Rossi: Von der Strafbank zum Nationalhelden

19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Paolo Rossi, Triumphator mit Italien, Torschützenkönig und bester Spieler des Turniers 1982 in Spanien.

Ein Frühstarter war der schmächtige Junge aus der Toskana nicht gerade. Zwar landete Paolo Rossi mit 16 Jahren bei Juventus Turin, doch der Weg in die erste Mannschaft erschien zu weit und dornenreich. Mit 19 wurde er nach Como verliehen, mit 20 zum Zweitligisten Lanerossi Vivcenza. In einem Alter, in dem andere künftige Weltstars schon ihr Länderspieldebüt hinter sich hatten, tingelte Rossi noch durch die Provinz.

Das aber mit beachtlichem Erfolg, dank seiner 21 Tore stieg Vicenza auf und wurde 1978 Sensationszweiter der Serie A. Und da am Ende der Saison eine WM stand, nahm Enzo Bearzot den besten Torjäger der Serie A mit nach Argentinien. Italien belegte dort einen beachtlichen vierten Platz und Rossi den ersten - bei der Wahl zum Fußballer des Jahres in Italien. Drei WM-Treffer trugen dazu wesentlich bei.

Vor EM 1980 in Wettskandal verwickelt

Mit leichter Verzögerung stand er nun an der Schwelle zu einer großen Karriere, bei der EM 1980 im eigenen Land sollte Rossi Italien zum Titel schießen. Doch dann kam sie, die Dummheit seines Lebens. Sie erinnert an den deutschen Bundesliga-Toptorjäger Klaus Fischer, der in jungen Jahren für 2300 Mark an der Manipulation eines Spieles beteiligt war und dafür etliche Länderspiele verschenkte.

Rossi soll den gleichen Fehler für umgerechnet 4300 Mark begangen haben, als einer von 21 Serie-A-Spielern war er in einen Wettskandal verwickelt. Womöglich geschah ihm Unrecht. Fakt ist, dass die Partie, an der er teilnahm, verschoben wurde. Er aber hat stets dementiert und angeführt, dass er in dem fraglichen Spiel zwei Tore erzielt hatte.

Sperre reduziert - Rossi bereit für die WM 1982

Dennoch erhielt Rossi drei Jahre Sperre und wäre für die Weltmeisterschaft, bei der er zum Weltstar wurde, eigentlich ausgefallen. Doch Italien brauchte nach nur 20 Toren in 18 Qualifikationsspielen einen Helden, rechtzeitig vor der Spanien-Reise wurde die Sperre um ein Jahr reduziert. Dass Juventus Turin ihn schon 1981, obwohl noch gesperrt, für umgerechnet drei Millionen Euro aus Perugia zurückholte, galt quasi schon als Rehabilitierung.

Im April 1982 war Rossi wieder ein "freier Mann", aber war er auch der richtige für das Abenteuer WM? Zwei Jahre hatte er nur trainiert, keinen Einsatz in der WM-Qualifikation bestritten, keine Punktspiele in der Serie A. "Ich bin kein Wundermann, erwartet also von mir keine Wunder", sagte er vor seinem Comeback in der "Squadra Azzura". Er schien Recht zu behalten, Rossi tat sich in Spanien zunächst so schwer wie die ganze Elf. Mit drei Remis mogelte sich Italien durch die Vorrunde, Rossi hatte mit den beiden Toren nichts zu tun.

"Du Göttlicher" und Brasilien-Henker" statt "Blindgänger"

Aber ab der Zwischenrunde spielte ein anderes Italien, das in der "Todesgruppe" mit Argentinien und Brasilien die Flucht nach vorne antrat. Am 5. Juli 1982 ging Rossis Stern auf. In Barcelona traf Italien auf Turnierfavorit Brasilien, auch der Himmel schien Brasilianer zu sein (37,6 Grad) - doch am Ende gewann Italien das beste Spiel dieser WM mit 3:2. Alle Tore schoss oder köpfte Rossi, alle im Strafraum, teils im Fünfmeterraum - typisch für ihn. Er war ein Abstauber, ein Instinktfußballer, der wusste, wohin der Ball abprallte.

Nun bekam er andere Namen als "Blindgänger", nun jauchzte Italiens Presse: "Pablito, Du Göttlicher!" Andere nannten ihn den "Brasilien-Henker". Denn Brasilien war ausgeschieden, Außenseiter Italien hatte das Halbfinale erreicht. Vor allem dank Paolo Rossi. Bundestrainer Jupp Derwall staunte: "Er kommt mir wie ein Auferstandener vor, mit seinen Toren beflügelt er Mitspieler, die vorher kaum Mittelmaß waren." Und die nun nicht zu bremsen waren.

Nie zuvor in der WM-Historie gab es eine größere Verwandlung einer Mannschaft, die Rossi, der Retter von der Strafbank, personifizierte. Im Halbfinale gegen Polen fielen zwei Tore, aber es gab nur einen Torschützen: Paolo Rossi. Wieder aus kurzer Distanz, reaktionsschnell, eiskalt. Das "Engelsgesicht", wie sie ihn schon vor der WM gerufen hatten, beendete auch Polens WM-Träume.

Führungstreffer im Finale gegen Deutschland

Es kam der 11. Juli 1982, es kam das Finale, es kam Deutschland. Und es kam Karl-Heinz Förster. Der Vorstopper genoss einen ähnlichen Kampfnamen wie Rossi: "Der Treter mit dem Engelsgesicht." Um Rossi sollte sich also der jüngere der Förster-Brüder kümmern, es gab keinen besseren Manndecker in jener Epoche.

Aber in der 57. Minute jenes Abends von Madrid war Rossi wieder zur Stelle. Ein Freistoß segelte durch den deutschen Strafraum, die Mauer stand schlecht, und als der Ball im Fünf-Meter-Raum aufsetzte, hechtete Rossi mit dem Kopf voran in die Hereingabe von Claudio Gentile. 1:0! Damit hatte Rossi die letzten sechs WM-Tore für sein Land erzielt; das hat es bei einer WM nie wieder gegeben.

Wichtiger war in dem Moment, dass er das Finale entschieden hatte. An anderen Tagen ist ein 1:0 gegen eine DFB-Auswahl kein sanftes Ruhekissen, diesmal schon. Die Mannschaft war entkräftet vom Halbfinale aus Sevilla zurückgekehrt, hatte einen Tag weniger Ruhe gehabt - und nun sollten sie gegen die italienischen Defensivkünstler einen Rückstand aufholen? Unmöglich. "Das Tor durfte nicht fallen, es war unser Untergang", sagte Bernd Förster. Verantwortlich dafür war Rossi, der erst danach anderen den Vortritt ließ. Tardelli und Altobelli besiegelten das deutsche Schicksal, Breitners 1:3 war für die Statistik.

Torschützenkönig und diverse Auszeichnungen

Und so wurde Italien Weltmeister, dank eines Mannes, der bis drei Monate vor dem Turnier ein Geächteter war. Rossis Glück komplettierte die Trophäe des WM-Torschützenkönigs und des besten WM-Spielers. Die Weltpresse war so beeindruckt von seinem Comeback, dass er im Winter 1982 gar noch Europas Fußballer und Weltsportler des Jahres wurde.

Und das, obwohl er während der WM kein einziges Interview gegeben hatte. Zu verbittert war er über die Berichte, derbe Kritiken und Falschmeldungen. In ihrer Not, Geschichten zu finden, erdichteten die Reporter gar eine Liebesbeziehung zwischen Antonio Cabrini und Paolo Rossi. Als er, mit Titeln überhäuft, aus Spanien zurückkehrte, liebte ihn ganz Italien.

Paolo Rossi

Geburtsdatum: 23. September 1956
Länderspiele/Tore: 48/20
Vereine als Spieler: Juventus Turin 1973 bis 1975, Como Calcio 1975/1976, Lanerossi Vicenza 1976 bis 1979, AC Perugia 1979/1980, Juventus Turin 1981 bis 1985, AC Mailand 1985/1986, Hellas Verona 1986/1987
Größte Erfolge im Nationalteam: Weltmeister 1982
Größte Erfolge im Verein: Italienischer Meister 1984, Italienischer Pokalsieger 1983, Europapokalsieger der Landesmeister 1985, Europapokalsieger der Pokalsieger 1984, Europäischer Supercup-Sieger 1984
Auszeichnungen: Italienischer Torschützenkönig 1978, Europas Fußballer des Jahres 1982, Weltfußballer des Jahres 1982 (inoffiziell)

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19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Paolo Rossi, Triumphator mit Italien, Torschützenkönig und bester Spieler des Turniers 1982 in Spanien.

Ein Frühstarter war der schmächtige Junge aus der Toskana nicht gerade. Zwar landete Paolo Rossi mit 16 Jahren bei Juventus Turin, doch der Weg in die erste Mannschaft erschien zu weit und dornenreich. Mit 19 wurde er nach Como verliehen, mit 20 zum Zweitligisten Lanerossi Vivcenza. In einem Alter, in dem andere künftige Weltstars schon ihr Länderspieldebüt hinter sich hatten, tingelte Rossi noch durch die Provinz.

Das aber mit beachtlichem Erfolg, dank seiner 21 Tore stieg Vicenza auf und wurde 1978 Sensationszweiter der Serie A. Und da am Ende der Saison eine WM stand, nahm Enzo Bearzot den besten Torjäger der Serie A mit nach Argentinien. Italien belegte dort einen beachtlichen vierten Platz und Rossi den ersten - bei der Wahl zum Fußballer des Jahres in Italien. Drei WM-Treffer trugen dazu wesentlich bei.

Vor EM 1980 in Wettskandal verwickelt

Mit leichter Verzögerung stand er nun an der Schwelle zu einer großen Karriere, bei der EM 1980 im eigenen Land sollte Rossi Italien zum Titel schießen. Doch dann kam sie, die Dummheit seines Lebens. Sie erinnert an den deutschen Bundesliga-Toptorjäger Klaus Fischer, der in jungen Jahren für 2300 Mark an der Manipulation eines Spieles beteiligt war und dafür etliche Länderspiele verschenkte.

Rossi soll den gleichen Fehler für umgerechnet 4300 Mark begangen haben, als einer von 21 Serie-A-Spielern war er in einen Wettskandal verwickelt. Womöglich geschah ihm Unrecht. Fakt ist, dass die Partie, an der er teilnahm, verschoben wurde. Er aber hat stets dementiert und angeführt, dass er in dem fraglichen Spiel zwei Tore erzielt hatte.

Sperre reduziert - Rossi bereit für die WM 1982

Dennoch erhielt Rossi drei Jahre Sperre und wäre für die Weltmeisterschaft, bei der er zum Weltstar wurde, eigentlich ausgefallen. Doch Italien brauchte nach nur 20 Toren in 18 Qualifikationsspielen einen Helden, rechtzeitig vor der Spanien-Reise wurde die Sperre um ein Jahr reduziert. Dass Juventus Turin ihn schon 1981, obwohl noch gesperrt, für umgerechnet drei Millionen Euro aus Perugia zurückholte, galt quasi schon als Rehabilitierung.

Im April 1982 war Rossi wieder ein "freier Mann", aber war er auch der richtige für das Abenteuer WM? Zwei Jahre hatte er nur trainiert, keinen Einsatz in der WM-Qualifikation bestritten, keine Punktspiele in der Serie A. "Ich bin kein Wundermann, erwartet also von mir keine Wunder", sagte er vor seinem Comeback in der "Squadra Azzura". Er schien Recht zu behalten, Rossi tat sich in Spanien zunächst so schwer wie die ganze Elf. Mit drei Remis mogelte sich Italien durch die Vorrunde, Rossi hatte mit den beiden Toren nichts zu tun.

"Du Göttlicher" und Brasilien-Henker" statt "Blindgänger"

Aber ab der Zwischenrunde spielte ein anderes Italien, das in der "Todesgruppe" mit Argentinien und Brasilien die Flucht nach vorne antrat. Am 5. Juli 1982 ging Rossis Stern auf. In Barcelona traf Italien auf Turnierfavorit Brasilien, auch der Himmel schien Brasilianer zu sein (37,6 Grad) - doch am Ende gewann Italien das beste Spiel dieser WM mit 3:2. Alle Tore schoss oder köpfte Rossi, alle im Strafraum, teils im Fünfmeterraum - typisch für ihn. Er war ein Abstauber, ein Instinktfußballer, der wusste, wohin der Ball abprallte.

Nun bekam er andere Namen als "Blindgänger", nun jauchzte Italiens Presse: "Pablito, Du Göttlicher!" Andere nannten ihn den "Brasilien-Henker". Denn Brasilien war ausgeschieden, Außenseiter Italien hatte das Halbfinale erreicht. Vor allem dank Paolo Rossi. Bundestrainer Jupp Derwall staunte: "Er kommt mir wie ein Auferstandener vor, mit seinen Toren beflügelt er Mitspieler, die vorher kaum Mittelmaß waren." Und die nun nicht zu bremsen waren.

Nie zuvor in der WM-Historie gab es eine größere Verwandlung einer Mannschaft, die Rossi, der Retter von der Strafbank, personifizierte. Im Halbfinale gegen Polen fielen zwei Tore, aber es gab nur einen Torschützen: Paolo Rossi. Wieder aus kurzer Distanz, reaktionsschnell, eiskalt. Das "Engelsgesicht", wie sie ihn schon vor der WM gerufen hatten, beendete auch Polens WM-Träume.

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Führungstreffer im Finale gegen Deutschland

Es kam der 11. Juli 1982, es kam das Finale, es kam Deutschland. Und es kam Karl-Heinz Förster. Der Vorstopper genoss einen ähnlichen Kampfnamen wie Rossi: "Der Treter mit dem Engelsgesicht." Um Rossi sollte sich also der jüngere der Förster-Brüder kümmern, es gab keinen besseren Manndecker in jener Epoche.

Aber in der 57. Minute jenes Abends von Madrid war Rossi wieder zur Stelle. Ein Freistoß segelte durch den deutschen Strafraum, die Mauer stand schlecht, und als der Ball im Fünf-Meter-Raum aufsetzte, hechtete Rossi mit dem Kopf voran in die Hereingabe von Claudio Gentile. 1:0! Damit hatte Rossi die letzten sechs WM-Tore für sein Land erzielt; das hat es bei einer WM nie wieder gegeben.

Wichtiger war in dem Moment, dass er das Finale entschieden hatte. An anderen Tagen ist ein 1:0 gegen eine DFB-Auswahl kein sanftes Ruhekissen, diesmal schon. Die Mannschaft war entkräftet vom Halbfinale aus Sevilla zurückgekehrt, hatte einen Tag weniger Ruhe gehabt - und nun sollten sie gegen die italienischen Defensivkünstler einen Rückstand aufholen? Unmöglich. "Das Tor durfte nicht fallen, es war unser Untergang", sagte Bernd Förster. Verantwortlich dafür war Rossi, der erst danach anderen den Vortritt ließ. Tardelli und Altobelli besiegelten das deutsche Schicksal, Breitners 1:3 war für die Statistik.

Torschützenkönig und diverse Auszeichnungen

Und so wurde Italien Weltmeister, dank eines Mannes, der bis drei Monate vor dem Turnier ein Geächteter war. Rossis Glück komplettierte die Trophäe des WM-Torschützenkönigs und des besten WM-Spielers. Die Weltpresse war so beeindruckt von seinem Comeback, dass er im Winter 1982 gar noch Europas Fußballer und Weltsportler des Jahres wurde.

Und das, obwohl er während der WM kein einziges Interview gegeben hatte. Zu verbittert war er über die Berichte, derbe Kritiken und Falschmeldungen. In ihrer Not, Geschichten zu finden, erdichteten die Reporter gar eine Liebesbeziehung zwischen Antonio Cabrini und Paolo Rossi. Als er, mit Titeln überhäuft, aus Spanien zurückkehrte, liebte ihn ganz Italien.

Paolo Rossi

Geburtsdatum: 23. September 1956
Länderspiele/Tore: 48/20
Vereine als Spieler: Juventus Turin 1973 bis 1975, Como Calcio 1975/1976, Lanerossi Vicenza 1976 bis 1979, AC Perugia 1979/1980, Juventus Turin 1981 bis 1985, AC Mailand 1985/1986, Hellas Verona 1986/1987
Größte Erfolge im Nationalteam: Weltmeister 1982
Größte Erfolge im Verein: Italienischer Meister 1984, Italienischer Pokalsieger 1983, Europapokalsieger der Landesmeister 1985, Europapokalsieger der Pokalsieger 1984, Europäischer Supercup-Sieger 1984
Auszeichnungen: Italienischer Torschützenkönig 1978, Europas Fußballer des Jahres 1982, Weltfußballer des Jahres 1982 (inoffiziell)