Theune: "Erinnere mich an viele schöne Momente"

Große Ehre für eine große Trainerin. Im Rahmen des Länderspiels der Frauen-Nationalmannschaft in Sinsheim gegen Wales wurde Tina Theune (70) vom DFB mit dem Ehrenpreis "Lebenswerk" ausgezeichnet. Wie so häufig, gilt auch hier: Als erste Frau überhaupt. Im DFB.de-Interview blickt Tina Theune zurück auf ihren Lebens- und Karriereweg, auf Erfolge und Errungenschaften und auf viele schöne Erlebnisse.

DFB.de: Eine schwere Frage zum Einstieg, Frau Theune: Was haben Dettmar Cramer, Udo Lattek, Gero Bisanz, Otto Rehhagel, Jupp Heynckes, Ottmar Hitzfeld und Bernd Schröder gemeinsam?

Tina Theune: Sie sind männlich, sie waren sehr gute und sehr erfolgreiche Trainer, sie haben den deutschen Fußball geprägt. Aber, worauf Sie wahrscheinlich hinauswollen, ist: Sie alle wurden mit dem Ehrenpreis Lebenswerk des DFB ausgezeichnet.

DFB.de: Richtig. Und nun findet sich Ihr Name in dieser Reihe, als erste Frau. Beschreiben Sie mal, welche Gedanken und Empfindungen Sie dazu haben.

Theune: Ich freue mich sehr. Ich blicke voller Respekt und Dankbarkeit zurück auf die Zeit, die ich erlebt habe und auf die Erfahrungen, die ich machen durfte. Silvia Neid und ich, wir hatten das Glück, mit großartigen Spielerinnen arbeiten zu dürfen. Die zahlreichen Erfolge wären sonst nicht möglich gewesen. Wir hatten Fußballerinnen mit großer individueller Klasse, grandiose Anführerinnen, tor-hungrige Titeljägerinnen, und zugleich überragende Teamplayerinnen. Sie waren fähig, über sich hinauszuwachsen und haben immer neue Maßstäbe gesetzt. Ich erinnere mich an unendlich viele schöne und intensive Momente, die mir immer wichtig und nah sein werden. Die Auszeichnung mit dem Trainer-Ehrenpreis Lebenswerk lässt mich mit einem Lächeln zurückblicken.

DFB.de: Dieses Muster findet sich bei Ihnen häufig: Sie betonen die Bedeutung anderer für den Erfolg.

Theune: Das stimmt. Ich weiß natürlich, was ich kann und geleistet habe, und dass ich mich nicht verstecken muss. Es gehören allerdings auch Faktoren dazu, die man nicht beeinflussen kann. Ich weiß noch, dass es bei meinem ersten Turnier zu Beginn der EM-Endrunde 1997 alles andere als rund lief. Wir brauchten im letzten Gruppenspiel das Quäntchen Glück, sonst hätte das Turnier für uns schnell zu Ende sein können. Maren Meinert und Sandra Minnert saßen gelbgesperrt auf der Tribüne, Martina Voss hatte sich schon im zweiten Spiel schwer verletzt. Wir brauchten gegen Dänemark unbedingt einen Sieg, um weiterzukommen. Es stand gefühlt eine Ewigkeit 0:0, dann trafen die Däninnen die Unterkante Latte. Der Ball ist von der Torlinie aus zurück ins Feld gesprungen. Im Gegenzug traf Monika Meyer mit ihrer unfassbaren Coolness in der 82. Minute zum 1:0. Birgit Prinz schloss in der 90. Minute mit gewohnter Power und Präzision zum 2:0 ab. Erst am Ende des Turniers haben wir richtig guten Fußball gespielt und den Titel verdient gewonnen.

DFB.de: Die Spielerinnen waren gut, Sie hatten Glück. Noch einmal: Ist das nicht zu viel der Bescheidenheit?

Theune: Wir hatten Glück! Aber es stimmt: Es ist nicht meine Art, Titel und Auszeichnungen allein für mich zu reklamieren, für die ein ganzes Team verantwortlich ist. Eines ist klar: Die Rolle der Trainerin ist wichtig, denn sie kann die Mannschaft durch ein gutes Coaching herausfordern und mitreißen. Auch die Crew, das Team hinter dem Team, leistet einen enorm hohen Beitrag zum Erfolg. Entscheidend sind aber immer die Spielerinnen auf dem Platz, die gelernt haben, mit Empathie und enormer Vorstellungskraft selbstständig ins Handeln zu kommen. So werden sie mit jeder gestellten Aufgabe immer stärker und können permanent neue Standards setzen.

DFB.de: Wenn wir über das Glück reden, das Sie hatten: Wie sehr muss man dabei Ihr Elternhaus betonen? Sie sind in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Selbstverständlich war es wohl nicht, dass Sie seit Ende der 50er-Jahre mit den Jungs auf der Straße Fußball spielen durften?

Theune: Was die Leidenschaft, die Begeisterung und die Lust auf das Spiel betrifft: in dieser Hinsicht hat mich schon früh mein Vater geprägt.

DFB.de: Es gibt die Erzählung, dass Sie im Alter von neun Monaten mit dem Fußball-Virus infiziert wurden, als Sie im Radio die Reportage des WM-Finales 1954 von Herbert Zimmermann hörten.

Theune: Wahrscheinlich, es muss sich so abgespielt haben. Wir hatten keinen Fernseher, mein Vater hatte sich damals für die WM einen Bausatz für ein Transistorradio besorgt, um mit meiner Mutter das Wunder von Bern live miterleben zu können. Ich bin sicher, dass mich die Worte von Herbert Zimmermann sehr beeindruckt haben. "Turek, Du bist ein Teufelskerl, Turek, Du bist ein Fußballgott". Von da an, mit neun Monaten, hatte ich fast immer einen Ball unterm Arm.

DFB.de: Zu Ende gedacht hätten Sie Torhüterin werden müssen, Turek war ja Torwart.

Theune: Später hat ja dann Rahn geschossen, und das habe ich wohl auch gehört. (lacht)

DFB.de: Wissen Sie noch, was Ihr Vater gesagt hat, als Sie ihn gefragt haben, Fußball spielen zu dürfen? Frauen und Mädchen war das damals ja noch offiziell verboten.

Theune: Die Worte meines Vaters werde ich immer im Ohr haben. Er hat mit einer Gegenfrage geantwortet: "Du hast doch auch zwei Beine, warum sollst Du nicht Fußball spielen?" Meine Mutter, eine Handballspielerin, habe ich auch gefragt. Sie hat sich an ihre Großmutter erinnert, die in den 80er Jahren des 19. Jahrhundert als Mädchen zum Entsetzen der Dorfbewohner voller Stolz mit dem Fahrrad herumfuhr. Zu der Zeit war das unerhört. Meine Bitte, Fußball spielen zu dürfen, erschien ihr vor diesem Hintergrund nicht sonderlich spektakulär.

DFB.de: Und damit nahm das Glück seinen Lauf.

Theune: Kann man so sagen. Ein Geschenk des Himmels. Wir hatten viel Platz rund um das Pfarrhaus. Mit einem großen Garten, mit einem riesigen Parkplatz, der meistens leer war. Ich habe damals mit meinen Schwestern auf dem Rasen zwei gegen zwei gespielt. Wir haben sogar eine eigene Mannschaft gegründet und waren stolze Mitglieder des FC Antonius. Das Foto bzw. die "Urkunde" der "Gründungsmitglieder" habe ich noch. Mit den Jungs aus der Nachbarschaft, die ständig bei uns klingelten, haben wir entweder Straßenfußball oder auf dem Parkplatz Rollhockey gespielt.

DFB.de: Würden Sie Ihre Verbindung zum Fußball als Art Liebesbeziehung beschreiben?

Theune: Ja.

DFB.de: Dann war die WM 1954 der Moment des Verliebens.

Theune: Ja.

DFB.de: Gab es in Ihrer Kindheit und Jugend danach Momente, in denen sich die Liebe zum Spiel gefestigt hat?

Theune: Es gab einige. Sehr ausgeprägt war es bei der WM 1966 in England. Wir waren zu der Zeit in Österreich im Urlaub und haben das Spiel im Fernsehen verfolgt. Ich weiß noch, dass ich das Wembley-Tor verpasst habe, denn ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich konnte die Spannung nicht ertragen und bin rausgelaufen. Hinterher haben wir Kinder das Spiel noch einmal nachgespielt. Uwe Seeler war mein Held, Franz Beckenbauer fand ich damals schon toll, Wolfgang Weber, Wolfgang Overath, Karl-Heinz Schnellinger, Lothar Emmerich und Siggi Held habe ich ebenfalls bewundert.

DFB.de: Wie wichtig für die Liebe zum Spiel war das Erleben, gut im Fußball zu sein, die Bestätigung, die Sie durch Ihre Fähigkeiten im Umgang mit dem Ball erfahren haben?

Theune: Natürlich spielte das eine Rolle. Vor allem habe ich gemerkt, dass ich mich im Fußball schnell verbessere, dass ich innerhalb kürzester Zeit neue Fähigkeiten erwerben kann. Bei dem täglichen Training mit den Kindern aus der Nachbarschaft und im Besitz so vieler Bälle blieb das nicht aus. Fintieren, dribbeln und Tore schießen, das hat mir Spaß gemacht. Wenn ich bei unseren Straßenmeisterschaften etwas gesehen habe, das ein anderer gut konnte, dann wollte ich das lernen. Ich habe die Jungs zum Beispiel gefragt, ob sie mir Flugkopfball beibringen können. Worauf sie mit mir zum Sandkasten gefahren sind, wo wir Flugkopfbälle geübt haben. Ich wollte immer weiter, immer besser werden.

DFB.de: Welche Zeit haben Sie am meisten geliebt: FC Antonius, Grün-Weiß Brauweiler? Oder später, als die Liebe zum Beruf und die Spielerin Theune zur Trainerin Theune wurde?

Theune: Alles zu seiner Zeit. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, dass ich beim Gewinn der Straßenmeisterschaft auf dem Parkplatz vor der Kirche das Siegtor geschossen habe. Als es Anfang der 70er-Jahre noch keinen regulären Spielbetrieb gab, habe ich mit Grün-Weiß Brauweiler den Kreispokal gewonnen. Unser Trainer Thomas Meyer wurde damals gefragt, in welcher Liga wir denn spielen wollten. Ganz klar, dass wir in die höchste Spielklasse wollten. Die Heimspiele gegen die SSG 09 Bergisch-Gladbach auf unserem Platz in der Abtei waren immer gut besucht. In meinem Gedächtnis festgesetzt hat sich auch der Titel, den ich mit der Auswahl des FV Mittelrhein beim 1. DFB-Frauen-Länderpokal gewonnen habe. Auch da habe ich das Siegtor geschossen. Ich habe das alles geliebt. Was das Gefühl betrifft, habe ich die Erfolge als Trainerin anders, aber nicht weniger intensiv erlebt. 

DFB.de: Wenn man die Liste Ihrer Erfolge durcharbeitet, finden sich neben den vielen Titeln als Trainerin und Co-Trainerin auch Titel als Spielerin. Den Erfolg im Länderpokal mit dem FV Mittelrhein haben Sie eben erwähnt. Zudem haben Sie 1982 als Gastspielerin der Edmonton Angels die "First Canadian National Jubilee Championship Trophy" gewonnen. Wie kam es zu diesem Gastspiel?

Theune: Das ist über Bert Goldberger entstanden, mit dem ich damals die A-Lizenz gemacht hatte. Er war verantwortlicher Trainer der Provinz Alberta. Er hat mich nach Kanada eingeladen und gebeten, dort Kurse zu leiten, u.a. auch mit Auswahlmannschaften von Alberta und Saskatchewan. Dabei hat mich der Trainer der Edmonton Angels gesehen und mich gefragt, ob ich nicht bei ihnen als Gastspielerin mitspielen wollte. Ich war also bei diesem Turnier dabei - und wir haben gewonnen. Leider war keine Goldmedaille mehr für mich übrig. Also sie haben mir dann eine Silberne gegeben. (lacht)

DFB.de: Welche Auswirkungen hatte die Transformation von der Spielerin zur Trainerin auf Ihre Liebe zum Fußball?

Theune: Das ist schwer zu beschreiben. Der Übergang war fließend, bzw. habe ich eine Zeit lang beides parallel gemacht. Mein späterer Ehemann hatte ja, um in Brauweiler eine Frauenfußballmannschaft zu gründen, Spielerinnen gesucht. Wie er habe ich in Köln Sport studiert und mich gemeinsam mit anderen Sportstudentinnen dem Verein angeschlossen. Parallel dazu habe ich erste Erfahrungen als Trainerin von diversen Jungendmannschaften in einer AG an der Schule und im Verein gemacht. 13 Jahre lang bin ich dem Verein Grün Weiß Brauweiler treu geblieben. Während dieser langen Zeit war ich teilweise auch Spielertrainerin der Frauenmannschaft. So kam eins zum anderen und irgendwann war ich dann tatsächlich Fußball-Lehrerin.

DFB.de: Wissen Sie noch, welche Pläne und Träume Sie ursprünglich hatten? Was wollten Sie werden, als Sie klein waren?

Theune: Als Kind wollte ich unbedingt Archäologie studieren wollte. Dann wieder Astronomie. Oder Kunst. Dazu reichte aber mein Talent nicht aus. Ein paar Jahre vor dem Abitur stand mein Berufswunsch allerdings schon fest.  Ich wollte Diplomsportlehrerin werden.

DFB.de: Ein Meilenstein Ihrer Trainerinnen-Werdung war der Erwerb der A-Lizenz. Es war auch historisch ein Meilenstein, Sie waren die erste Frau, die diesen Schein erworben hat.

Theune: Ja, während meines Studiums hatte ich mit Abschluss des Sonderfachs Fußball meine erste Trainer-Lizenz in den Händen, vergleichbar mit der B+-Lizenz. Auf ihr steht: "Weiblicher Trainer Nr.1". Später. in den frühen 80er Jahren, habe ich mitgekommen, dass Frauen inzwischen zur A-Lizenz zugelassen sind. Ich habe mich für den Kurs angemeldet und wollte an der Rezeption die Gebühren bezahlen. Davon wurde mir abgeraten, für den Fall, dass ich auf diesem Level nicht mithalten könnte. Das Geld habe ich jedoch ohne zu zögern auf den Tisch gelegt.

DFB.de: Fühlten Sie sich provoziert, war Ihr Widerstandsgeist geweckt?

Theune: Nein, so habe ich das nicht gesehen. Ich war einfach davon überzeugt, dass ich es schaffe. Zu meinen Charaktermerkmalen, zu meinen Stärken gehört, dass ich zu allem, was ich mir vornehme, eine sehr gesunde, positive Erwartungshaltung habe. Bestimmt spielt dabei eine Rolle, dass ich das Glück hatte, äußerst behütet aufzuwachsen. Meine Eltern haben mir voll vertraut und mich in meiner Grundhaltung bestärkt. Diese grundsätzliche Zuversicht hat mir auf meinem Weg schon oft geholfen.

DFB.de: Zum DFB kamen Sie über Gero Bisanz, den Sie als Dozenten der Sporthochschule Köln kennengelernt haben und bei dem Sie die Fußball-Lehrer-Lizenz erworben hatten.

Theune: Ja. Die Zulassung bekam ich 1984. Zu der Zeit war das außergewöhnlich und zugleich bahnbrechend für andere Nationalverbände auf der ganzen Welt. Gero Bisanz war seit 1982 Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft, er suchte eineCo-Trainerin, nachdem sein Team auch die zweite Endrunde der europäischen Kontinentalmeisterschaft verpasst hatte. Ich weiß noch, wie erstaunt ich war, als er mich 1985 gegen Ende des Fußball-Lehrer-Lehrgangs ansprach, wie ich einen Moment überlegt habe.

DFB.de: Warum das Zögern?

Theune: Ich hatte auf einem hohem Niveau Fußball gespielt, aber nicht auf höchstem internationalem Niveau. Und nun sollte ich mit den besten deutschen Fußballerinnen arbeiten, die ich noch als Spielerin kannte?

DFB.de: Was hat Sie in Ihrem Entschluss bestärkt?

Theune: Ich habe mitbekommen, dass Lehrgangsteilnehmer zu Gero Bisanz gesagt haben: "Nimm die Tina, die kann das." Für mich war das besonders schön und wertvoll, auch vor dem Hintergrund der gemeinsamen Zeit im Lehrgang. Bei der Begrüßung im Hörsaal durch Gero Bisanz waren doch viele erstaunt, eine Frau zu sehen. Ob ich Profitrainerin werden wollte, haben sie gefragt. Eine gute Trainerin wollte ich werden, war meine Antwort. Vereinfacht gesagt: Zu Beginn dachten wohl manche, sie könnten mir den Ball einfach so durch die Beine schieben. Aber auch das Thema war schnell abgehakt. Im Laufe der Zeit stand ich sogar dank des Zuspruchs der Kollegen einige Male bei den Lehrgangsspielen gegen namhafte Amateurvereine in der Startelf.

DFB.de: Zu Ihren Kollegen im Rahmen der Fußball-Lehrer-Ausbildung gehörten neben Ihnen noch andere, die bemerkenswerte Karrieren als Trainer gemacht haben.

Theune: Hermann Gerland zum Beispiel, wir beide haben damals einer Lerngruppe angehört. Überragend. Im Lehrgang kennengelernt habe ich Helmut Horsch. Uns verbindet bis heute eine wunderbare Freundschaft. An Winnie Schäfer erinnere ich mich, auch Hannes Bongartz hat mit mir die Schulbank gedrückt. Wir alle haben uns trotz der sehr unterschiedlichen Erfahrungen gut ergänzt.

DFB.de: An der Seite von Gero Bisanz haben Sie riesige Erfolge gefeiert: 1989, 1991 und 1995 wurden sie Europameisterin, 1995 zudem Vize-Weltmeisterin. 1996 dann wurden Sie als seine Nachfolgerin Bundestrainerin der Frauen-Nationalmannschaft. Waren Sie bereit, als aus der Assistentin Theune die Chefin Theune wurde?

Theune: Ja. Denn Gero Bisanz, mein "Mentor", hatte einen kooperativen, gewinnenden Führungsstil. Er hat mich intern und öffentlich nie wie eine Assistentin behandelt, sondern gleichberechtigt. Schritt für Schritt und sehr behutsam übergab er mir immer mehr Verantwortung. Am Anfang gehörte es zu meinen Aufgaben, das Aufwärmprogramm zu gestalten. Das habe ich gern gemacht, mit dem Ball konnte ich vor den Spielerinnen glänzen. Später dann habe ich auch mal eine Spielbesprechung übernommen und immer mehr die Trainingsinhalte beeinflusst. Jede Erfahrung, jeder Schritt hat mich weitergebracht. Es war eine hoch spannende Zeit, verbunden mit intensiven Lernprozessen und Veränderungen - in eine professionelle Richtung, wie wir sie heute erleben. Als es dann so weit war und ich sein Amt übernahm, fühlte ich mich gut vorbereitet. Ich wusste: Ich kriege das hin. Oder besser gesagt: Silvia und ich – wir können das.

DFB.de: Und Sie konnten. Weitere EM-Titel folgten, dazu 2003 der Triumph bei der WM in den USA. In der gemeinsamen Zeit mit Neid hat sich ein Ritual etabliert – nach Titelgewinnen sind Sie jeweils noch einmal ins leere Stadion gelaufen, haben sich ein Schlückchen genehmigt und die Atmosphäre genossen. Für Silvia Neid gehören diese Momente zu den schönsten Erlebnissen ihrer Karriere. Teilen Sie das?

Theune: Auf jeden Fall! Ich muss dazu sagen: Auf meinem Mist gewachsen war die Geschichte nicht. Es war Silvia, die für alle Fälle immer etwas Erfrischendes dabeihatte. (lacht) Der schönste Moment für mich war der nach der Siegerehrung bei der WM 2003 im leeren WM-Stadion von Carson. Nach der Pressekonferenz sind Silvia und ich in die Kabine zurück. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Dann sahen wir auf einem Koffer am Eingang eine große Jägermeisterflasche, die wir unter der Trainingsjacke verschwinden ließen, um von "unserer" Trainerbank aus zuzusehen, wie die goldenen Schnipsel vom Rasen gesaugt wurden.

DFB.de: Geschichten und Anekdoten mit Silvia Neid haben Sie bestimmt zuhauf gesammelt. Sie können gerne noch ein wenig erzählen.

Theune: Mit Vergnügen. Es war im Rahmen eines Trainingslagers und Länderspiels auf Sizilien. Wir hatten den Spielerinnen einen Nachmittag freigegeben. Sie sollten die Schönheit von Taormina erleben, einer Kleinstadt mit Logenplatz über dem Meer, den schon die alten Griechen liebten. Silvia stieg an diesem Nachmittag aus dem Bus, ihre alten Fußballschuhe in der Hand, in denen sie so viel erlebt und gewonnen hat. "Hier will ich meine Fußballschuhe begraben", sagte sie. "Sie sollen eine schöne Aussicht haben, mit Blick auf den Stiefel Italiens". Wir haben also nach dem perfekten Ort gesucht, und sind zu einem Aussichtspunkt gelaufen. In der Nähe stand eine superschöne Villa mit einem traumhaften Blick aufs Meer. Die Villa wirkte verlassen, die Rollläden waren unten. "Jetzt oder nie, hier oder nirgends", kam uns in den Sinn. Wir sind tatsächlich in das Grundstück eingestiegen und haben dort einen verträumten Platz die letzte Ruhestätte für ihre Fußballschuhe gefunden.

DFB.de: Sie haben insgesamt sechs Europameister-Titel gewonnen, wurden Vizeweltmeisterin und Weltmeisterin. Bei den Olympischen Spielen war es "nur" Bronze. Sie haben das Erlebnis Olympische Spiele und die Zeit im Olympischen Dorf mal als "magisch" bezeichnet. Können Sie diese Magie, von der ja oft die Rede ist, näher beschreiben?

Theune: Ich hatte schon die Vorstellung, dass wir bei den Olympischen Spielen in Sydney vielleicht schon titelreif sein könnten, da wir während der Vorbereitung auf das Turnier viel Zeit investiert haben und ein großes Potenzial zu erkennen war. Vor allem beim abschließenden Test gegen Dänemark, den wir mit 7:0 gewonnen haben, nachdem ich der Mannschaft versprochen hatte, die beiden letzten Tage des Lehrgangs bei einem Sieg mit mehr als sechs Toren Unterschied zu streichen. Den Sieg haben wir wie einen Turniersieg gefeiert. Aber so weit, wie ich glaubte, waren wir leider noch nicht. Nicht als Mannschaft und auch wir nicht als Trainerinnen-Gespann. Wir haben Fehler gemacht.

DFB.de: Zum Beispiel? 

Theune: Im Halbfinale gegen Norwegen mussten wir auf Renate Lingor verzichten. Das hätten wir verhindern können. Sie hatte in einem der ersten Spiele eine Gelbe Karte kassiert, dennoch haben wir sie im letzten Gruppenspiel gegen Schweden spielen lassen. Immer wieder haben wir sie ermahnt, dass sie keine weitere Verwarnung kassieren darf. Und was passiert? Sie grätscht in Höhe der Mittellinie von hinten in die Beine, kassiert ihre zweite Gelbe und ist fürs Halbfinale gesperrt. Mit unseren ständigen Warnungen haben wir dafür gesorgt, dass sie zu zögerlich war und in der Situation zu spät gekommen ist. Dennoch waren die Spiele in Sydney ein einmaliges Erlebnis und auch sportlich ein großer Erfolg. Nach der Niederlage im Halbfinale wollten wir unbedingt mit einer Medaille nach Hause kommen. Und das ist uns mit dem 2:0 im kleinen Finale gegen Brasilien auch gelungen. Diese Bronzemedaille bedeutet uns allen wahnsinnig viel. Die Zeremonie während der Medaillenübergabe zu erleben, den Zauber der musikalischen Untermalung, die Erinnerung an die olympische Hymne, die glanzvollen Medaillen um den Hals der Spielerinnen, das alles ist sehr speziell.

DFB.de: Ist das für Sie die Magie Olympia?

Theune: Auch. Um die Olympischen Spiele, den besonderen Spirit hautnah miterleben zu können, ist das Erreichen des Halbfinals entscheidend. Fußballturniere bei Olympischen Spielen werden ja immer auf Spielorte im ganzen Land verteilt. Erst ab dem Halbfinale können auch die Fußballerinnen ins Olympische Dorf einziehen und vor großer Bühne im Olympiastadion spielen. Das wollte ich immer erleben. Auch das Zusammenkommen mit den Athleten anderer Sportarten aus der ganzen Welt im Olympischen Dorf war ein Traum von mir.

DFB.de: Haben Olympische Spiele für Sie nochmal eine höhere Bedeutung, weil Sie früher selbst auch Leichtathletin waren?

Theune: Vielleicht, ja. Aber auch, weil ich in meiner Jugend mit den Olympischen Spielen ein sehr besonderes Erlebnis verbinde. Im Kevelaerer Bühnenhaus gab es einen Wettbewerb, bei dem man Eintrittskarten für die Spiele 1972 in München gewinnen konnte. Es war eine Mischung aus Wissens-Tests und sportlichen Wettbewerben. Ich habe mich angemeldet und tatsächlich das Ding gewonnen. Mit ganz vielen Eintrittskarten für alle möglichen Wettbewerbe im Gepäck, durfte ich nach München reisen. Die ohnehin große Faszination für Olympia ist für mich dadurch noch einmal ein großes Stück näher gerückt.

DFB.de: Beim Blick auf das Lebenswerk geht es nicht ohne Superlative. Als Trainerin haben Sie unzählige Entscheidungen getroffen. Welche war die beste?

Theune: Nia Künzer im WM-Finale einzuwechseln. Und Silvia Neid an meiner Seite als Trainerin zu haben.

DFB.de: Ihr größter Erfolg war?

Theune: Der Gewinn der Weltmeisterschaft 2003.

DFB.de: Welches Spiel Ihrer Mannschaft war das beste?

Theune: Das Halbfinale bei der WM 2003 in Portland gegen die USA.

DFB.de: Von den etlichen schönen Erlebnissen als Trainerin – welches sticht unter allen noch einmal hervor?

Theune: (überlegt) Es gab so viele magische Momente. Beim Empfang im Römer in Frankfurt nach dem WM-Titel 2003 hat, als wir uns ins Goldene Buch eingetragen haben, hat eine Band Musik gespielt. Für mich haben sie – in Anlehnung an meinen Namen – Tina Turners "Simply the Best" gespielt. Wobei es mich wundert, dass mir gerade das als Erstes einfällt. Denn getoppt hat das auf jeden Fall Pia Sundhage, Schwedens Spielführerin, während der Endrunde zur Europameisterschaft 1989. Nach einer kurzen Dankesrede hat sie es geschafft, beim Bankett in der Hohensyburg sämtliche Herrschaften auf die Tanzfläche zu locken. Es war ein klasse Soloauftritt mit Gitarre und unnachahmlicher Rock-Balladen- Stimme.

DFB.de: Und sonst?

Theune: Sehr besonders war für mich der Moment, als ich meine Mutter 2003 nach dem Golden Goal von Nia Künzer umarmen konnte. Sie war in den USA dabei, hatte einige Tage vorher für die Mannschaft ihren berühmten Streuselkuchen gebacken. Überhaupt sind es vor allem die kleinen Momente, die hängen bleiben und die mir jetzt einfallen. Eine Schulklasse aus Baesweiler, die 4 b, hat uns vor jedem Match ein Fax geschickt. Vor dem Halbfinale erhielten wir diese Nachricht: "Zerfleischt sie wie ein Hammburger". Das "Hamm" bezog sich auf Mia Hamm, eine der besten Spielerin der US-Amerikaner. Geschrieben haben sie noch: "Dann kriegen wir hausaufgabenfrei." Nach dem Turnier haben wir ihre Schule besucht, Maren Meinert, Sonja Fuss und ich. Das war richtig schön, sie haben uns einen pfiffigen und originellen Empfang bereitet, einfach toll.

DFB.de: Welches Turnier haben Sie am meisten genossen?

Theune: Natürlich die WM 2003. Insbesondere das Halbfinale, es war mitreißend, ja dramatisch und hätte jederzeit kippen können. Das US-Team war der haushohe Favorit, gespickt mit Weltklasse-Stars. Ein frühes Kopfballtor durch Kerstin Garefrekes brachte uns auf die Siegerstraße. Ab Mitte der zweiten Halbzeit hatten wir das Spiel fest in unserer Hand. In der extrem spannenden Schlussphase konnten wir noch zwei Tore nachlegen. Bezeichnend für mich war das Statement von Mia Hamm: "Ich hatte das Gefühl, als hätte Deutschland eine zwölfte Spielerin auf dem Platz. Während des Spiels habe ich sogar nachgezählt", sagte sie. Während des Aufwärmens vor dem Spiel hatte unser Sicherheitsmann die Stadionregie davon überzeugt, dass unser Lieblingssong, die englische Version von "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" mit Nena & Kim Wilde gespielt wurde. Schon das war der Knaller. Den Sound hatten wir bis spät in der Nacht noch im Ohr und wollten nicht mehr aufhören, zu tanzen. Nach dem Erfolg im Finale bekamen wir die für mich schönste Auszeichnung: "The Most Entertaining Team".

DFB.de: Wie speziell war Ihr letztes Turnier, die WM 2005 in England, als schon feststand, dass Sie Ihr Amt nach dem Turnier aufgeben werden?

Theune: Auch dieses Turnier habe ich sehr genossen. Das Verhältnis zu den Spielerinnen vorher war professionell, von mir aus vielleicht etwas zu distanziert. Aber dennoch war ich immer in engem Kontakt mit der Mannschaft und vor allem wertschätzend, so wie es sein muss. Bei diesem Turnier wurde es dann eher freundschaftlich. Wir waren sozusagen Komplizinnen, die dasselbe vor Augen hatten. Ich durfte im Bus sogar meine Musik auflegen - ein Geschenk der Mannschaft - und hatte passend zu den Spielorten eine CD mit den Beatles und Kings mitgebracht. Vor dem Finale wurde die Mannschaft gefragt, welcher Song im Falle des Titelgewinns gespielt werden sollte. Es sollte "Yellow Submarine" sein. Und "You never walk alone". Diese Nähe und die sehr herzliche Verabschiedung haben mir viel bedeutet.

DFB.de: Weiter in der Liste der Superlative: Ihr größter Förderer war?

Theune: Das geht auch nur im Plural. Ganz klar: Meine Eltern. Und genauso klar: Gero Bisanz. Dazu kamen später Ralf Peter, der Prägnante, Detailverliebte und Helmut Jungheim, der Visionär. Die Vermittlung der Idee vom erfolgreichen Spiel war ihr Anliegen. Im Spiel mit und gegen den Ball den anderen immer einen Tick voraus zu sein. Jörg Daniel will ich noch erwähnen, unseren Torwarttrainer, ein echter Teamplayer und cooler Typ, der nicht nur für die Torhüterinnen wichtig war.

DFB.de: Als letztes: Ihre wichtigste Spielerin war?

Theune: (lacht) Das geht nicht, das sage ich nicht, das kann ich nicht. Fußball ist ein Mannschaftssport, es geht nur zusammen. Wenn ich jetzt doch anfange, Namen zu nennen, dann wird es schwierig. Bezogen auf die WM 2003 kann ich vielleicht unsere Kapitänin nennen: Bettina Wiegmann. Mit einer enormen Vorstellungskraft, den gefühlten acht Augen, hat sie den Rhythmus des Spiels bestimmt. Aber ich müsste so viele nennen. Die Erzählung von diesem Turnier geht nicht ohne die Geschichte von Maren Meinert. Damals Spielerin der Boston Breakers und als "MVP" der US-Profiliga ausgezeichnet, ergriff sie vor dem Halbfinale gegen die USA das Wort und war so präzise, so klar in ihren Aussagen, dass alle Spielerinnen vom Erfolg überzeugt waren. Wahnsinn. Im Grunde könnte ich zu jeder Spielerin eine eigene Geschichte erzählen. Birgit Prinz, sie wusste, wo das Tor steht. Sie gewann den Goldenen Ball als beste Spielerin und als beste Torschützin den Goldenen Schuh. Noch ein Wort zu den "Twin Towers" Doris Fitschen und Steffi Jones. Als die "Viererkette" in Deutschland noch ein Schimpfwort war, waren sie im Spiel mit variablen Höhen und präziser Kommunikation immer einen Schritt schneller als der Gegner. Aber wirklich: Es können sich alle Spielerinnen angesprochen fühlen. Die zweimaligen Weltmeisterinnen oder auch die Gründungself der Hall of Fame. Jede Einzelne, die ich noch nicht genannt habe, war wichtig für die Mannschaft, für den Erfolg und hatte ihre Rolle.

DFB.de: Das Leben besteht nicht nur aus Fußball, auch das Lebenswerk nicht. Auf welche Leistungen abseits des Fußballs sind Sie besonders stolz?

Theune: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ich bin sehr stolz auf meine Urgroßeltern, Großeltern und Eltern, auf die Werte, die sie uns mitgegeben haben. Mein Großvater war Lehrer. Er hat, so wurde mir gesagt,  den Unterricht niemals mit einem Hitler-Gruß begonnen. Logisch, dass mich vor allem die Jahre im Pfarrhaus geprägt haben. Mein Vater war ein Mann des Aufbruchs und Ausgleichs. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg in Kevelaer den Bau einer architektonisch ambitionierten Zeltkirche vorangetrieben, die gleichzeitig die neue Heimat für geflüchtete Menschen sein sollte. Meine Mutter hat mich ein paarmal in die fernsten Länder der Erde begleitet. Ins Stadion kam sie immer erst zum Halbfinale, denn vorher wollte sie dort Menschen und Landschaften kennenlernen, z.B. die Zauberberge von Guillin oder die Canyons in den USA. Einer der Vorfahren meiner Mutter war während der Revolution 1848 Mitglied der 1. Nationalversammlung in der Paulskirche. In diesem Jahr konnte ich über eine Virtuel-Reality- Brille den Einzug der Abgeordneten ins Vorparlament mitverfolgen, für mich ein tief bewegendes Erlebnis. Natürlich bin ich stolz auf den Zusammenhalt unserer Familie. Meine vier Schwestern sind außergewöhnliche Charaktere und stecken mich mit ihrer Fröhlichkeit, ihrer Achtsamkeit, ihrem Mut und persönlichem Engagement an. Sie werden immer meine Vorbilder bleiben.

DFB.de: Sie haben gemeinsam mit dem Fotografen Horst Hamann mehrere Foto-Touren gemacht.

Theune: Genau. Entstanden ist das, weil ich ihm bei einem Buch über die deutschen Weltmeister geholfen habe. Wir haben es geschafft, wirklich alle noch lebenden Weltmeister und Weltmeisterinnen zu interviewen und zu fotografieren. Vom Verlag habe ich dafür als Geschenk eine Foto-Tour mit Horst Hamann geschenkt bekommen, zu allen Orten, an denen er gelebt und gearbeitet hat: New York, Boston, Maine. Das war gigantisch, ich habe unendlich viel gelernt und mit Hilfe spezieller Techniken grandiose Fotos gemacht. Durch ihn hat meine Leidenschaft fürs Fotografieren eine neue Ebene bekommen. Ihm verdanke ich schönste Erinnerungen, Facetten des Lebens, in Bildern festgehalten.

DFB.de: Kurz vor Ihren letzten Arbeitstagen für den DFB im Dezember 2019 haben Sie Folgendes gesagt: "Wenn ich über die kommende Zeit nachdenke, dann mit Neugierde und einem Schmunzeln". Mittlerweile sind vier Jahre vergangen – war das Schmunzeln berechtigt?

Theune: Ja. Ich habe noch nicht alles umsetzen können, was ich mir vorgenommen hatte, aber doch einiges. Im Wasserturm, wo ich zu Hause bin, steht das Klavier. Ich liebe es. Aus den sieben oberen Turm-Fenstern habe ich mit meiner Kamera einige spektakuläre Augenblicke einfangen können. Mit meiner großen Familie treffe ich mich regelmäßig im Sommer zu Wanderungen im Salzburger Lungau, einem Paradies in den Alpen. Dort sitzen wir an genussvollen Abenden in der "umgetauften Theune-Scheune" beisammen. Nicht selten sitze ich auch mit meinen durchgeknallten Turmnachbarn an der Feuerschale, egal zu welcher Jahreszeit. Manchmal verbummle ich auch den Tag. Oder ich treffe mich mit Freunden zu einem "Trainingslager" in den Weinbergen. Fußball beschäftigt mich allerdings immer noch sehr.  Seitdem ich das erste "Blind Date" mit der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft hatte, bin ich infiziert. Außerdem lerne ich als eine der 40 Trainer und Trainerinnen im FIFA Mentoring Programm ständig dazu. Und dabei auch, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Ein absolutes Privileg. Das alles zaubert sehr oft ein Lächeln auf meine Lippen.

DFB.de: Bei Ihrem Abschied vom DFB haben Sie ein sehr besonderes Geschenk bekommen. Josephine Henning hat ein Bild für Sie gemalt.

Theune: Dieses Kunstwerk ist unglaublich schön, es bedeutet mir sehr viel. Vor ein paar Jahren habe im Rheintal bei Oberwesel im Günderode Filmhaus meinen Abschied als DFB Mitarbeiterin und sportliche Leiterin der Talentförderung gefeiert. Mitten in den Weinbergen. Es war eine grandiose, schöne, lustige, würdevolle Party. Von Margret Kratz und Kollegen bzw. Kolleginnen hatte Josephine Henning den Auftrag erhalten, ein Portrait von mir zu malen. Entstanden ist eine bezaubernde farbenfrohe Komposition. Vor dem Hintergrund der Umrisse Deutschlands sieht man nur meine Hände, die behutsam eine Kugel umfassen. Es könnte auch ein Ball oder der Weltraum mit Sternenbildern sein und symbolisiert wohl das Teamwork, die engen Beziehungen und den Austausch von Ideen. In den blauen Himmel gemalt ist das berühmte Kaffeeservice, das wir 1989 als Prämie für den ersten EM-Titel bekommen haben. Das Bild ist riesig. Es hängt nun im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Es hat sehr viele Details, die mit meiner Zeit als Trainerin zu tun haben

DFB.de: Sie werden am 4. November 70 Jahre alt. Welchen zentralen Wunsch haben Sie?

Theune: Für den Frauenfußball wünsche ich mir mit Blick auf die Bewerbung um die Ausrichtung der WM 2027 in Belgien, Deutschland und den Niederlanden: Bitte den Zuschlag. Ansonsten freue ich mich auf die Qualifikation zu den Olympischen Spielen. Und auf die EM der Männer im kommenden Jahr. Ich wünsche mir, dass unsere Mannschaft die Menschen mit begeisterndem und erfolgreichem Fußball verwöhnt. Ich wünsche mir sehr, dass wir mit dem Turnier ein Vorbild für Weltoffenheit, Toleranz und Freiheit sein werden. Und zum Glück bin ich sehr zuversichtlich, dass uns das gelingt.

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Große Ehre für eine große Trainerin. Im Rahmen des Länderspiels der Frauen-Nationalmannschaft in Sinsheim gegen Wales wurde Tina Theune (70) vom DFB mit dem Ehrenpreis "Lebenswerk" ausgezeichnet. Wie so häufig, gilt auch hier: Als erste Frau überhaupt. Im DFB.de-Interview blickt Tina Theune zurück auf ihren Lebens- und Karriereweg, auf Erfolge und Errungenschaften und auf viele schöne Erlebnisse.

DFB.de: Eine schwere Frage zum Einstieg, Frau Theune: Was haben Dettmar Cramer, Udo Lattek, Gero Bisanz, Otto Rehhagel, Jupp Heynckes, Ottmar Hitzfeld und Bernd Schröder gemeinsam?

Tina Theune: Sie sind männlich, sie waren sehr gute und sehr erfolgreiche Trainer, sie haben den deutschen Fußball geprägt. Aber, worauf Sie wahrscheinlich hinauswollen, ist: Sie alle wurden mit dem Ehrenpreis Lebenswerk des DFB ausgezeichnet.

DFB.de: Richtig. Und nun findet sich Ihr Name in dieser Reihe, als erste Frau. Beschreiben Sie mal, welche Gedanken und Empfindungen Sie dazu haben.

Theune: Ich freue mich sehr. Ich blicke voller Respekt und Dankbarkeit zurück auf die Zeit, die ich erlebt habe und auf die Erfahrungen, die ich machen durfte. Silvia Neid und ich, wir hatten das Glück, mit großartigen Spielerinnen arbeiten zu dürfen. Die zahlreichen Erfolge wären sonst nicht möglich gewesen. Wir hatten Fußballerinnen mit großer individueller Klasse, grandiose Anführerinnen, tor-hungrige Titeljägerinnen, und zugleich überragende Teamplayerinnen. Sie waren fähig, über sich hinauszuwachsen und haben immer neue Maßstäbe gesetzt. Ich erinnere mich an unendlich viele schöne und intensive Momente, die mir immer wichtig und nah sein werden. Die Auszeichnung mit dem Trainer-Ehrenpreis Lebenswerk lässt mich mit einem Lächeln zurückblicken.

DFB.de: Dieses Muster findet sich bei Ihnen häufig: Sie betonen die Bedeutung anderer für den Erfolg.

Theune: Das stimmt. Ich weiß natürlich, was ich kann und geleistet habe, und dass ich mich nicht verstecken muss. Es gehören allerdings auch Faktoren dazu, die man nicht beeinflussen kann. Ich weiß noch, dass es bei meinem ersten Turnier zu Beginn der EM-Endrunde 1997 alles andere als rund lief. Wir brauchten im letzten Gruppenspiel das Quäntchen Glück, sonst hätte das Turnier für uns schnell zu Ende sein können. Maren Meinert und Sandra Minnert saßen gelbgesperrt auf der Tribüne, Martina Voss hatte sich schon im zweiten Spiel schwer verletzt. Wir brauchten gegen Dänemark unbedingt einen Sieg, um weiterzukommen. Es stand gefühlt eine Ewigkeit 0:0, dann trafen die Däninnen die Unterkante Latte. Der Ball ist von der Torlinie aus zurück ins Feld gesprungen. Im Gegenzug traf Monika Meyer mit ihrer unfassbaren Coolness in der 82. Minute zum 1:0. Birgit Prinz schloss in der 90. Minute mit gewohnter Power und Präzision zum 2:0 ab. Erst am Ende des Turniers haben wir richtig guten Fußball gespielt und den Titel verdient gewonnen.

DFB.de: Die Spielerinnen waren gut, Sie hatten Glück. Noch einmal: Ist das nicht zu viel der Bescheidenheit?

Theune: Wir hatten Glück! Aber es stimmt: Es ist nicht meine Art, Titel und Auszeichnungen allein für mich zu reklamieren, für die ein ganzes Team verantwortlich ist. Eines ist klar: Die Rolle der Trainerin ist wichtig, denn sie kann die Mannschaft durch ein gutes Coaching herausfordern und mitreißen. Auch die Crew, das Team hinter dem Team, leistet einen enorm hohen Beitrag zum Erfolg. Entscheidend sind aber immer die Spielerinnen auf dem Platz, die gelernt haben, mit Empathie und enormer Vorstellungskraft selbstständig ins Handeln zu kommen. So werden sie mit jeder gestellten Aufgabe immer stärker und können permanent neue Standards setzen.

DFB.de: Wenn wir über das Glück reden, das Sie hatten: Wie sehr muss man dabei Ihr Elternhaus betonen? Sie sind in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Selbstverständlich war es wohl nicht, dass Sie seit Ende der 50er-Jahre mit den Jungs auf der Straße Fußball spielen durften?

Theune: Was die Leidenschaft, die Begeisterung und die Lust auf das Spiel betrifft: in dieser Hinsicht hat mich schon früh mein Vater geprägt.

DFB.de: Es gibt die Erzählung, dass Sie im Alter von neun Monaten mit dem Fußball-Virus infiziert wurden, als Sie im Radio die Reportage des WM-Finales 1954 von Herbert Zimmermann hörten.

Theune: Wahrscheinlich, es muss sich so abgespielt haben. Wir hatten keinen Fernseher, mein Vater hatte sich damals für die WM einen Bausatz für ein Transistorradio besorgt, um mit meiner Mutter das Wunder von Bern live miterleben zu können. Ich bin sicher, dass mich die Worte von Herbert Zimmermann sehr beeindruckt haben. "Turek, Du bist ein Teufelskerl, Turek, Du bist ein Fußballgott". Von da an, mit neun Monaten, hatte ich fast immer einen Ball unterm Arm.

DFB.de: Zu Ende gedacht hätten Sie Torhüterin werden müssen, Turek war ja Torwart.

Theune: Später hat ja dann Rahn geschossen, und das habe ich wohl auch gehört. (lacht)

DFB.de: Wissen Sie noch, was Ihr Vater gesagt hat, als Sie ihn gefragt haben, Fußball spielen zu dürfen? Frauen und Mädchen war das damals ja noch offiziell verboten.

Theune: Die Worte meines Vaters werde ich immer im Ohr haben. Er hat mit einer Gegenfrage geantwortet: "Du hast doch auch zwei Beine, warum sollst Du nicht Fußball spielen?" Meine Mutter, eine Handballspielerin, habe ich auch gefragt. Sie hat sich an ihre Großmutter erinnert, die in den 80er Jahren des 19. Jahrhundert als Mädchen zum Entsetzen der Dorfbewohner voller Stolz mit dem Fahrrad herumfuhr. Zu der Zeit war das unerhört. Meine Bitte, Fußball spielen zu dürfen, erschien ihr vor diesem Hintergrund nicht sonderlich spektakulär.

DFB.de: Und damit nahm das Glück seinen Lauf.

Theune: Kann man so sagen. Ein Geschenk des Himmels. Wir hatten viel Platz rund um das Pfarrhaus. Mit einem großen Garten, mit einem riesigen Parkplatz, der meistens leer war. Ich habe damals mit meinen Schwestern auf dem Rasen zwei gegen zwei gespielt. Wir haben sogar eine eigene Mannschaft gegründet und waren stolze Mitglieder des FC Antonius. Das Foto bzw. die "Urkunde" der "Gründungsmitglieder" habe ich noch. Mit den Jungs aus der Nachbarschaft, die ständig bei uns klingelten, haben wir entweder Straßenfußball oder auf dem Parkplatz Rollhockey gespielt.

DFB.de: Würden Sie Ihre Verbindung zum Fußball als Art Liebesbeziehung beschreiben?

Theune: Ja.

DFB.de: Dann war die WM 1954 der Moment des Verliebens.

Theune: Ja.

DFB.de: Gab es in Ihrer Kindheit und Jugend danach Momente, in denen sich die Liebe zum Spiel gefestigt hat?

Theune: Es gab einige. Sehr ausgeprägt war es bei der WM 1966 in England. Wir waren zu der Zeit in Österreich im Urlaub und haben das Spiel im Fernsehen verfolgt. Ich weiß noch, dass ich das Wembley-Tor verpasst habe, denn ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich konnte die Spannung nicht ertragen und bin rausgelaufen. Hinterher haben wir Kinder das Spiel noch einmal nachgespielt. Uwe Seeler war mein Held, Franz Beckenbauer fand ich damals schon toll, Wolfgang Weber, Wolfgang Overath, Karl-Heinz Schnellinger, Lothar Emmerich und Siggi Held habe ich ebenfalls bewundert.

DFB.de: Wie wichtig für die Liebe zum Spiel war das Erleben, gut im Fußball zu sein, die Bestätigung, die Sie durch Ihre Fähigkeiten im Umgang mit dem Ball erfahren haben?

Theune: Natürlich spielte das eine Rolle. Vor allem habe ich gemerkt, dass ich mich im Fußball schnell verbessere, dass ich innerhalb kürzester Zeit neue Fähigkeiten erwerben kann. Bei dem täglichen Training mit den Kindern aus der Nachbarschaft und im Besitz so vieler Bälle blieb das nicht aus. Fintieren, dribbeln und Tore schießen, das hat mir Spaß gemacht. Wenn ich bei unseren Straßenmeisterschaften etwas gesehen habe, das ein anderer gut konnte, dann wollte ich das lernen. Ich habe die Jungs zum Beispiel gefragt, ob sie mir Flugkopfball beibringen können. Worauf sie mit mir zum Sandkasten gefahren sind, wo wir Flugkopfbälle geübt haben. Ich wollte immer weiter, immer besser werden.

DFB.de: Welche Zeit haben Sie am meisten geliebt: FC Antonius, Grün-Weiß Brauweiler? Oder später, als die Liebe zum Beruf und die Spielerin Theune zur Trainerin Theune wurde?

Theune: Alles zu seiner Zeit. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, dass ich beim Gewinn der Straßenmeisterschaft auf dem Parkplatz vor der Kirche das Siegtor geschossen habe. Als es Anfang der 70er-Jahre noch keinen regulären Spielbetrieb gab, habe ich mit Grün-Weiß Brauweiler den Kreispokal gewonnen. Unser Trainer Thomas Meyer wurde damals gefragt, in welcher Liga wir denn spielen wollten. Ganz klar, dass wir in die höchste Spielklasse wollten. Die Heimspiele gegen die SSG 09 Bergisch-Gladbach auf unserem Platz in der Abtei waren immer gut besucht. In meinem Gedächtnis festgesetzt hat sich auch der Titel, den ich mit der Auswahl des FV Mittelrhein beim 1. DFB-Frauen-Länderpokal gewonnen habe. Auch da habe ich das Siegtor geschossen. Ich habe das alles geliebt. Was das Gefühl betrifft, habe ich die Erfolge als Trainerin anders, aber nicht weniger intensiv erlebt. 

DFB.de: Wenn man die Liste Ihrer Erfolge durcharbeitet, finden sich neben den vielen Titeln als Trainerin und Co-Trainerin auch Titel als Spielerin. Den Erfolg im Länderpokal mit dem FV Mittelrhein haben Sie eben erwähnt. Zudem haben Sie 1982 als Gastspielerin der Edmonton Angels die "First Canadian National Jubilee Championship Trophy" gewonnen. Wie kam es zu diesem Gastspiel?

Theune: Das ist über Bert Goldberger entstanden, mit dem ich damals die A-Lizenz gemacht hatte. Er war verantwortlicher Trainer der Provinz Alberta. Er hat mich nach Kanada eingeladen und gebeten, dort Kurse zu leiten, u.a. auch mit Auswahlmannschaften von Alberta und Saskatchewan. Dabei hat mich der Trainer der Edmonton Angels gesehen und mich gefragt, ob ich nicht bei ihnen als Gastspielerin mitspielen wollte. Ich war also bei diesem Turnier dabei - und wir haben gewonnen. Leider war keine Goldmedaille mehr für mich übrig. Also sie haben mir dann eine Silberne gegeben. (lacht)

DFB.de: Welche Auswirkungen hatte die Transformation von der Spielerin zur Trainerin auf Ihre Liebe zum Fußball?

Theune: Das ist schwer zu beschreiben. Der Übergang war fließend, bzw. habe ich eine Zeit lang beides parallel gemacht. Mein späterer Ehemann hatte ja, um in Brauweiler eine Frauenfußballmannschaft zu gründen, Spielerinnen gesucht. Wie er habe ich in Köln Sport studiert und mich gemeinsam mit anderen Sportstudentinnen dem Verein angeschlossen. Parallel dazu habe ich erste Erfahrungen als Trainerin von diversen Jungendmannschaften in einer AG an der Schule und im Verein gemacht. 13 Jahre lang bin ich dem Verein Grün Weiß Brauweiler treu geblieben. Während dieser langen Zeit war ich teilweise auch Spielertrainerin der Frauenmannschaft. So kam eins zum anderen und irgendwann war ich dann tatsächlich Fußball-Lehrerin.

DFB.de: Wissen Sie noch, welche Pläne und Träume Sie ursprünglich hatten? Was wollten Sie werden, als Sie klein waren?

Theune: Als Kind wollte ich unbedingt Archäologie studieren wollte. Dann wieder Astronomie. Oder Kunst. Dazu reichte aber mein Talent nicht aus. Ein paar Jahre vor dem Abitur stand mein Berufswunsch allerdings schon fest.  Ich wollte Diplomsportlehrerin werden.

DFB.de: Ein Meilenstein Ihrer Trainerinnen-Werdung war der Erwerb der A-Lizenz. Es war auch historisch ein Meilenstein, Sie waren die erste Frau, die diesen Schein erworben hat.

Theune: Ja, während meines Studiums hatte ich mit Abschluss des Sonderfachs Fußball meine erste Trainer-Lizenz in den Händen, vergleichbar mit der B+-Lizenz. Auf ihr steht: "Weiblicher Trainer Nr.1". Später. in den frühen 80er Jahren, habe ich mitgekommen, dass Frauen inzwischen zur A-Lizenz zugelassen sind. Ich habe mich für den Kurs angemeldet und wollte an der Rezeption die Gebühren bezahlen. Davon wurde mir abgeraten, für den Fall, dass ich auf diesem Level nicht mithalten könnte. Das Geld habe ich jedoch ohne zu zögern auf den Tisch gelegt.

DFB.de: Fühlten Sie sich provoziert, war Ihr Widerstandsgeist geweckt?

Theune: Nein, so habe ich das nicht gesehen. Ich war einfach davon überzeugt, dass ich es schaffe. Zu meinen Charaktermerkmalen, zu meinen Stärken gehört, dass ich zu allem, was ich mir vornehme, eine sehr gesunde, positive Erwartungshaltung habe. Bestimmt spielt dabei eine Rolle, dass ich das Glück hatte, äußerst behütet aufzuwachsen. Meine Eltern haben mir voll vertraut und mich in meiner Grundhaltung bestärkt. Diese grundsätzliche Zuversicht hat mir auf meinem Weg schon oft geholfen.

DFB.de: Zum DFB kamen Sie über Gero Bisanz, den Sie als Dozenten der Sporthochschule Köln kennengelernt haben und bei dem Sie die Fußball-Lehrer-Lizenz erworben hatten.

Theune: Ja. Die Zulassung bekam ich 1984. Zu der Zeit war das außergewöhnlich und zugleich bahnbrechend für andere Nationalverbände auf der ganzen Welt. Gero Bisanz war seit 1982 Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft, er suchte eineCo-Trainerin, nachdem sein Team auch die zweite Endrunde der europäischen Kontinentalmeisterschaft verpasst hatte. Ich weiß noch, wie erstaunt ich war, als er mich 1985 gegen Ende des Fußball-Lehrer-Lehrgangs ansprach, wie ich einen Moment überlegt habe.

DFB.de: Warum das Zögern?

Theune: Ich hatte auf einem hohem Niveau Fußball gespielt, aber nicht auf höchstem internationalem Niveau. Und nun sollte ich mit den besten deutschen Fußballerinnen arbeiten, die ich noch als Spielerin kannte?

DFB.de: Was hat Sie in Ihrem Entschluss bestärkt?

Theune: Ich habe mitbekommen, dass Lehrgangsteilnehmer zu Gero Bisanz gesagt haben: "Nimm die Tina, die kann das." Für mich war das besonders schön und wertvoll, auch vor dem Hintergrund der gemeinsamen Zeit im Lehrgang. Bei der Begrüßung im Hörsaal durch Gero Bisanz waren doch viele erstaunt, eine Frau zu sehen. Ob ich Profitrainerin werden wollte, haben sie gefragt. Eine gute Trainerin wollte ich werden, war meine Antwort. Vereinfacht gesagt: Zu Beginn dachten wohl manche, sie könnten mir den Ball einfach so durch die Beine schieben. Aber auch das Thema war schnell abgehakt. Im Laufe der Zeit stand ich sogar dank des Zuspruchs der Kollegen einige Male bei den Lehrgangsspielen gegen namhafte Amateurvereine in der Startelf.

DFB.de: Zu Ihren Kollegen im Rahmen der Fußball-Lehrer-Ausbildung gehörten neben Ihnen noch andere, die bemerkenswerte Karrieren als Trainer gemacht haben.

Theune: Hermann Gerland zum Beispiel, wir beide haben damals einer Lerngruppe angehört. Überragend. Im Lehrgang kennengelernt habe ich Helmut Horsch. Uns verbindet bis heute eine wunderbare Freundschaft. An Winnie Schäfer erinnere ich mich, auch Hannes Bongartz hat mit mir die Schulbank gedrückt. Wir alle haben uns trotz der sehr unterschiedlichen Erfahrungen gut ergänzt.

DFB.de: An der Seite von Gero Bisanz haben Sie riesige Erfolge gefeiert: 1989, 1991 und 1995 wurden sie Europameisterin, 1995 zudem Vize-Weltmeisterin. 1996 dann wurden Sie als seine Nachfolgerin Bundestrainerin der Frauen-Nationalmannschaft. Waren Sie bereit, als aus der Assistentin Theune die Chefin Theune wurde?

Theune: Ja. Denn Gero Bisanz, mein "Mentor", hatte einen kooperativen, gewinnenden Führungsstil. Er hat mich intern und öffentlich nie wie eine Assistentin behandelt, sondern gleichberechtigt. Schritt für Schritt und sehr behutsam übergab er mir immer mehr Verantwortung. Am Anfang gehörte es zu meinen Aufgaben, das Aufwärmprogramm zu gestalten. Das habe ich gern gemacht, mit dem Ball konnte ich vor den Spielerinnen glänzen. Später dann habe ich auch mal eine Spielbesprechung übernommen und immer mehr die Trainingsinhalte beeinflusst. Jede Erfahrung, jeder Schritt hat mich weitergebracht. Es war eine hoch spannende Zeit, verbunden mit intensiven Lernprozessen und Veränderungen - in eine professionelle Richtung, wie wir sie heute erleben. Als es dann so weit war und ich sein Amt übernahm, fühlte ich mich gut vorbereitet. Ich wusste: Ich kriege das hin. Oder besser gesagt: Silvia und ich – wir können das.

DFB.de: Und Sie konnten. Weitere EM-Titel folgten, dazu 2003 der Triumph bei der WM in den USA. In der gemeinsamen Zeit mit Neid hat sich ein Ritual etabliert – nach Titelgewinnen sind Sie jeweils noch einmal ins leere Stadion gelaufen, haben sich ein Schlückchen genehmigt und die Atmosphäre genossen. Für Silvia Neid gehören diese Momente zu den schönsten Erlebnissen ihrer Karriere. Teilen Sie das?

Theune: Auf jeden Fall! Ich muss dazu sagen: Auf meinem Mist gewachsen war die Geschichte nicht. Es war Silvia, die für alle Fälle immer etwas Erfrischendes dabeihatte. (lacht) Der schönste Moment für mich war der nach der Siegerehrung bei der WM 2003 im leeren WM-Stadion von Carson. Nach der Pressekonferenz sind Silvia und ich in die Kabine zurück. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Dann sahen wir auf einem Koffer am Eingang eine große Jägermeisterflasche, die wir unter der Trainingsjacke verschwinden ließen, um von "unserer" Trainerbank aus zuzusehen, wie die goldenen Schnipsel vom Rasen gesaugt wurden.

DFB.de: Geschichten und Anekdoten mit Silvia Neid haben Sie bestimmt zuhauf gesammelt. Sie können gerne noch ein wenig erzählen.

Theune: Mit Vergnügen. Es war im Rahmen eines Trainingslagers und Länderspiels auf Sizilien. Wir hatten den Spielerinnen einen Nachmittag freigegeben. Sie sollten die Schönheit von Taormina erleben, einer Kleinstadt mit Logenplatz über dem Meer, den schon die alten Griechen liebten. Silvia stieg an diesem Nachmittag aus dem Bus, ihre alten Fußballschuhe in der Hand, in denen sie so viel erlebt und gewonnen hat. "Hier will ich meine Fußballschuhe begraben", sagte sie. "Sie sollen eine schöne Aussicht haben, mit Blick auf den Stiefel Italiens". Wir haben also nach dem perfekten Ort gesucht, und sind zu einem Aussichtspunkt gelaufen. In der Nähe stand eine superschöne Villa mit einem traumhaften Blick aufs Meer. Die Villa wirkte verlassen, die Rollläden waren unten. "Jetzt oder nie, hier oder nirgends", kam uns in den Sinn. Wir sind tatsächlich in das Grundstück eingestiegen und haben dort einen verträumten Platz die letzte Ruhestätte für ihre Fußballschuhe gefunden.

DFB.de: Sie haben insgesamt sechs Europameister-Titel gewonnen, wurden Vizeweltmeisterin und Weltmeisterin. Bei den Olympischen Spielen war es "nur" Bronze. Sie haben das Erlebnis Olympische Spiele und die Zeit im Olympischen Dorf mal als "magisch" bezeichnet. Können Sie diese Magie, von der ja oft die Rede ist, näher beschreiben?

Theune: Ich hatte schon die Vorstellung, dass wir bei den Olympischen Spielen in Sydney vielleicht schon titelreif sein könnten, da wir während der Vorbereitung auf das Turnier viel Zeit investiert haben und ein großes Potenzial zu erkennen war. Vor allem beim abschließenden Test gegen Dänemark, den wir mit 7:0 gewonnen haben, nachdem ich der Mannschaft versprochen hatte, die beiden letzten Tage des Lehrgangs bei einem Sieg mit mehr als sechs Toren Unterschied zu streichen. Den Sieg haben wir wie einen Turniersieg gefeiert. Aber so weit, wie ich glaubte, waren wir leider noch nicht. Nicht als Mannschaft und auch wir nicht als Trainerinnen-Gespann. Wir haben Fehler gemacht.

DFB.de: Zum Beispiel? 

Theune: Im Halbfinale gegen Norwegen mussten wir auf Renate Lingor verzichten. Das hätten wir verhindern können. Sie hatte in einem der ersten Spiele eine Gelbe Karte kassiert, dennoch haben wir sie im letzten Gruppenspiel gegen Schweden spielen lassen. Immer wieder haben wir sie ermahnt, dass sie keine weitere Verwarnung kassieren darf. Und was passiert? Sie grätscht in Höhe der Mittellinie von hinten in die Beine, kassiert ihre zweite Gelbe und ist fürs Halbfinale gesperrt. Mit unseren ständigen Warnungen haben wir dafür gesorgt, dass sie zu zögerlich war und in der Situation zu spät gekommen ist. Dennoch waren die Spiele in Sydney ein einmaliges Erlebnis und auch sportlich ein großer Erfolg. Nach der Niederlage im Halbfinale wollten wir unbedingt mit einer Medaille nach Hause kommen. Und das ist uns mit dem 2:0 im kleinen Finale gegen Brasilien auch gelungen. Diese Bronzemedaille bedeutet uns allen wahnsinnig viel. Die Zeremonie während der Medaillenübergabe zu erleben, den Zauber der musikalischen Untermalung, die Erinnerung an die olympische Hymne, die glanzvollen Medaillen um den Hals der Spielerinnen, das alles ist sehr speziell.

DFB.de: Ist das für Sie die Magie Olympia?

Theune: Auch. Um die Olympischen Spiele, den besonderen Spirit hautnah miterleben zu können, ist das Erreichen des Halbfinals entscheidend. Fußballturniere bei Olympischen Spielen werden ja immer auf Spielorte im ganzen Land verteilt. Erst ab dem Halbfinale können auch die Fußballerinnen ins Olympische Dorf einziehen und vor großer Bühne im Olympiastadion spielen. Das wollte ich immer erleben. Auch das Zusammenkommen mit den Athleten anderer Sportarten aus der ganzen Welt im Olympischen Dorf war ein Traum von mir.

DFB.de: Haben Olympische Spiele für Sie nochmal eine höhere Bedeutung, weil Sie früher selbst auch Leichtathletin waren?

Theune: Vielleicht, ja. Aber auch, weil ich in meiner Jugend mit den Olympischen Spielen ein sehr besonderes Erlebnis verbinde. Im Kevelaerer Bühnenhaus gab es einen Wettbewerb, bei dem man Eintrittskarten für die Spiele 1972 in München gewinnen konnte. Es war eine Mischung aus Wissens-Tests und sportlichen Wettbewerben. Ich habe mich angemeldet und tatsächlich das Ding gewonnen. Mit ganz vielen Eintrittskarten für alle möglichen Wettbewerbe im Gepäck, durfte ich nach München reisen. Die ohnehin große Faszination für Olympia ist für mich dadurch noch einmal ein großes Stück näher gerückt.

DFB.de: Beim Blick auf das Lebenswerk geht es nicht ohne Superlative. Als Trainerin haben Sie unzählige Entscheidungen getroffen. Welche war die beste?

Theune: Nia Künzer im WM-Finale einzuwechseln. Und Silvia Neid an meiner Seite als Trainerin zu haben.

DFB.de: Ihr größter Erfolg war?

Theune: Der Gewinn der Weltmeisterschaft 2003.

DFB.de: Welches Spiel Ihrer Mannschaft war das beste?

Theune: Das Halbfinale bei der WM 2003 in Portland gegen die USA.

DFB.de: Von den etlichen schönen Erlebnissen als Trainerin – welches sticht unter allen noch einmal hervor?

Theune: (überlegt) Es gab so viele magische Momente. Beim Empfang im Römer in Frankfurt nach dem WM-Titel 2003 hat, als wir uns ins Goldene Buch eingetragen haben, hat eine Band Musik gespielt. Für mich haben sie – in Anlehnung an meinen Namen – Tina Turners "Simply the Best" gespielt. Wobei es mich wundert, dass mir gerade das als Erstes einfällt. Denn getoppt hat das auf jeden Fall Pia Sundhage, Schwedens Spielführerin, während der Endrunde zur Europameisterschaft 1989. Nach einer kurzen Dankesrede hat sie es geschafft, beim Bankett in der Hohensyburg sämtliche Herrschaften auf die Tanzfläche zu locken. Es war ein klasse Soloauftritt mit Gitarre und unnachahmlicher Rock-Balladen- Stimme.

DFB.de: Und sonst?

Theune: Sehr besonders war für mich der Moment, als ich meine Mutter 2003 nach dem Golden Goal von Nia Künzer umarmen konnte. Sie war in den USA dabei, hatte einige Tage vorher für die Mannschaft ihren berühmten Streuselkuchen gebacken. Überhaupt sind es vor allem die kleinen Momente, die hängen bleiben und die mir jetzt einfallen. Eine Schulklasse aus Baesweiler, die 4 b, hat uns vor jedem Match ein Fax geschickt. Vor dem Halbfinale erhielten wir diese Nachricht: "Zerfleischt sie wie ein Hammburger". Das "Hamm" bezog sich auf Mia Hamm, eine der besten Spielerin der US-Amerikaner. Geschrieben haben sie noch: "Dann kriegen wir hausaufgabenfrei." Nach dem Turnier haben wir ihre Schule besucht, Maren Meinert, Sonja Fuss und ich. Das war richtig schön, sie haben uns einen pfiffigen und originellen Empfang bereitet, einfach toll.

DFB.de: Welches Turnier haben Sie am meisten genossen?

Theune: Natürlich die WM 2003. Insbesondere das Halbfinale, es war mitreißend, ja dramatisch und hätte jederzeit kippen können. Das US-Team war der haushohe Favorit, gespickt mit Weltklasse-Stars. Ein frühes Kopfballtor durch Kerstin Garefrekes brachte uns auf die Siegerstraße. Ab Mitte der zweiten Halbzeit hatten wir das Spiel fest in unserer Hand. In der extrem spannenden Schlussphase konnten wir noch zwei Tore nachlegen. Bezeichnend für mich war das Statement von Mia Hamm: "Ich hatte das Gefühl, als hätte Deutschland eine zwölfte Spielerin auf dem Platz. Während des Spiels habe ich sogar nachgezählt", sagte sie. Während des Aufwärmens vor dem Spiel hatte unser Sicherheitsmann die Stadionregie davon überzeugt, dass unser Lieblingssong, die englische Version von "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" mit Nena & Kim Wilde gespielt wurde. Schon das war der Knaller. Den Sound hatten wir bis spät in der Nacht noch im Ohr und wollten nicht mehr aufhören, zu tanzen. Nach dem Erfolg im Finale bekamen wir die für mich schönste Auszeichnung: "The Most Entertaining Team".

DFB.de: Wie speziell war Ihr letztes Turnier, die WM 2005 in England, als schon feststand, dass Sie Ihr Amt nach dem Turnier aufgeben werden?

Theune: Auch dieses Turnier habe ich sehr genossen. Das Verhältnis zu den Spielerinnen vorher war professionell, von mir aus vielleicht etwas zu distanziert. Aber dennoch war ich immer in engem Kontakt mit der Mannschaft und vor allem wertschätzend, so wie es sein muss. Bei diesem Turnier wurde es dann eher freundschaftlich. Wir waren sozusagen Komplizinnen, die dasselbe vor Augen hatten. Ich durfte im Bus sogar meine Musik auflegen - ein Geschenk der Mannschaft - und hatte passend zu den Spielorten eine CD mit den Beatles und Kings mitgebracht. Vor dem Finale wurde die Mannschaft gefragt, welcher Song im Falle des Titelgewinns gespielt werden sollte. Es sollte "Yellow Submarine" sein. Und "You never walk alone". Diese Nähe und die sehr herzliche Verabschiedung haben mir viel bedeutet.

DFB.de: Weiter in der Liste der Superlative: Ihr größter Förderer war?

Theune: Das geht auch nur im Plural. Ganz klar: Meine Eltern. Und genauso klar: Gero Bisanz. Dazu kamen später Ralf Peter, der Prägnante, Detailverliebte und Helmut Jungheim, der Visionär. Die Vermittlung der Idee vom erfolgreichen Spiel war ihr Anliegen. Im Spiel mit und gegen den Ball den anderen immer einen Tick voraus zu sein. Jörg Daniel will ich noch erwähnen, unseren Torwarttrainer, ein echter Teamplayer und cooler Typ, der nicht nur für die Torhüterinnen wichtig war.

DFB.de: Als letztes: Ihre wichtigste Spielerin war?

Theune: (lacht) Das geht nicht, das sage ich nicht, das kann ich nicht. Fußball ist ein Mannschaftssport, es geht nur zusammen. Wenn ich jetzt doch anfange, Namen zu nennen, dann wird es schwierig. Bezogen auf die WM 2003 kann ich vielleicht unsere Kapitänin nennen: Bettina Wiegmann. Mit einer enormen Vorstellungskraft, den gefühlten acht Augen, hat sie den Rhythmus des Spiels bestimmt. Aber ich müsste so viele nennen. Die Erzählung von diesem Turnier geht nicht ohne die Geschichte von Maren Meinert. Damals Spielerin der Boston Breakers und als "MVP" der US-Profiliga ausgezeichnet, ergriff sie vor dem Halbfinale gegen die USA das Wort und war so präzise, so klar in ihren Aussagen, dass alle Spielerinnen vom Erfolg überzeugt waren. Wahnsinn. Im Grunde könnte ich zu jeder Spielerin eine eigene Geschichte erzählen. Birgit Prinz, sie wusste, wo das Tor steht. Sie gewann den Goldenen Ball als beste Spielerin und als beste Torschützin den Goldenen Schuh. Noch ein Wort zu den "Twin Towers" Doris Fitschen und Steffi Jones. Als die "Viererkette" in Deutschland noch ein Schimpfwort war, waren sie im Spiel mit variablen Höhen und präziser Kommunikation immer einen Schritt schneller als der Gegner. Aber wirklich: Es können sich alle Spielerinnen angesprochen fühlen. Die zweimaligen Weltmeisterinnen oder auch die Gründungself der Hall of Fame. Jede Einzelne, die ich noch nicht genannt habe, war wichtig für die Mannschaft, für den Erfolg und hatte ihre Rolle.

DFB.de: Das Leben besteht nicht nur aus Fußball, auch das Lebenswerk nicht. Auf welche Leistungen abseits des Fußballs sind Sie besonders stolz?

Theune: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ich bin sehr stolz auf meine Urgroßeltern, Großeltern und Eltern, auf die Werte, die sie uns mitgegeben haben. Mein Großvater war Lehrer. Er hat, so wurde mir gesagt,  den Unterricht niemals mit einem Hitler-Gruß begonnen. Logisch, dass mich vor allem die Jahre im Pfarrhaus geprägt haben. Mein Vater war ein Mann des Aufbruchs und Ausgleichs. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg in Kevelaer den Bau einer architektonisch ambitionierten Zeltkirche vorangetrieben, die gleichzeitig die neue Heimat für geflüchtete Menschen sein sollte. Meine Mutter hat mich ein paarmal in die fernsten Länder der Erde begleitet. Ins Stadion kam sie immer erst zum Halbfinale, denn vorher wollte sie dort Menschen und Landschaften kennenlernen, z.B. die Zauberberge von Guillin oder die Canyons in den USA. Einer der Vorfahren meiner Mutter war während der Revolution 1848 Mitglied der 1. Nationalversammlung in der Paulskirche. In diesem Jahr konnte ich über eine Virtuel-Reality- Brille den Einzug der Abgeordneten ins Vorparlament mitverfolgen, für mich ein tief bewegendes Erlebnis. Natürlich bin ich stolz auf den Zusammenhalt unserer Familie. Meine vier Schwestern sind außergewöhnliche Charaktere und stecken mich mit ihrer Fröhlichkeit, ihrer Achtsamkeit, ihrem Mut und persönlichem Engagement an. Sie werden immer meine Vorbilder bleiben.

DFB.de: Sie haben gemeinsam mit dem Fotografen Horst Hamann mehrere Foto-Touren gemacht.

Theune: Genau. Entstanden ist das, weil ich ihm bei einem Buch über die deutschen Weltmeister geholfen habe. Wir haben es geschafft, wirklich alle noch lebenden Weltmeister und Weltmeisterinnen zu interviewen und zu fotografieren. Vom Verlag habe ich dafür als Geschenk eine Foto-Tour mit Horst Hamann geschenkt bekommen, zu allen Orten, an denen er gelebt und gearbeitet hat: New York, Boston, Maine. Das war gigantisch, ich habe unendlich viel gelernt und mit Hilfe spezieller Techniken grandiose Fotos gemacht. Durch ihn hat meine Leidenschaft fürs Fotografieren eine neue Ebene bekommen. Ihm verdanke ich schönste Erinnerungen, Facetten des Lebens, in Bildern festgehalten.

DFB.de: Kurz vor Ihren letzten Arbeitstagen für den DFB im Dezember 2019 haben Sie Folgendes gesagt: "Wenn ich über die kommende Zeit nachdenke, dann mit Neugierde und einem Schmunzeln". Mittlerweile sind vier Jahre vergangen – war das Schmunzeln berechtigt?

Theune: Ja. Ich habe noch nicht alles umsetzen können, was ich mir vorgenommen hatte, aber doch einiges. Im Wasserturm, wo ich zu Hause bin, steht das Klavier. Ich liebe es. Aus den sieben oberen Turm-Fenstern habe ich mit meiner Kamera einige spektakuläre Augenblicke einfangen können. Mit meiner großen Familie treffe ich mich regelmäßig im Sommer zu Wanderungen im Salzburger Lungau, einem Paradies in den Alpen. Dort sitzen wir an genussvollen Abenden in der "umgetauften Theune-Scheune" beisammen. Nicht selten sitze ich auch mit meinen durchgeknallten Turmnachbarn an der Feuerschale, egal zu welcher Jahreszeit. Manchmal verbummle ich auch den Tag. Oder ich treffe mich mit Freunden zu einem "Trainingslager" in den Weinbergen. Fußball beschäftigt mich allerdings immer noch sehr.  Seitdem ich das erste "Blind Date" mit der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft hatte, bin ich infiziert. Außerdem lerne ich als eine der 40 Trainer und Trainerinnen im FIFA Mentoring Programm ständig dazu. Und dabei auch, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Ein absolutes Privileg. Das alles zaubert sehr oft ein Lächeln auf meine Lippen.

DFB.de: Bei Ihrem Abschied vom DFB haben Sie ein sehr besonderes Geschenk bekommen. Josephine Henning hat ein Bild für Sie gemalt.

Theune: Dieses Kunstwerk ist unglaublich schön, es bedeutet mir sehr viel. Vor ein paar Jahren habe im Rheintal bei Oberwesel im Günderode Filmhaus meinen Abschied als DFB Mitarbeiterin und sportliche Leiterin der Talentförderung gefeiert. Mitten in den Weinbergen. Es war eine grandiose, schöne, lustige, würdevolle Party. Von Margret Kratz und Kollegen bzw. Kolleginnen hatte Josephine Henning den Auftrag erhalten, ein Portrait von mir zu malen. Entstanden ist eine bezaubernde farbenfrohe Komposition. Vor dem Hintergrund der Umrisse Deutschlands sieht man nur meine Hände, die behutsam eine Kugel umfassen. Es könnte auch ein Ball oder der Weltraum mit Sternenbildern sein und symbolisiert wohl das Teamwork, die engen Beziehungen und den Austausch von Ideen. In den blauen Himmel gemalt ist das berühmte Kaffeeservice, das wir 1989 als Prämie für den ersten EM-Titel bekommen haben. Das Bild ist riesig. Es hängt nun im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Es hat sehr viele Details, die mit meiner Zeit als Trainerin zu tun haben

DFB.de: Sie werden am 4. November 70 Jahre alt. Welchen zentralen Wunsch haben Sie?

Theune: Für den Frauenfußball wünsche ich mir mit Blick auf die Bewerbung um die Ausrichtung der WM 2027 in Belgien, Deutschland und den Niederlanden: Bitte den Zuschlag. Ansonsten freue ich mich auf die Qualifikation zu den Olympischen Spielen. Und auf die EM der Männer im kommenden Jahr. Ich wünsche mir, dass unsere Mannschaft die Menschen mit begeisterndem und erfolgreichem Fußball verwöhnt. Ich wünsche mir sehr, dass wir mit dem Turnier ein Vorbild für Weltoffenheit, Toleranz und Freiheit sein werden. Und zum Glück bin ich sehr zuversichtlich, dass uns das gelingt.

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