Schiedsrichter mit Pfiff: Einsatz in Afghanistan

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Seine Seele wurde noch nicht aufgegessen. Im Gegenteil, sie erfreut sich bester Gesundheit, sagt er zumindest. Wenn stimmt, was man über die Angst sagt, dann stimmt auch, was Ernst Utrata sagt. Dass er nämlich keine Angst habe, schließlich sei Furcht ein schlechter Ratgeber. Und einen schlechten Ratgeber kann Utrata in Afghanistan am allerwenigsten gebrauchen. Nicht in seinem Beruf als Bundespolizist, in dem er als gelernter Kfz-Mechaniker im Werkstattbereich der European Union Police (Eupol)-Mission seit 2003 in Afghanistan arbeitet. Gemeinsam mit seinen Kollegen hält er die Polizeiflotte an allen Eupol-Stützpunkten im Land in Schuss. Und nicht in seiner ganz privaten Mission: als Schiedsrichter am Hindukusch.

Achte Liga in Deutschland, erste Liga in Afghanistan

Bis heute hat Utrata 53 Spiele in Afghanistan geleitet. Sogar ein Erstligaspiel und die großen Derbys in Kabul, obwohl seine Lizenz in Deutschland nur für die Kreisliga gilt. Achte Liga in Deutschland, erste Liga in Afghanistan, ein Niveau. Fast. Vier Ligen gibt es in Afghanistan; die beste davon habe ungefähr deutsches Landesliga-Niveau, sagt Utrata. Und auch, dass ihm das Pfeifen dort wie hier gleichgroßes Vergnügen bereitet. „Fußball ist in Afghanistan nicht anders als in Deutschland“, sagt er. Von ein paar äußeren Einflüssen abgesehen. Er hat sich mit den Widrigkeiten arrangiert, hat Hagelkörner in Größe von Tischtennis-Bällen niederschlagen sehen, hat Sandstürme, sintflutartige Regenfälle und trockene Hitze ebenso überstanden wie die ständige und latente Bedrohung durch die Taliban. Konkret wurde diese zum Glück noch nie, nicht einen Zwischenfall hat es in drei Jahren seines Wirkens in Afghanistan bisher gegeben. „Es kam noch nie vor, dass ich mich bedroht oder unsicher gefühlt hätte“, sagt Utrata. Er hält sich an die Sicherheitsbestimmungen, außerhalb der Polizeikaserne bewegt er sich nur in gepanzerten Fahrzeugen und nie alleine fort. „Man darf keine Angst vor der Situation haben, muss aber den nötigen Respekt mitbringen“, sagt der 49-Jährige.

Beim Fußball war er immer sehr willkommen. Weil er sich angepasst hat, weil er offen auf die Einheimischen zugegangen ist. Sogar ein paar Brocken der Landessprache Dari hat er mittlerweile verinnerlicht. Ecke, Freistoß, Foul ¬Fußballbegriffe halt, dazu Begrüßungs- und Verabschiedungsfloskeln. Der Rest der Kommunikation funktioniert durch ein Gemisch aus Englisch, Deutsch, Körpersprache und Mienenspiel. Damit und mit seiner kompetenten und umgänglichen Art, die Spiele zu leiten, hat er den Respekt der Einheimischen erworben. Mittlerweile kennen ihn viele der Spieler, mittlerweile löst sein Erscheinen im „Olympic Stadium“ von Kabul und auf den Fußballplätzen der Umgebung kein großes Erstaunen mehr aus.

Anfangs gab es durchaus fragende Gesichter und zweifelnde Blicke, als mit Utrata ein deutscher Schiedsrichter zu offiziellen Spielen erschien. Zunächst hat Utrata nur Freizeitspiele geleitet, Feierabendkicks unter Kollegen und mit Einheimischen. Die deutschen Polizisten in Afghanistan suchten eine Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen. Auf einer Schulsportanlage in Kabul mischten sie sich unter Einheimische, schnell kam man ins Gespräch, die ersten Spiele wurden arrangiert. Als Schiedsrichter kam nur einer in Frage: Utrata. Seit 1999 ist er Schiedsrichter in Deutschland in der SR-Gruppe Deggendorf. Nachdem er seine Spielerkarriere beim TSV Hengersberg in Bayern wegen eines Kreuzbandrisses endgültig beenden musste, machte er den Schiedsrichter-Schein. Dass er eines Tages zum berühmten Schiedsrichter in Afghanistan werden sollte, ahnte er damals noch nicht.

Begehrt am Hindukusch

Doch nach seinen ersten Einsätzen bei den Freizeitspielen häuften sich die Anfragen, es dauert nicht lange, ehe er auch für offizielle Partien angesetzt wurde. „Das hat sich so nach und nach ergeben“, erzählt Utrata, „ich habe das sehr gerne gemacht. Über den Fußball erreicht man schließlich die Menschen. Auch in Afghanistan.“



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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Seine Seele wurde noch nicht aufgegessen. Im Gegenteil, sie erfreut sich bester Gesundheit, sagt er zumindest. Wenn stimmt, was man über die Angst sagt, dann stimmt auch, was Ernst Utrata sagt. Dass er nämlich keine Angst habe, schließlich sei Furcht ein schlechter Ratgeber. Und einen schlechten Ratgeber kann Utrata in Afghanistan am allerwenigsten gebrauchen. Nicht in seinem Beruf als Bundespolizist, in dem er als gelernter Kfz-Mechaniker im Werkstattbereich der European Union Police (Eupol)-Mission seit 2003 in Afghanistan arbeitet. Gemeinsam mit seinen Kollegen hält er die Polizeiflotte an allen Eupol-Stützpunkten im Land in Schuss. Und nicht in seiner ganz privaten Mission: als Schiedsrichter am Hindukusch.

Achte Liga in Deutschland, erste Liga in Afghanistan

Bis heute hat Utrata 53 Spiele in Afghanistan geleitet. Sogar ein Erstligaspiel und die großen Derbys in Kabul, obwohl seine Lizenz in Deutschland nur für die Kreisliga gilt. Achte Liga in Deutschland, erste Liga in Afghanistan, ein Niveau. Fast. Vier Ligen gibt es in Afghanistan; die beste davon habe ungefähr deutsches Landesliga-Niveau, sagt Utrata. Und auch, dass ihm das Pfeifen dort wie hier gleichgroßes Vergnügen bereitet. „Fußball ist in Afghanistan nicht anders als in Deutschland“, sagt er. Von ein paar äußeren Einflüssen abgesehen. Er hat sich mit den Widrigkeiten arrangiert, hat Hagelkörner in Größe von Tischtennis-Bällen niederschlagen sehen, hat Sandstürme, sintflutartige Regenfälle und trockene Hitze ebenso überstanden wie die ständige und latente Bedrohung durch die Taliban. Konkret wurde diese zum Glück noch nie, nicht einen Zwischenfall hat es in drei Jahren seines Wirkens in Afghanistan bisher gegeben. „Es kam noch nie vor, dass ich mich bedroht oder unsicher gefühlt hätte“, sagt Utrata. Er hält sich an die Sicherheitsbestimmungen, außerhalb der Polizeikaserne bewegt er sich nur in gepanzerten Fahrzeugen und nie alleine fort. „Man darf keine Angst vor der Situation haben, muss aber den nötigen Respekt mitbringen“, sagt der 49-Jährige.

Beim Fußball war er immer sehr willkommen. Weil er sich angepasst hat, weil er offen auf die Einheimischen zugegangen ist. Sogar ein paar Brocken der Landessprache Dari hat er mittlerweile verinnerlicht. Ecke, Freistoß, Foul ¬Fußballbegriffe halt, dazu Begrüßungs- und Verabschiedungsfloskeln. Der Rest der Kommunikation funktioniert durch ein Gemisch aus Englisch, Deutsch, Körpersprache und Mienenspiel. Damit und mit seiner kompetenten und umgänglichen Art, die Spiele zu leiten, hat er den Respekt der Einheimischen erworben. Mittlerweile kennen ihn viele der Spieler, mittlerweile löst sein Erscheinen im „Olympic Stadium“ von Kabul und auf den Fußballplätzen der Umgebung kein großes Erstaunen mehr aus.

Anfangs gab es durchaus fragende Gesichter und zweifelnde Blicke, als mit Utrata ein deutscher Schiedsrichter zu offiziellen Spielen erschien. Zunächst hat Utrata nur Freizeitspiele geleitet, Feierabendkicks unter Kollegen und mit Einheimischen. Die deutschen Polizisten in Afghanistan suchten eine Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen. Auf einer Schulsportanlage in Kabul mischten sie sich unter Einheimische, schnell kam man ins Gespräch, die ersten Spiele wurden arrangiert. Als Schiedsrichter kam nur einer in Frage: Utrata. Seit 1999 ist er Schiedsrichter in Deutschland in der SR-Gruppe Deggendorf. Nachdem er seine Spielerkarriere beim TSV Hengersberg in Bayern wegen eines Kreuzbandrisses endgültig beenden musste, machte er den Schiedsrichter-Schein. Dass er eines Tages zum berühmten Schiedsrichter in Afghanistan werden sollte, ahnte er damals noch nicht.

Begehrt am Hindukusch

Doch nach seinen ersten Einsätzen bei den Freizeitspielen häuften sich die Anfragen, es dauert nicht lange, ehe er auch für offizielle Partien angesetzt wurde. „Das hat sich so nach und nach ergeben“, erzählt Utrata, „ich habe das sehr gerne gemacht. Über den Fußball erreicht man schließlich die Menschen. Auch in Afghanistan.“

Was hat ihn gereizt an der Mission in Afghanistan? Sein Beitrag zur Völkerverständigung, der Beitrag zur Befriedung des Landes, das Plus an Geld in seinem Portmonee? Von allem ein bisschen. „Ich war neugierig, ich wollte die Herausforderung“, blickt Utrata zurück. Also entschloss er sich im Jahre 2003, das Angebot der European Union Police anzunehmen und den Schritt nach Afghanistan zu wagen. Für acht Monate war er beim ersten Mal dort, 2006 folgte ein ganzes Jahr in Afghanistan, im März 2010 schließlich ging er ein drittes Mal an den Hindukusch.

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Seine ganz persönliche Mission rückte dabei immer stärker in den Fokus. Gegenüber dem Fußball in Afghanistan war er in keiner Art verpflichtet, eine Verpflichtung fühlt er dennoch. Unter den Fußballern hatte er Menschen gefunden, für die er vorsichtig das Wort „Freunde“ verwendet. Es sind andere Freundschaften als die in Deutschland, natürlich. Weniger wertvoll sind sie Utrata dennoch nicht.

„Es sind besondere Begegnungen“, sagt Utrata und meint nicht die von ihm geleiteten Spiele, sondern das Miteinander mit den Menschen. Nach und nach haben sich trotz der Unterschiede Verbindungen aufgebaut. Von Einheimischen wurde er zu Hochzeiten und Geburtstagen eingeladen, für „Fremde“ in Afghanistan eine große Auszeichnung. Deshalb unterstützt der Polizist aus Deutschland den Kabuler Fußball so gut es ihm möglich ist. Mit seinem Einsatz als Schiedsrichter, aber auch materiell. Dem Verein Navid-e Maiwand beispielsweise schenkte er einen Satz Trikots, eine Torwartausstattung und Bälle. „Meine Spende wird bestimmt nicht die Welt verändern, aber sie zeigt meine Wertschätzung für den afghanischen Fußball“, sagt Utrata.

Am Montag kehrt er für zwei Wochen nach Deutschland zurück, Heimaturlaub. Und endlich wieder auf dem Platz als Schiedsrichter. „Wie ich mich kenne, werde ich versuchen, das eine oder andere Spiel zu bekommen“, sagt Utrata. In Afghanistan waren ihm zuletzt die Hände gebunden. Die häufigen Attentate in Kabul und Umgebung haben zu einer Verschärfung der Sicherheitslage geführt, die Sicherheitsbestimmung der Eupol untersagen ihm aktuell, die Kaserne für private Anlässe zu verlassen. „Man kann sich streiten, ob dies wirklich nötig ist“, sagt er. Angst ist ein schlechter Ratgeber, Sicherheitsbestimmungen sind ein guter. Doch Utrata fügt sich gerne und hofft, dass sich die Situation bis zu seiner Rückkehr nach Afghanistan entspannt. Dann wird er wieder pfeifen, so schnell wie möglich. Frei von Angst.