Seeler: "Klose traue ich Gerd Müllers Tor-Rekord zu"

Seeler: Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass wir punktgleich mit Leverkusen an der Tabellenspitze in die Länder­spielpause gehen. Die Stimmung ist fantastisch, sie wird auch unsere Nationalmannschaft beflügeln. Mit dem derzeitigen Potenzial hat mein HSV alle Chancen, weiterhin oben mitzumischen. Mit einer Prognose halte ich den Ball jetzt aber erst einmal flach – vielleicht kommt am Ende dann der HSV ganz groß raus.

Frage: Und die Gründe für das HSV-Hoch?

Seeler: Mit Elia haben wir einen sehr guten Offensivspieler hinzubekommen. Zé Roberto ist ein Glücksgriff mit seinem spielerischen Vermögen, seiner Erfahrung und Ruhe. Ich habe das gar nicht verstehen können, dass die Bayern einen solchen Mann laufen ließen. Der HSV ist sehr dankbar dafür. Guerrero, der sehr gut in die Saison gestartet ist, hat sich leider schlimm verletzt. Jetzt muss der junge Berg sich durchboxen und profilieren.

Frage: Mit Piotr Trochowski und Jerome Boateng stehen nur zwei HSV-Akteure im Aufgebot gegen Finnland.

Seeler: Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich der HSV als Multi-Kulti-Truppe präsentiert, mit vielen ausländischen Nationalspielern. Auch bei anderen Bundesliga-Klubs hat Jogi Löw keine große Auswahl an Spielern, die mit ihrem Pass für die Nationalmannschaft in Frage kämen. Marcell Jansen stünde sicherlich auch im DFB-Aufgebot, wenn er nach seiner Verletzung schon wieder richtig fit wäre.

Frage: Und wie schätzen Sie das Potenzial von Jerome Boateng ein?

Seeler: Er spielt seit längerer Zeit nun schon kontinuierlich auf einem hohen Niveau und hat bei der U 21-EM gezeigt, dass man bei ihm auch international die Messlatte sehr hoch anlegen kann. Er wird seinen Weg gehen.

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In der Bekanntheitsskala der Hansestadt befindet er sich auf einer Höhe mit dem Ham­burger Michel, Hans Albers und der Reeperbahn. Und mit kaum einem anderen deutschen Sportler können sich so viele Menschen identifizieren wie mit Uwe Seeler, der Ikone des HSV, dem Ehren­bürger seiner Heimat­stadt und Ehren­spiel­führer der Natio­nalmannschaft. Ein Volks­held, der immer Teil des Volkes geblieben ist. DFB-Redakteur Wolfgang Tobien sprach vor dem Spiel gegen Finnland mit "Uns Uwe", der als Nationalstürmer in 72 Länderspielen 43 Tore erzielte.

Frage: Herr Seeler, beim 3:3 im Hinspiel in Helsinki überragte Miroslav Klose vor einem Jahr als dreifacher Tor­schütze. Werden die Zuschauer heute zum Abschluss der WM-Qualifikation gegen Finnland abermals einen Gala-Abend des deutschen Angriffs erleben?

Uwe Seeler: Ich gehe von einem Sieg unserer Mannschaft aus und hoffe, dass wir in unserem schönen Hamburger Stadion viele Tore sehen. Unsere Stürmer stehen hierbei besonders in der Pflicht und werden hoffentlich, wie zuletzt Klose mit seinem Doppelpack gegen Aserbaidschan, ihre Treff­sicherheit unter Beweis stellen.

Frage: Die Stürmer geraten heute schnell in die Kritik und müssen sich Vergleiche mit den genialen Torjägern von einst gefallen lassen. War die Aufgabe für einen Mittelstürmer früher einfacher?

Seeler: Gerd Müller als Weltklasse-Stürmer hatte es nicht immer nur mit einem, sondern oft mit zwei Gegenspielern zu tun. Auch ich musste mich häufig gegen die so genannten Doppelstopper durchsetzen, die mir sogar bis auf die Toilette nachgerannt wären. Die heutige taktische Spielweise in der Defensive mit Dreier- oder Viererkette wäre mir als Stürmer zu meiner Zeit lieber gewesen. Das wäre angenehmer, als wenn dir ständig einer direkt auf den Füßen steht und dahinter noch ein weiterer Ab­wehrspieler auf dich wartet.

Frage: 1970 bildeten Sie bei der WM in Mexiko mit Gerd Müller allen vorausgegangenen Bedenken zum Trotz ein überragendes Torjäger-Duo und erzielten zusammen 13 Treffer. Wie sollte Ihrer Meinung nach die derzeitige ideale Angriffsformation heißen?

Seeler: Damals gab es tatsächlich vor Mexiko große Zweifel, ob das mit mir und Gerd klappen würde. Es hat aber geklappt, weil ich hinter Gerd als zweite Spitze gespielt habe, was mir großen Spaß gemacht hat. So könnte das auch heute beispielsweise zwischen Klose und Gomez funktionieren. Wenn der eine vorne drin ist, muss der andere links oder rechts rausgehen. Dann haut das hin. Egal wer spielt, mit viel Laufarbeit muss man sich gegenseitig ergänzen. Und Stürmer müssen, was ich generell erwarte, dort hingehen, wo es wehtut.

Frage: Gerd Müller war 1970 WM-Torschützenkönig, Miroslav Klose war es beim WM-Turnier 2006 in Deutschland. Wird er in dieser WM-Saison wieder rechtzeitig in Bestform kommen?

Seeler: Ich drücke ihm auf jeden Fall die Daumen, weil er wirklich große Qualität hat und mit seinem hohen läuferischen Aufwand auch viel für die Mannschaft tut.

Frage: Klose ist auf einem guten Weg, sich in der Torschützenliste von Top-Torjägern wie Rudi Völler und Jürgen Klinsmann (beide 47 Tore) abzusetzen. Trauen Sie ihm zu, vielleicht sogar Gerd Müller mit dessen 68 Treffern einzuholen?

Seeler: Ich würde mich für ihn freuen und traue ihm auch zu, dass er das schafft. Es ist durchaus möglich, dass er am Ende seiner Karriere, die ja bestimmt noch mindestens zwei, drei Jahre andauert, Gerd Müllers Tor-Rekord brechen wird. Aber auch in diesem Fall würde der Vergleich hinken, weil Gerd mit seinen 61 Länderspielen viel weniger Begegnungen bestritt als Miro, der jetzt schon mehr als 90 Spiele auf seinem Konto hat.

Frage: In Hamburg hat die Nationalmannschaft seit 2000 alle ihre vier Spiele gewonnen. Wird die neue Arena auch gegen Finnland ihrem Ruf als Erfolgs­bringer für die DFB-Auswahl gerecht werden?

Seeler: Selbstverständlich! Alles andere wäre für mich auch eine persönliche Enttäu­schung, weil ich immer schon gesagt habe, in Hamburg kann die Nationalmannschaft in unserer schönen neuen Arena gar nicht verlieren.

Frage: Vor 2000 gab es allerdings zwölf Jahre lang überhaupt kein Länderspiel in Hamburg. Warum?

Seeler: Das alte Volksparkstadion war ja nicht gerade eine ideale Länderspiel-Arena. Hinzu kam, dass es in den 70er- und 80er-Jahren kein gutes Pflaster für unsere Nati­onal­mannschaft war. Wenn ich nur an die Niederlagen gegen Holland im EM-Halbfinale 1988 denke oder an das 0:1 gegen die DDR bei der WM 1974. Auch gegen Brasilien, so erinnere ich mich, haben wir hier mal verloren und gegen Nordirland in der EM-Qualifikation. Es war also allerhöchste Zeit für die neue Arena. Mit ihr kam die Wende.

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Frage: Heute präsentiert sich das Team von Joachim Löw in einer Stadt, in der dank des aktuellen Höhenflugs in der Bundesliga große Fußball-Euphorie herrscht. Was sind die Gründe für das Hoch beim HSV, der ja in Ivica Olic seinen besten Stürmer an Bayern München abgeben musste, trotzdem aber bisher die meisten Tore in der Bundesliga erzielt hat?

Seeler: Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass wir punktgleich mit Leverkusen an der Tabellenspitze in die Länder­spielpause gehen. Die Stimmung ist fantastisch, sie wird auch unsere Nationalmannschaft beflügeln. Mit dem derzeitigen Potenzial hat mein HSV alle Chancen, weiterhin oben mitzumischen. Mit einer Prognose halte ich den Ball jetzt aber erst einmal flach – vielleicht kommt am Ende dann der HSV ganz groß raus.

Frage: Und die Gründe für das HSV-Hoch?

Seeler: Mit Elia haben wir einen sehr guten Offensivspieler hinzubekommen. Zé Roberto ist ein Glücksgriff mit seinem spielerischen Vermögen, seiner Erfahrung und Ruhe. Ich habe das gar nicht verstehen können, dass die Bayern einen solchen Mann laufen ließen. Der HSV ist sehr dankbar dafür. Guerrero, der sehr gut in die Saison gestartet ist, hat sich leider schlimm verletzt. Jetzt muss der junge Berg sich durchboxen und profilieren.

Frage: Mit Piotr Trochowski und Jerome Boateng stehen nur zwei HSV-Akteure im Aufgebot gegen Finnland.

Seeler: Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich der HSV als Multi-Kulti-Truppe präsentiert, mit vielen ausländischen Nationalspielern. Auch bei anderen Bundesliga-Klubs hat Jogi Löw keine große Auswahl an Spielern, die mit ihrem Pass für die Nationalmannschaft in Frage kämen. Marcell Jansen stünde sicherlich auch im DFB-Aufgebot, wenn er nach seiner Verletzung schon wieder richtig fit wäre.

Frage: Und wie schätzen Sie das Potenzial von Jerome Boateng ein?

Seeler: Er spielt seit längerer Zeit nun schon kontinuierlich auf einem hohen Niveau und hat bei der U 21-EM gezeigt, dass man bei ihm auch international die Messlatte sehr hoch anlegen kann. Er wird seinen Weg gehen.