Siegenthaler: "Ronaldo ist kein Showman"

"Es hätte schlimmer kommen können." Urs Siegenthaler, seit 2005 als Schweizer Chefscout der deutschen Nationalmannschaft, ist nicht gerade unzufrieden mit der WM-Gruppe G, in der Deutschland auf Portugal (16. Juni 2014), Ghana (21. Juni) und schließlich Jürgen Klinsmann und die USA (26. Juni) treffen wird.

Man hat die "großen Europäer" Italien und Frankreich vermieden, genauso wie einige gefährliche Außenseiter, zu denen der 66-jährige Schweizer Kolumbien, Belgien und Japan zählt. Und man muss nicht in Manaus antreten, wo es nahe des Äquators besonders heiß sein wird - nicht gerade förderlich für das Pressing und Tempospiel der deutschen Mannschaft.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Thomas Hackbarth redet Urs Siegenthaler über die drei Gruppengegner und das Duell der befreundeten Ex-Bankkollegen Löw und Klinsmann im Gruppenfinale.

DFB.de: Herr Siegenthaler, wenn zwei Trainer fachlich alles voneinander wissen, was bedeutet das für ein Fußballspiel?

Urs Siegenthaler: Joachim Löw bevorzugt den technischen Fußball, Jürgen Klinsmann setzt mehr auf Dynamik und die Bereitschaft, die Zweikämpfe anzunehmen. Das ist die Ausgangslage. Menschlich kennen sich die beiden natürlich sehr gut. Ob beide sich aber fußballtaktisch komplett in die Karten schauen können? Da wäre ich mir nicht sicher.

DFB.de: Sie haben 2005 als Chefscout angefangen und über mehr als ein Jahr Löw und Klinsmann bei der WM-Vorbereitung unterstützt. Wie lief damals das Zusammenspiel?

Siegenthaler: Sehr gut. Ihre Arbeit prägte Empathie und geradezu Freundschaft. Auch fachlich hielten und halten beide viel voneinander. Charakterlich sind sich Löw und Klinsmann auch ähnlich, beide sind sie sehr bodenständige Menschen. Beide sind nicht gewillt, etwa den fairen Umgang miteinander für einen möglichen Erfolg zu opfern. Klinsmanns Image als ein Trainer, dessen Stärke die Motivation ist, kann ich nur bestätigen. Der Halbfinaleinzug 2006 war jedenfalls eine große Leistung, auch wenn man bedenkt, aus welchen Niederungen die Mannschaft kam. 2002 erreichte man zwar das WM-Finale, das war aber sicher nicht der Fußball, vom dem Deutschland geträumt hatte. Mit den Turnieren 2000 und 2004 lagen große Enttäuschungen hinter der Nationalmannschaft. Jürgen Klinsmann hat es geschafft, mit seiner Art eine sehr positive Stimmung ins Team und das DFB-Umfeld zu bringen.

DFB.de: 2013 musste die DFB-Auswahl nur eine Niederlage hinnehmen. Hat das 3:4 in Washington irgendeine Bedeutung für das letzte WM-Gruppenspiel 2014 in Recife - eben gegen jene Amerikaner?



"Es hätte schlimmer kommen können." Urs Siegenthaler, seit 2005 als Schweizer Chefscout der deutschen Nationalmannschaft, ist nicht gerade unzufrieden mit der WM-Gruppe G, in der Deutschland auf Portugal (16. Juni 2014), Ghana (21. Juni) und schließlich Jürgen Klinsmann und die USA (26. Juni) treffen wird.

Man hat die "großen Europäer" Italien und Frankreich vermieden, genauso wie einige gefährliche Außenseiter, zu denen der 66-jährige Schweizer Kolumbien, Belgien und Japan zählt. Und man muss nicht in Manaus antreten, wo es nahe des Äquators besonders heiß sein wird - nicht gerade förderlich für das Pressing und Tempospiel der deutschen Mannschaft.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Thomas Hackbarth redet Urs Siegenthaler über die drei Gruppengegner und das Duell der befreundeten Ex-Bankkollegen Löw und Klinsmann im Gruppenfinale.

DFB.de: Herr Siegenthaler, wenn zwei Trainer fachlich alles voneinander wissen, was bedeutet das für ein Fußballspiel?

Urs Siegenthaler: Joachim Löw bevorzugt den technischen Fußball, Jürgen Klinsmann setzt mehr auf Dynamik und die Bereitschaft, die Zweikämpfe anzunehmen. Das ist die Ausgangslage. Menschlich kennen sich die beiden natürlich sehr gut. Ob beide sich aber fußballtaktisch komplett in die Karten schauen können? Da wäre ich mir nicht sicher.

DFB.de: Sie haben 2005 als Chefscout angefangen und über mehr als ein Jahr Löw und Klinsmann bei der WM-Vorbereitung unterstützt. Wie lief damals das Zusammenspiel?

Siegenthaler: Sehr gut. Ihre Arbeit prägte Empathie und geradezu Freundschaft. Auch fachlich hielten und halten beide viel voneinander. Charakterlich sind sich Löw und Klinsmann auch ähnlich, beide sind sie sehr bodenständige Menschen. Beide sind nicht gewillt, etwa den fairen Umgang miteinander für einen möglichen Erfolg zu opfern. Klinsmanns Image als ein Trainer, dessen Stärke die Motivation ist, kann ich nur bestätigen. Der Halbfinaleinzug 2006 war jedenfalls eine große Leistung, auch wenn man bedenkt, aus welchen Niederungen die Mannschaft kam. 2002 erreichte man zwar das WM-Finale, das war aber sicher nicht der Fußball, vom dem Deutschland geträumt hatte. Mit den Turnieren 2000 und 2004 lagen große Enttäuschungen hinter der Nationalmannschaft. Jürgen Klinsmann hat es geschafft, mit seiner Art eine sehr positive Stimmung ins Team und das DFB-Umfeld zu bringen.

DFB.de: 2013 musste die DFB-Auswahl nur eine Niederlage hinnehmen. Hat das 3:4 in Washington irgendeine Bedeutung für das letzte WM-Gruppenspiel 2014 in Recife - eben gegen jene Amerikaner?

Siegenthaler: Also eins kann ich sagen: Es wäre dümmer für uns gewesen, wir hätten das Spiel 6:0 gewonnen.

DFB.de: Wie sehen Sie die Entwicklung des Fußballs in den USA?

Siegenthaler: Der US-amerikanische Fußball überlebt auf Grund des Interesses der mexikanischen Einwanderer. Die Länderspiele im Gold-Cup gegen Honduras oder Mexiko sind ausverkauft, ansonsten ist auch das mediale Interesse nach wie vor eher gering. Andere Sportarten stehen stärker im Fokus. Das wird Jürgen Klinsmann auch mittelbar, sagen wir binnen der nächsten zehn Jahre, nicht maßgeblich verändern können. Aber auch wenn der Fußball in den USA keine sehr großen Schritte nach vorne macht, geht die Entwicklung schon in die richtige Richtung. Nur eben eher langsam.

DFB.de: Zu einem anderen Gruppengegner: Ist Portugals Superstar Cristiano Ronaldo für Sie der Weltfußballer 2013?

Siegenthaler: Ja, und das sage ich eindeutig, ohne dass ich etwa Franck Ribérys Leistung schmälern will. Seit fast einem Jahrzehnt beweist Ronaldo seine überragende Klasse. Zuletzt schießt er vier Tore gegen Schweden in den WM-Play-offs. Ich finde, er wird falsch eingeschätzt. Jeder seiner aktuellen oder ehemaligen Mitspieler berichtet so viel Positives über ihn. Cristiano Ronaldo gilt als ungeheuer fleißig, konsequent, pünktlich. Er ist sehr geordnet in seinem gesamten Auftreten. Für mich ist er jedenfalls nicht dieser Showman, wie er in der Öffentlichkeit gesehen wird. Ich bin überzeugt: Wenn einer so gute Laufwege kennt und technisch auf höchstem Niveau Fußball spielt, dann erklärt sich das nicht nur über das Talent. Üben, üben, üben macht den Weltklassespieler. Aus meiner Sicht ist Cristiano Ronaldo ein sehr, sehr guter Fußballer.

DFB.de: Die letzten drei Begegnungen mit Portugal - EM 2012 und 2008 sowie WM 2006 - waren alles wichtige Turnierspiele und endeten jeweils mit einem deutschen Sieg. Liegen uns die Portugiesen?

Siegenthaler: Was soll das heißen? Und was bedeuten diese vergangenen Spiele? Wäre es besser, gegen Griechenland zu spielen oder gegen Honduras? In der Schweiz jubeln sie gerade, weil man Honduras und Ecuador als Gruppengegner gezogen hat. Wenn sich meine Landsleute da mal nicht täuschen. Generell hatte ich vor der Auslosung ein paar Teams auf der Liste, die ich lieber vermeiden wollte. Dazu gehörten Kolumbien, Uruguay, Belgien und Japan. Portugal dagegen lebt von einer Generation, die in der Vergangenheit für Furore gesorgt hat.

DFB.de: Das Durchschnittsalter der portugiesischen Mannschaft in Brasilien wird wohl über 26 Jahre liegen.

Siegenthaler: Bruno Alves wird 32, Ricardo Costa 33, Pepe 31 Jahre alt sein. Eigentlich wollte diese Mannschaft doch 2008 Europameister werden. In Brasilien wird nun genau diese Generation wieder antreten. Im Moment jedenfalls wachsen in Portugal kaum Talente nach.

DFB.de: Bei der WM 2010 in Südafrika war Ghana der letzte Gruppengegner, Mesut Özil schoss Deutschland beim 1:0 ins Achtelfinale. Wie hat sich Ghana seitdem entwickelt?

Siegenthaler: Ich war dieses Jahr beim Africa Cup. Dieser Fußball, den sie früher gezeigt haben, so "Auf die Plätze, fertig, los", und dann geht's richtig zur Sache, den habe ich beim Africa Cup kaum noch gesehen. Die Teams verteidigen heute sehr europäisch, gut organisiert und diszipliniert, das Resultat ist wichtiger geworden. Nigerias Entwicklung gefällt mir, und Volker Finke hat bei Kamerun etwas bewegt, die zeigen jetzt mehr Einsatz. Aber sonst? Der Rest stagniert ein wenig.

DFB.de: Im Achtelfinale könnte die deutsche Mannschaft dann auf Belgien treffen.

Siegenthaler: Deren Entwicklung war bemerkenswert, trotzdem habe ich meine Zweifel. Die Belgier verfügen über herausragende Individualisten, aber ihre letzten beiden Heimspiele gegen Japan und Kolumbien haben sie verloren. Sie wollen jetzt in die Weltspitze vorstoßen, ganz oben ankommen, und da wird die Luft dünner. Kolumbien hatte ab der 60. Minute Torchancen im Minutentakt. Klar, das waren zwei Freundschaftsspiele, vielleicht fehlte den Belgiern die letzte Entschlossenheit. Dennoch - gute Namen, gute Stars. Aber warten wir mal ab, ob sie noch eine Einheit werden, die bis zum Turnier im Sommer eine gemeinsame Spielidee entwickelt.

DFB.de: Welche Spiele stehen als nächste auf Ihrem Flugplan?

Siegenthaler: Natürlich werden wir uns mit dem Scouting der Nationalmannschaft jetzt verstärkt den Gruppengegnern widmen. Ghana und die USA bestreiten direkt im Februar jeweils ein Freundschaftsspiel. Das würde schon Sinn machen. So viele Chancen haben wir ja nicht mehr, die Gegner zu beobachten. Wir waren immer gut beraten, wenn wir ein Spiel vom Gegner mehr gesehen haben als eins zu wenig.

Urs Siegenthaler, am 23. November 1947 in Basel geboren, wurde mit dem FC Basel fünfmal Meister und zweimal Pokalsieger. 1978 erwarb er in Köln die Fußball-Lehrer-Lizenz, er wurde Chefcoach des FC Basel und später Co-Trainer der Schweizer Nationalmannschaft. Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann nahm ihn wegen seiner analytischen Fähigkeiten Ende 2004 in den Trainerstab auf, seitdem wertet Urs Siegenthaler die Informationen über künftige Gegner aus. Nicht viele Menschen verbringen mehr Zeit im Flugzeug und im Stadion als der 66-jährige Schweizer - und das wird 2014 nicht weniger werden.