Seeler wird 85: Seine zehn wichtigsten Tore

Schon weit vor seinem großen Tag hat es zahlreiche Interviews, Porträts und Dokumentationen gegeben. So viele, dass kaum jemand die Chance hatte, den 85. Geburtstag von Uwe Seeler am heutigen Freitag zu verpassen. Ebenso wenig wie sein Motto in diesen späten Tagen seines Lebens: "Das Schönste ist es doch, normal zu sein. Und das bin ich."

Das mag so sein und bezogen auf den Menschen Uwe Seeler trifft es sogar hundertprozentig zu. Auch er ist nur ein Mensch, der Fehler gemacht hat, aber Allüren und Skandale finden sich in seiner Vita nicht. Abgehoben ist der Hamburger Jung nur zu Fallrückziehern im gegnerischen Strafraum oder im Flieger zu Dienstreisen in Sachen Fußball.

Vorbild für die Menschen im Nachkriegsdeutschland

Bodenständig, ehrlich, immer mit einem freundlichen Wort für Fans und Autogrammjäger, die ihn, je kleiner sie sind, heute noch anrühren. "Sie nennen mich nur Uwe und stehen schüchtern vor einem. Das sind schöne, ergreifenden Momente für mich", bekannte er dieser Tage der Bild-Zeitung. Der Mann, der nur zwei große Lieben in seinem Leben kannte, seine Ilka -  seit 1959 seine Ehefrau - und seinen HSV - seit 1946 sein Verein-, war in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für die Menschen im Nachkriegsdeutschland - ein Idol, das nie eins sein wollte. Was schlicht der Grund für seine unsterbliche Popularität ist.

Wäre er aber nur ein normaler Fußballer gewesen, würde dieser Tage kaum von ihm noch berichtet werden. Das war Uwe Seeler natürlich nicht. Dass er nicht zu den mittlerweile 89 Weltmeistern im Land gehört, ändert daran nichts. Dafür war er Kapitän der beiden populärsten Mannschaften, die nicht Weltmeister wurden. Damals in England, als ein Tor fiel, das keins war, und in Mexiko, als es im Spiel des Jahrhunderts eigentlich keinen Verlierer hätte geben dürfen.

"Uns Uwe" auf Torejagd

Uwe Seeler war dabei und noch bei zwei weiteren WM-Turnieren, er hat 72 Länderspiele bestritten und war auch einmal "der Bomber der Nation". So taufte ihn die für derartige Etikette zuständige Bild-Zeitung nachweislich im Juni 1968, als er amtierender Rekordtorjäger war. Bis ihn dann der in diesem August verstorbene Gerd Müller ablöste, mit dem man diesen Titel ja eigentlich verbindet.

Diese für viele Fußballfans sicher überraschende Tatsache zeigt nur, wie lange das alles schon her ist, als "Uns Uwe" für Deutschland auf Torejagd ging. DFB.de nutzt den Anlass seines 85. Geburtstages, um auf seine zehn wichtigsten Tore im Nationaltrikot zurückzuschauen. Die Auswahl muss subjektiv bleiben, die Reihenfolge ist chronologisch - aber das Beste kommt zuletzt.

Torpremiere bei der WM 1958

8. Juni 1958: Deutschland - Argentinien (3:1): Das gibt es auch nicht oft. Ein Nationalspieler, der sein erstes Länderspieltor ausgerechnet bei der WM erzielt. Uwe Seeler, der schon mit 17 kurz nach der WM 1954 debütierte und in Sepp Herbergers Notizbuch als "das Wunder" geführt wurde, hatte einen etwas schleppenden Start in der deutschen Nationalmannschaft. Erst knapp vier Jahre nach seinem Debüt wurde er Stammspieler.

Ausgerechnet bei der WM 1958 in Schweden setzte Herberger konsequent auf ihn. Das Auftaktmatch gegen Argentinien (3:1) war erst sein sechster Einsatz, aber das Vertrauen lohnte sich. In dem hartumkämpften Fight von Malmö sorgte Seeler für die Wende. Argentinien war in Führung gegangen, Helmut "Boss" Rahn hatte ausgeglichen.

Es kommt die 42. Minute: Über die Weltmeister Rahn und Hans Schäfer kommt der Ball zu "Aki" Schmidt, dessen Schuss zwar abprallt von einem Verteidigerbein, aber dadurch kommt WM-Debütant Seeler zum Schuss. Der rutscht wie einst Max Morlock in Bern "im Spagatschritt" in die unfreiwillige Vorlage und trifft aus einem Meter ins leere Tor. "Uwe, Uwe" hallt es von den Rängen. Herberger lobt: "Uwe Seeler hat alle meine Erwartungen erfüllt. Er hat die Unbekümmertheit und das Draufgängertum der Jugend."

Das Tor ins Viertelfinale

15. Juni 1958: Deutschland - Nordirland (2:2): Im letzten Gruppenspiel der WM 1958 in Schweden kommt es gegen Nordirland zum Finale um den Einzug ins Viertelfinale. Die Briten gehen zweimal in Führung, der Weltmeister steht vor dem Aus. Zwölf Minuten vor Schluss steht Hans Schäfer mit dem Rücken zum Tor und lupft den Ball zurück zu Seeler. Der hat an diesem Tag von fast jedem Fleck des Strafraums aufs Tor geschossen und nicht getroffen. Immer hat Harry Gregg, der Mann im gelben Sweater, sein Tor verhindert.

Nun versucht er es aus 18 Metern, es ist eher eine Rahn-Distanz. Hoch schlägt der Ball unter der Latte ein - 2:2! "Ein schöner Strich", sagt Uwe über dieses Tor. Ganz schön wichtig vor allem, es bringt sein Team eine Runde weiter. Kommentar Herberger: "Uwe Seeler vergab ein paar klare Chancen. Aber wie aufopfernd kämpfte er, und wie gut spielte er auch."

Wende in Belfast

26. Oktober 1960: Nordirland - Deutschland (3:4): In seinem ersten WM-Qualifikationsspiel muss Seeler auf die britische Insel, auf der Deutschland noch nie gewonnen hat. Wie bei der WM 1958 geht es gegen Nordirland. 35.000 Zuschauer füllen den Windsor-Park, in dem noch keine kontinentale Mannschaft gewonnen hat. So scheint es zu bleiben, nach 51 Minuten gehen die Nordiren 2:1 in Führung.

Doch dann kommt Uwe, der das Publikum schon mit einem Fallrückzieher beeindruckt hat, und gibt wieder das Signal zur Wende: Nach Flanke des Frankfurters Richard Kreß umspielt der Hamburger seinen Gegenspieler und schiebt mit links flach in die rechte Ecke (53.). Der Windsor-Park verstummt, schon zwei Minuten später trifft auch der andere HSV-Stürmer Charly Dörfel. Am Ende heißt es 4:3 für Deutschland, der Bann der britischen Insel ist gebrochen. Gleich nach der Rückkehr wird Seeler zum erster Fußballer des Jahres in Deutschland gekürt. Aber das steht schon vor seinem Tor fest…

1958: "Die Schweizer waren ein großartiger Gegner"

3. Juni 1962: Deutschland - Schweiz (2:1): Im zweiten Gruppenspiel der WM 1962 in Chile wehrt sich Außenseiter Schweiz tapfer gegen die Deutschen. Albert Brülls hat in Santiago de Chile zwar mit dem Pausenpfiff das 1:0 geschossen, aber die Weichen auf Sieg stellt ein anderer.

Nach 62 Minuten schickt Hans Schäfer den nun 26-jährigen Seeler mit einem Pass auf die Reise, die dieser mit einem satten Linksschuss abschließt. Wie wichtig sein Tor war, soll sich noch zeigen. Nach 73 Minuten verkürzen die Schweizer auf 1:2, aber dabei bleibt es. Kommentar Uwe Seeler: "Mit dem 2:1 müssen wir zufrieden sein. Die Schweizer waren ein großartiger Gegner. Der Riegel machte uns von Anfang an Schwierigkeiten."

WM 1962: Entscheidung gegen Gastgeber Chile

6. Juni 1962: Deutschland - Chile (2:0): 68.000 Zuschauer auf den Rängen hoffen in Santiago de Chile auf einen chilenischen Sieg im letzten Gruppenspiel der WM. Nötig haben sie ihn aber nicht, im Gegensatz zu den Deutschen sind sie schon qualifiziert.

Zu verschenken haben die Chilenen nichts, sie agieren feldüberlegen. Da holt Seeler einen Elfmeter heraus, den besser ein Nicht-Gefoulter schießt: Horst Szymaniak (21.). Bis zur 82. Minute bleibt die Partie und damit das Weiterkommen offen, dann hechtet Seeler in eine Brülls-Flanke und köpft den Ball ins Tor - zum 2:0-Endstand. In der Kabine trinken sie Sekt auf den Gruppensieg.

Das Tor nach England

26. September 1965: Schweden - Deutschland (1:2): Dieses Tor hat eine Vorgeschichte, die erzählt werden muss. Uwe Seeler, nach der WM 1962 DFB-Kapitän, musste im Februar 1965 an der gerissenen Achillessehne operiert worden, was damals noch oft mit dem Karriereende einherging. Doch der HSV-Stürmer kämpfte sich zurück, ermuntert vom öffentlichen Zuspruch. Ins Krankenhaus wurden Blumen, Bälle und Marzipantorten geliefert und der neue Bundestrainer Helmut Schön erkundigte sich alle drei Tage nach dem Stand der Genesung.

Im August stand Uwe wieder auf dem Platz, doch er war noch nicht der Alte. DFB-Masseur Erich Deuser riet von seinem Einsatz im wichtigsten Qualifikationsspiel zur WM in England ab, er könne ja nicht hoch genug springen. Schön nominierte ihn dennoch in den 18er-Kader, in dem auch erstmals ein gewisser Franz Beckenbauer stand. Schön ging in Stockholm großes Risiko; Neben Rekonvaleszent Seeler stellte er zwei Debütanten aus München auf: besagten Beckenbauer, 20 Jahre, vom Aufsteiger FC Bayern, und Peter Grosser, 27, vom TSV 1860.

Beckenbauer hatte erst sechs Bundesligaspiele absolviert, aber die Fachwelt war begeistert. Auch Uwe Seeler glaubte an ihn und ermutigte Schön: "Bringen Sie den Beckenbauer." Ihn brachte er auch. Sein Einsatz hatte einen hohen psychologischen Effekt, den Schweden-Star Kurre Hamrin so beschrieb: "Mit Seeler auf dem Platz steht es schon 1:0 für Deutschland."

Grosser auf Seeler - Tor!

Doch das erste Tor machten die Schweden: Eine Minute vor der Pause verschätzte sich Hans Tilkowski bei einem langen Ball, so dass Jonsson einschoss. Schon im Gegenzug glückte dem Duisburger Werner Krämer der Ausgleich, an dem Seeler als Vorbereiter beteiligt war. Nach 55 Minuten kam der große Moment, der Schöns Aufstellung vollauf bestätigte. Debütant Grosser setzte sich rechts durch und flankte flach vors Tor und ausgerechnet Uwe Seeler rutschte mit letztem Einsatz hinein. 2:1! Es bedeutete den Sieg und die WM-Fahrkarte.

"Das Tor war mein Dankeschön an Helmut Schön und dessen Mut, mich nach der Verletzung für solch ein wichtiges Spiel aufzustellen", schrieb Seeler in seiner Biographie. Noch heute bezeichnet er den eher unspektakulären Treffer als seinen "schönsten", vielleicht auch wegen der Erinnerung an das, was er auslöste. Im Hotel stieg eine lustige Fete, er trank erstmals im Leben auf Befehl des Bundestrainers einen Whiskey und damit ein paar weniger als Helmut Schön, den man sogar das Tanzbein schwingen sah. Seeler: "Er hat sich ordentlich einen reingehauen, er war so unglaublich happy nach diesem Sieg." Dank Uwe!

Obligatorisches Tor ins Viertelfinale

20. Juli 1966: Deutschland - Spanien (2:1): Auch bei seiner dritten WM in England 1966 ließ es sich der Hamburger nicht nehmen, das Tor zum Viertelfinale zu schießen. In Birmingham stand es gegen Spanien 1:1. Der Punkt hätte zwar gereicht, aber wer wollte garantieren, dass Spanien nicht noch träfe? Für Deutschland hatte bis dahin nur Lothar Emmerich getroffen und so ein Tor würde gewiss nicht noch mal fallen. Von seinem Schuss aus unmöglichem Winkel würde man noch Jahrzehnte später sprechen.

Nun, das wichtigere Tor schießt Seeler, der in den ersten beiden Spielen leer ausgegangen ist. Nun wird es Zeit und nach einer flachen Flanke von Siggi Held drückt er aus fünf Metern ein, er kann sich den Ball sogar noch zurecht legen. Es ist der Sieg, es ist das Viertelfinale und nun ist er der erste Deutsche, der bei drei WM-Endrunden getroffen hat. Vor allem aber löst er Fritz Walter als Länderspielrekordtorschützen ab, der "Held von Bern" war auf 33 Treffer gekommen.

Das größte Lob kommt diesmal vom Gegner. Spaniens Kapitän Fernando Gallego sagte: "Gegen Uwe Seeler zu bestehen, ist eine Kunst! Selten habe ich mit einem Spieler so viel zu tun gehabt, der so unermüdlich kämpfte, so fair spielte und so prachtvolle Kopfball-Leistungen bot." Seeler trifft auch im Viertelfinale gegen Uruguay (4:0), doch sein 3:0 hat nicht mehr die ganz große Bedeutung.

Siegtor im "Wohnzimmer"

7. Oktober 1967: Deutschland - Jugoslawien (3:1): Uwe Seeler hat nie eine Europameisterschaft gespielt. Versucht hat er es immerhin, zur Endrunde 1968 nahm Deutschland erstmals teil. Der Weg nach Italien war fast schon frei, als Jugoslawien im Hamburger Volksparkstadion mit 3:1 bezwungen wurde.

Die spannende Partie entschied der Lokalmatador in der 87. Minute mit einem Kopfballtor nach einer Flanke von Hannes Löhr, die 71.000 Zuschauer feiern ihn. Alle Mitspieler einschließlich Torwart Sepp Maier kommen zum Jubeln angerannt. Rein emotional sicher eines der wichtigsten Tore für Seeler, auch weil es sein einziges in Hamburg bleibt. Dass es vergebens sein würde, ahnt damals keiner. Bei der Blamage von Tirana (0:0) zwei Monate danach fehlt Seeler.

WM-Rekord in Mexiko

3. Juni 1970: Deutschland - Marokko (2:1): Vor der WM in Mexiko 1970 tobte in Fachkreisen die Stürmerfrage: Müller oder Seeler? Bundestrainer Helmut Schön stellt beide auf und das ist auch bitter nötig. Beim spielerisch enttäuschenden Auftakt gegen Marokko sind es die Mittelstürmer, die die große Blamage von Leon verhindern. Seeler bricht nach 56 Minuten den Bann und erzielt das erste von 17 deutschen WM-Toren in Mexiko. Seinem Flachschuss lässt Gerd Müller noch einen Abstauber per Kopf folgen.

In der allgemeinen Erleichterung über den schmeichelhaften Sieg geht unter, dass Seeler einen WM-Rekord aufgestellt hat. Als erster Spieler ist er Torschütze bei vier verschiedenen WM-Turnieren, der große Pelé zieht im Parallelspiel Brasiliens gegen die CSSR vier Minuten später nach. Aber eben doch zu spät. In diesem Moment ist Seeler das egal, er findet auf typische Uwe-Art deutliche Worte zum Spiel: "Es wird schon noch alles besser, weil es nicht schlechter werden kann."

Legendäres Hinterkopftor zum Abschied

14. Juni 1970: Deutschland - England (3:2 n.V.): Es wurde besser und so konnte es elf Tage später in Leon zur Revanche für das verlorene Wembley-Finale mit Weltmeister England kommen. In der Mittagshitze Mexikos (Anstoß 12 Uhr) fällt das berühmteste Seeler-Tor, das Millionen von Amateurkicker seither vergeblich zu kopieren suchten. Wem es gelang, dem wohl nur durch Zufall.

Legendär wird der Hinterkopftreffer nach einer eigentlich zu weiten Hereingabe von Karl-Heinz Schnellinger natürlich auch durch seine Bedeutung. Die Deutschen stehen in diesem Viertelfinale vor dem Aus, acht Minuten vor Schluss führt England 2:1. Franz Beckenbauer hat immerhin verkürzt, aber mit der Auswechslung Bobby Charltons demonstriert der Weltmeister maximale Gelassenheit. Hat er doch noch nie ein Spiel nach 2:0-Führung verloren.

Bis zu diesem Tag, als Seeler sein Hinterkopftor über den verdutzten Bonetti hinweg gelingt - und Gerd Müller in der Verlängerung das 3:2. Das Land hat alte und neue Helden und es spielen sich in deutschen Wohnstuben zu nächtlicher Stunde die tollsten Szenen ab. Kostprobe: Eine Zuschauerin aus Iserlohn rennt an den Bildschirm und küsst Seelers Bild und als die Zeitlupe eingeblendet wird, die Stirn. Ihr eifersüchtiger Gemahl verpasst ihr eine Ohrfeige, erst nach Abpfiff kommt es zur Versöhnung.

"Dass ein Tor daraus wurde, hat mich selbst ein bisschen überrascht"

Seeler kommentiert sein 43. und letztes Tor für Deutschland mit einen Lächeln und der ihm eigenen Bescheidenheit: "Ich bin hochgesprungen, habe den Ball nicht auf die Stirn, sondern auf die Schädeldecke bekommen. Dass ein Tor daraus wurde, hat mich selbst ein bisschen überrascht."

Dass es ihm auch in diesem großen Moment deutscher Fußballgeschichte nicht an Demut fehlt, hat wiederum keinen überrascht, der je von "Uns Uwe" gehört hatte. Schön war die Zeit, schön seine Tore. Für seinen HSV erzielte er bis zu seinem Abschied 1972 übrigens 510 - in allen Wettbewerben.

Danke, Uwe!

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Schon weit vor seinem großen Tag hat es zahlreiche Interviews, Porträts und Dokumentationen gegeben. So viele, dass kaum jemand die Chance hatte, den 85. Geburtstag von Uwe Seeler am heutigen Freitag zu verpassen. Ebenso wenig wie sein Motto in diesen späten Tagen seines Lebens: "Das Schönste ist es doch, normal zu sein. Und das bin ich."

Das mag so sein und bezogen auf den Menschen Uwe Seeler trifft es sogar hundertprozentig zu. Auch er ist nur ein Mensch, der Fehler gemacht hat, aber Allüren und Skandale finden sich in seiner Vita nicht. Abgehoben ist der Hamburger Jung nur zu Fallrückziehern im gegnerischen Strafraum oder im Flieger zu Dienstreisen in Sachen Fußball.

Vorbild für die Menschen im Nachkriegsdeutschland

Bodenständig, ehrlich, immer mit einem freundlichen Wort für Fans und Autogrammjäger, die ihn, je kleiner sie sind, heute noch anrühren. "Sie nennen mich nur Uwe und stehen schüchtern vor einem. Das sind schöne, ergreifenden Momente für mich", bekannte er dieser Tage der Bild-Zeitung. Der Mann, der nur zwei große Lieben in seinem Leben kannte, seine Ilka -  seit 1959 seine Ehefrau - und seinen HSV - seit 1946 sein Verein-, war in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für die Menschen im Nachkriegsdeutschland - ein Idol, das nie eins sein wollte. Was schlicht der Grund für seine unsterbliche Popularität ist.

Wäre er aber nur ein normaler Fußballer gewesen, würde dieser Tage kaum von ihm noch berichtet werden. Das war Uwe Seeler natürlich nicht. Dass er nicht zu den mittlerweile 89 Weltmeistern im Land gehört, ändert daran nichts. Dafür war er Kapitän der beiden populärsten Mannschaften, die nicht Weltmeister wurden. Damals in England, als ein Tor fiel, das keins war, und in Mexiko, als es im Spiel des Jahrhunderts eigentlich keinen Verlierer hätte geben dürfen.

"Uns Uwe" auf Torejagd

Uwe Seeler war dabei und noch bei zwei weiteren WM-Turnieren, er hat 72 Länderspiele bestritten und war auch einmal "der Bomber der Nation". So taufte ihn die für derartige Etikette zuständige Bild-Zeitung nachweislich im Juni 1968, als er amtierender Rekordtorjäger war. Bis ihn dann der in diesem August verstorbene Gerd Müller ablöste, mit dem man diesen Titel ja eigentlich verbindet.

Diese für viele Fußballfans sicher überraschende Tatsache zeigt nur, wie lange das alles schon her ist, als "Uns Uwe" für Deutschland auf Torejagd ging. DFB.de nutzt den Anlass seines 85. Geburtstages, um auf seine zehn wichtigsten Tore im Nationaltrikot zurückzuschauen. Die Auswahl muss subjektiv bleiben, die Reihenfolge ist chronologisch - aber das Beste kommt zuletzt.

Torpremiere bei der WM 1958

8. Juni 1958: Deutschland - Argentinien (3:1): Das gibt es auch nicht oft. Ein Nationalspieler, der sein erstes Länderspieltor ausgerechnet bei der WM erzielt. Uwe Seeler, der schon mit 17 kurz nach der WM 1954 debütierte und in Sepp Herbergers Notizbuch als "das Wunder" geführt wurde, hatte einen etwas schleppenden Start in der deutschen Nationalmannschaft. Erst knapp vier Jahre nach seinem Debüt wurde er Stammspieler.

Ausgerechnet bei der WM 1958 in Schweden setzte Herberger konsequent auf ihn. Das Auftaktmatch gegen Argentinien (3:1) war erst sein sechster Einsatz, aber das Vertrauen lohnte sich. In dem hartumkämpften Fight von Malmö sorgte Seeler für die Wende. Argentinien war in Führung gegangen, Helmut "Boss" Rahn hatte ausgeglichen.

Es kommt die 42. Minute: Über die Weltmeister Rahn und Hans Schäfer kommt der Ball zu "Aki" Schmidt, dessen Schuss zwar abprallt von einem Verteidigerbein, aber dadurch kommt WM-Debütant Seeler zum Schuss. Der rutscht wie einst Max Morlock in Bern "im Spagatschritt" in die unfreiwillige Vorlage und trifft aus einem Meter ins leere Tor. "Uwe, Uwe" hallt es von den Rängen. Herberger lobt: "Uwe Seeler hat alle meine Erwartungen erfüllt. Er hat die Unbekümmertheit und das Draufgängertum der Jugend."

Das Tor ins Viertelfinale

15. Juni 1958: Deutschland - Nordirland (2:2): Im letzten Gruppenspiel der WM 1958 in Schweden kommt es gegen Nordirland zum Finale um den Einzug ins Viertelfinale. Die Briten gehen zweimal in Führung, der Weltmeister steht vor dem Aus. Zwölf Minuten vor Schluss steht Hans Schäfer mit dem Rücken zum Tor und lupft den Ball zurück zu Seeler. Der hat an diesem Tag von fast jedem Fleck des Strafraums aufs Tor geschossen und nicht getroffen. Immer hat Harry Gregg, der Mann im gelben Sweater, sein Tor verhindert.

Nun versucht er es aus 18 Metern, es ist eher eine Rahn-Distanz. Hoch schlägt der Ball unter der Latte ein - 2:2! "Ein schöner Strich", sagt Uwe über dieses Tor. Ganz schön wichtig vor allem, es bringt sein Team eine Runde weiter. Kommentar Herberger: "Uwe Seeler vergab ein paar klare Chancen. Aber wie aufopfernd kämpfte er, und wie gut spielte er auch."

Wende in Belfast

26. Oktober 1960: Nordirland - Deutschland (3:4): In seinem ersten WM-Qualifikationsspiel muss Seeler auf die britische Insel, auf der Deutschland noch nie gewonnen hat. Wie bei der WM 1958 geht es gegen Nordirland. 35.000 Zuschauer füllen den Windsor-Park, in dem noch keine kontinentale Mannschaft gewonnen hat. So scheint es zu bleiben, nach 51 Minuten gehen die Nordiren 2:1 in Führung.

Doch dann kommt Uwe, der das Publikum schon mit einem Fallrückzieher beeindruckt hat, und gibt wieder das Signal zur Wende: Nach Flanke des Frankfurters Richard Kreß umspielt der Hamburger seinen Gegenspieler und schiebt mit links flach in die rechte Ecke (53.). Der Windsor-Park verstummt, schon zwei Minuten später trifft auch der andere HSV-Stürmer Charly Dörfel. Am Ende heißt es 4:3 für Deutschland, der Bann der britischen Insel ist gebrochen. Gleich nach der Rückkehr wird Seeler zum erster Fußballer des Jahres in Deutschland gekürt. Aber das steht schon vor seinem Tor fest…

1958: "Die Schweizer waren ein großartiger Gegner"

3. Juni 1962: Deutschland - Schweiz (2:1): Im zweiten Gruppenspiel der WM 1962 in Chile wehrt sich Außenseiter Schweiz tapfer gegen die Deutschen. Albert Brülls hat in Santiago de Chile zwar mit dem Pausenpfiff das 1:0 geschossen, aber die Weichen auf Sieg stellt ein anderer.

Nach 62 Minuten schickt Hans Schäfer den nun 26-jährigen Seeler mit einem Pass auf die Reise, die dieser mit einem satten Linksschuss abschließt. Wie wichtig sein Tor war, soll sich noch zeigen. Nach 73 Minuten verkürzen die Schweizer auf 1:2, aber dabei bleibt es. Kommentar Uwe Seeler: "Mit dem 2:1 müssen wir zufrieden sein. Die Schweizer waren ein großartiger Gegner. Der Riegel machte uns von Anfang an Schwierigkeiten."

WM 1962: Entscheidung gegen Gastgeber Chile

6. Juni 1962: Deutschland - Chile (2:0): 68.000 Zuschauer auf den Rängen hoffen in Santiago de Chile auf einen chilenischen Sieg im letzten Gruppenspiel der WM. Nötig haben sie ihn aber nicht, im Gegensatz zu den Deutschen sind sie schon qualifiziert.

Zu verschenken haben die Chilenen nichts, sie agieren feldüberlegen. Da holt Seeler einen Elfmeter heraus, den besser ein Nicht-Gefoulter schießt: Horst Szymaniak (21.). Bis zur 82. Minute bleibt die Partie und damit das Weiterkommen offen, dann hechtet Seeler in eine Brülls-Flanke und köpft den Ball ins Tor - zum 2:0-Endstand. In der Kabine trinken sie Sekt auf den Gruppensieg.

Das Tor nach England

26. September 1965: Schweden - Deutschland (1:2): Dieses Tor hat eine Vorgeschichte, die erzählt werden muss. Uwe Seeler, nach der WM 1962 DFB-Kapitän, musste im Februar 1965 an der gerissenen Achillessehne operiert worden, was damals noch oft mit dem Karriereende einherging. Doch der HSV-Stürmer kämpfte sich zurück, ermuntert vom öffentlichen Zuspruch. Ins Krankenhaus wurden Blumen, Bälle und Marzipantorten geliefert und der neue Bundestrainer Helmut Schön erkundigte sich alle drei Tage nach dem Stand der Genesung.

Im August stand Uwe wieder auf dem Platz, doch er war noch nicht der Alte. DFB-Masseur Erich Deuser riet von seinem Einsatz im wichtigsten Qualifikationsspiel zur WM in England ab, er könne ja nicht hoch genug springen. Schön nominierte ihn dennoch in den 18er-Kader, in dem auch erstmals ein gewisser Franz Beckenbauer stand. Schön ging in Stockholm großes Risiko; Neben Rekonvaleszent Seeler stellte er zwei Debütanten aus München auf: besagten Beckenbauer, 20 Jahre, vom Aufsteiger FC Bayern, und Peter Grosser, 27, vom TSV 1860.

Beckenbauer hatte erst sechs Bundesligaspiele absolviert, aber die Fachwelt war begeistert. Auch Uwe Seeler glaubte an ihn und ermutigte Schön: "Bringen Sie den Beckenbauer." Ihn brachte er auch. Sein Einsatz hatte einen hohen psychologischen Effekt, den Schweden-Star Kurre Hamrin so beschrieb: "Mit Seeler auf dem Platz steht es schon 1:0 für Deutschland."

Grosser auf Seeler - Tor!

Doch das erste Tor machten die Schweden: Eine Minute vor der Pause verschätzte sich Hans Tilkowski bei einem langen Ball, so dass Jonsson einschoss. Schon im Gegenzug glückte dem Duisburger Werner Krämer der Ausgleich, an dem Seeler als Vorbereiter beteiligt war. Nach 55 Minuten kam der große Moment, der Schöns Aufstellung vollauf bestätigte. Debütant Grosser setzte sich rechts durch und flankte flach vors Tor und ausgerechnet Uwe Seeler rutschte mit letztem Einsatz hinein. 2:1! Es bedeutete den Sieg und die WM-Fahrkarte.

"Das Tor war mein Dankeschön an Helmut Schön und dessen Mut, mich nach der Verletzung für solch ein wichtiges Spiel aufzustellen", schrieb Seeler in seiner Biographie. Noch heute bezeichnet er den eher unspektakulären Treffer als seinen "schönsten", vielleicht auch wegen der Erinnerung an das, was er auslöste. Im Hotel stieg eine lustige Fete, er trank erstmals im Leben auf Befehl des Bundestrainers einen Whiskey und damit ein paar weniger als Helmut Schön, den man sogar das Tanzbein schwingen sah. Seeler: "Er hat sich ordentlich einen reingehauen, er war so unglaublich happy nach diesem Sieg." Dank Uwe!

Obligatorisches Tor ins Viertelfinale

20. Juli 1966: Deutschland - Spanien (2:1): Auch bei seiner dritten WM in England 1966 ließ es sich der Hamburger nicht nehmen, das Tor zum Viertelfinale zu schießen. In Birmingham stand es gegen Spanien 1:1. Der Punkt hätte zwar gereicht, aber wer wollte garantieren, dass Spanien nicht noch träfe? Für Deutschland hatte bis dahin nur Lothar Emmerich getroffen und so ein Tor würde gewiss nicht noch mal fallen. Von seinem Schuss aus unmöglichem Winkel würde man noch Jahrzehnte später sprechen.

Nun, das wichtigere Tor schießt Seeler, der in den ersten beiden Spielen leer ausgegangen ist. Nun wird es Zeit und nach einer flachen Flanke von Siggi Held drückt er aus fünf Metern ein, er kann sich den Ball sogar noch zurecht legen. Es ist der Sieg, es ist das Viertelfinale und nun ist er der erste Deutsche, der bei drei WM-Endrunden getroffen hat. Vor allem aber löst er Fritz Walter als Länderspielrekordtorschützen ab, der "Held von Bern" war auf 33 Treffer gekommen.

Das größte Lob kommt diesmal vom Gegner. Spaniens Kapitän Fernando Gallego sagte: "Gegen Uwe Seeler zu bestehen, ist eine Kunst! Selten habe ich mit einem Spieler so viel zu tun gehabt, der so unermüdlich kämpfte, so fair spielte und so prachtvolle Kopfball-Leistungen bot." Seeler trifft auch im Viertelfinale gegen Uruguay (4:0), doch sein 3:0 hat nicht mehr die ganz große Bedeutung.

Siegtor im "Wohnzimmer"

7. Oktober 1967: Deutschland - Jugoslawien (3:1): Uwe Seeler hat nie eine Europameisterschaft gespielt. Versucht hat er es immerhin, zur Endrunde 1968 nahm Deutschland erstmals teil. Der Weg nach Italien war fast schon frei, als Jugoslawien im Hamburger Volksparkstadion mit 3:1 bezwungen wurde.

Die spannende Partie entschied der Lokalmatador in der 87. Minute mit einem Kopfballtor nach einer Flanke von Hannes Löhr, die 71.000 Zuschauer feiern ihn. Alle Mitspieler einschließlich Torwart Sepp Maier kommen zum Jubeln angerannt. Rein emotional sicher eines der wichtigsten Tore für Seeler, auch weil es sein einziges in Hamburg bleibt. Dass es vergebens sein würde, ahnt damals keiner. Bei der Blamage von Tirana (0:0) zwei Monate danach fehlt Seeler.

WM-Rekord in Mexiko

3. Juni 1970: Deutschland - Marokko (2:1): Vor der WM in Mexiko 1970 tobte in Fachkreisen die Stürmerfrage: Müller oder Seeler? Bundestrainer Helmut Schön stellt beide auf und das ist auch bitter nötig. Beim spielerisch enttäuschenden Auftakt gegen Marokko sind es die Mittelstürmer, die die große Blamage von Leon verhindern. Seeler bricht nach 56 Minuten den Bann und erzielt das erste von 17 deutschen WM-Toren in Mexiko. Seinem Flachschuss lässt Gerd Müller noch einen Abstauber per Kopf folgen.

In der allgemeinen Erleichterung über den schmeichelhaften Sieg geht unter, dass Seeler einen WM-Rekord aufgestellt hat. Als erster Spieler ist er Torschütze bei vier verschiedenen WM-Turnieren, der große Pelé zieht im Parallelspiel Brasiliens gegen die CSSR vier Minuten später nach. Aber eben doch zu spät. In diesem Moment ist Seeler das egal, er findet auf typische Uwe-Art deutliche Worte zum Spiel: "Es wird schon noch alles besser, weil es nicht schlechter werden kann."

Legendäres Hinterkopftor zum Abschied

14. Juni 1970: Deutschland - England (3:2 n.V.): Es wurde besser und so konnte es elf Tage später in Leon zur Revanche für das verlorene Wembley-Finale mit Weltmeister England kommen. In der Mittagshitze Mexikos (Anstoß 12 Uhr) fällt das berühmteste Seeler-Tor, das Millionen von Amateurkicker seither vergeblich zu kopieren suchten. Wem es gelang, dem wohl nur durch Zufall.

Legendär wird der Hinterkopftreffer nach einer eigentlich zu weiten Hereingabe von Karl-Heinz Schnellinger natürlich auch durch seine Bedeutung. Die Deutschen stehen in diesem Viertelfinale vor dem Aus, acht Minuten vor Schluss führt England 2:1. Franz Beckenbauer hat immerhin verkürzt, aber mit der Auswechslung Bobby Charltons demonstriert der Weltmeister maximale Gelassenheit. Hat er doch noch nie ein Spiel nach 2:0-Führung verloren.

Bis zu diesem Tag, als Seeler sein Hinterkopftor über den verdutzten Bonetti hinweg gelingt - und Gerd Müller in der Verlängerung das 3:2. Das Land hat alte und neue Helden und es spielen sich in deutschen Wohnstuben zu nächtlicher Stunde die tollsten Szenen ab. Kostprobe: Eine Zuschauerin aus Iserlohn rennt an den Bildschirm und küsst Seelers Bild und als die Zeitlupe eingeblendet wird, die Stirn. Ihr eifersüchtiger Gemahl verpasst ihr eine Ohrfeige, erst nach Abpfiff kommt es zur Versöhnung.

"Dass ein Tor daraus wurde, hat mich selbst ein bisschen überrascht"

Seeler kommentiert sein 43. und letztes Tor für Deutschland mit einen Lächeln und der ihm eigenen Bescheidenheit: "Ich bin hochgesprungen, habe den Ball nicht auf die Stirn, sondern auf die Schädeldecke bekommen. Dass ein Tor daraus wurde, hat mich selbst ein bisschen überrascht."

Dass es ihm auch in diesem großen Moment deutscher Fußballgeschichte nicht an Demut fehlt, hat wiederum keinen überrascht, der je von "Uns Uwe" gehört hatte. Schön war die Zeit, schön seine Tore. Für seinen HSV erzielte er bis zu seinem Abschied 1972 übrigens 510 - in allen Wettbewerben.

Danke, Uwe!

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