Vogts: "Mourinho hilft dem deutschen Fußball"

DFB.de: Wie beurteilen Sie die Zukunft von Özil und Khedira bei Real Madrid?

Berti Vogts: Ich verbinde ihre weitere Entwicklung mit der Hoffnung, dass sie in Madrid bei dem vielleicht weltbesten Vereinstrainer angeheuert haben. José Mourinho weiß genau, was er will. Er duldet keinerlei Vetternwirtschaft und keinerlei Eingreifen von Beratern. Dass die beiden bei diesem Trainer sind, das hilft dem deutschen Fußball. Mourinho beobachtet sie ganz genau, wird sie weiter fördern – nicht nur taktisch, nicht nur in Sachen Disziplin, sondern auch bei ihrem charakterlichen Reifeprozess.

DFB.de: Mario Gomez sahen Sie vor einem Jahr auf dem Weg zum neuen Weltstar des deutschen Fußballs. Warum ist er in dieser Rolle noch nicht angekommen?

Berti Vogts: Okay, da muss man wissen, dass ein Spieler bei Bayern München manchmal ein wenig mehr Zeit braucht, um Fuß zu fassen. Aber nicht nur beim FC Bayern. Wenn man sich erinnert an einen Kevin Keegan, der als absoluter Weltklassespieler in den 70er-Jahren nach Hamburg kam und dann ein Jahr gebraucht hat, um beim HSV den Durchbruch zum Topmann zu schaffen. Oder an einen Allan Simonsen, der 1972 zu uns nach Mönchengladbach kam und dann Jahre einer tollen Aufwärtsentwicklung hinter sich brachte, ehe er 1977 als Krönung Europas Fußballer des Jahres wurde. Gomez besitzt ein unglaubliches Potenzial als Stürmer, den man allerdings in Position bringen muss. Ich hoffe, dass er im zweiten Jahr bei den Bayern jetzt Gas geben wird.

DFB.de: Als früherer U 21-Trainer des DFB waren Sie in den 80er-Jahren für alle Nachwuchstteams verantwortlich. 2009 hat der DFB für kurze Zeit drei EM-Titel bei U 17, U 19 und U 21 gehalten. Wie wichtig sind solche Erfolge?

Berti Vogts: Erfolge im Junioren-Bereich des DFB sind schön. Das Wichtigste aber ist, eine perfekt spielende A-Nationalmannschaft zu haben. Dabei muss sicher gestellt sein, dass Löw das entscheidende Wort hat. Dass diese U-Teams Europameister werden, ist erfreulich und eine tolle Bestätigung der gemeinsamen Arbeit, aber es ist nur zweitrangig. Wichtig ist in erster Linie die Talentförderung. Früher in der DDR haben die Juniorenteams mehr Titel geholt als der DFB. Bei uns, beim DFB, bei Dietrich Weise und bei mir, aber gab es damals nur ein Kriterium: An allererster Stelle steht die A-Mannschaft. Sie ist die bedeutsamste Mannschaft in Deutschland. Für die müssen wir Talente ausbilden und diese Talente an sie heranführen. Genauso wie die Talente ausgebildet werden müssen für die Bundesliga. Trotz dieser unumstößlichen Priorität sind Dietrich Weise 1981 mit der U 19 Europameister und mit der U 20 Weltmeister und ich mit der U 17 Europameister 1984 geworden.

DFB.de: In der Bundesliga hat die neue Saison begonnen. Geht es an der Spitze auch diesmal wieder nur darum, wer hinter Bayern München Zweiter wird?

Berti Vogts: Ich glaube, nur darum geht es. Doch dieser Kampf um Platz zwei wird sehr hart und spannend.



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Wie vor einem Jahr in der WM-Qualifikation ist Aserbaidschan mit Berti Vogts als Nationaltrainer jetzt auch auf dem Weg zur EM-Endrunde 2012 Gegner der deutschen Nationalmannschaft - am Dienstag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) in Köln.

Ende 2009 hat der in Büttgen bei Mönchengladbach geborene 63 Jahre alte Fußball-Lehrer seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert. Vor allem, weil er Aserbaidschan als Fußball-Entwicklungsland seit seinem Amtsantritt 2008 auf einem guten Weg sieht. Gleichzeitig ist Vogts, der von 1990 bis 1998 Bundestrainer war und mit dem DFB-Team 1996 Europameister wurde, ein aufmerksamer Beobachter des deutschen Fußballs geblieben.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Wolfgang Tobien beurteilt Berti Vogts die Erfolgsaussichten seiner Mannschaft für die Begegnung in Köln, zieht für das Team von Joachim Löw eine sehr positive WM-Bilanz und äußert sich zu den EM-Perspektiven der DFB-Auswahl sowie zur Weiterentwicklung der deutschen Talente.

Zudem nimmt der 96-malige Nationalspieler, der 1974 Weltmeister und mit Borussia Mönchengladbach fünfmal Meister und zweimal UEFA-Cup-Sieger wurde, zum aktuellen Bundesliga-Geschehen Stellung.

DFB.de: Herr Vogts, im August und September 2009 standen Sie mit Aserbaidschan der deutschen Nationalmannschaft in zwei WM-Qualifikationsspielen gegenüber. Am morgigen Dienstag kommt es in Köln zum Wiedersehen in der EM-Qualifikation. Ist diese dritte Begegnung mit Deutschland innerhalb eines Jahres für Sie immer noch ein ganz besonderes Spiel?

Berti Vogts: Vor allem ist es für Aserbaidschan abermals ein besonderes Spiel. Wie vor einem Jahr können wir auch diesmal kostenlos dazulernen. Das ist wichtig für diesen jungen Fußballverband, der mit dem DFB nicht nur in sportlichen Auseinandersetzungen steht. Die beiden Verbände sind ja auch miteinander befreundet. Diese Qualifikationsspiele mit Deutschland sind für die Entwicklung des Fußballs in Aserbaidschan sehr lehrreich.

DFB.de: Welche Chancen rechnen Sie sich diesmal aus?

Berti Vogts: Es sieht für uns nicht so gut aus, da sich Aserbaidschan als muslimisches Land mitten im Ramadan befindet. Meine Spieler haben damit einige Probleme, zumal drei wichtige Leistungsträger auch noch verletzt sind. Ich bin froh, wenn ich mit 17, 18 Spielern nach Köln kommen kann, davon werden bestimmt sechs, sieben aus der U 21 berufen.

DFB.de: Wird die Aufgabe für Ihr Team dadurch erschwert, dass die deutsche Mannschaft erstmals nach der WM vor eigenem Publikum antreten wird und dabei die Lobeshymnen für ihre tollen Leistungen in Südafrika bestätigen will?

Berti Vogts: Sie wird bestimmt mit vollem Elan beginnen, um in Köln eine Riesenparty zu veranstalten. Köln ist bekannt für seine Superstimmung bei großen Sportereignissen und vor allem bei großen Fußballspielen mit einem tollen Publikum.

DFB.de: Hat sich das Gesicht Ihrer Mannschaft personell und taktisch verändert?

Berti Vogts: Die Mannschaft hat sich weiter entwickelt in den vergangenen zwölf Monaten, ist gewachsen. Von den letzten zehn Spielen haben wir nur zwei verloren, dagegen vier gewonnen, darunter gegen Tschechien. Und auch das 1:1 gegen Russland in unserem letzten WM-Qualifikationsspiel zeigt, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Die drei Ausfälle, darunter zwei wichtige Abwehrspieler und mein bester Stürmer, tun jetzt aber weh.

DFB.de: 2008 traten Sie in Aserbaidschan Ihren Job mit dem Vorsatz an, dass das Nationalteam in vier, fünf Jahren Anschluss an europäisches Mittelmaß erreichen wird. Wo steht Ihr Team inzwischen seit dem tollen Achtungserfolg gegen die Russen?

Berti Vogts: Mit der Entwicklung der jungen Spieler bin ich sehr zufrieden. Doch die Erwartungen dürfen nicht zu hoch geschraubt werden. Wir sind noch nicht in der Lage, nach Deutschland zu fahren mit dem Vorsatz, ein Unentschieden zu erreichen.

DFB.de: Wie stellt sich die Situation des aserbaidschanischen Fußballs derzeit generell dar – ist Schach dank der nationalen Ikone Garri Kasparow immer noch populärer?

Berti Vogts: Schach ist hier weiterhin die Sportart Nummer eins. Dann kommen Ringen und die leichteren Klassen im Gewichtheben. Der Fußballverband muss seinen Weg der strukturellen Verbesserungen konsequent fortsetzen und natürlich auch die intensive Förderung der jungen Spieler. Der größeren Popularität des Fußballs dient es ganz sicher nicht, wenn der Fan am Mittwoch noch nicht weiß, ob das Spiel seiner Mannschaft in der ersten Liga am kommenden Wochenende samstags oder sonntags stattfindet, um nur mal ein kleines Beispiel zu nennen. Die Liga muss dazulernen und sollte sich mit der DFL, zum Beispiel beim Rückspiel in Baku, austauschen

DFB.de: Ende 2009 haben Sie Ihren Vertrag verlängert. Warum?

Berti Vogts: Ich sehe mich hier weniger als Nationaltrainer, sondern fühle mich viel mehr als Entwicklungshelfer. Ich mache diese Aufgabe gerne, zumal der Verband alles unternimmt, um meine Arbeit zu unterstützen. Wir haben vier 14-jährige Talente zu Bayern München geschickt und nach Hoffenheim. Wir schicken weitere vier Spieler zu meinem Freund Alex Ferguson bei Manchester United. Die Jugend ist die Zukunft des Fußballs in Aserbaidschan. Darauf basiert das Konzept des Verbandes, was ich sehr gut finde. Deshalb fühle ich mich hier sehr gut aufgehoben.

DFB.de: Weiterhin als Torwarttrainer an Ihrer Seite ist wie zuvor schon in Kuwait und Nigeria Uli Stein, der während seiner aktiven Zeit einer der besten, aber auch umstrittensten Torhüter in Deutschland war. Was zeichnet die Zusammenarbeit zwischen Ihnen aus?

Berti Vogts: Wir beide wissen, wovon wir reden. Jeder ist absolut kompetent und erfahren in seinem Bereich. Ich weiß genau, dass man Uli Stein in Deutschland früher viel Unrecht getan hat. Er ist ein Torwarttrainer, der hier auch mit jungen Torhütern arbeitet, der ihnen alles vermittelt, was ein guter Torwart benötigt. Er leistet wirklich sehr, sehr gute Arbeit.

DFB.de: Deutschland tritt in Köln als WM-Dritter an. Wie bewerten Sie im nachhinein die Leistungen des Löw-Teams in Südafrika?

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Berti Vogts: Deutschland war die beste Mannschaft des Turniers. Leider hat sie den Titel nicht erreicht. Doch von der spielerischen Klasse, mit der dieses Team aufgetreten ist, hätte sie den WM-Titel absolut verdient. Fußballerisch ist in der Summe aller Spiele in Südafrika Deutschland der wahre Weltmeister. Doch im Fußball entscheiden die Tore. Hier ist Spanien im Halbfinale der entscheidende Treffer gelungen. Das tut weh. Doch in dieser Mannschaft steckt soviel Potenzial wie selten zuvor in einem deutschen Nationalteam.

DFB.de: Mit welchen Perspektiven kann Deutschland also der EM 2012 in Polen und der Ukraine entgegenblicken?

Berti Vogts: Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die WM 1970 in Mexiko. Damals wurde Deutschland ebenfalls Dritter und gewann dann zwei Jahre später mit der vielleicht besten Mannschaft der DFB-Geschichte den EM-Titel. Mit dieser Mannschaft ist das heutige Team rein fußballerisch absolut zu vergleichen. Ich hoffe, dass die jungen Spieler jetzt weiterhin auf Jogi Löw und Oliver Bierhoff hören, dass sie wirklich weiterhin hart an sich arbeiten.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die Zukunft von Özil und Khedira bei Real Madrid?

Berti Vogts: Ich verbinde ihre weitere Entwicklung mit der Hoffnung, dass sie in Madrid bei dem vielleicht weltbesten Vereinstrainer angeheuert haben. José Mourinho weiß genau, was er will. Er duldet keinerlei Vetternwirtschaft und keinerlei Eingreifen von Beratern. Dass die beiden bei diesem Trainer sind, das hilft dem deutschen Fußball. Mourinho beobachtet sie ganz genau, wird sie weiter fördern – nicht nur taktisch, nicht nur in Sachen Disziplin, sondern auch bei ihrem charakterlichen Reifeprozess.

DFB.de: Mario Gomez sahen Sie vor einem Jahr auf dem Weg zum neuen Weltstar des deutschen Fußballs. Warum ist er in dieser Rolle noch nicht angekommen?

Berti Vogts: Okay, da muss man wissen, dass ein Spieler bei Bayern München manchmal ein wenig mehr Zeit braucht, um Fuß zu fassen. Aber nicht nur beim FC Bayern. Wenn man sich erinnert an einen Kevin Keegan, der als absoluter Weltklassespieler in den 70er-Jahren nach Hamburg kam und dann ein Jahr gebraucht hat, um beim HSV den Durchbruch zum Topmann zu schaffen. Oder an einen Allan Simonsen, der 1972 zu uns nach Mönchengladbach kam und dann Jahre einer tollen Aufwärtsentwicklung hinter sich brachte, ehe er 1977 als Krönung Europas Fußballer des Jahres wurde. Gomez besitzt ein unglaubliches Potenzial als Stürmer, den man allerdings in Position bringen muss. Ich hoffe, dass er im zweiten Jahr bei den Bayern jetzt Gas geben wird.

DFB.de: Als früherer U 21-Trainer des DFB waren Sie in den 80er-Jahren für alle Nachwuchstteams verantwortlich. 2009 hat der DFB für kurze Zeit drei EM-Titel bei U 17, U 19 und U 21 gehalten. Wie wichtig sind solche Erfolge?

Berti Vogts: Erfolge im Junioren-Bereich des DFB sind schön. Das Wichtigste aber ist, eine perfekt spielende A-Nationalmannschaft zu haben. Dabei muss sicher gestellt sein, dass Löw das entscheidende Wort hat. Dass diese U-Teams Europameister werden, ist erfreulich und eine tolle Bestätigung der gemeinsamen Arbeit, aber es ist nur zweitrangig. Wichtig ist in erster Linie die Talentförderung. Früher in der DDR haben die Juniorenteams mehr Titel geholt als der DFB. Bei uns, beim DFB, bei Dietrich Weise und bei mir, aber gab es damals nur ein Kriterium: An allererster Stelle steht die A-Mannschaft. Sie ist die bedeutsamste Mannschaft in Deutschland. Für die müssen wir Talente ausbilden und diese Talente an sie heranführen. Genauso wie die Talente ausgebildet werden müssen für die Bundesliga. Trotz dieser unumstößlichen Priorität sind Dietrich Weise 1981 mit der U 19 Europameister und mit der U 20 Weltmeister und ich mit der U 17 Europameister 1984 geworden.

DFB.de: In der Bundesliga hat die neue Saison begonnen. Geht es an der Spitze auch diesmal wieder nur darum, wer hinter Bayern München Zweiter wird?

Berti Vogts: Ich glaube, nur darum geht es. Doch dieser Kampf um Platz zwei wird sehr hart und spannend.

DFB.de: Wer wird also Vizemeister?

Berti Vogts: Ich drücke Jupp Heynckes die Daumen, dass er mit seinem Leverkusener Team den Bayern wirklich sehr, sehr lange Feuer geben und Paroli bieten kann.

DFB.de: Welchen Gesamteindruck haben Sie international von der Bundesliga?

Berti Vogts: Man muss abwarten. Die englische Liga darf man nach dem enttäuschenden WM-Abschneiden der Nationalmannschaft jetzt nicht abschreiben. Sie ist nach wie vor die beste Liga der Welt. Das sage ich nicht nur als Freund des englischen Fußballs. Nicht umsonst ist sie in der kommenden Champions League als einzige Liga mit vier Mannschaften vertreten.

DFB.de: Wo ist die Bundesliga einzuordnen?

Berti Vogts: Sie hat enorm aufgeholt. Das Wichtigste muss für sie sein, dass die 90 Minuten auf dem Spielfeld absolut im Vordergrund stehen. Und nicht das ganze Drumherum.

DFB.de: Fakt ist aber, dass die Bundesliga seit fast zehn Jahren - und die Nationalmannschaft seit 1996 - keinen großen internationalen Titel mehr gewann. Warum klappt es seitdem nicht mit dem letzten großen Schritt nach ganz oben?

Berti Vogts: Bayern München war ja oftmals ganz kurz davor. Auf diesem Niveau dort oben entscheiden beim letzten Schritt Millimeter und manchmal auch das Glück. Gerade im Ausland liefern die Bayern seit Jahren die eindruckvollste Visitenkarte ab. Die Weltspitze im europäischen Klubfußball ist so eng zusammengerückt, dass manchmal nur ein winziger Fehler oder eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters darüber entscheiden, wer ins Finale kommt und dieses dann auch gewinnt.

DFB.de: Nach Ihrem Rücktritt als Bundestrainer 1998 und einem Bundesliga-Intermezzo in Leverkusen 2000/2001 sind Sie als Trainer ein Weltenbummler geworden. Ist die Rückkehr an einen Arbeitsplatz in Deutschland ausgeschlossen?

Berti Vogts: Als Trainer mir Sicherheit. Doch über ein Engagement als Sportdirektor oder in beratender Funktion würde ich mit mir reden lassen. Eigentlich aber fühle ich mich hier in Aserbaidschan zu Hause.