Sammer: Leitwolf auf und neben dem Platz

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: 1995/1996 war die erfolgreichste Saison von Matthias Sammer, der mit Borussia Dortmund Meister und Deutschland Europameister wurde.

Als er im Winter 1992/1993 für acht Millionen D-Mark aus Italien zurückkam, gab es in der Sportpresse wochenlang kein anderes Thema. Matthias Sammer verstärkte nach nur halbjährigem Intermezzo bei Inter Mailand Borussia Dormund und das weckte Erwartungen. Über Nacht war der BVB zu einem Titelfavoriten geworden, hatte der Nationalspieler doch schon den VfB Stuttgart 1992 zur Schale mitverholfen.

Erster Fußballes des Jahres aus der ehemaligen DDR

Aber auch ein Sammer konnte nicht zaubern. Erst als die Mannschaft weiter sinnvoll verstärkt wurde, kam der Erfolg an den Borsigplatz und 1995 wurde die erste Bundesliga-Meisterschaft des BVB gefeiert. Auch und vor allem dank Sammer.

Die Saison 1995/1996 lief erst drei Monate, da begann Sammer bereits mit dem Titelsammeln. Am 8. Oktober 1995 wurde der wohl beste Fußballer der ehemaligen DDR in Leverkusen als erster Spieler aus dem Osten Fußballer des Jahres im nunmehr vereinigten Deutschland. 424 Stimmen erhielt der damals 28-Jährige von den Sportjournalisten und distanzierte damit sogar DFB-Kapitän Jürgen Klinsmann (393). Das Wahlergebnis hatte eine gewisse Symbolkraft. Sammer trug in dieser Zeit weder in Dortmund noch in der Nationalmannschaft die Spielführerbinde und doch war er überall der Chef.

Über ihm kam keiner, was viel mit seiner Leistung, aber auch mit seinem Wesen zu tun hatte. Der Kicker schrieb in seiner Laudatio von "einer Persönlichkeit, die in einer erstaunlichen Mischung aus Sachlichkeit, Konfliktfähigkeit und Glaubwürdigkeit zu einer neuen Leitfigur im deutschen Fußball aufgestiegen ist". Der damalige Bundestrainer Berti Vogts rühmte seine "absolute Vorbildfunktion auch außerhalb des Spielfelds". Auf dem Feld gab er den Ton an und der war nicht immer nur moderat. Seine Mitspieler damals wünschten ihn nach Niederlagen zuweilen zum Teufel und wussten doch, dass sie ohne ihn rein gar nichts gewinnen würden.

Kurz nach seiner Wahl putzte er Andreas Möller auf dem Platz runter und der Nationalspieler beschwerte sich öffentlich. "Ich lasse mir die Anmache vom Matthias nicht mehr gefallen", sagt er im Herbst 1995. Privat waren sie jedoch befreundet und beim gemeinsamen Familienausflug wurden oft sonntags die Dissonanzen ausgeräumt.

Trainer Ottmar Hitzfeld goutierte Sammers Sticheleien: "Sammer steht über Möller. Er hat sich in schwierigen Zeiten hier durchgesetzt, und das ist die wichtigste Voraussetzung für die Akzeptanz in der Mannschaft." Sammer sagte dem Kicker: "Ich beziehe Stellung und sage meine Meinung, versuche dabei aber keinen zu veralbern oder vorzuführen." Ein SAT.1-Reporter musste sich im November dennoch die Gegenfrage gefallen lassen: "Spreche ich Spanisch?" Und nach abfälligen Gesten gegenüber Möller beim 2:2 in Bremen bat ihn Hitzfeld zur (Porto-) Kasse: 1000 D-Mark Strafe.



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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: 1995/1996 war die erfolgreichste Saison von Matthias Sammer, der mit Borussia Dortmund Meister und Deutschland Europameister wurde.

Als er im Winter 1992/1993 für acht Millionen D-Mark aus Italien zurückkam, gab es in der Sportpresse wochenlang kein anderes Thema. Matthias Sammer verstärkte nach nur halbjährigem Intermezzo bei Inter Mailand Borussia Dormund und das weckte Erwartungen. Über Nacht war der BVB zu einem Titelfavoriten geworden, hatte der Nationalspieler doch schon den VfB Stuttgart 1992 zur Schale mitverholfen.

Erster Fußballes des Jahres aus der ehemaligen DDR

Aber auch ein Sammer konnte nicht zaubern. Erst als die Mannschaft weiter sinnvoll verstärkt wurde, kam der Erfolg an den Borsigplatz und 1995 wurde die erste Bundesliga-Meisterschaft des BVB gefeiert. Auch und vor allem dank Sammer.

Die Saison 1995/1996 lief erst drei Monate, da begann Sammer bereits mit dem Titelsammeln. Am 8. Oktober 1995 wurde der wohl beste Fußballer der ehemaligen DDR in Leverkusen als erster Spieler aus dem Osten Fußballer des Jahres im nunmehr vereinigten Deutschland. 424 Stimmen erhielt der damals 28-Jährige von den Sportjournalisten und distanzierte damit sogar DFB-Kapitän Jürgen Klinsmann (393). Das Wahlergebnis hatte eine gewisse Symbolkraft. Sammer trug in dieser Zeit weder in Dortmund noch in der Nationalmannschaft die Spielführerbinde und doch war er überall der Chef.

Über ihm kam keiner, was viel mit seiner Leistung, aber auch mit seinem Wesen zu tun hatte. Der Kicker schrieb in seiner Laudatio von "einer Persönlichkeit, die in einer erstaunlichen Mischung aus Sachlichkeit, Konfliktfähigkeit und Glaubwürdigkeit zu einer neuen Leitfigur im deutschen Fußball aufgestiegen ist". Der damalige Bundestrainer Berti Vogts rühmte seine "absolute Vorbildfunktion auch außerhalb des Spielfelds". Auf dem Feld gab er den Ton an und der war nicht immer nur moderat. Seine Mitspieler damals wünschten ihn nach Niederlagen zuweilen zum Teufel und wussten doch, dass sie ohne ihn rein gar nichts gewinnen würden.

Kurz nach seiner Wahl putzte er Andreas Möller auf dem Platz runter und der Nationalspieler beschwerte sich öffentlich. "Ich lasse mir die Anmache vom Matthias nicht mehr gefallen", sagt er im Herbst 1995. Privat waren sie jedoch befreundet und beim gemeinsamen Familienausflug wurden oft sonntags die Dissonanzen ausgeräumt.

Trainer Ottmar Hitzfeld goutierte Sammers Sticheleien: "Sammer steht über Möller. Er hat sich in schwierigen Zeiten hier durchgesetzt, und das ist die wichtigste Voraussetzung für die Akzeptanz in der Mannschaft." Sammer sagte dem Kicker: "Ich beziehe Stellung und sage meine Meinung, versuche dabei aber keinen zu veralbern oder vorzuführen." Ein SAT.1-Reporter musste sich im November dennoch die Gegenfrage gefallen lassen: "Spreche ich Spanisch?" Und nach abfälligen Gesten gegenüber Möller beim 2:2 in Bremen bat ihn Hitzfeld zur (Porto-) Kasse: 1000 D-Mark Strafe.

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In der Winterpause ritt Reizfigur Sammer gar Attacken gegen Manager Michael Meier und Ottmar Hitzfeld wegen der strapaziösen Vorbereitung in Brasilien, die wegen des drastischen Klimawechsels in der Mannschaft wenig Beifall fand.

Sammer tobt sogar gegen Trainer Hitzfeld

Als Hitzfeld im April 1996 als Co-Kommentator zu einem Bayern-Spiel nach Barcelona flog, tobte Sammer am nächsten Tag: "Da liegen wir im Meister-Endspurt, aber wo ist eigentlich unser Trainer? Der geht lieber als Kommentator zum Fernsehen. Wo sind wir denn hier?" Das sagte er zwar intern, aber es wurde publik. Sammer stand dazu und machte dem Maulwurf keine Vorwürfe, "vermutlich hat er sich verplappert".

Später gestand Sammer "extreme Schwierigkeiten" in jener Saison ein, aber an deren Ende stand die Titelverteidigung. Präsident Gerd Niebaum sprach von "einer Meisterschaft der Nerven", weil nach dem 0:5 in Karlsruhe das große Zittern begann. Sammer, der wegen seines Knies zwölf Spiele verpasste – in drei Etappen a vier – und auch die Wirren um ein Bayern-Angebot durch Franz Beckenbauer persönlich wegsteckte, zog im Mai 1996 zufrieden Bilanz: "Unsere Kameradschaft sucht ihresgleichen. Es ist ein Glücksgefühl, es ein weiteres Mal geschafft zu haben."

Das Beste aber kam noch. Im Sommer wurde der stürmende Libero in Wembley Europameister und schoss auf dem Weg zum Titel sogar zwei wichtige Tore. Und so kamen weitere Titel hinzu. Erneut wurde er Fußballer des Jahres – in Deutschland und sogar von Europa. Als bisher letzter Deutscher.

Matthias Sammers Bundesligabilanz: 178 Spiele, 41 Tore. 170 Spiele als Trainer. Viermal Meister (1992, 1995, 1996, 2002).