Schiedsrichter mit Pfiff: Der Spielverderber

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Natürlich hat Oreste Steiner noch Ziele. Auch mit 74 Jahren. Auf 5000 Einsätze als Schiedsrichter möchte er beispielsweise noch kommen. Ein nicht unrealistisches Vorhaben, 4500 stehen schließlich schon zu Buche. Ein anderes Vorhaben ist da schon anspruchsvoller: seiner Frau Ingrid die Abseitsregel begreiflich zu machen. „Das habe ich schon 97.000-mal versucht“, sagt Steiner. Bisher vergeblich.

Filmstar mit 74

Oreste Steiner ist seit 57 Jahren Schiedsrichter, in dieser Zeit hat er vieles erreicht, einiges sogar, was er nie angestrebt hat. Filmstar beispielsweise wollte der Schweizer nie werden. Und doch ist es gar nicht lange her, dass er über den roten Teppich flanierte und im Blitzlichtgewitter der Fotografen und unter dem Gesurre der Kameras zahlreichen Journalisten Rede und Antwort stehen musste.

Steiner ist neben Herbert Fandel und Kevin Prösdorf einer von drei Hauptdarstellern des Spielfilms „Spielverderber“, einer Dokumentation von Georg Nonnenmacher und Henning Drechsler, die im vergangenen Sommer die Kinosäle der Republik füllte und beispielsweise mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

"Nach dem Film kannten mich beinahe alle"

Drei Jahre dauerten die Dreharbeiten, mehr als 100 Stunden Material wurden in einen 90-minütigen Film gepresst. Entstanden ist ein sensibler, humorvoller und sehr menschlicher Film, der einen völlig neuen Blick auf die Aufgabe der Schiedsrichter und den populärsten Sport der Welt aus einer ungewohnten Perspektive zeigt.

„Es war sehr anstrengend“, sagt Steiner im Rückblick auf die Dreharbeiten. Überaus spannend natürlich auch, eine interessante Erfahrung und für Steiner der Weg zu noch größerer Popularität. Ein Resultat, das von Steiner gar nicht beabsichtigt war. „Auf den Fußballplätzen in und um Essen kannten mich die meisten eh“, sagt der Schiedsrichter, „aber nach dem Film kannten mich beinahe alle.“

Bis heute wird er auf den Film angesprochen, mitunter wird gefrotzelt, und viele wollen wissen, wie die Zusammenarbeit mit Herbert Fandel und den Filmemachern war. Spielverderber will Steiner dann nicht sein. Also gibt er Auskunft und erzählt. Geduldig. Und ausdauernd.

Steiners Lehrmeister: der legendäre Gottfried Dienst

Manchmal aber ärgert es ihn, dass er seither so häufig mit dem "Spielverderber" in Verbindung gebracht wird. Denn Steiners Leben ist sehr viel reicher an Facetten, als dass eine Reduzierung auf seinen Ausflug ins Filmgeschäft angemessen wäre.

Sein Lehrmeister beispielsweise war Gottfried Dienst, jener legendäre Schiedsrichter, der 1966 im Finale der WM im Londoner Wembley-Stadion den Gastgebern mit dem anerkannten "Wembley-Tor" beim 3:2 von Geoff Hurst den Weg zum Titel ebnete.

Mit dem Schiedsrichter-Virus infiziert

Steiner wuchs in Basel unweit des Hauses von Dienst auf, der berühmte Nachbar hat ihn mit dem Schiedsrichter-Visus infiziert. „Wir hatten ziemlich regelmäßig Kontakt“, erzählt Steiner, „wenn er nicht gerade auf ´Dienst´-Reise war“, fügt er mit einem Lachen hinzu und spielt auf die unzähligen Auftritte seines Idols bei internationalen Spielen an.

Für Steiner war sein Landsmann damals der beste Schiedsrichter der Welt, ein beinahe unfehlbarer Unparteiischer, der in jeder Situation das richtige Urteil zu fällen schien. Deswegen empfindet es Steiner beinahe als dramatisch, dass der Name Dienst wohl für alle Ewigkeit mit einer seiner wenigen Fehlentscheidungen in Verbindung gebracht wird.

Das "Wembley-Tor" 1966 - "kein Tor war das"

Steiner saß am 30. Juli 1966 zu Hause vor dem Fernseher, erwartungsfroh wie viele andere. Auch und insbesondere, weil er sich auf den Auftritt von Dienst freute. Bis zur zehnten Minute der Verlängerung konnte Steiner das Spiel genießen, wie so viele andere auch. „Kein Tor war das“, hat Steiner gleich erkannt, als das 3:2 für die Gastgeber gegeben wurde.

Anders als sein Lehrmeister, der sich vom sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow überzeugen ließ und auf Tor entschied. „Wir haben uns später darüber unterhalten“, erzählt Steiner. „Sein Impuls war, auf Weiterspielen zu entscheiden, aber dann hat ja dieser Linienrichter interveniert.“

In Essen studiert, im Ruhrpott gepfiffen

Die Karriere von Dienst war mit dem Finale von Wembley mehr oder weniger vorbei, die von Steiner fing gerade erst an - gemessen an den 57 Jahren Dienst an der Pfeife, die mittlerweile in seiner Vita stehen. 1953 hat er als 18-Jähriger in Basel den Schiedsrichterschein erworben („Als Fußballer war ich eine Flasche“), kurz darauf verließ er seine Heimat, um in Essen Grafikdesign zu studieren.

Im Ruhrbezirkskreis 13 begann seine Karriere als Unparteiischer in Deutschland, sie führte ihn bis in die Oberliga West, bis zur Einführung der Fußball-Bundesliga im Jahr 1963 eine von den fünf Staffeln der höchsten Spielklasse im deutschen Fußball.

"Genieße das Adrenalin"

Der Liebe zu seiner Frau Ingrid wegen ist er nach Beendigung seines Studiums in Deutschland geblieben. Also pfiff und pfeift er mit großer Begeisterung auf den Plätzen in und um Essen Fußballspiele aller Ligen, von der Jugend bis zu den Senioren. „Ich finde das Spiel großartig“, sagt er. Das Spiel und seine Spielverderber.

„Meine Kollegen im Schiedsrichter-Kreis sind super“, sagt er. Überhaupt, die Aufgabe als Schiedsrichter hat für Steiner in all den Jahren nichts an Reiz verloren: „Ich genieße das Adrenalin, wenn ein Spiel beginnt, ich genieße die vielen schwierigen Entscheidungen - und ich genieße es, an der frischen Luft Sport zu machen.“

Auch im Alter von fast 75 Jahren noch. Denn ans Aufhören denkt Steiner noch lange nicht. „Der liebe Herrgott hat mir eine gute Konstitution gegeben“, sagt er, „solange mich meine Beine tragen, werde ich auch Schiedsrichter sein.“

Marathon in zweieinhalb Stunden gelaufen

Fürs erste jedenfalls ist nicht zu erwarten, dass die Beine ihm den Dienst versagen werden. Schon immer war Steiner ein guter Läufer. 1972 sogar einer der besten der Schweiz. 2:30 Stunden benötigte er für den Marathon, wurde mit dieser bemerkenswerten Zeit Stadtmeister in Essen. Noch heute trifft er sich bis zu dreimal in der Woche mit Freunden und joggt im Stadtwald in Essen. „Rund 40 Kilometer“ addieren sich auf diese Weise.

Deswegen ist sein Ziel, auf 5000 Einsätze zu kommen, wohl nicht mehr allzu fern. Zwei Spiele pfeift er mindestens in der Woche, bei 52 Wochen im Jahr, errechnet Steiner „ganz schön viele Spiele“ und kommt zum Schluss: „5000 erreiche ich dicke.“ Erheblich schwieriger wird da schon, seiner Frau beizubringen, was Abseits ist.

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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Natürlich hat Oreste Steiner noch Ziele. Auch mit 74 Jahren. Auf 5000 Einsätze als Schiedsrichter möchte er beispielsweise noch kommen. Ein nicht unrealistisches Vorhaben, 4500 stehen schließlich schon zu Buche. Ein anderes Vorhaben ist da schon anspruchsvoller: seiner Frau Ingrid die Abseitsregel begreiflich zu machen. „Das habe ich schon 97.000-mal versucht“, sagt Steiner. Bisher vergeblich.

Filmstar mit 74

Oreste Steiner ist seit 57 Jahren Schiedsrichter, in dieser Zeit hat er vieles erreicht, einiges sogar, was er nie angestrebt hat. Filmstar beispielsweise wollte der Schweizer nie werden. Und doch ist es gar nicht lange her, dass er über den roten Teppich flanierte und im Blitzlichtgewitter der Fotografen und unter dem Gesurre der Kameras zahlreichen Journalisten Rede und Antwort stehen musste.

Steiner ist neben Herbert Fandel und Kevin Prösdorf einer von drei Hauptdarstellern des Spielfilms „Spielverderber“, einer Dokumentation von Georg Nonnenmacher und Henning Drechsler, die im vergangenen Sommer die Kinosäle der Republik füllte und beispielsweise mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

"Nach dem Film kannten mich beinahe alle"

Drei Jahre dauerten die Dreharbeiten, mehr als 100 Stunden Material wurden in einen 90-minütigen Film gepresst. Entstanden ist ein sensibler, humorvoller und sehr menschlicher Film, der einen völlig neuen Blick auf die Aufgabe der Schiedsrichter und den populärsten Sport der Welt aus einer ungewohnten Perspektive zeigt.

„Es war sehr anstrengend“, sagt Steiner im Rückblick auf die Dreharbeiten. Überaus spannend natürlich auch, eine interessante Erfahrung und für Steiner der Weg zu noch größerer Popularität. Ein Resultat, das von Steiner gar nicht beabsichtigt war. „Auf den Fußballplätzen in und um Essen kannten mich die meisten eh“, sagt der Schiedsrichter, „aber nach dem Film kannten mich beinahe alle.“

Bis heute wird er auf den Film angesprochen, mitunter wird gefrotzelt, und viele wollen wissen, wie die Zusammenarbeit mit Herbert Fandel und den Filmemachern war. Spielverderber will Steiner dann nicht sein. Also gibt er Auskunft und erzählt. Geduldig. Und ausdauernd.

Steiners Lehrmeister: der legendäre Gottfried Dienst

Manchmal aber ärgert es ihn, dass er seither so häufig mit dem "Spielverderber" in Verbindung gebracht wird. Denn Steiners Leben ist sehr viel reicher an Facetten, als dass eine Reduzierung auf seinen Ausflug ins Filmgeschäft angemessen wäre.

Sein Lehrmeister beispielsweise war Gottfried Dienst, jener legendäre Schiedsrichter, der 1966 im Finale der WM im Londoner Wembley-Stadion den Gastgebern mit dem anerkannten "Wembley-Tor" beim 3:2 von Geoff Hurst den Weg zum Titel ebnete.

Mit dem Schiedsrichter-Virus infiziert

Steiner wuchs in Basel unweit des Hauses von Dienst auf, der berühmte Nachbar hat ihn mit dem Schiedsrichter-Visus infiziert. „Wir hatten ziemlich regelmäßig Kontakt“, erzählt Steiner, „wenn er nicht gerade auf ´Dienst´-Reise war“, fügt er mit einem Lachen hinzu und spielt auf die unzähligen Auftritte seines Idols bei internationalen Spielen an.

Für Steiner war sein Landsmann damals der beste Schiedsrichter der Welt, ein beinahe unfehlbarer Unparteiischer, der in jeder Situation das richtige Urteil zu fällen schien. Deswegen empfindet es Steiner beinahe als dramatisch, dass der Name Dienst wohl für alle Ewigkeit mit einer seiner wenigen Fehlentscheidungen in Verbindung gebracht wird.

Das "Wembley-Tor" 1966 - "kein Tor war das"

Steiner saß am 30. Juli 1966 zu Hause vor dem Fernseher, erwartungsfroh wie viele andere. Auch und insbesondere, weil er sich auf den Auftritt von Dienst freute. Bis zur zehnten Minute der Verlängerung konnte Steiner das Spiel genießen, wie so viele andere auch. „Kein Tor war das“, hat Steiner gleich erkannt, als das 3:2 für die Gastgeber gegeben wurde.

Anders als sein Lehrmeister, der sich vom sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow überzeugen ließ und auf Tor entschied. „Wir haben uns später darüber unterhalten“, erzählt Steiner. „Sein Impuls war, auf Weiterspielen zu entscheiden, aber dann hat ja dieser Linienrichter interveniert.“

In Essen studiert, im Ruhrpott gepfiffen

Die Karriere von Dienst war mit dem Finale von Wembley mehr oder weniger vorbei, die von Steiner fing gerade erst an - gemessen an den 57 Jahren Dienst an der Pfeife, die mittlerweile in seiner Vita stehen. 1953 hat er als 18-Jähriger in Basel den Schiedsrichterschein erworben („Als Fußballer war ich eine Flasche“), kurz darauf verließ er seine Heimat, um in Essen Grafikdesign zu studieren.

Im Ruhrbezirkskreis 13 begann seine Karriere als Unparteiischer in Deutschland, sie führte ihn bis in die Oberliga West, bis zur Einführung der Fußball-Bundesliga im Jahr 1963 eine von den fünf Staffeln der höchsten Spielklasse im deutschen Fußball.

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"Genieße das Adrenalin"

Der Liebe zu seiner Frau Ingrid wegen ist er nach Beendigung seines Studiums in Deutschland geblieben. Also pfiff und pfeift er mit großer Begeisterung auf den Plätzen in und um Essen Fußballspiele aller Ligen, von der Jugend bis zu den Senioren. „Ich finde das Spiel großartig“, sagt er. Das Spiel und seine Spielverderber.

„Meine Kollegen im Schiedsrichter-Kreis sind super“, sagt er. Überhaupt, die Aufgabe als Schiedsrichter hat für Steiner in all den Jahren nichts an Reiz verloren: „Ich genieße das Adrenalin, wenn ein Spiel beginnt, ich genieße die vielen schwierigen Entscheidungen - und ich genieße es, an der frischen Luft Sport zu machen.“

Auch im Alter von fast 75 Jahren noch. Denn ans Aufhören denkt Steiner noch lange nicht. „Der liebe Herrgott hat mir eine gute Konstitution gegeben“, sagt er, „solange mich meine Beine tragen, werde ich auch Schiedsrichter sein.“

Marathon in zweieinhalb Stunden gelaufen

Fürs erste jedenfalls ist nicht zu erwarten, dass die Beine ihm den Dienst versagen werden. Schon immer war Steiner ein guter Läufer. 1972 sogar einer der besten der Schweiz. 2:30 Stunden benötigte er für den Marathon, wurde mit dieser bemerkenswerten Zeit Stadtmeister in Essen. Noch heute trifft er sich bis zu dreimal in der Woche mit Freunden und joggt im Stadtwald in Essen. „Rund 40 Kilometer“ addieren sich auf diese Weise.

Deswegen ist sein Ziel, auf 5000 Einsätze zu kommen, wohl nicht mehr allzu fern. Zwei Spiele pfeift er mindestens in der Woche, bei 52 Wochen im Jahr, errechnet Steiner „ganz schön viele Spiele“ und kommt zum Schluss: „5000 erreiche ich dicke.“ Erheblich schwieriger wird da schon, seiner Frau beizubringen, was Abseits ist.