SV Schott Jena: In einem Atemzug mit West Ham und Inter

Der Coach muss schmunzeln, wenn er an seinen Plan gegen den sechsmaligen Deutschen Meister, dreimaligen DFB-Pokalsieger sowie Sieger der Europapokale der Pokalsieger und Landesmeister denkt: "Die spielen in der Vorbereitung erst gegen West Ham United. Dann gegen Inter Mailand. Und dann kommen sie zum SV Schott Jena." Premier League, Serie A, Oberliga Nordost. Größer könnten die Gegensätze kaum sein. Aber genau das ist ja der Reiz dieses Wettbewerbs.

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Als es vorbei ist, stürmen sie das Feld. Sie stürzen übereinander. Sie schreien, sie jubeln, manche weinen. Sie haben für eine der größten Sensationen in der jüngeren Geschichte des Fußballs in Thüringen gesorgt. Der SV Schott Jena, vor kurzem noch Sechstligist, hat den Drittligisten FC Rot-Weiß Erfurt im Endspiel des Verbandswettbewerbs besiegt und sich damit für die erste Runde des DFB-Pokals qualifiziert.

Das ist inzwischen knapp zwei Monate her. Heute wird der Hamburger SV zu Gast sein. Für einen der größten Außenseiter ist das ein absolutes Traumlos. "Wir fiebern diesem Ereignis entgegen", sagt Erfolgstrainer Steffen Geisendorf. "Das ist das Sahnehäubchen auf eine überragende Saison."

Denn die Jenaer haben gleich zweimal Geschichte geschrieben. Einerseits natürlich durch das Erreichen des DFB-Pokals. Aber andererseits auch durch den Aufstieg in die Oberliga Nordost. Zusammen ist das kein Wunder, zusammen ist das ein Märchen. Erfolgreicher war der Verein noch nie in seiner gut 110-jährigen Geschichte. "Wir haben einige Zeit gebraucht, um das alles zu realisieren", sagt Geisendorf. "Die Euphorie ist riesig. Drei Tage lang haben wir Party gemacht, so etwas habe ich vorher noch nie erlebt."

Geisendorf: Plötzlich Cheftrainer

Der 35-Jährige ist im Winter 2010 aus dem Nachwuchsleistungszentrum von Carl-Zeiss Jena zum SV Schott gewechselt. Damals befand sich die Mannschaft im tiefsten Tabellenkeller der Oberliga Nordost. Geisendorf war zunächst Co-Trainer. Aber als sich im März die Ereignisse überschlugen, war er plötzlich Chef der Mannschaft – den Abstieg konnte auch der B-Lizenz-Inhaber nicht mehr verhindern. Zu viel war zuvor zerbrochen.

Aber danach ist es mit dem Klub kontinuierlich aufwärts gegangen. Erst stabilisierte sich das völlig neu aufgestellte Team in der Thüringenliga. Und nun gelang in diesem Sommer der souveräne Aufstieg. Auf dem Weg dorthin hat der SV Schott nur zehn Punkte liegen gelassen – zwei Niederlagen, vier Unentschieden. Viel besser geht es nicht.

Und dann gab es ja auch noch dieses besondere Datum. Der 22. Mai 2013. Eigentlich sollte in Jena bereits der Sommer angekommen sein. Die Temperaturen jedoch erreichten selbst nachmittags kaum zweistellige Bereiche. Aber das war ihnen beim SV Schott egal, es war Endspieltag. Der FC Rot-Weiß Erfurt war zu Gast. Eigentlich ging es vorher nur um die Höhe des Sieges des Drittligisten. Drei Klassen trennten die Vereine zu diesem Zeitpunkt.

Versprochener Rücktritt erstmal vertagt

Auch Geisendorf hatte wahrscheinlich nicht richtig an die mögliche Sensation geglaubt. "Ich werde lachen und meinen Rücktritt erklären." Das hatte er vorher auf die Frage geantwortet, was er bei einem Erfolg machen werde. Hinterher hat er seine Aussage etwas relativiert: Er habe ja nicht gesagt, wann er aufhören werde. Gelacht hat er aber sofort.

Das Duell lief perfekt für den SV Schott Jena. Die Gastgeber gingen durch einen 16-Meter-Schuss von Benjamin Bahner vor knapp 3000 Zuschauern im Ernst-Abbe-Sportpark nach sechs Minuten bereits mit 1:0 in Führung. Danach rannte Erfurt wütend an. Geisendorf stockte mehrfach der Atem. Aber Jenas Torhüter Brian Gheorghiu hielt überragend und entschärfte selbst die besten Möglichkeiten.

Duell gegen Erfurt "wie Bayern gegen 1860"

"Zu unserem Können kam in dieser Begegnung sicher auch das nötige Quäntchen Glück und ein sensationeller Schlussmann – Brian war fantastisch", sagt Geisendorf. Es war dramatisch bis in die Schlussphase. Selbst in der Nachspielzeit der Nachspielzeit hatte Erfurt noch eine riesige Gelegenheit. Aber es passierte nichts mehr.

Jena hat den Sieg wie eine Deutsche Meisterschaft gefeiert. Schließlich war es ja auch ein Triumpf über den großen Nachbarn. "Die Brisanz vorher war riesig", sagt Geisendorf rückblickend. "Das ist Vergleich mit Hertha BSC Berlin gegen Union, Bayern München gegen 1860 oder Mainz 05 gegen Kaiserslautern." Es ging nicht nur um den Sieg, es ging auch um die Ehre.

"Die Saison war herausragend. Wir hatten spätestens Anfang April Planungssicherheit für die Oberliga. Das war schon ein Vorteil", betont Geisendorf. Viel verändert hat der Coach trotzdem nicht. Zwei Spieler sind aus beruflichen Gründen weggegangen, drei sind neu dazugekommen. Man setzt auf den eigenen Nachwuchs, auf junge Spieler aus der Region. Man setzt nicht auf personelle Fluktuation. Man setzt auf die einfachsten Regeln des Fußballs: Die Stärken stärken, die Schwächen schwächen.

Geisendorf kokettiert mit Informationsvorsprung

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Dass das gegen den HSV kaum ausreichen wird für die nächste Sensation, das weiß Geisendorf natürlich ganz genau. Sie wollen das Duell als reine Amateure gegen den Siebten der vergangenen Bundesligasaison genießen. Dennoch bereitet sich der Neu-Oberligist gewissenhaft auf die Aufgabe vor: "Für mich als Trainer ist es einfach, an Informationen über den Hamburger SV zu kommen. In der Thüringenliga war das etwas komplizierter."

Der Coach muss schmunzeln, wenn er an seinen Plan gegen den sechsmaligen Deutschen Meister, dreimaligen DFB-Pokalsieger sowie Sieger der Europapokale der Pokalsieger und Landesmeister denkt: "Die spielen in der Vorbereitung erst gegen West Ham United. Dann gegen Inter Mailand. Und dann kommen sie zum SV Schott Jena." Premier League, Serie A, Oberliga Nordost. Größer könnten die Gegensätze kaum sein. Aber genau das ist ja der Reiz dieses Wettbewerbs.