Sparwasser: "Der größte Sieg in meiner Karriere"

DFB.de: Noch wertvoller als der Olympiasieg zwei Jahre später in Montreal?

Sparwasser: Man kann das nicht miteinander vergleichen. Das eine war die Erfolgsgeschichte für unseren Verein, das andere für unsere Nationalmannschaft. Ich nehmen an, dass Martin Hoffmann, der ja an beiden Erfolgen maßgebend beteiligt war und 1976 zudem ein entscheidendes Tor zum Olympiasieg schoss, die Goldmedaille von Montreal noch etwas höher einschätzt. Für mich war der Sieg im Finale von Rotterdam der größte Erfolg meiner Karriere - auch weil ich in Montreal nicht dabei war.

DFB.de: Und wie hoch ist der emotionale Stellenwert 40 Jahre danach noch für Sie und Ihre Mitspieler?

Sparwasser: Sehr hoch. Weil der Sieg in Rotterdam die Krönung für ein Team bleibt, das einen ganz großen inneren Zusammenhalt besaß und noch immer hat. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass wir uns seit vielen Jahren immer wieder um den 8. Mai herum treffen, um gemeinsam zu feiern. So wird es auch jetzt am Freitag sein, wenn wir uns zum "40-Jährigen" in Thale im Harz treffen.

DFB.de: Wo auf dem Blocksberg in der Walpurgisnacht die Hexen tanzen...

Sparwasser: (lacht) Wir werden die Puppen tanzen lassen. Doch im Ernst, jedes Jahr ist ein anderer aus dem damaligen Team mit der Ausrichtung dieser Wiedersehensfeier beauftragt. Unser Torwart Uli Schulze, der in Thale wohnt, wird diesmal der Organisator sein.

DFB.de: Dabei werden Sie wieder mal nachholen, was Ihnen in den Stunden nach dem Sieg in Rotterdam verwehrt geblieben war?

Sparwasser: So ist es. Denn es war damals für mich und einige andere Mitspieler eine sehr traurige Angelegenheit, dass wir nach der Rückkehr der Mannschaft aus Rotterdam bei der großen Feier auf dem Alten Markt in Magdeburg nicht dabei sein konnten. Wir Magdeburger Nationalspieler mussten nämlich ganz früh am nächsten Morgen direkt von Rotterdam nach Schweden fliegen, wo die DDR-Auswahl sich zur Vorbereitung auf die WM 1974 befand. Bis heute vermisse ich deswegen etwas in meinem Leben. Das hat schon ziemlich wehgetan.



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Am Freitag kommen sie, wie jedes Jahr, wieder zusammen, die Spieler des 1. FC Magdeburg, die am 8. Mai 1974 - heute vor genau 40 Jahren - den ersten und einzigen Europapokalgewinn des DDR-Vereinsfußballs errangen. Bei der Jubiläumsfeier werden sie sich in Thale im Harz an jenes 2:0 in Rotterdam gegen den AC Mailand erinnern.

Im DFB.de-Exklusivinterview mit Redakteur Wolfgang Tobien blickt der inzwischen 65 Jahre alte Jürgen Sparwasser zurück auf das Endspiel gegen Rivera, Schnellinger und Co. Zudem beschreibt der erfolgreiche Torjäger und Nationalspieler den Stellenwert sowie die Auswirkungen des damaligen Erfolgs für den DDR-Fußball, den FCM und für sich persönlich.

DFB.de: Herr Sparwasser, die Ehrenrunde nach Abpfiff in Rotterdam am 8. Mai 1974 zeigt die Magdeburger Spieler in schneeweißen Bademänteln. Befindet sich das gute Stück noch in Ihrer Trophäen- und Souvenirsammlung?

Jürgen Sparwasser: (lacht) Nein, nein! Ich glaube, den Bademantel habe ich damals in der Kabine oder im Hotel gelassen.

DFB.de: Welcher Sponsor hat sich diese für einen Europacupsieger eher ungewöhnliche Verkleidung eigentlich einfallen lassen?

Sparwasser: Das war meines Wissens kein Sponsor, sondern eine schöne Geste des Veranstalters. Es war ziemlich kalt und hat geregnet. Und auf einmal kamen irgendwelche dienstbaren Geister mit diesen Bademänteln zu uns auf Spielfeld. Wir zogen die Dinger an, um uns zu schützen und zu wärmen.

DFB.de: 40 Jahre sind seitdem vergangen. Welche Bedeutung hatte Magdeburgs Gewinn des Europapokals der Pokalsieger seinerzeit für den Fußball der DDR?

Sparwasser: Der erste Europapokalsieg für ein DDR-Team, das war schon eine Hausnummer. Und so wurde das auch empfunden in der Öffentlichkeit. Wir hatten damals mit dem 1. FC Magdeburg ohnehin erfolgreiche Jahre. Dieser Sieg hatte aber auf jeden Fall das Prädikat besonders wertvoll.

DFB.de: Noch wertvoller als der Olympiasieg zwei Jahre später in Montreal?

Sparwasser: Man kann das nicht miteinander vergleichen. Das eine war die Erfolgsgeschichte für unseren Verein, das andere für unsere Nationalmannschaft. Ich nehmen an, dass Martin Hoffmann, der ja an beiden Erfolgen maßgebend beteiligt war und 1976 zudem ein entscheidendes Tor zum Olympiasieg schoss, die Goldmedaille von Montreal noch etwas höher einschätzt. Für mich war der Sieg im Finale von Rotterdam der größte Erfolg meiner Karriere - auch weil ich in Montreal nicht dabei war.

DFB.de: Und wie hoch ist der emotionale Stellenwert 40 Jahre danach noch für Sie und Ihre Mitspieler?

Sparwasser: Sehr hoch. Weil der Sieg in Rotterdam die Krönung für ein Team bleibt, das einen ganz großen inneren Zusammenhalt besaß und noch immer hat. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass wir uns seit vielen Jahren immer wieder um den 8. Mai herum treffen, um gemeinsam zu feiern. So wird es auch jetzt am Freitag sein, wenn wir uns zum "40-Jährigen" in Thale im Harz treffen.

DFB.de: Wo auf dem Blocksberg in der Walpurgisnacht die Hexen tanzen...

Sparwasser: (lacht) Wir werden die Puppen tanzen lassen. Doch im Ernst, jedes Jahr ist ein anderer aus dem damaligen Team mit der Ausrichtung dieser Wiedersehensfeier beauftragt. Unser Torwart Uli Schulze, der in Thale wohnt, wird diesmal der Organisator sein.

DFB.de: Dabei werden Sie wieder mal nachholen, was Ihnen in den Stunden nach dem Sieg in Rotterdam verwehrt geblieben war?

Sparwasser: So ist es. Denn es war damals für mich und einige andere Mitspieler eine sehr traurige Angelegenheit, dass wir nach der Rückkehr der Mannschaft aus Rotterdam bei der großen Feier auf dem Alten Markt in Magdeburg nicht dabei sein konnten. Wir Magdeburger Nationalspieler mussten nämlich ganz früh am nächsten Morgen direkt von Rotterdam nach Schweden fliegen, wo die DDR-Auswahl sich zur Vorbereitung auf die WM 1974 befand. Bis heute vermisse ich deswegen etwas in meinem Leben. Das hat schon ziemlich wehgetan.

DFB.de: Immerhin gelang Ihnen dann aber bei der WM der Überraschungssieg gegen die deutsche Nationalmannschaft...

Sparwasser: (lacht) ... was sagen Sie, Überraschungssieg? Das will ich nicht hören...

DFB.de: ... und Sie wurden dabei mit Ihrem Siegtor zum 1:0 "unsterblich". War das der wichtigste Treffer Ihrer langen und erfolgreichen Karriere?

Sparwasser: Auf keinen Fall. Viel wichtiger war mein Tor im April zum 2:1 im Europacup-Halbfinale gegen Sporting Lissabon. Dieser Sieg hat uns ja erst den Weg ins Endspiel gegen Milan geebnet.

DFB.de: Welche Wirkung hatten diese beiden Erfolge des 1. FC Magdeburg und der DDR-Nationalmannschaft innerhalb weniger Wochen auf die Fans in der DDR?

Sparwasser: Es gab wirklich Anerkennung und Applaus ohne Ende. Für uns Magdeburger sogar auch von den Fans in Dresden und Jena, wo ja zu jener Zeit der beste Fußball in der DDR gespielt wurde. Zudem hat sich mein persönlicher Stellenwert durch das Tor in Hamburg noch erhöht. Und plötzlich fielen einem auch die Leute um den Hals, die dir vorher noch die Krätze an den Hals gewünscht hatten. Das betraf unsere ganze Nationalmannschaft.

DFB.de: Hat sich damit auch die Förderungswürdigkeit des bei den DDR-Sportfunktionären nicht allzu hoch angesiedelten Fußballs erhöht?

Sparwasser: Einige ausgewählte Einzelsportarten wurden weiterhin ganz besonders gefördert. Eishockey und Wasserball, wo wir ja auch sehr erfolgreiche Mannschaften hatten, wurden liquidiert, um die Eisfläche und das Schwimmbecken frei zu bekommen für die Trainingszeiten der Eiskunstläufer und Schwimmer. Ähnlich wollte man auch mit dem Fußball verfahren. Es gab dann aber starke Proteste in den Betrieben, was schließlich wenigstens zur Duldung des Fußballs mit seiner hervorragenden Nachwuchsarbeit geführt hat. Diese Duldung bei der Parteiführung hat sich 1974 notgedrungen etwas verstärkt.

DFB.de: Zum Finale: Mit welchen Erwartungen und Maßnahmen sind Sie in diese Begegnung mit der hoch dekorierten Mailänder Mannschaft um Gianni Rivera und Karl-Heinz Schnellinger gegangen?

Sparwasser: Im Rückblick muss ich sagen, dass ich niemals in meiner Karriere eine so kurze Spielvorbereitung erlebt habe. Wenn sie zehn Minuten gedauert hat, war es viel gewesen. Trainer Heinz Krügel gab einfach nur die Aufstellung bekannt und hat dabei uns alle überrascht mit der kommentarlosen Nominierung von Helmut Gaube aus unser Bezirksliga-Reservemannschaft. Der fiel aus allen Wolken, weil er den gesperrten Laus Decker ersetzen sollte, hat das aber als Sonderbewacher von Gianni Rivera ganz großartig gemacht. Natürlich hatten wir großen Respekt vor dieser internationalen Erfolgstruppe. Doch wir sind nicht vor Ehrfurcht erstarrt.

DFB.de: Schnellinger und Co. waren hochbezahlte Vollprofis. Wie verhielten die sich Ihnen gegenüber, und wie stellte sich Ihr Alltag und Auskommen im DDR-Oberligafußball dar?

Sparwasser: In der letzten Phase meiner Laufbahn als Nationalspieler habe ich 1100 Ostmark im Monat verdient. Wenn man Meister wurde, hatte man sich mal ein Auto abholen dürfen. Und für ein Länderspiel gab es eine kleine Extraprämie in bar. Wir waren ja fast alle beim SKET angestellt...

DFB.de: ... dem "Schwermaschinen-Kombinat Ernst Thälmann" in Magdeburg...

Sparwasser: ... und ein Reservespieler, der dort als Ingenieur arbeitete, hatte mehr auf der Kralle als ich als Nationalspieler und gelernter Maschinenbauer. Wir hatten natürlich gehört, was die Milan-Stars verdienten, und haben das auch geglaubt, wussten aber, dass wir an dieser ganzen Situation nichts ändern konnten. Doch wir waren stolz auf unsere sportlichen Erfolge, dreimal Meister und dreimal Pokalsieger in den 70er-Jahren, immer international gespielt zu haben. Das war die absolute Erfüllung für uns. Natürlich waren die Mailänder schockiert, dass sie gegen diese Provinztruppe aus dem Ostern Deutschlands verloren haben. Doch sie verhielten sich überhaupt nicht arrogant und haben uns am Ende anständig gratuliert.

DFB.de: Wie haben Sie die Minikulisse von 4600 Besuchern in der riesigen Rotterdamer "De Kuip" empfunden - bis heute die niedrigste Zuschauerzahl bei einem Europapokalfinale?

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Sparwasser: Wir wussten, dass von uns nur zwei Flugzeuge mit ausgesuchten Anhängern nach Rotterdam kommen würden. Nicht einmal unsere Frauen durften ja mitreisen. Doch ich habe mit weitaus größerer zahlenmäßiger Unterstützung für die Italiener gerechnet. Mit mehr Tifosi und Fahnen. Das war schon frustrierend, dort fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu spielen. Andauernd geregnet hatte es ja auch noch.

DFB.de: Welchen Einfluss hatte Trainer Heinz Krügel auf Magdeburgs damaligen Status als Spitzenteam des DDR-Fußballs?

Sparwasser: Er setzte auf Disziplin, aber auch auf die Freiheit der Selbst- und Mitentscheidung auf dem Spielfeld. Und vermittelte uns damit großes Selbstvertrauen. Er hat uns geschützt, wenn es mal eng wurde für den einen oder anderen im Umgang mit der Staatsmacht. Vor allem hat er uns alle gleich behandelt, auch wenn er eine klare Hierarchie in der Mannschaft befürwortete.

DFB.de: Mit seinen Erfolgen als Trainer im Rücken scheute sich Krügel nicht, sich der Staatsmacht zu widersetzen und die SED-Bosse aufzufordern, sich nicht in den Fußball einzumischen, weshalb er 1976 auf Lebenszeit gesperrt wurde. Wie kamen Krügels Geradlinigkeit und die Maßnahme der Parteiführung bei Ihnen an?

Sparwasser: Wir haben, als es für ihn ganz eng wurde, versucht, mit den Parteibonzen in Kontakt zu kommen. Das haben wir auch geschafft als Mannschaftsrat. Doch wir hatten keine Chance gegen die Hardliner. Er war weg vom Fenster.

DFB.de: Nach der Wende wurde Krügel vom Nordostdeutschen Fußballverband rehabilitiert. Hatten Sie bis zu seinem Tod 2008 regelmäßig Kontakt zu ihm?

Sparwasser: Ich wusste, dass er sehr krank ist. Als mein 60. Geburtstag im Juni 2008 anstand, habe ich meine Freunde im Rhein-Main-Gebiet gefragt, ob wir nicht gemeinsam nach Magdeburg fahren sollten, um dort meinen Geburtstag mit Heinz Krügel und den ehemaligen Mitspielern zusammen zu feiern. Ich wusste, dass ich ihn dabei wahrscheinlich zum letzten Mal sehen würde. Um zehn Uhr abends verabschiedete er sich, wir haben uns umarmt, und das war unsere letzte Begegnung. Vier Monate später starb er.

DFB.de: Mit dem 1. FC Magdeburg ging es nach der Wende und speziell in den vergangenen zehn Jahren immer mehr bergab. Die wichtigsten Gründe aus Ihrer Sicht?

Sparwasser: Nach der Wende ist erst einmal alles zusammengebrochen. Das SKET, wo das Geld herkam, ist dicht gemacht worden. Die Strukturen, die bis dahin das sportliche Geschehen einigermaßen zusammengehalten haben, lösten sich auf. Es begann der große Aufbruch in den Westen. Auch der 1. FC Magdeburg wurde zum Neuanfang gezwungen. Es wurden dabei viele Fehler gemacht. Und in den vergangenen Jahren verpasste man immer wieder gute Chancen zum Aufstieg.

DFB.de: Wie sehen Sie die Zukunft des Magdeburger Fußballs?

Sparwasser: Ich bin überzeugt, dass Profisport in Magdeburg auf hohem Niveau möglich ist. Das zeigt sich ja beim Handball. Der Fußball hat dort ein großes Fanpotenzial, und vor allem steht ihm ein wunderschönes neues Stadion zur Verfügung. Das müsste die Basis sein. Früher war es so, dass wir ein beschissenes Stadion hatten, aber eine Supermannschaft. Heute steht in Magdeburg eine tolle Arena, aber unter den gegebenen Verhältnissen, für die die Spieler nichts können, fehlt eine Mannschaft, die diesem Stadion mit professionellem Fußball gerecht wird.

DFB.de: Sie selbst haben sich schon vor der Wende in den Westen abgesetzt. Wie kam es dazu?

Sparwasser: Ich sah meine Zukunft als pädagogischer Lehrer an der Hochschule in Magdeburg und habe an einem Konzept mitgearbeitet, wollte dabei auch meine Doktorarbeit schreiben. Der örtlichen Parteiboss, der auch Trainer Heinz Krügel kaltgestellt hatte, war aber dagegen. Er zitierte mich zu sich, kündigte mir massive Konsequenzen an und setzte diese auch um. So wuchs bei mir und bei meiner Frau der Entschluss, in den Westen zu gehen. Als sich nach einem halben Jahr die Chance hierfür auftat, waren wir weg. Und mit 40 musste ich dann hier noch mal von vorne anfangen. Die ersten Jahre waren nicht einfach, vor allem auch, weil mein Examen als Diplomsportlehrer nicht anerkannt wurde. Doch es gab dann die ersten Kontakte zu Eintracht Frankfurt, wo "Kalli" Feldkamp Trainer war, und ich in den sportlichen Betrieb integriert wurde.

DFB.de: Inzwischen wohnen Sie in Bad Vilbel bei Frankfurt am Main und sind in die Nachwuchsförderung bei der Eintracht eingebunden. Eine Lösung auf Dauer, oder wird es Sie irgendwann wieder in Ihre Heimatstadt zurückziehen?

Sparwasser: Vor zwei Jahren habe ich in Charly Körbels Fußballschule das Talenttraining übernommen. Wir haben 240 Feldspieler und circa 50 Torhüter in der Ausbildung. Im Sommer und im Winter. Das lastet mich voll aus. Mit Kindern zu arbeiten, ist eine wunderschöne Sache. Magdeburg ist Geschichte. Natürlich fahre ich immer wieder gerne dorthin, um Freunde, Verwandte und Bekannte zu besuchen. Doch wir haben uns jetzt hier eine neue Existenz aufgebaut. Unsere Heimat ist Bad Vilbel und die Frankfurter Gegend bei Appelwein und Handkäse mit Musik.