Vor 40 Jahren: Der "unerwünschte" Triumph

Steigerung von Spiel zu Spiel

Unter diesen Umständen ist schon die Qualifikation für das Turnier in Montreal ein Erfolg. Beim Olympischen Turnier erlebt auch Dörner, die Dresdner Libero-Legende, den Sommer seines Lebens. Zum einen: Drei Wochen Kanada – für jeden "normalen" DDR-Bürger ein unerreichbarer Traum! Zum anderen: der große Erfolg. Nach mühsamen Beginn steigert sich die Buschner-Elf von Spiel zu Spiel. Schlägt Spanien (mit Arconada), dann Frankreich (mit Platini) und im Halbfinale auch die UdSSR (mit Blochin). Abwehrchef Dörner wird zudem mit vier Treffern der erfolgreichste Torschütze in seinen Reihen.

Vor dem Finale – gegen leicht favorisierte Polen – sind sich die DDR-Jungs einig: Volle Pulle! 1964 in Tokio und 1972 in München hatten ihre Vorgänger jeweils Bronze geholt. Sie haben Silber bereits sicher, wollen aber Gold! Der Start der DDR-Auswahl ist furios. Mit schnellem und direktem Spiel gelingt es, den Titelverteidiger zu überrumpeln. Gekrönt wird diese Taktik durch zwei Tore von Hartmut Schade (Dynamo Dresden) und Martin Hoffmann (1. FC Magdeburg). Nach nur 14 Minuten steht es 2:0. Vielleicht sind es die besten 45 Minuten einer DDR-Auswahl überhaupt. Noch dazu in einem Spiel, in dem es um sehr viel geht.

Das Fußball-Finale ist die letzte Entscheidung dieser Olympischen Spiele. Polens Stürmer-Star Lato – zwei Jahre zuvor WM-Torschützenkönig – verkürzt. Kurz vor Schluss aber macht Reinhard Häfner (Dynamo Dresden) alles klar – 3:1 für die DDR! Kurz vor Mitternacht an diesem 31. Juli 1976 liegen sich Dörner, Häfner, Croy und all die anderen glücklich in den Armen. Damit beginnt auch ihre Partytime.

Erst am frühen Morgen kehren die Fußball-Olympiasieger ins Quartier zurück. Noch einmal Dixie Dörner: "Als wir in den Fahrstuhl einsteigen wollten, es war vielleicht halb sechs oder so, kam da plötzlich Manfred Ewald raus. Er war wohl auf dem Weg zum Frühstück."

Wortlos passiert der DDR-Sportboss die freudetrunkenen Kicker, die danach die Folgen ihres "unerwünschten" Triumphs zu spüren bekamen. Der DDR-Fußball durfte die kräftige Anschubhilfe durch das Gold von Montreal nie nutzen.

[dfb]


Für 17 junge Fußballer aus der DDR ist es der Sommer ihres Lebens und für den DDR-Fußball der größte Triumph. Zwei Jahre nach der WM-Teilnahme 1974 gewinnt die Mannschaft von Trainer Georg Buschner im Finale des Olympischen Fußballturniers mit dem 3:1-Erfolg gegen Titelverteidiger Polen die Goldmedaille. 40 Jahre nach dem Olympiasieg – dem bislang einzigen für eine deutsche Mannschaft - verdeutlicht der Rückblick des Journalisten Uwe Karte die merkwürdigen Umstände dieser Erfolgsstory. Und verweist darüber hinaus auf entscheidende Gründe, warum die Nationalmannschaft nach 1976 nie wieder daran anknüpfen sollte und konnte.

Sommer 1976. Eine ungewöhnliche lange Hitzewelle lässt die Deutschen in Ost und West stöhnen. Autobahnbeton bröckelt. Die Binnenschifffahrt meldet historische Tiefststände. Erfrischungsgetränke sind in den DDR-Kaufhallen längst Mangelware. Und noch immer kein Regen in Sicht. Dafür melden die Meteorologen am 17. Juli: Hitzerekord - so heiß wie nie seit 1893! In Montreal eröffnet an diesem Tag die englische Königin die Olympischen Sommerspiele. Erst in englischer, dann in französischer Sprache.

Die DDR-Fußballer erleben die Eröffnungsfeier nur am Bildschirm mit. Sie sind in Toronto. Müssen am nächsten Tag gegen das brasilianische Olympiateam ran und mühen sich beim Turnierauftakt zu einem torlosen Unentschieden. Torhüter Jürgen Croy (Sachsenring Zwickau) ist der beste Mann. Kein schönes Spiel, das wissen sie selbst: Hauptsache nicht verloren! Das hätte in dieser Dreiergruppe das sichere Aus bedeutet. Sambia hatte - wie andere afrikanische Verbände auch - seine Sportler zurückgezogen.

Gleich nach der Rückkehr ins Olympische Dorf ergeht an das Kollektiv um Auswahlkapitän "Dixie" Dörner eine unmissverständliche Anweisung: "Alle zu Ewald, sofort!" Der DDR-Sportboss ist ob der Darbietung der Buschner-Truppe reichlich ungehalten: "Das Auftreten und die Art und Weise eures Spieles war eine Schande und eine Beleidigung für die DDR-Olympioniken!"

Manfred Ewald will Medaillen sehen. So wie bei den Pistolenschützen, die Stunden zuvor Gold und Silber holten. Zudem zählt der schneidige Funktionär nicht unbedingt als Fußballfreund: 17 Sportler für einmal Edelmetall? Das entspricht einfach nicht seinem Effizienzgedanken und so tobt er weiter: "Am liebsten würde ich Euch mit der nächsten Maschine nach Hause schicken!"

Stumm ertragen die Kicker aus Dresden, Jena oder Leipzig diese Tiraden. Widerspruch ist zwecklos, das wissen sie gut genug. Schließlich ist es irgendwann auch vorbei. Bevor sich alle auf ihre Zimmer zurückziehen, ruft der Coach seine Männer noch einmal kurz zusammen. Georg Buschner hebt den Zeigefinger: "Lasst diese Lattenhorcher quatschen. Damit wir uns richtig verstehen: Es gilt, was ich gesagt habe! Und ich sage es noch einmal. Dieses 0:0 ist für uns ein gutes Ergebnis! Habt ihr verstanden?"

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Eskalation nach der WM 1974

Der Konflikt zwischen den Fußballern und den Sportoberen vom Deutschen Turn-und Sportbund (DTSB) ist nicht neu. Zur Eskalation kommt es nach der WM 1974. Erstmals hatte sich die DDR-Elf für eine Endrunde der weltbesten Teams qualifizieren können. Wird nach dem 1:0 im deutsch-deutschen Duell von Hamburg sogar Gruppensieger. Agiert auf Augenhöhe mit Argentinien, unterliegt Brasilien nur denkbar knapp. Damit gilt das Team von Georg Buschner nach dem WM-Dritten Polen als der Aufsteiger im europäischen Fußball. Wird Monate später sogar zum Jubiläumsspiel "75 Jahre CF Barcelona" ins Camp Nou eingeladen.

Die DDR-Fußball-Funktionäre wollen die Gunst der Stunde nutzen, fordern vom DTSB mehr Eigenständigkeit. Im Kern geht es um die selbständige Anmeldung zu internationalen Wettbewerben und die finanzielle Selbstständigkeit. Die Sportbosse halten dagegen. Finden die politisch-ideologische Erziehung verbesserungswürdig. Zudem müssten Fußballer nun endlich so viel trainieren wie die erfolgreichen Ruderer oder Kanuten. An Hauptbelastungstagen am besten gleich dreimal!

Wie aber das Problem lösen, wenn die Positionen beider Seiten unvereinbar sind? 18 Monate geht es hin und her. Sogar im SED-Politbüro und im Zentralkomitee wird darüber diskutiert. Nur die Fußballer haben kein Mitspracherecht. Warum eigentlich? "Keine Ahnung, das war halt so. Den Grund kann ich nicht sagen", sagt Hans-Jürgen "Dixie" Dörner, der ab 1975 die Nationalmannschaft als Kapitän auf den Rasen führt.

Die Ergebnisse in der EM-Qualifikation sprechen für sich. Gegen Belgien und Frankreich holen Dörner und Co. jeweils drei von vier möglichen Punkten – geben gegen Island aber auch drei von vier Zählern ab. Nach der 1:2-Pleite in Reykjavik werden sie von den staatlich gelenkten Medien zerrissen: "Blamabel! Der absolute Tiefpunkt im Fußball ist erreicht!"

Im Frühjahr 1976 ist der Machtkampf entschieden – der DTSB hat gewonnen. Die Hauptaufgabe im Fußball lautet nun: Verstärkung der politisch-ideologischen Arbeit! Dazu wird auch die "Erhöhung des politischen und fachlichen Niveaus der Trainer" propagiert. Diese Forderung findet ein prominentes Opfer. Heinz Krügel – zwei Jahre zuvor mit dem 1. FC Magdeburg noch Europapokalsieger geworden – landet kurz vor den Olympischen Spielen von Montreal im beruflichen Abseits. Degradiert zum Objektleiter einer Kegelbahn. Offizielle Begründung: "Ungenügende Entwicklung der Olympiakader!" Dazu wird den DDR-Fußballern auch noch ein neuer Generalsekretär vor die Nase gesetzt. Er kommt direkt vom Kanuverband.

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Steigerung von Spiel zu Spiel

Unter diesen Umständen ist schon die Qualifikation für das Turnier in Montreal ein Erfolg. Beim Olympischen Turnier erlebt auch Dörner, die Dresdner Libero-Legende, den Sommer seines Lebens. Zum einen: Drei Wochen Kanada – für jeden "normalen" DDR-Bürger ein unerreichbarer Traum! Zum anderen: der große Erfolg. Nach mühsamen Beginn steigert sich die Buschner-Elf von Spiel zu Spiel. Schlägt Spanien (mit Arconada), dann Frankreich (mit Platini) und im Halbfinale auch die UdSSR (mit Blochin). Abwehrchef Dörner wird zudem mit vier Treffern der erfolgreichste Torschütze in seinen Reihen.

Vor dem Finale – gegen leicht favorisierte Polen – sind sich die DDR-Jungs einig: Volle Pulle! 1964 in Tokio und 1972 in München hatten ihre Vorgänger jeweils Bronze geholt. Sie haben Silber bereits sicher, wollen aber Gold! Der Start der DDR-Auswahl ist furios. Mit schnellem und direktem Spiel gelingt es, den Titelverteidiger zu überrumpeln. Gekrönt wird diese Taktik durch zwei Tore von Hartmut Schade (Dynamo Dresden) und Martin Hoffmann (1. FC Magdeburg). Nach nur 14 Minuten steht es 2:0. Vielleicht sind es die besten 45 Minuten einer DDR-Auswahl überhaupt. Noch dazu in einem Spiel, in dem es um sehr viel geht.

Das Fußball-Finale ist die letzte Entscheidung dieser Olympischen Spiele. Polens Stürmer-Star Lato – zwei Jahre zuvor WM-Torschützenkönig – verkürzt. Kurz vor Schluss aber macht Reinhard Häfner (Dynamo Dresden) alles klar – 3:1 für die DDR! Kurz vor Mitternacht an diesem 31. Juli 1976 liegen sich Dörner, Häfner, Croy und all die anderen glücklich in den Armen. Damit beginnt auch ihre Partytime.

Erst am frühen Morgen kehren die Fußball-Olympiasieger ins Quartier zurück. Noch einmal Dixie Dörner: "Als wir in den Fahrstuhl einsteigen wollten, es war vielleicht halb sechs oder so, kam da plötzlich Manfred Ewald raus. Er war wohl auf dem Weg zum Frühstück."

Wortlos passiert der DDR-Sportboss die freudetrunkenen Kicker, die danach die Folgen ihres "unerwünschten" Triumphs zu spüren bekamen. Der DDR-Fußball durfte die kräftige Anschubhilfe durch das Gold von Montreal nie nutzen.