Tim Meyer: "Wir laufen sonst nur hinterher"

Weit über 20.000 Dopingproben führt die FIFA jährlich durch, die Zahl der positiven Befunde liegt unter einem halben Prozentpunkt. Diese verschwindend wenigen Fälle erklären sich meist durch die Einnahme von Cannabis oder Kokain. Auch hier ist also nicht die illegale Leistungssteigerung das Motiv. Alleine im deutschen Fußball werden durch die vom DFB beauftragte Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) pro Saison mehr als 500 Trainingskontrollen und durch DFB-Dopingkontrollärzte rund 1600 Wettkampfkontrollen durchgeführt.

Nun verstärkt die FIFA ihren Kampf gegen Doping im Fußball. DFB.de sprach mit Prof. Dr. Tim Meyer, dem Teamarzt der deutschen Nationalmannschaft, über den neuen Blutpass für Spieler. Der Weltverband hatte die Einführung des Passes nach einem Gespräch mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Zürich bekannt gegeben. Bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien soll für jeden Spieler ein Blutpass erstellt werden, bereits beim Confederations Cup im Juni wird mit dem Verfahren begonnen.

DFB.de: Herr Prof. Dr. Meyer, der neue Blutpass im Fußball – eine sinnvolle Erweiterung des Kampfs gegen das Doping?

Prof. Dr. Tim Meyer: Zunächst einmal ist es wichtig zu unterscheiden zwischen dem von der FIFA künftig angedachten Blutpass und Blutkontrollen, über die ja bereits Gespräche mit der Nada geführt wurden. Unstrittig ist, dass einzelne Dopingmittel derzeit ohne einen Bluttest nicht zu detektieren sind. Blutkontrollen im deutschen Fußball schließen daher eine Lücke, wobei Trainingskontrollen gewiss wichtiger wären als Wettkampfkontrollen. Ein Blutpass würde eine größere Zahl an Blutabnahmen voraussetzen, aber zu einem etwas anders gelagerten Zweck. Er würde es ermöglichen, genauer zu beobachten, wie sich bestimmte Blutwerte des Athleten bewegen, z. B. Kennziffern der roten Blutkörperchen oder Hormonkonzentrationen. Man kann dann genauer sagen, wo der individuelle Normalbereich eines Athleten liegt, auch seine typischen Schwankungen können erfasst werden. Allerdings benötigt man dafür eine Reihe von Bluttestungen.

DFB.de: Wie läuft ein Dopingnachweis über einen Blutpass ab?

Meyer: Wenn man eine extern zugefügte Dopingsubstanz nachweisen möchte, ist der direkte Nachweis, also die Klärung: "Vorhanden oder nicht vorhanden?" in jeder einzelnen Probe möglich. Beim Blutpass geht es dagegen um Bewegungen der normalen Blutwerte, die von der individuellen Norm abweichen. So kann ein Hämoglobin-Wert als Folge einer EPO-Gabe oder bei Blutdoping in ungewöhnlicher Weise nach oben gehen. Erfasst man diese Reaktionen des Körpers genau genug, muss man nicht unbedingt die Dopingsubstanz selbst finden, die ja oft nur sehr kurz nachweisbar ist. Außerdem kann man mehrere Substanzen und Verfahren, die in ähnlicher Weise wirken, auf einen Schlag erfassen. Dass dies nicht immer einfach ist, hat ja der Fall Pechstein gezeigt. Grundsätzlich lassen sich nicht nur für die roten Blutkörperchen und ihre Messwerte Profile in einem Blutpass erstellen, sondern auch für andere körpereigene Parameter, beispielsweise für Hormone.

DFB.de: Kann EPO auch in Urinproben nachgewiesen werden?

Meyer: Durchaus, es gibt einen Urintest auf EPO. Aber gewisse EPO-Nachfolgeprodukte lassen sich über eine reine Urintestung nicht ermitteln, das Gleiche gilt für Wachstumshormone und Blutdoping. Ohne Bluttests ist eine gewisse Lücke vorhanden.

DFB.de: Nochmal nachgefragt: ist die Einführung eines Blutpasses sinnvoll?

Meyer: Ich bin der Meinung, dass dieser Schritt grundsätzlich sinnvoll ist, weil uns dieser Pass ein kontinuierliches Bild verschafft und vom direkten Nachweis entbindet, der bei einigen Substanzen aufgrund ihrer geringen Verweildauer im menschlichen Körper schwierig ist. Man kann nicht ausschließlich versuchen, dann eine entsprechende Testung zu entwickeln, wenn neue Präparate bekannt werden. Wir laufen den Betrügern sonst immer nur hinterher. Allerdings müssen die eingesetzten Verfahren „gerichtsfest“ und über alle Zweifel erhaben sein, um die Seriosität des Anti-Doping-Kampfes zu wahren. Auch die Sicherheit vor Schadensersatzklagen ist ein Faktor, der bei solchen Überlegungen zu berücksichtigen ist.

DFB.de: Sind weitere Bluttests angesichts der jetzigen Maßnahmen und der Wettbewerbsdichte überhaupt noch für die Spitzenspieler zumutbar?

Meyer: Das ist in der Tat ein Diskussionspunkt, wie ich den Äußerungen vieler Spieler entnehme. Man muss klar sehen, dass durch das Meldesystem ADAMS die Privatsphäre z. B. der Nationalspieler bereits deutlich tangiert ist. Jeder deutsche Nationalspieler muss auf drei Monate im Voraus seinen täglichen Aufenthaltsort angeben und diese Angaben aktualisieren, wenn sich Änderungen ergeben. Man mag das durchaus für erforderlich halten, aber die damit verbundene Einschränkung sollte man auch sehen. Eine periodische Bluttestung würde meines Erachtens von vielen deutschen Fußballern nicht als unzumutbare Belastung gewertet werden. Blutentnahmen gehen relativ schnell, normalerweise ist man nach 15 Minuten mit der ganzen Prozedur fertig. Wenn man beispielsweise die Wettkampf-Urinkontrollen, die oft sehr lang dauern, für den Blutpass etwas reduzieren würde, wären bestimmt viele Spieler sofort dafür.

DFB.de: Gibt es denn regelmäßige Kontrollen der Nationalmannschaft?

Meyer: Auch an den Tagen vor Länderspielen oder im Trainingslager vor Turnieren kommt es immer wieder zu Dopingtests. Meistens werde ich dann früh morgens aus dem Bett geklingelt, und einige Spieler müssen sofort zum Test antreten. Beliebt sind solche Kontrollen natürlich nicht, aber sie werden akzeptiert, wenn es eine international einheitliche Handhabung gibt. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Akzeptanz für häufige Testungen zu gewährleisten.

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Weit über 20.000 Dopingproben führt die FIFA jährlich durch, die Zahl der positiven Befunde liegt unter einem halben Prozentpunkt. Diese verschwindend wenigen Fälle erklären sich meist durch die Einnahme von Cannabis oder Kokain. Auch hier ist also nicht die illegale Leistungssteigerung das Motiv. Alleine im deutschen Fußball werden durch die vom DFB beauftragte Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) pro Saison mehr als 500 Trainingskontrollen und durch DFB-Dopingkontrollärzte rund 1600 Wettkampfkontrollen durchgeführt.

Nun verstärkt die FIFA ihren Kampf gegen Doping im Fußball. DFB.de sprach mit Prof. Dr. Tim Meyer, dem Teamarzt der deutschen Nationalmannschaft, über den neuen Blutpass für Spieler. Der Weltverband hatte die Einführung des Passes nach einem Gespräch mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Zürich bekannt gegeben. Bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien soll für jeden Spieler ein Blutpass erstellt werden, bereits beim Confederations Cup im Juni wird mit dem Verfahren begonnen.

DFB.de: Herr Prof. Dr. Meyer, der neue Blutpass im Fußball – eine sinnvolle Erweiterung des Kampfs gegen das Doping?

Prof. Dr. Tim Meyer: Zunächst einmal ist es wichtig zu unterscheiden zwischen dem von der FIFA künftig angedachten Blutpass und Blutkontrollen, über die ja bereits Gespräche mit der Nada geführt wurden. Unstrittig ist, dass einzelne Dopingmittel derzeit ohne einen Bluttest nicht zu detektieren sind. Blutkontrollen im deutschen Fußball schließen daher eine Lücke, wobei Trainingskontrollen gewiss wichtiger wären als Wettkampfkontrollen. Ein Blutpass würde eine größere Zahl an Blutabnahmen voraussetzen, aber zu einem etwas anders gelagerten Zweck. Er würde es ermöglichen, genauer zu beobachten, wie sich bestimmte Blutwerte des Athleten bewegen, z. B. Kennziffern der roten Blutkörperchen oder Hormonkonzentrationen. Man kann dann genauer sagen, wo der individuelle Normalbereich eines Athleten liegt, auch seine typischen Schwankungen können erfasst werden. Allerdings benötigt man dafür eine Reihe von Bluttestungen.

DFB.de: Wie läuft ein Dopingnachweis über einen Blutpass ab?

Meyer: Wenn man eine extern zugefügte Dopingsubstanz nachweisen möchte, ist der direkte Nachweis, also die Klärung: "Vorhanden oder nicht vorhanden?" in jeder einzelnen Probe möglich. Beim Blutpass geht es dagegen um Bewegungen der normalen Blutwerte, die von der individuellen Norm abweichen. So kann ein Hämoglobin-Wert als Folge einer EPO-Gabe oder bei Blutdoping in ungewöhnlicher Weise nach oben gehen. Erfasst man diese Reaktionen des Körpers genau genug, muss man nicht unbedingt die Dopingsubstanz selbst finden, die ja oft nur sehr kurz nachweisbar ist. Außerdem kann man mehrere Substanzen und Verfahren, die in ähnlicher Weise wirken, auf einen Schlag erfassen. Dass dies nicht immer einfach ist, hat ja der Fall Pechstein gezeigt. Grundsätzlich lassen sich nicht nur für die roten Blutkörperchen und ihre Messwerte Profile in einem Blutpass erstellen, sondern auch für andere körpereigene Parameter, beispielsweise für Hormone.

DFB.de: Kann EPO auch in Urinproben nachgewiesen werden?

Meyer: Durchaus, es gibt einen Urintest auf EPO. Aber gewisse EPO-Nachfolgeprodukte lassen sich über eine reine Urintestung nicht ermitteln, das Gleiche gilt für Wachstumshormone und Blutdoping. Ohne Bluttests ist eine gewisse Lücke vorhanden. [bild2]

DFB.de: Nochmal nachgefragt: ist die Einführung eines Blutpasses sinnvoll?

Meyer: Ich bin der Meinung, dass dieser Schritt grundsätzlich sinnvoll ist, weil uns dieser Pass ein kontinuierliches Bild verschafft und vom direkten Nachweis entbindet, der bei einigen Substanzen aufgrund ihrer geringen Verweildauer im menschlichen Körper schwierig ist. Man kann nicht ausschließlich versuchen, dann eine entsprechende Testung zu entwickeln, wenn neue Präparate bekannt werden. Wir laufen den Betrügern sonst immer nur hinterher. Allerdings müssen die eingesetzten Verfahren „gerichtsfest“ und über alle Zweifel erhaben sein, um die Seriosität des Anti-Doping-Kampfes zu wahren. Auch die Sicherheit vor Schadensersatzklagen ist ein Faktor, der bei solchen Überlegungen zu berücksichtigen ist.

DFB.de: Sind weitere Bluttests angesichts der jetzigen Maßnahmen und der Wettbewerbsdichte überhaupt noch für die Spitzenspieler zumutbar?

Meyer: Das ist in der Tat ein Diskussionspunkt, wie ich den Äußerungen vieler Spieler entnehme. Man muss klar sehen, dass durch das Meldesystem ADAMS die Privatsphäre z. B. der Nationalspieler bereits deutlich tangiert ist. Jeder deutsche Nationalspieler muss auf drei Monate im Voraus seinen täglichen Aufenthaltsort angeben und diese Angaben aktualisieren, wenn sich Änderungen ergeben. Man mag das durchaus für erforderlich halten, aber die damit verbundene Einschränkung sollte man auch sehen. Eine periodische Bluttestung würde meines Erachtens von vielen deutschen Fußballern nicht als unzumutbare Belastung gewertet werden. Blutentnahmen gehen relativ schnell, normalerweise ist man nach 15 Minuten mit der ganzen Prozedur fertig. Wenn man beispielsweise die Wettkampf-Urinkontrollen, die oft sehr lang dauern, für den Blutpass etwas reduzieren würde, wären bestimmt viele Spieler sofort dafür.

DFB.de: Gibt es denn regelmäßige Kontrollen der Nationalmannschaft?

Meyer: Auch an den Tagen vor Länderspielen oder im Trainingslager vor Turnieren kommt es immer wieder zu Dopingtests. Meistens werde ich dann früh morgens aus dem Bett geklingelt, und einige Spieler müssen sofort zum Test antreten. Beliebt sind solche Kontrollen natürlich nicht, aber sie werden akzeptiert, wenn es eine international einheitliche Handhabung gibt. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Akzeptanz für häufige Testungen zu gewährleisten.