurufen, ist etwas, was man in einem Turnier unter einer extremen Situation lernen muss. Das spielt sich eher im Unterbewusstsein ab. Der Umgang mit Druck, etwas verlieren zu können, löst nun einmal etwas aus und wenn wir einen hohen Anspruch formulieren, dann ist das etwas, was eine mentale Situation bedingt. Das kann man umdrehen und nur noch niedrige Ziele formulieren, um den Druck zu nehmen. Aber es wäre nicht realistisch gewesen, wenn wir gesagt hätten, wir schauen mal, ob wir die Gruppe überstehen. Das sind jetzt Prozesse, die wir durchleben, um die nächsten Schritte zu machen. Die Erfahrungen, die wir jetzt machen, sind hart, aber nur die bringen dich normaler Weise weiter. Wir müssen sie nutzen, um in der Zukunft wieder bessere Leistungen zu bringen und besser mit Drucksituationen umgehen zu können.

... ihre Entscheidungsfindung: Entscheidungen zu hinterfragen, gehört immer dazu. Was du im Fußball nicht bekommst, ist eine Antwort darauf. Wenn ich eine Entscheidung treffe, weiß ich nicht, ob eine andere Entscheidung besser gegriffen hätte, ob sie das Ergebnis verändert hätte. Deswegen muss ich zu meinen Entscheidungen stehen und kann diese auch immer erklären. Unsere Entscheidungen sind immer für, nie gegen eine Person gefallen.

... das Teamquartier: Ich kann zu Wyong sagen, dass wir uns alles angeschaut haben, alles akribisch aufgeschrieben und Vor- und Nachteile abgewogen haben. Im Gesamtprozess haben wir uns mit vielen Beteiligten hingesetzt und eine Entscheidung getroffen, weil wir der Meinung waren, das passt am besten zu uns. Wir hatten die Nähe zum Trainingsplatz und Freiräume im Wohnen, ohne in großen Hotels untergebracht zu sein. Wir stehen weiter hinter dieser Entscheidung. Die Erfahrungswerte werden wir natürlich in zukünftigen Prozessen mit einfließe lassen.

... die Auswirkung des WM-Aus auf die Wahrnehmung: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es auf die Dinge, die wir angeschoben haben, keinen Einfluss hat. Ich spüre, dass die Fans eher das Gefühl haben "Jetzt erst recht". Im Erfolgsfall fallen Dinge leicht, im Misserfolg muss man jetzt dabei bleiben.

Joti Chatzialexiou über... 

... das Team: Ich sehe eine sehr gefestigte Mannschaft. Nach der ersten Enttäuschung und Leere habe ich in vielen Gesprächen mit einzelnen Spielerinnen eine gute Grundhaltung erkannt, dass sie sehr selbstkritisch mit sich umgegangen sind, aber auch mit dem Willen, nach vorne zu blicken und gemeinsam das Ruder rumzureißen. Das zeigt, welcher Geist in der Mannschaft steckt.

... die Aufarbeitung: Wir werden in den kommenden Tagen eine umfangreiche Analyse starten. Wir werden schauen, welche Schritte wir für die Zukunft benötigen, um so etwas zu vermeiden.

... Nations League und Olympia: Ich habe selbst schon Olympische Spiele miterlebt. Das ist ein großes Turnier und es ist wundervoll, mit vielen anderen Sportlern in einem Wettkampf zu stehen, der eine besondere Bedeutung hat. Mit Sicherheit ist Olympia eine Zielsetzung, denn es ist wichtig, den Blick wieder nach vorne zu richten und zu zeigen, dass wir diese Schmach wettmachen können. In der Nations League wird jedes Spiel zählen. Es ist schwer, diese Balance zu finden, weil wir mit den Einsatzzeiten in der Nationalmannschaft vernünftig umgehen wollen. Das wird in die Analyse mit eingehen.

... Auswirkungen des WM-Ausscheidens: So ein Turnier ist immer eine große Chance, Vorbilder entstehen zu lassen. Wir haben viele gut gemeinte Nachrichten bekommen. Jedes Turnier ist anders, man kann sie nicht vergleichen. Bei der EM waren wir unbefangen, weil niemand mit uns gerechnet hat. Jetzt war der Fokus auf die Mannschaft ein anderer. Wir müssen für die nächsten Turniere lernen, damit umzugehen.

... eine starke Nationalmannschaft: Man muss zusammenarbeiten, um eine starke Nationalmannschaft zu haben. Wir haben eine gewisse Abhängigkeit von den Vereinen, da geht es um ein vertrautes Miteinander und das ist in so einer Situation sehr entscheidend. Das ist ein Faktor für die Zukunft, dass wir Hand in Hand arbeiten müssen, weil wir sonst keinen Erfolg für die Nationalmannschaft garantieren können.

... die Nachwuchsförderung: Wir haben das "Projekt Zukunft" aufgestellt, weil wir Optimierungsbedarf gesehen haben und weiterhin sehen. Wir waren im Übergangsbereich zu den Frauen nicht gut aufgestellt. Wir haben in den letzten Jahren die Trainerteams aufgestockt, mehr Hauptamtlichkeit eingeführt und ab der neuen Saison eine fest zugeteilte U 20. Wir haben die Strukturen in der B-Juniorinnen-Bundesliga angepasst, weil sie bisher keine ideale Liga für die individuelle Weiterentwicklung von Spitzenspielerinnen ist. Zur Wahrheit gehört auch, dass unsere Mühlen in Deutschland leider zu langsam mahlen. In Nationen wie der Schweiz sind die Kommunikationswege und die Entscheidungsprozesse aus sportlicher Sicht einfacher, auch dass wenig sportpolitische Themen eine Rolle spielen. Am Ende geht es um die Inhalte. Dieses Gefühl hat man bei uns leider das eine oder andere Mal nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir gute und vor allem professionelle Strukturen in den Frauen-Bundesligen aufbauen.

... Klasse und Mentalität: Wir sind eine Fußballnation, die einen hohen Anspruch hat. Wir möchten zukünftig in der Nachwuchsausbildung so gefestigt sein, dass wir eine bessere Breite haben, um den Konkurrenzkampf in Turnieren aufrecht zu erhalten. Die Mentalität hat uns in Deutschland früher ausgezeichnet, das war unsere DNA, damit wir haben wir die Spiele gewonnen. Wir haben einzelne Spieler und Spielerinnen, die das übernehmen, aber wir brauchen das im Kollektiv und müssen im Bereich Persönlichkeitsentwicklung Themen angehen. Ich glaube, dass die Persönlichkeit ein entscheidender Faktor sein kann.

Kategorien: Frauen-Nationalmannschaft, Fan Club, Frauen

Autor: dfb