Sebastian Deisler: Der frühe Ausstieg des Hochbegabten

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. In der Saison 2006/2007 beherrscht Sebastian Deislers Karriereende die Schlagzeilen. Der Bayern-Star ist dem Druck gesundheitlich nicht mehr gewachsen und löst eine Grundsatzdebatte über das Showgeschäft Bundesliga aus.

Am Dienstag, 16. Januar 2007, verschickte der FC Bayern München um 10.50 Uhr eine Pressemitteilung. Sie verhieß Sensationelles, sie war als Eilmeldung deklariert. "Eilt! – Eilt! – Eilt!" stand darüber, denn schon eine Stunde später sollte eine Pressekonferenz "aus gegebenem Anlass" stattfinden. Teilnehmer: Uli Hoeneß und Sebastian Deisler. Zwei Wochen nach seinem 27. Geburtstag rechnete gewiss niemand damit, was dann tatsächlich kommen sollte.

Das "größte Talent" des deutschen Fußballs

Deisler, Jahre zuvor von Bayern-Präsident Franz Beckenbauer zum "größten Talent des deutschen Fußballs" erhoben, war in seinen fünf Münchner Jahren zwar vom Pech verfolgt gewesen, aber dass er nun einen Schlussstrich ziehen würde, traf die Bayern wie ein Keulenschlag.

Doch so kam es. Er hatte genug gelitten. Sechs Operationen an Knie, Leiste und Achillesssehnen standen schon in seiner Krankenakte - und dazu ein Leiden, gegen das keine Operation hilft und von dem kaum jemand wusste: Depressionen. Sie hatten schon im November 2003 einen zehnwöchigen Klinikaufenthalt notwendig gemacht, im Oktober 2004 erlitt Deisler einen Rückfall und reiste spontan von einem Champions-League-Spiel in Turin ab, als Trainer Magath ihm einen Tribünenplatz avisiert hatte. Deisler: "Da habe ich den Respekt des Trainers für meine Geschichte vermisst."

Nächtliche Gespräche mit Uli Hoeneß

Im März 2006 kostete ihn eine Knieverletzung im Training die WM-Teilnahme, und ab diesem Tag, sagte er den Medienvertretern nun, habe er "mit diesem Gedanken gespielt." Uli Hoeneß hatte es an jenem Januar-Dienstag um 12.02 Uhr verkündet: "Sebastian Deisler will seine Fußballerkarriere beenden. So was werden wir hoffentlich nie mehr erleben." Im Winter-Trainingslager in Dubai hatte sich Deisler dem Manager geöffnet, jede Nacht diskutierten sie "zwei bis drei Stunden", erzählte Hoeneß. Doch nichts half. Auch nicht die Fan-Initiative im Internet (www. Deisler-mach-weiter.de).

Die Bayern lösten den bis 2009 laufenden Vertrag des 36-maligen Nationalspielers rückwirkend zum 1. Januar auf. Dabei soll er auf fünf Millionen Euro verzichtet haben, schätzte der Kicker, dessen Redakteur Karlheinz Wild kommentierte: "Alles, was von außen auf den Fußballer und Menschen Deisler einwirkte, erdrückte diesen tollen Fußballer. Hoffentlich nicht den Menschen!" Die Sorge bestand zu Recht.

"Das alles hat mich nicht glücklich gemacht"

Deisler öffnete im September 2007 sein Seelenleben im Berliner Tagesspiegel: Darin standen Sätze wie: "Ich war oben angekommen, und vor der Tür stand ein Mercedes. Aber das alles hat mich nicht glücklich gemacht." Und: "Ich habe Krieg geführt gegen mich, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe." Worte eines Verzweifelten, der überfordert war mit der Rolle als Retter des deutschen Fußballs und auch mit der des neuen Effenberg bei Bayern. Und damit, nie privat sein zu können.

Sebastian Deisler kam in seiner Karriere nur auf 135 von 287 möglichen Spielen in der Bundesliga, er hatte kein Vertrauen mehr in seinen Körper. Nun sei die "Qual" vorüber, er fühle sich "glücklich". Die Bayern waren es nicht, Trainer Felix Magath hatte den Rekonvaleszenten, der in der Vorrunde nur vier Einsätze hatte, "fest eingeplant" und reklamierte Ersatz im damals nicht sonderlich üppig besetzten Bayern-Kader. 14 Tage später wurde der Trainer entlassen.

"Mehr ging nicht"

In seiner Autobiographie "Zurück im Leben" beklagte Deisler den wenig sensiblen Umgang von Trainer und Mitspielern mit ihm. Er erzählt auch von einem verbalen Scharmützel mit Oliver Kahn im Oktober 2006. Deisler: "Da habe ich zum ersten Mal in meiner Karriere die Nerven verloren. Ich bin zu Oliver Kahn gerannt und habe ihn angebrüllt: 'Was willst Du denn von mir? Ich reiß mir hier den Arsch auf, mein Knie tut weh, und du schreist hier rum!'"

Einer, der immer wieder verletzt ist und auf den man im Training Rücksicht nehmen muss, hat es schwer in der Schweiß- und Ellbogengesellschaft eines Fußballklubs. So ging Sebastian Deisler in ein neues Leben, zu Frau und Kind. Ein halbes Jahr später sagte er: "Der Fußball, der mir fehlt, ist ein anderer als der, den ich verlassen habe. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ich so, wie alles gelaufen ist, nicht geschaffen war für dieses Geschäft. Am Ende war ich leer, ich war alt, ich war müde. Ich bin so weit gelaufen, wie mich meine Beine getragen haben, mehr ging nicht."

Sebastian Deislers Bundesligabilanz: 135 Spiele, 18 Tore, drei Deutsche Meisterschaften (2003, 2005, 2006).

Das meinen DFB.de-User:

Hut ab vor dieser menschlichen Größe. Ich war damals richtig traurig, als er seine Entscheidung aufzuhören traf. Aber im Nachhinein war sie wohl richtig und er hat dabei noch menschliche Größe gezeigt. (Ernst Peter Fiedler, Wetzlar)

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. In der Saison 2006/2007 beherrscht Sebastian Deislers Karriereende die Schlagzeilen. Der Bayern-Star ist dem Druck gesundheitlich nicht mehr gewachsen und löst eine Grundsatzdebatte über das Showgeschäft Bundesliga aus.

Am Dienstag, 16. Januar 2007, verschickte der FC Bayern München um 10.50 Uhr eine Pressemitteilung. Sie verhieß Sensationelles, sie war als Eilmeldung deklariert. "Eilt! – Eilt! – Eilt!" stand darüber, denn schon eine Stunde später sollte eine Pressekonferenz "aus gegebenem Anlass" stattfinden. Teilnehmer: Uli Hoeneß und Sebastian Deisler. Zwei Wochen nach seinem 27. Geburtstag rechnete gewiss niemand damit, was dann tatsächlich kommen sollte.

Das "größte Talent" des deutschen Fußballs

Deisler, Jahre zuvor von Bayern-Präsident Franz Beckenbauer zum "größten Talent des deutschen Fußballs" erhoben, war in seinen fünf Münchner Jahren zwar vom Pech verfolgt gewesen, aber dass er nun einen Schlussstrich ziehen würde, traf die Bayern wie ein Keulenschlag.

Doch so kam es. Er hatte genug gelitten. Sechs Operationen an Knie, Leiste und Achillesssehnen standen schon in seiner Krankenakte - und dazu ein Leiden, gegen das keine Operation hilft und von dem kaum jemand wusste: Depressionen. Sie hatten schon im November 2003 einen zehnwöchigen Klinikaufenthalt notwendig gemacht, im Oktober 2004 erlitt Deisler einen Rückfall und reiste spontan von einem Champions-League-Spiel in Turin ab, als Trainer Magath ihm einen Tribünenplatz avisiert hatte. Deisler: "Da habe ich den Respekt des Trainers für meine Geschichte vermisst."

Nächtliche Gespräche mit Uli Hoeneß

Im März 2006 kostete ihn eine Knieverletzung im Training die WM-Teilnahme, und ab diesem Tag, sagte er den Medienvertretern nun, habe er "mit diesem Gedanken gespielt." Uli Hoeneß hatte es an jenem Januar-Dienstag um 12.02 Uhr verkündet: "Sebastian Deisler will seine Fußballerkarriere beenden. So was werden wir hoffentlich nie mehr erleben." Im Winter-Trainingslager in Dubai hatte sich Deisler dem Manager geöffnet, jede Nacht diskutierten sie "zwei bis drei Stunden", erzählte Hoeneß. Doch nichts half. Auch nicht die Fan-Initiative im Internet (www. Deisler-mach-weiter.de).

Die Bayern lösten den bis 2009 laufenden Vertrag des 36-maligen Nationalspielers rückwirkend zum 1. Januar auf. Dabei soll er auf fünf Millionen Euro verzichtet haben, schätzte der Kicker, dessen Redakteur Karlheinz Wild kommentierte: "Alles, was von außen auf den Fußballer und Menschen Deisler einwirkte, erdrückte diesen tollen Fußballer. Hoffentlich nicht den Menschen!" Die Sorge bestand zu Recht.

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"Das alles hat mich nicht glücklich gemacht"

Deisler öffnete im September 2007 sein Seelenleben im Berliner Tagesspiegel: Darin standen Sätze wie: "Ich war oben angekommen, und vor der Tür stand ein Mercedes. Aber das alles hat mich nicht glücklich gemacht." Und: "Ich habe Krieg geführt gegen mich, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe." Worte eines Verzweifelten, der überfordert war mit der Rolle als Retter des deutschen Fußballs und auch mit der des neuen Effenberg bei Bayern. Und damit, nie privat sein zu können.

Sebastian Deisler kam in seiner Karriere nur auf 135 von 287 möglichen Spielen in der Bundesliga, er hatte kein Vertrauen mehr in seinen Körper. Nun sei die "Qual" vorüber, er fühle sich "glücklich". Die Bayern waren es nicht, Trainer Felix Magath hatte den Rekonvaleszenten, der in der Vorrunde nur vier Einsätze hatte, "fest eingeplant" und reklamierte Ersatz im damals nicht sonderlich üppig besetzten Bayern-Kader. 14 Tage später wurde der Trainer entlassen.

"Mehr ging nicht"

In seiner Autobiographie "Zurück im Leben" beklagte Deisler den wenig sensiblen Umgang von Trainer und Mitspielern mit ihm. Er erzählt auch von einem verbalen Scharmützel mit Oliver Kahn im Oktober 2006. Deisler: "Da habe ich zum ersten Mal in meiner Karriere die Nerven verloren. Ich bin zu Oliver Kahn gerannt und habe ihn angebrüllt: 'Was willst Du denn von mir? Ich reiß mir hier den Arsch auf, mein Knie tut weh, und du schreist hier rum!'"

Einer, der immer wieder verletzt ist und auf den man im Training Rücksicht nehmen muss, hat es schwer in der Schweiß- und Ellbogengesellschaft eines Fußballklubs. So ging Sebastian Deisler in ein neues Leben, zu Frau und Kind. Ein halbes Jahr später sagte er: "Der Fußball, der mir fehlt, ist ein anderer als der, den ich verlassen habe. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ich so, wie alles gelaufen ist, nicht geschaffen war für dieses Geschäft. Am Ende war ich leer, ich war alt, ich war müde. Ich bin so weit gelaufen, wie mich meine Beine getragen haben, mehr ging nicht."

Sebastian Deislers Bundesligabilanz: 135 Spiele, 18 Tore, drei Deutsche Meisterschaften (2003, 2005, 2006).

Das meinen DFB.de-User:

Hut ab vor dieser menschlichen Größe. Ich war damals richtig traurig, als er seine Entscheidung aufzuhören traf. Aber im Nachhinein war sie wohl richtig und er hat dabei noch menschliche Größe gezeigt. (Ernst Peter Fiedler, Wetzlar)