Schiedsrichter mit Pfiff: Der rollende Referee

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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch – Schiedsrichter mit Pfiff!

Frank Reinel wehrt sich gegen den kolportierten Vorwurf. Heftig, und mit Nachdruck. Niemals, so sagt der Rechtsanwalt aus Regenburg, niemals habe er eine Mannschaft absichtlich benachteiligt. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, für einen Schiedsrichter zumal. Und doch steht dieser Vorwurf im Raum. Unausgeräumt. Nach so langer Zeit.

Der vermeintliche Skandal liegt knapp zehn Jahre zurück. Die Faktenlage ist diffus, gestützt auf die Aussage lediglich eines Zeugen. Pikant zudem: Der Zeuge räumt Wahrnehmungslücken ein. „An die Details kann ich mich nicht mehr richtig erinnern“, sagt Peter Grützner, „wir haben schließlich sehr hoch verloren, da verdrängt man Einzelheiten schon mal. Ich bin aber ganz sicher, dass Frank Reinel die Regeln einseitig zu Lasten unserer Mannschaft ausgelegt hat.“

Kein Vorwurf, eher Ironie

Unerhört an sich, Grützner aber spricht seine Worte ohne jeden Vorwurf in seiner Stimme. Eher mit liebevoller Ironie. Alles halb so wild, kein Grund zur Aufregung. Das fragliche Spiel war ein Vergleich zwischen Lehrern und Schülern, der Austragungsort: der Sportplatz des Gymnasiums in Roth.

Traditionell misst sich hier nach den mündlichen Prüfungen eine Auswahl der Abiturienten mit den besten Elf des Lehrkörpers, ebenso traditionell setzt es dabei Packungen für die Lehrenden. Ganz ohne Nachhilfe durch den Schiedsrichter, den regelmäßig die Schülerschaft stellt.

Bei einem dieser Vergleiche fand die Laufbahn des Schiedsrichter Frank Reinel einen vorläufigen Höhepunkt. Es ist eine außergewöhnliche Karriere, in vielerlei Hinsicht. Denn Reinel ist der einzige Unparteiische in Deutschland, der seinen Job im Sitzen erledigt. Notgedrungen. Er ist an den Rollstuhl gefesselt. Seit seiner Geburt behindert ihn eine Gelenkversteifung, die in Kurzform ANC genannte Krankheit Arthrogrypsosis multiplex congenita.

Im Rollstuhl auf dem Spielfeld

Ein rollender Referee also, ein Schiedsrichter, der mit einem Rollstuhl auf dem Spielfeld seine Kreise zieht. „Mir hat es von Beginn an Spaß gemacht, Spiele zu leiten“, erzählt Reinel. Er begreift seine Behinderung als Herausforderung, seine Träume wollte und will er sich von einer Krankheit nicht nehmen lassen.

Dazu gehört auch das Pfeifen. Seit er im Sportunterricht am Gymnasium in Roth zum ersten Mal Entscheidungshoheit hatte, war er vom Virus infiziert. „Ich habe das dann immer gemacht, wenn wir im Sportunterricht Fußball gespielt haben.“

Immer professioneller wurde Reinel. Mit Hilfe seiner Mutter bastelte er Gelbe und Rote Karten. Mit Filzstiften bemalte Kartons wurden mit Folie überzogen, fertig war sein Handwerkszeug. „Ganz stolz kam er an und hat mir die Kunstwerke gezeigt“, erinnert sich Lehrer Grützner. Damals wie heute ist er beeindruckt vom Ehrgeiz mit dem Reinel die Dinge angeht. „Er hat das wahnsinnig gut gemacht“, erzählt der Lehrer, „es gab nie Akzeptanzprobleme mit seinen Mitschülern. Er hat eine große Autorität ausgestrahlt.“

Null Fehler in der Schiedsrichter-Prüfung

So ist es noch immer. Mit dem Unterschied, dass Reinel die Spiele im Rahmen des Sportunterrichts getauscht hat gegen Begegnungen im Rahmen des Spielplans des Bayrischen Fußball-Verbands (BFV). Denn nach der Schule wollte Reinel mehr, in ihm reifte der Plan, auch offiziell als Schiedsrichter zu pfeifen.

Flugs war die Anmeldung für den Neulingslehrgang unterschrieben und der erste von acht Abendkursen besucht. Nach wenigen Wochen folgte die Prüfung, mit erstaunlichem Resultat: Null Fehler erlaubte sich der angehende Schiedsrichter, als einer von zwei unter 100 Teilnehmern im Jahr 2008. „Dass ich bestehen würde, dessen war ich mir relativ sicher“, sagt der 28-Jährige, „aber auf dieses gute Resultat bin ich schon ein wenig stolz.“

D-Jugend-Partie als Debüt

Der Schein war also in der Tasche, das erste offizielle Spiel unter seiner Leitung folgte bald darauf. Die D-Jugend-Partie Freier TuS Regensburg gegen den DJK Duggendorf war seine Premiere - und auch eine Premiere für den deutschen Fußball: Im Mai 2008 wurde zum ersten Mal ein offizielles Spiel von einem Schiedsrichter im Rollstuhl geleitet.

Der BFV hatte Reinel zuvor nach Kräften unterstützt. „Für mich war das eine hervorragende Sache“, erinnert sich Bezirksjugendleiter Hans Bieletzky, „wenn ein junger Mann kommt und so eine Herausforderung meistern will, dann findet das natürlich unsere Unterstützung.“

Zweifel schnell ausgeräumt

Zumal Reinel schnell anfängliche Bedenken ausgeräumt hat. Eine etwaige Gefährdung für die Spieler bei Zusammenstößen mit dem Rollstuhl etwa oder die Frage, ob er in der Lage sein würde, sein Geschwindigkeitsdefizit auszugleichen und immer nah genug am Geschehen zu sein. Nach nur einem Spiel waren alle Zweifel beseitigt.

„Es ist Wahnsinn, wie flink und wendig er mit dem Rollstuhl ist“, sagt Bieletzky. „Auch antizipiert er Spielsituationen sehr gut, er weiß also, wo er sich aufzuhalten hat, um nah am Ball zu sein, ohne den Spielfluss zu stören. Wir alle waren sehr schnell von ihm überzeugt.“

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Gewöhnlicher Schiedsrichter auf seine Art

Ein überaus überzeugender und auf seine Art ganz gewöhnlicher Schiedsrichter also - mit ungewöhnlicher Art der Fortbewegung. Rund 40 Spiele hat Reinel inzwischen gepfiffen, nebenbei Jurastudium und Referendariat erfolgreich absolviert.

Ziele und Träume hat er noch immer. Seine erst in der vergangenen Woche eröffnete Kanzlei soll ihm wirtschaftliche Unabhängigkeit bringen, ein Auto will er sich bald leisten können, dazu einen schnelleren Rollstuhl. 2012 will er zu den Paralympics nach London, im Schwimmen hält er diverse Rekorde. Und, natürlich, auch als Schiedsrichter ist sein Weg noch nicht zu Ende.

Das eigene Auto soll seinen Radius erhöhen, ein schnellerer Rollstuhl ihm Zugang auch zu Spielen im Männerbereich gewähren. „Warum sollte ich mir Grenzen setzen?“ fragt er. „Ich will es soweit wie möglich bringen.“ Auf und neben dem Fußballplatz.

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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch – Schiedsrichter mit Pfiff!

Frank Reinel wehrt sich gegen den kolportierten Vorwurf. Heftig, und mit Nachdruck. Niemals, so sagt der Rechtsanwalt aus Regenburg, niemals habe er eine Mannschaft absichtlich benachteiligt. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, für einen Schiedsrichter zumal. Und doch steht dieser Vorwurf im Raum. Unausgeräumt. Nach so langer Zeit.

Der vermeintliche Skandal liegt knapp zehn Jahre zurück. Die Faktenlage ist diffus, gestützt auf die Aussage lediglich eines Zeugen. Pikant zudem: Der Zeuge räumt Wahrnehmungslücken ein. „An die Details kann ich mich nicht mehr richtig erinnern“, sagt Peter Grützner, „wir haben schließlich sehr hoch verloren, da verdrängt man Einzelheiten schon mal. Ich bin aber ganz sicher, dass Frank Reinel die Regeln einseitig zu Lasten unserer Mannschaft ausgelegt hat.“

Kein Vorwurf, eher Ironie

Unerhört an sich, Grützner aber spricht seine Worte ohne jeden Vorwurf in seiner Stimme. Eher mit liebevoller Ironie. Alles halb so wild, kein Grund zur Aufregung. Das fragliche Spiel war ein Vergleich zwischen Lehrern und Schülern, der Austragungsort: der Sportplatz des Gymnasiums in Roth.

Traditionell misst sich hier nach den mündlichen Prüfungen eine Auswahl der Abiturienten mit den besten Elf des Lehrkörpers, ebenso traditionell setzt es dabei Packungen für die Lehrenden. Ganz ohne Nachhilfe durch den Schiedsrichter, den regelmäßig die Schülerschaft stellt.

Bei einem dieser Vergleiche fand die Laufbahn des Schiedsrichter Frank Reinel einen vorläufigen Höhepunkt. Es ist eine außergewöhnliche Karriere, in vielerlei Hinsicht. Denn Reinel ist der einzige Unparteiische in Deutschland, der seinen Job im Sitzen erledigt. Notgedrungen. Er ist an den Rollstuhl gefesselt. Seit seiner Geburt behindert ihn eine Gelenkversteifung, die in Kurzform ANC genannte Krankheit Arthrogrypsosis multiplex congenita.

Im Rollstuhl auf dem Spielfeld

Ein rollender Referee also, ein Schiedsrichter, der mit einem Rollstuhl auf dem Spielfeld seine Kreise zieht. „Mir hat es von Beginn an Spaß gemacht, Spiele zu leiten“, erzählt Reinel. Er begreift seine Behinderung als Herausforderung, seine Träume wollte und will er sich von einer Krankheit nicht nehmen lassen.

Dazu gehört auch das Pfeifen. Seit er im Sportunterricht am Gymnasium in Roth zum ersten Mal Entscheidungshoheit hatte, war er vom Virus infiziert. „Ich habe das dann immer gemacht, wenn wir im Sportunterricht Fußball gespielt haben.“

Immer professioneller wurde Reinel. Mit Hilfe seiner Mutter bastelte er Gelbe und Rote Karten. Mit Filzstiften bemalte Kartons wurden mit Folie überzogen, fertig war sein Handwerkszeug. „Ganz stolz kam er an und hat mir die Kunstwerke gezeigt“, erinnert sich Lehrer Grützner. Damals wie heute ist er beeindruckt vom Ehrgeiz mit dem Reinel die Dinge angeht. „Er hat das wahnsinnig gut gemacht“, erzählt der Lehrer, „es gab nie Akzeptanzprobleme mit seinen Mitschülern. Er hat eine große Autorität ausgestrahlt.“

Null Fehler in der Schiedsrichter-Prüfung

So ist es noch immer. Mit dem Unterschied, dass Reinel die Spiele im Rahmen des Sportunterrichts getauscht hat gegen Begegnungen im Rahmen des Spielplans des Bayrischen Fußball-Verbands (BFV). Denn nach der Schule wollte Reinel mehr, in ihm reifte der Plan, auch offiziell als Schiedsrichter zu pfeifen.

Flugs war die Anmeldung für den Neulingslehrgang unterschrieben und der erste von acht Abendkursen besucht. Nach wenigen Wochen folgte die Prüfung, mit erstaunlichem Resultat: Null Fehler erlaubte sich der angehende Schiedsrichter, als einer von zwei unter 100 Teilnehmern im Jahr 2008. „Dass ich bestehen würde, dessen war ich mir relativ sicher“, sagt der 28-Jährige, „aber auf dieses gute Resultat bin ich schon ein wenig stolz.“

D-Jugend-Partie als Debüt

Der Schein war also in der Tasche, das erste offizielle Spiel unter seiner Leitung folgte bald darauf. Die D-Jugend-Partie Freier TuS Regensburg gegen den DJK Duggendorf war seine Premiere - und auch eine Premiere für den deutschen Fußball: Im Mai 2008 wurde zum ersten Mal ein offizielles Spiel von einem Schiedsrichter im Rollstuhl geleitet.

Der BFV hatte Reinel zuvor nach Kräften unterstützt. „Für mich war das eine hervorragende Sache“, erinnert sich Bezirksjugendleiter Hans Bieletzky, „wenn ein junger Mann kommt und so eine Herausforderung meistern will, dann findet das natürlich unsere Unterstützung.“

Zweifel schnell ausgeräumt

Zumal Reinel schnell anfängliche Bedenken ausgeräumt hat. Eine etwaige Gefährdung für die Spieler bei Zusammenstößen mit dem Rollstuhl etwa oder die Frage, ob er in der Lage sein würde, sein Geschwindigkeitsdefizit auszugleichen und immer nah genug am Geschehen zu sein. Nach nur einem Spiel waren alle Zweifel beseitigt.

„Es ist Wahnsinn, wie flink und wendig er mit dem Rollstuhl ist“, sagt Bieletzky. „Auch antizipiert er Spielsituationen sehr gut, er weiß also, wo er sich aufzuhalten hat, um nah am Ball zu sein, ohne den Spielfluss zu stören. Wir alle waren sehr schnell von ihm überzeugt.“

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Gewöhnlicher Schiedsrichter auf seine Art

Ein überaus überzeugender und auf seine Art ganz gewöhnlicher Schiedsrichter also - mit ungewöhnlicher Art der Fortbewegung. Rund 40 Spiele hat Reinel inzwischen gepfiffen, nebenbei Jurastudium und Referendariat erfolgreich absolviert.

Ziele und Träume hat er noch immer. Seine erst in der vergangenen Woche eröffnete Kanzlei soll ihm wirtschaftliche Unabhängigkeit bringen, ein Auto will er sich bald leisten können, dazu einen schnelleren Rollstuhl. 2012 will er zu den Paralympics nach London, im Schwimmen hält er diverse Rekorde. Und, natürlich, auch als Schiedsrichter ist sein Weg noch nicht zu Ende.

Das eigene Auto soll seinen Radius erhöhen, ein schnellerer Rollstuhl ihm Zugang auch zu Spielen im Männerbereich gewähren. „Warum sollte ich mir Grenzen setzen?“ fragt er. „Ich will es soweit wie möglich bringen.“ Auf und neben dem Fußballplatz.