Sammer: "Dürfen uns nicht zurücklehnen"

DFB.de: Sehen Sie die Gefahr, dass die WM zu einer gewissen Trägheit führt? Machen die Erfolge Ihre Arbeit womöglich sogar schwieriger?

Sammer: Der größte Fehler wäre es, sich jetzt selbstzufrieden zurückzulehnen. England, Italien und Frankreich haben bei der WM enttäuscht. Aber das ist nur eine Momentaufnahme: England hat im vergangenen Jahr bei der U 17-EM den Titel gewonnen, und Italien wird stärker zurückkommen. Frankreich gewann gegen Spanien das Finale der U 19-EM in diesem Sommer. Wir dürfen uns daher nicht blenden lassen. Aber ich sehe die Zukunft nicht nur kritisch. Im guten Auftreten unserer jungen Mannschaft bei der WM erkenne ich sogar eine Chance.

DFB.de: Welche?

Sammer: Ich habe das Gefühl, dass es für die erfolgreiche Entwicklung des deutschen Fußballs - in der Nationalmannschaft und in den Klubs - keine Alternative zu einer starken, kontinuierlichen Nachwuchsförderung gibt. Dafür schaffe ich als Sportdirektor mit meiner strategischen Planung und der Arbeit des gesamten Umfelds die Voraussetzungen. Und ich hoffe, dass wir für unsere Maßnahme eine breite Unterstützung erhalten.

DFB.de: So wie für ein zentrales Leistungszentrum, für das Sie sich ausgesprochen haben. Welche Effekte erhoffen Sie sich dadurch?

Sammer: Das Leistungszentrum ist eine Vision, die wir in der Zukunft als notwendig erachten. Wir müssen unseren Mannschaften und Spielern vor großen Turnieren und wichtigen Maßnahmen die Möglichkeit geben, sich auf höchstem Niveau vorzubereiten. Man hätte an einem zentralen Knotenpunkt die Möglichkeit, Kräfte zu bündeln, Leistungskriterien zentral und damit vergleichbar zu erfassen, auszuwerten und umzusetzen. Aber ein Leistungszentrum ist ein Aspekt, der gut durchdacht und langfristig angelegt werden muss. Ein anderer ist die Trainerausbildung, die wir mittelfristig optimieren möchten.

DFB.de: Sie haben eine größere Spezialisierung angeregt.

Sammer: Wir wollen differenzierte Ausbildungszweige für Torwarttrainer und Fitnesstrainer anbieten. Außerdem muss es uns gelingen, wieder mehr ehemalige Nationalspieler und verdiente Persönlichkeiten für eine Trainerausbildung zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass herausragende Akteure, die dem Fußball viel gegeben haben und denen der Fußball eine Menge geschenkt hat, dem Sport nach ihrer Karriere erhalten bleiben.



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Am 1. April 2006 trat Matthias Sammer als erster Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) seinen Dienst an. Seitdem hat er die Nachwuchsarbeit optimiert und wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Das Engagement des Europameisters von 1996 zeigt Wirkung: Drei EM-Titel gewannen DFB-Juniorenteams in den vergangenen beiden Jahren.

Ob Müller, Özil oder Khedira - bei der WM überzeugten viele junge Spieler in der A-Nationalmannschaft. „Damit haben wir noch nicht das Ende unseres Weges erreicht“, sagt Sammer im DFB.de-Gespräch der Woche mit den Redakteuren Maximilian Geis und Steffen Lüdeke.

DFB.de: Herr Sammer, alle Welt lobt den deutschen Jugendstil. 2008 wurde die U 19 Europameister, 2009 gewannen die U 17 und U 21 ebenfalls die EM-Turniere. Aktuell waren in Südafrika viele junge Spieler Stützen des A-Teams. Ist der deutsche Fußball im Nachwuchsbereich mittlerweile das Maß der Dinge?

Matthias Sammer: Diese Titel waren Markierungen auf unserem Weg, ebenso das positive Auftreten unseres jungen Teams in Südafrika. Aber ich habe bereits im vergangenen Sommer vor zu großer Begeisterung gewarnt. Denn mir war klar, dass wir damit nicht das Ende unseres Weges erreicht haben, sondern noch eine Strecke vor uns liegt.

DFB.de: Was bedeutet das konkret?

Sammer: Wir dürfen uns von Momentaufnahmen nicht blenden lassen, sondern müssen immer wieder Optimierungspotenzial erschließen. Mit den U 17- und den U 19-Junioren sind wir in der Qualifikation für die Europameisterschaft ausgeschieden, die U 21 muss alle drei ausstehenden Spiele gewinnen, um als Titelverteidiger die Play-offs zu erreichen. Es muss uns in Zukunft gelingen, beides hinzubekommen: Mit unseren Mannschaften um Titel zu spielen und weiter an einem alters- und entwicklungsgerechten Leistungsaufbau junger Spieler zu arbeiten.

DFB.de: An welchen Stellen wollen Sie ansetzen? Sie plädieren beispielsweise für kleinere Spielfelder im D-Jugendbereich.

Sammer: In dieser Altersstufe ist es für die fußballerische Entwicklung der Kinder wichtig, möglichst viele Ballkontakte zu haben. Wir müssen die Kleinraummotorik schulen. Beim Spiel Elf gegen Elf auf großem Feld stehen die physischen Elemente im Vordergrund, auch das raumorientierte Spiel. Das ist für die Altersstufe der Jüngeren der falsche Ansatz. Wir wollen Spieler sehen, die in der Lage sind, sich in Eins-gegen-eins-Situationen zu behaupten. So hat unser Team bei der Weltmeisterschaft in Südafrika immer wieder Glanzpunkte gesetzt. Ich gehe daher davon aus, dass diese sinnvolle Maßnahme auf dem DFB-Bundestag am 21. und 22. Oktober beschlossen wird und wir damit langfristig eine positive Weichenstellung vornehmen.

DFB.de: Sehen Sie die Gefahr, dass die WM zu einer gewissen Trägheit führt? Machen die Erfolge Ihre Arbeit womöglich sogar schwieriger?

Sammer: Der größte Fehler wäre es, sich jetzt selbstzufrieden zurückzulehnen. England, Italien und Frankreich haben bei der WM enttäuscht. Aber das ist nur eine Momentaufnahme: England hat im vergangenen Jahr bei der U 17-EM den Titel gewonnen, und Italien wird stärker zurückkommen. Frankreich gewann gegen Spanien das Finale der U 19-EM in diesem Sommer. Wir dürfen uns daher nicht blenden lassen. Aber ich sehe die Zukunft nicht nur kritisch. Im guten Auftreten unserer jungen Mannschaft bei der WM erkenne ich sogar eine Chance.

DFB.de: Welche?

Sammer: Ich habe das Gefühl, dass es für die erfolgreiche Entwicklung des deutschen Fußballs - in der Nationalmannschaft und in den Klubs - keine Alternative zu einer starken, kontinuierlichen Nachwuchsförderung gibt. Dafür schaffe ich als Sportdirektor mit meiner strategischen Planung und der Arbeit des gesamten Umfelds die Voraussetzungen. Und ich hoffe, dass wir für unsere Maßnahme eine breite Unterstützung erhalten.

DFB.de: So wie für ein zentrales Leistungszentrum, für das Sie sich ausgesprochen haben. Welche Effekte erhoffen Sie sich dadurch?

Sammer: Das Leistungszentrum ist eine Vision, die wir in der Zukunft als notwendig erachten. Wir müssen unseren Mannschaften und Spielern vor großen Turnieren und wichtigen Maßnahmen die Möglichkeit geben, sich auf höchstem Niveau vorzubereiten. Man hätte an einem zentralen Knotenpunkt die Möglichkeit, Kräfte zu bündeln, Leistungskriterien zentral und damit vergleichbar zu erfassen, auszuwerten und umzusetzen. Aber ein Leistungszentrum ist ein Aspekt, der gut durchdacht und langfristig angelegt werden muss. Ein anderer ist die Trainerausbildung, die wir mittelfristig optimieren möchten.

DFB.de: Sie haben eine größere Spezialisierung angeregt.

Sammer: Wir wollen differenzierte Ausbildungszweige für Torwarttrainer und Fitnesstrainer anbieten. Außerdem muss es uns gelingen, wieder mehr ehemalige Nationalspieler und verdiente Persönlichkeiten für eine Trainerausbildung zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass herausragende Akteure, die dem Fußball viel gegeben haben und denen der Fußball eine Menge geschenkt hat, dem Sport nach ihrer Karriere erhalten bleiben.

DFB.de: Deshalb haben Sie vorgeschlagen, dass es künftig wieder einen Sonderlehrgang für ehemalige Nationalspieler geben soll. Wie soll dieser aussehen?

Sammer: Mit dem Lehrgang im Jahr 2000 wird dieses Projekt nicht vergleichbar sein. Es wäre eine Möglichkeit, parallel zum bestehenden Fußball-Lehrer-Lehrgang einen zweiten anzubieten, der vom gesamten Ablauf her kaum verändert ist, aber den Bedürfnissen der Teilnehmer mehr entspricht.

DFB.de: Sicher haben Sie schon etwas weiter gedacht und sich die Erfahrungen anderer Absolventen angehört.

Sammer: Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass sich der eine oder andere ehemalige Nationalspieler im Kreise von Kollegen aus der Nationalmannschaft wohler fühlt, als wenn er in einem Lehrgang das einzige bekannte Gesicht ist. Wir müssen den Anreiz für verdiente Spieler erhöhen, den Weg des Trainers einzuschlagen. Angedacht ist beispielsweise eine Vereinfachung bei der Erlangung der Zugangsvoraussetzungen. Im Idealfall entscheiden sich diese Kandidaten dann nach der Ausbildung dafür, Trainer im Nachwuchsbereich zu werden.

DFB.de: Sie fordern schon seit langem, dass die besten Trainer im Juniorenbereich arbeiten müssten.

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Sammer: Genau. Deshalb müssen wir den Anreiz dafür erhöhen, möglicherweise auch finanziell. Wir müssen die Attraktivität dahingehend steigern, dass wir eine kontinuierliche Arbeit der Trainer gewährleisten. Titel sind nicht planbar, schon gar nicht im Jugendbereich und mit Nationalmannschaften. Planbar ist aber Leistung und damit die Wahrscheinlichkeit, Titel zu gewinnen.

DFB.de: Sie haben 1986 mit der DDR die U 18-EM gewonnen. Wie wichtig sind solche Erfolge in der Jugend?

Sammer: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass nichts das Gefühl ersetzen kann, einen Titel gewonnen zu haben. Dieses Gen des Gewinnens trägt man in seiner ganzen Karriere in sich. Und das war auch bei der WM zu spüren. Spieler wie die U 21-Europameister Sami Khedira, Manuel Neuer und Mesut Özil sind von ihrer Persönlichkeitsstruktur her verschieden. Aber für alle drei gilt: Es ist selbstverständlich, dass sie nicht über Platz zwei oder Platz drei nachdenken. In ihrer Philosophie, in ihrer Zielsetzung, gibt es nur Platz eins. Diese Spieler werden immer antreten, um Spiele und Titel gewinnen zu wollen. Sie haben einmal gespürt, wie sich dies anfühlt. Und diesen Reiz wollen sie immer wieder erleben.