Sammer: "Ich habe eine positive Entwicklung gesehen"

Sammer: Ich habe eine positive Entwicklung gesehen. Im Leistungssport gehört ein gesundes Maß an Reibung und Widersprüchen dazu. Ich erkenne Tendenzen innerhalb der Gesellschaft, dass vieles zu harmonisch und unehrlich gehandhabt wird. Für den Leistungssport ist das nicht förderlich. An diesem Punkt müssen wir kontinuierlich nachhaken und die Spieler animieren, Verantwortung auf und neben dem Platz zu übernehmen, Missstände offen anzusprechen, Gefühle darzulegen und gruppendynamische Prozesse anzutreiben. Diese Prozesse sollen dann später dazu führen, dass man im sportlichen Bereich auf den Erfolgsweg zurück kommt, wenn mal Schwierigkeiten auftauchen. Daran müssen wir noch konsequenter und konkreter arbeiten, weil wir diese Prozesse und die Dynamik als sehr wichtig erachten.

DFB.de: Wie steuern Sie das als Sportdirektor?

Sammer: Wir müssen nicht nur darüber reden, sondern Tatsachen herstellen, das ist mir klar. Dafür müssen wir diese Prozesse zukünftig klarer definieren und konkrete Beispiele benennen. Dann können wir unseren Trainern und Spielern vermitteln, was wir meinen. Das sind vollkommen normale Entwicklungsprozesse, die einen methodischen Weg vor sich haben, an dem ich arbeite.

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Drei Tage nach dem unglücklich im Elfmeterschießen gegen die Niederlande verlorenen Finale der U 17-EM 2012 sprach DFB-Sportdirektor Matthias Sammer mit DFB.de-Redakteur Peter Scheffler über die Turnierleistung des DFB-Nachwuchses, die Entwicklung der einzelnen Spieler und seine Zielsetzungen im Nachwuchsbereich.

DFB.de: Herr Sammer, die U 17 hat in der letzten Minute der Nachspielzeit und dem darauf folgendem Elfmeterschießen den sicher geglaubten EM-Titel noch verloren? Haben Sie so ein Finale schon einmal erlebt?

Sammer: Nein, weder als Spieler noch als Trainer oder Sportdirektor. Aber man soll ja alle Erfahrungen im Leben mitnehmen und daraus lernen, also gehört das jetzt auch zu meinem Erfahrungsschatz. In erster Linie ärgert es mich natürlich für die Spieler, die toll gefightet haben und für das Trainerteam. Ich denke, die Spieler werden von diesem brutalen Erlebnis profitieren. Man sagt immer, die extremen Erlebnisse können die wichtigsten Bausteine in der Entwicklung sein und brutaler oder extremer geht es eigentlich nicht. Die Jungs stehen erst am Beginn ihrer Karriere, da ist der zweite Platz ja auch kein schlechter Start.

DFB.de: Wie haben Sie das Spiel gesehen?

Sammer: In der ersten Halbzeit haben sich die Mannschaften neutralisiert. Sie waren im eigenen Ballbesitz sehr nervös und haben viele leichte Fehler gemacht. In der zweiten Halbzeit haben wir dem Spiel unseren Stempel aufgedrückt. Die Einwechslung von Marc Stendera hat uns gut getan. Er hat Ruhe ins Spiel gebracht und die Bälle gut verteilt. Bis zu der ominösen letzten Spielminute haben wir auch nichts mehr zugelassen. Der Sieg wäre aufgrund der zweiten Halbzeit verdient gewesen. Aber es gibt keine Haltungsnoten im Fußball, sondern nur das nackte Resultat und das hat im Elfmeterschießen gegen uns gesprochen.

DFB.de: Sie waren bei jedem Spiel live vor Ort. Wie hat sich die U 17 über das gesamte Turnier präsentiert?

Sammer: Sehr gut. Ich finde, dass wir eine spannende Mannschaft haben. Sowohl was das Sportliche angeht, als auch von den Typen her. Der Jahrgang 1995 ist eine gute Mischung aus Individualisten, Teamplayern und Führungsspielern. Man muss vorsichtig sein mit Vergleichen, aber ich denke, sie gehören zu den besten Jahrgängen, die ich in den letzten sechs Jahren erlebt habe. Auch Spieler aus dem Kader, die bei diesem Turnier nicht so glänzen konnten, haben eine gute Perspektive, wenn sie kontinuierlich weiter arbeiten. Natürlich waren auch Schwankungen in der Leistung zu sehen. Das erste große Turnier, die ersten Live-Spiele, da ist es in diesem Alter ganz normal, dass eine gewisse Nervosität zu spüren ist. Insgesamt waren wir aber immer sehr kompakt, dazu kamen spielerisch überzeugende Phasen.

DFB.de: Sie haben bereits früh den Titel als Ziel ausgegeben. War das wegen der angesprochenen Qualität der Mannschaft oder aufgrund des Anspruchs des DFB?

Sammer: Sowohl als auch. Unser Anspruch ist die Weltspitze, deshalb ist es erst einmal eine Verallgemeinerung. Es bringt aber nichts, wenn ich eine Mannschaft mit einer unrealistischen Aufgabe konfrontiere. Bei der U 17 war ich allerdings überzeugt von der Qualität, sportlich und menschlich, insofern war es ein realistisches Ziel. Zusätzlich war die Herangehensweise des Trainers, von Spiel zu Spiel zu denken, genau die richtige Strategie.

DFB.de: Mit dieser Strategie hat Stefan Böger in den letzten beiden Jahren eine erstaunliche Serie hingelegt, die leider im Finale endete.

Sammer: Sie würden wohl gern alle gewonnenen Freundschaftsspiele für den Titel eintauschen. Unterm Strich zeigt diese Bilanz die angesprochene Qualität und Entwicklung des Teams. Solch eine Serie verleitet manchmal dazu, nachlässig oder leichtsinnig zu werden. Das ist der Mannschaft nie passiert. Sie wollte sich immer weiter entwickeln, was ihr auch beim EM-Turnier gelungen ist.

DFB.de: Großen Anteil daran hat sicher auch Stefan Böger. Haben Sie bei ihm auch eine Entwicklung innerhalb der letzten Monate oder sogar während des Turniers festgestellt?

Sammer: Der Austausch zwischen uns war in den letzten Monaten sehr offen und intensiv. Es hat mir gefallen, wie er und sein Trainerteam offen waren für Anregungen und sie trotzdem ihren eigenen Weg verfolgt haben. Deshalb ist diese Platzierung auch absolut ein Verdienst von Stefan Böger.

DFB.de: Welche deutschen Spieler bleiben ihnen von der U 17-EM 2012 besonders in Erinnerung?

Sammer: Mir haben die unterschiedlichen Typen in dieser Mannschaft gut gefallen. Leon Goretzka hat sich zu einem absoluten Leader entwickelt, der gerade im Halbfinale und Finale, nicht nur aufgrund seiner Tore, sehr präsent war. Torhüter Oliver Schnitzler hat ein tolles Turnier gehabt, die Innenverteidigung mit Niklas Süle und Marian Sarr hat fast fehlerlos gespielt. Dazu kamen Kämpfer wie Pascal Itter oder Marc Oliver Kempf. Nico Brandenburger war für mich ein vorbildlicher Teamplayer. Wir haben mit Max Meyer, Marc Stendera oder auch Jeremy Dudziak erstklassige Individualisten. Die beiden Youngster Julian Brandt und Timo Werner wurden toll integriert. Said Benkarit hatte sicherlich Schwierigkeiten. Wir wissen aber alle, was er kann. Sie sehen schon anhand dieser Aufzählung, dass ich keinen einzelnen hervorheben möchte. Der Jahrgang hat eine gute Mischung. Wenn sie beharrlich und fleißig ihren Weg weiter gehen und dieses Turnier als Erfahrung und Motivation für ihre zukünftige Arbeit verbuchen, dann sehe ich für alle 18 Spieler eine gute Perspektive.

DFB.de: Soviel zum Spielerischen. Sie haben nach der Eliterunde im März allerdings Entwicklungsbedarf im mentalen Bereich der U 17 ausgemacht. Hat die Mannschaft während des Turniers hier einen Schritt nach vorne gemacht?

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Sammer: Ich habe eine positive Entwicklung gesehen. Im Leistungssport gehört ein gesundes Maß an Reibung und Widersprüchen dazu. Ich erkenne Tendenzen innerhalb der Gesellschaft, dass vieles zu harmonisch und unehrlich gehandhabt wird. Für den Leistungssport ist das nicht förderlich. An diesem Punkt müssen wir kontinuierlich nachhaken und die Spieler animieren, Verantwortung auf und neben dem Platz zu übernehmen, Missstände offen anzusprechen, Gefühle darzulegen und gruppendynamische Prozesse anzutreiben. Diese Prozesse sollen dann später dazu führen, dass man im sportlichen Bereich auf den Erfolgsweg zurück kommt, wenn mal Schwierigkeiten auftauchen. Daran müssen wir noch konsequenter und konkreter arbeiten, weil wir diese Prozesse und die Dynamik als sehr wichtig erachten.

DFB.de: Wie steuern Sie das als Sportdirektor?

Sammer: Wir müssen nicht nur darüber reden, sondern Tatsachen herstellen, das ist mir klar. Dafür müssen wir diese Prozesse zukünftig klarer definieren und konkrete Beispiele benennen. Dann können wir unseren Trainern und Spielern vermitteln, was wir meinen. Das sind vollkommen normale Entwicklungsprozesse, die einen methodischen Weg vor sich haben, an dem ich arbeite.