Schäfer: "Afrika hat die WM verdient"

Schäfer: Ich hoffe, das wird nicht mehr allzu lange dauern. Aber es muss einiges passen, vor allem Taktik und Disziplin muss man hereinbekommen. Als ich in Kamerun war, habe ich mal Samuel Eto’o aus der Mannschaft genommen, weil er sich daneben benommen hatte. Das fanden die Mitspieler gut und richtig. So konsequent muss man einfach sein. Wenn die Infrastruktur stimmt, wenn die Mannschaft einen guten Trainer hat, wenn sie ihre Prämien bekommen und nicht das Gefühl haben, vom eigenen Verband betrogen zu werden, wenn sie ein vernünftiges Trainingslager haben - dann sind die Afrikaner bärenstark.

DFB.de: Können wir uns von ihnen etwas abschauen?

Schäfer: Die natürliche Spielfreude, das Kicken von der Straße bei Sonnenschein, diese Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Ball - so etwas kann man nicht transportieren. Das ist einfach eine ganz andere und besondere Art den Fußball zu leben. Bei uns zählt schon sehr früh der Leistungsgedanke, das kommt in Afrika erst später.

DFB.de: Welcher afrikanischen Mannschaft trauen Sie eine Überraschung zu?

Schäfer: Ghana oder der Elfenbeinküste traue ich schon jetzt das Halbfinale zu. Warum denn nicht? Das wäre doch auch keine riesige Überraschung mehr. Die Spieler sind zum Teil Stars in den besten Ligen Europas: Eto’o, Drogba, Essien, Touré. Vor ein paar Jahren war das noch anders. Kamerun halte ich nicht mehr für so stark wie noch vor ein paar Jahren. Südafrika hat Heimvorteil, der spielt immer eine Rolle. Bei Nigeria muss man abwarten.

DFB.de: Ghana spielt in der Vorrunde gegen Deutschland. Wie ist Ihr Tipp?

Schäfer: Es wird auf jeden Fall ein sehr, sehr schweres Spiel für Deutschland. Ghana hat die letzte U 20-WM gewonnen, stand im Januar im Finale des Afrika-Pokals. Das ist eine Mannschaft, die nie aufgibt und auch hervorragende Einzelspieler hat.

DFB.de: Sie haben in Afrika große Erfolge gefeiert, waren zwischenzeitlich sogar ein Nationalheld. Sie haben aber auch Ihre bitterste Stunde als Sportler in dieser Zeit erlebt.



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Drei Jahre hat Winfried Schäfer die Nationalmannschaft von Kamerun trainiert und mit ihr 2002 den Afrika-Cup gewonnen. Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Gereon Tönnihsen berichtet der 60-Jährige von seinen Erfahrungen auf dem Schwarzen Kontinent und gibt einen Ausblick auf die WM-Endrunde vom 11. Juni bis 11. Juli in Südafrika.

DFB.de: Herr Schäfer, Sie haben drei Jahre lang erfolgreich die Nationalmannschaft Kameruns trainiert. Woher kommt Ihr Faible für Afrika?

Winfried Schäfer: Ich habe sehr gute Erfahrungen dort gemacht. Ich war drei Jahre Trainer in einem afrikanischen Land, das ist für den Kontinent fast schon ein Rekord. Wir haben 2002 in Mali den Afrika-Pokal gewonnen, sind beim FIFA Confederations-Cup ein Jahr später ins Endspiel eingezogen. Es war eine in weiten Teilen fantastische Zeit mit fantastischen Spielern: Samuel Eto’o, Rigobert Song, Marc-Vivien Foé. Das waren tolle Fußballer, die technisch alles drauf hatten. Ich bin froh, dort gewesen zu sein. Und ich bin froh, dass die Weltmeisterschaft an den afrikanischen Kontinent vergeben wurde. Die Menschen dort haben es verdient, Afrika hat die WM verdient.

DFB.de: Vor wenigen Wochen wurden Sie als WM-Trainer Nigerias gehandelt...

Schäfer: Ich wäre gerne bei der WM dabei und würde gerne eine afrikanische Mannschaft trainieren, das stimmt. Aber es hat sich eben nicht ergeben.

DFB.de: Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit als Trainer in Afrika von der in Deutschland?

Schäfer: Wer nach Afrika geht, weiß, dass die Verhältnisse anders sind als in Europa. Da ist dann der Rasen vielleicht nicht so toll, weil es eventuell gar keinen vernünftigen Rasenmäher gibt. Aber, mein Gott, so etwas weiß man doch vorher. Damit muss man leben und vor allem den Menschen dafür keine Vorwürfe machen. Das ist ganz wichtig: Man muss ihnen Respekt entgegenbringen, ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihnen aufbauen. In Afrika spielt der Stolz des Einzelnen eine viel größere Rolle als in Europa. Dadurch haben Freundschaft und Vertrauen vielleicht auch einen höheren Stellenwert. Hat man Vertrauen gewonnen, kann man sich auch absolut auf den Gegenüber verlassen.

DFB.de: Wie haben Sie das hinbekommen?

Schäfer: Ich habe mich gleich nach meinem Amtsantritt mit Marc-Vivien Foé, der damals der Führungsspieler war, in Lyon getroffen. Ich habe mit ihm geredet und ihm gesagt, wie ich meinen Job machen möchte. Und ich habe ihn überzeugt, dass ich zusammen mit den Spielern etwas aufbauen möchte. Das fand er gut. Wir hatten einen wunderbaren Draht zueinander.

DFB.de: Was auffällt, ist auch die große Begeisterungsfähigkeit der Afrikaner.

Schäfer: Das stimmt. Vor dem Afrika-Cup hatten wir mal ein Training vor 70.000 Fans. Das Stadion war gerammelt voll. Nach dem Spiel wollten viele Fans zu den Spielern. Sie kletterten über die Zäune und wollten die Spielertrikots haben. Wir sind dann in die Kabine geflohen und mit einem Panzerspähwagen aus dem Stadion gefahren. Anders ging es nicht. Auch das ist Begeisterung. Fußball, Fußball, Fußball - so denken und fühlen dort viele.

DFB.de: Inwieweit sind afrikanische Fußballer anders als deutsche?

Schäfer: Die afrikanischen Kicker haben alles, was sie drauf haben, auf der Straße gelernt. Fahren Sie mal nach Yaounde oder Douala. Überall sehen Sie Kinder, die Fußball spielen. Zwei Steine dienen als Tor, längst nicht alle "Teams" haben einen Ball, viele Jungs nicht einmal Schuhe. Da wird mit allem gekickt, was gerade da ist. Da lernen sie zu improvisieren. Ihr Können und ihre Fitness haben sie von der Straße. Sie sehen ihre Vorbilder Eto’o, Drogba, Mboma oder Milla, und sie wollen alles nachmachen und genauso werden wie sie. Das ist eine ganz ursprüngliche Art von Fußball, wie sie früher auch Netzer oder Beckenbauer ausgezeichnet hat.

DFB.de: Es muss ein riesiges Reservoir an guten Fußballern geben.

Schäfer: Ja, aber darin liegen auch Gefahren. Viele Spieler werden in jungen Jahren schon nach Europa vermittelt. Die Berater können daran verdienen. Doch acht von zehn Spielern kommen in Vereine, in denen sie nicht richtig gefördert und integriert werden. Sie scheitern, werden aussortiert, aber sie wollen und können nicht zurück. Sie fühlen sich als Versager. Sie sollten die sein, die ein besseres Leben für ihre Familie ermöglichen, und nun haben sie ihr Gesicht verloren. Wer es aber in Europa schafft, der hat das Zeug zum absoluten Star. Diese Spieler sind unglaublich willensstark.

DFB.de: Wann wird eine afrikanische Mannschaft Weltmeister - vielleicht schon im Sommer?

Schäfer: Ich hoffe, das wird nicht mehr allzu lange dauern. Aber es muss einiges passen, vor allem Taktik und Disziplin muss man hereinbekommen. Als ich in Kamerun war, habe ich mal Samuel Eto’o aus der Mannschaft genommen, weil er sich daneben benommen hatte. Das fanden die Mitspieler gut und richtig. So konsequent muss man einfach sein. Wenn die Infrastruktur stimmt, wenn die Mannschaft einen guten Trainer hat, wenn sie ihre Prämien bekommen und nicht das Gefühl haben, vom eigenen Verband betrogen zu werden, wenn sie ein vernünftiges Trainingslager haben - dann sind die Afrikaner bärenstark.

DFB.de: Können wir uns von ihnen etwas abschauen?

Schäfer: Die natürliche Spielfreude, das Kicken von der Straße bei Sonnenschein, diese Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Ball - so etwas kann man nicht transportieren. Das ist einfach eine ganz andere und besondere Art den Fußball zu leben. Bei uns zählt schon sehr früh der Leistungsgedanke, das kommt in Afrika erst später.

DFB.de: Welcher afrikanischen Mannschaft trauen Sie eine Überraschung zu?

Schäfer: Ghana oder der Elfenbeinküste traue ich schon jetzt das Halbfinale zu. Warum denn nicht? Das wäre doch auch keine riesige Überraschung mehr. Die Spieler sind zum Teil Stars in den besten Ligen Europas: Eto’o, Drogba, Essien, Touré. Vor ein paar Jahren war das noch anders. Kamerun halte ich nicht mehr für so stark wie noch vor ein paar Jahren. Südafrika hat Heimvorteil, der spielt immer eine Rolle. Bei Nigeria muss man abwarten.

DFB.de: Ghana spielt in der Vorrunde gegen Deutschland. Wie ist Ihr Tipp?

Schäfer: Es wird auf jeden Fall ein sehr, sehr schweres Spiel für Deutschland. Ghana hat die letzte U 20-WM gewonnen, stand im Januar im Finale des Afrika-Pokals. Das ist eine Mannschaft, die nie aufgibt und auch hervorragende Einzelspieler hat.

DFB.de: Sie haben in Afrika große Erfolge gefeiert, waren zwischenzeitlich sogar ein Nationalheld. Sie haben aber auch Ihre bitterste Stunde als Sportler in dieser Zeit erlebt.

Schäfer: Ja, das war der Tod von Marc-Vivien Foé. Etwas Schlimmeres gibt es gar nicht. Er ist im Halbfinale des Confed-Cups 2003 in Lyon auf dem Spielfeld zusammengebrochen. Er lag einfach da, und wir wussten gar nicht, was los war. Markus Merk, der Schiedsrichter, hat das Spiel dann unterbrochen. Die Sanitäter kamen. Marco lag auf einer Bahre, und ich bin noch zu ihm hin und habe seine Wange getätschelt. „Komm, Marco, alles wird gut“, habe ich zu ihm gesagt. Er hat nicht reagiert. Man hat ihn dann ins Krankenhaus gebracht. Wir haben das Spiel gewonnen und sind ins Finale eingezogen. Alle haben gelacht und gesungen. „Gleich kommt Marco, dann feiern wir alle zusammen“, riefen die Spieler. Ich bin dann für ein paar Minuten raus aus der Kabine. Als ich wiederkam, weinten alle. Marco war gestorben. Das war so furchtbar, das kann man gar nicht beschreiben.

DFB.de: Und trotzdem haben Sie das Turnier zu Ende gespielt.

Schäfer: Ja, wir waren bei der Trauerfeier für Marco, sahen ihn aufgebahrt in seinem Sarg liegen. Die Spieler waren völlig fertig. Alle waren müde und traurig. Dann hat Rigobert Song seine Kollegen zur Seite genommen, ist mit ihnen ein paar Schritte gegangen. Nach fünf Minuten kam eine ganz andere Mannschaft wieder. Zwei Tage vor dem Endspiel gegen Frankreich haben wir das erste Mal wieder trainiert und dann auch gespielt. Für Marco. Wir haben 0:1 gegen die Gastgeber verloren. Marcel Desailly, Frankreichs Kapitän, und Rigobert Song haben den Pokal anschließend zusammen hochgehalten. Das war eine starke Geste.

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DFB.de: Wird diese verbindende Kraft des Fußballs auch in Südafrika spürbar werden?

Schäfer: Das hoffe ich. Der Sport hat schon so viele gute Dinge vollbracht, nicht zuletzt in Afrika. In Kamerun hatte es 1990 Unruhen gegeben, doch als die Nationalmannschaft bei der WM so gut spielte und Roger Milla ein Tor nach dem anderen schoss, wurde es wieder ruhig im Land. Daran sieht man, was der Fußball bewirken kann. Und gerade auch in Südafrika könnte ein solches Turnier dazu beitragen, dass sich Schwarze und Weiße noch näher kommen. Zuerst für einen Monat, dann hoffentlich für länger. Vielleicht kommt ja auch Nelson Mandela zum Turnier. Das wäre ein wunderbares Symbol.

DFB.de: Nachdem es vor dem Afrika-Cup 2010 in Angola zu einem Anschlag auf togolesische Spieler gekommen ist, wurden Bedenken laut, die WM könnte zu einem Sicherheitsrisiko werden. Sehen Sie das auch so?

Schäfer: Nein. Angola ist nicht Südafrika. Und nur, weil es dort zu einem Angriff auf togolesische Spieler kam, heißt das nicht, dass das anderswo in Afrika auch so sein muss. Wenn in Spanien Terroranschläge verübt werden, heißt das ja auch nicht unbedingt, dass es in Deutschland gefährlich ist. Staat und Organisationskomitee haben mit der FIFA und insbesondere Horst R. Schmidt hervorragende Experten. Sie haben eine gute Infrastruktur auf die Beine gestellt. Ich glaube, dass es eine tolle WM wird. Die Afrikaner sind unheimlich stolz darauf, Gastgeber eines solchen Turniers sein zu dürfen. Wir dürfen nur nicht alles mit unserer WM 2006 vergleichen. Das wäre nicht fair.

DFB.de: Werden Sie bei der WM dabei sein?

Schäfer: Ich denke nicht. Im Idealfall beginne ich dann mit den Vorbereitungen für eine neue Saison. Wieder in Deutschland zu trainieren, könnte ich mir gut vorstellen - aber auch, zurück in den arabischen Raum zu gehen. Dort war ich fünf Jahre, dort ist man mehr Fußball-Lehrer. Den Spielern muss man noch einiges beibringen. Das gefällt mir und macht richtig Spaß.