Roger Willemsen: Autogramme von Libuda und Haller

Es gibt kaum einen Prominenten, den Roger Willemsen noch nicht interviewt hat. Der Journalist, Publizist und Moderator hat sie alle gesprochen – vom Dalai Lama und Michail Gorbatschow über Audrey Hepburn und Woody Allen bis zu Madonna und Sting. Deswegen kennen viele Menschen Roger Willemsen.

Weitgehend unbekannt ist dagegen sein Faible für den Fußball. Die Leidenschaft für den Sport lebt er vorwiegend vor dem Fernseher aus. Fußball-Stars vor die Kamera zu bekommen, war indes schwer für ihn. Im fanclub.dfb.de-Interview mit DFB-Redakteur Niels Barnhofer spricht Roger Willemsen darüber, warum ihn Diego Maradona nervte, wofür er Berti Vogts schätzt und warum ihn Marko Marin begeistert.

fanclub.dfb.de: Herr Willemsen, welche Projekte liegen aktuell bei Ihnen auf dem Tisch?

Roger Willemsen: Das nächste ist ein Buch, für das ich seit sieben Jahren Zeichnungen von Kindern aus Afghanistan gesammelt habe. Sie beschreiben ihr Leben sowohl schriftlich als auch in Zeichnungen und auch ihre Vorstellungen von unserem Leben. Das ist ziemlich rasant. Viel bewegender als man denkt. Und der Fußball kommt auch darin vor. Die Kinder zeichnen sich selber ballspielend. Das spielt dort eine große Rolle.

fanclub.dfb.de: Hinzu kommen verschiedene Bühnen-Projekte, Auftritte im Radio und Fernsehen sowie die eigenen TV-Produktionsfirma: Wenn man so vielseitig interessiert und aktiv ist, wie viel Platz bleibt noch für Fußball?

Roger Willemsen: Der Fußball ist zunächst einmal eine Metapher für „alles im Kern“. Er steht für das Siegen und Verlieren, das Entstehen und Verdämmern von Karrieren, die plötzliche Verletzung oder die überragende Einzelleistung. All das liegt so eng beieinander, dass man das Gefühl hat, das ist wie ein Theaterstück in 90 Minuten. Die Leidenschaft kann sich dabei ungemein bündeln, gerade wenn der Fußball gut ist, wenn er spannend ist und wenn man etwas über die handelnden Personen weiß.

fanclub.dfb.de: Trifft das auch auf Sie zu, können Sie sich für Fußball begeistern?

Roger Willemsen: Sehr! Ich bin relativ leidenschaftlich vor dem Fernseher. Aber wenn der Fußball kälter wird, wenn ich das Gefühl habe, die Choreografien des Torjubels sind vorher festgelegt worden, die Erfolgserlebnisse lösen bei den Protagonisten selber keinen Enthusiasmus mehr aus, dann überträgt sich das auch auf mich. Ich habe vor einiger Zeit an einem Samstag den Fernsehapparat ausgemacht, weil ich gedacht habe, niemand von denen, die ich da gerade beobachtet habe, interessiert sich für das, was er da tut. Das mag eine Momentaufnahme gewesen sein, aber das kann es geben.



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Es gibt kaum einen Prominenten, den Roger Willemsen noch nicht interviewt hat. Der Journalist, Publizist und Moderator hat sie alle gesprochen – vom Dalai Lama und Michail Gorbatschow über Audrey Hepburn und Woody Allen bis zu Madonna und Sting. Deswegen kennen viele Menschen Roger Willemsen.

Weitgehend unbekannt ist dagegen sein Faible für den Fußball. Die Leidenschaft für den Sport lebt er vorwiegend vor dem Fernseher aus. Fußball-Stars vor die Kamera zu bekommen, war indes schwer für ihn. Im fanclub.dfb.de-Interview mit DFB-Redakteur Niels Barnhofer spricht Roger Willemsen darüber, warum ihn Diego Maradona nervte, wofür er Berti Vogts schätzt und warum ihn Marko Marin begeistert.

fanclub.dfb.de: Herr Willemsen, welche Projekte liegen aktuell bei Ihnen auf dem Tisch?

Roger Willemsen: Das nächste ist ein Buch, für das ich seit sieben Jahren Zeichnungen von Kindern aus Afghanistan gesammelt habe. Sie beschreiben ihr Leben sowohl schriftlich als auch in Zeichnungen und auch ihre Vorstellungen von unserem Leben. Das ist ziemlich rasant. Viel bewegender als man denkt. Und der Fußball kommt auch darin vor. Die Kinder zeichnen sich selber ballspielend. Das spielt dort eine große Rolle.

fanclub.dfb.de: Hinzu kommen verschiedene Bühnen-Projekte, Auftritte im Radio und Fernsehen sowie die eigenen TV-Produktionsfirma: Wenn man so vielseitig interessiert und aktiv ist, wie viel Platz bleibt noch für Fußball?

Roger Willemsen: Der Fußball ist zunächst einmal eine Metapher für „alles im Kern“. Er steht für das Siegen und Verlieren, das Entstehen und Verdämmern von Karrieren, die plötzliche Verletzung oder die überragende Einzelleistung. All das liegt so eng beieinander, dass man das Gefühl hat, das ist wie ein Theaterstück in 90 Minuten. Die Leidenschaft kann sich dabei ungemein bündeln, gerade wenn der Fußball gut ist, wenn er spannend ist und wenn man etwas über die handelnden Personen weiß.

fanclub.dfb.de: Trifft das auch auf Sie zu, können Sie sich für Fußball begeistern?

Roger Willemsen: Sehr! Ich bin relativ leidenschaftlich vor dem Fernseher. Aber wenn der Fußball kälter wird, wenn ich das Gefühl habe, die Choreografien des Torjubels sind vorher festgelegt worden, die Erfolgserlebnisse lösen bei den Protagonisten selber keinen Enthusiasmus mehr aus, dann überträgt sich das auch auf mich. Ich habe vor einiger Zeit an einem Samstag den Fernsehapparat ausgemacht, weil ich gedacht habe, niemand von denen, die ich da gerade beobachtet habe, interessiert sich für das, was er da tut. Das mag eine Momentaufnahme gewesen sein, aber das kann es geben.

fanclub.dfb.de: Können Sie auch ein positives Beispiel nennen, von einem Spiel, das sie begeistert hat?

Roger Willemsen: Es gibt die großen Duelle, wie etwa Bayern gegen Dortmund, die meine Aufmerksamkeit ganz stark binden. Oder Länderspiele der Nationalmannschaft, etwa die gegen Argentinien oder England bei der vergangenen Weltmeisterschaft. Das sind die unvergessliche Spiele. Aber zu dieser Kategorie können auch die Partien von Underdogs gegen haushohe Favoriten gehören, zum Beispiel St. Pauli gegen die Bayern. Ich bekenne mich – ein wenig mit schlechtem Gewissen – zu den Vereinen, die ökonomisch ein bisschen schlechter gestellt sind.

fanclub.dfb.de: Warum haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie zu Außenseitern halten?

Roger Willemsen: Weil es speziell für die so genannten Intellektuellen inzwischen zum guten Ton gehört, sich zu Freiburg, St. Pauli oder Mainz zu bekennen. Und gegen die Werksmannschaften zu sein.

fanclub.dfb.de: Trotzdem spielen dort gute Fußballer.

Roger Willemsen: Ja, natürlich. Aber sehen Sie es mal so: Der Name Jan Schlaudraff hat sich durch ein einziges Solo auf der Karte des Fußballs etabliert. Man erinnert sich an Einzelleistungen, selbst wenn der Spieler mal lange Zeit nicht in Erscheinung tritt. So präpariert sich eine Spielerpersönlichkeit heraus, die sich fast gegen Mannschaften durchsetzen kann, denen man als Einzelsportler folgt.

fanclub.dfb.de: Bei welchem Spieler geht es Ihnen so?

Roger Willemsen: Ich mochte immer Marko Marin. Wegen der technischen Fertigkeit, wegen der wahnsinnigen Spielfreude, die von so manchem Dribbling ausging. Ich verteidige solche Spieler auch dann, wenn sie einen Schlenker zu viel machen. Ich mag diesen Furor, dass so ein Spieler plötzlich mitgerissen ist von sich selber. Da habe ich das Gefühl: Der Fußball herrscht, er dominiert selbst die Psychologie des Spielers.

fanclub.dfb.de: Heißt das, Sie halten nichts davon, dass die Mannschaft der Star ist?

Roger Willemsen: Oh, das ist schwer zu beantworten. Denn das ist sie eigentlich. Mir hat die Leistung von Borussia Mönchengladbach in der vergangenen Saison zugesagt. Oder seit ein paar Spielzeiten die von Borussia Dortmund.

fanclub.dfb.de: Also haben Sie Verständnis für Trainer, dass diese ihrer Mannschaft eine Taktik auferlegen?

Roger Willemsen: Oh ja! Natürlich ist einem als Fan das Offensivspiel immer am allerliebsten. Dem Vorsichtsfußball gehört das Herz der Anhänger weniger. Umgekehrt muss ich aber auch sagen, dass mich bei der Europameisterschaft 2012 eine ganze Reihe von Spielen ein bisschen ratlos zurückgelassen haben. Weil das Vorherrschen von Taktik nicht dazu geführt haben, dass die Spiele so kämpferisch waren, wie ich mir das gewünscht hatte.

fanclub.dfb.de: Ist der Fußball für Sie ein reines Privatvergnügen?

Roger Willemsen: Ja, denn ich dilettiere über den Fußball. Wenn ich über ihn schriebe, wären wahrscheinlich eher ästhetische oder psychologische Momente mein Thema. Oder ich würde über das Entwickeln von Dramen sprechen wollen.

fanclub.dfb.de: Wie viel Fußball können Sie vertragen?

Roger Willemsen: Es stimmt schon, dass sehr viel Fußball im Fernsehen übertragen wird. Und als ich jüngst ein Spiel der Europa League sah, habe ich gedacht, es könnte irgendwann der Zustand der Überfütterung erreicht sein. Gleichzeitig hat der Fußball Selbsterneuerungskräfte. Selbst Mannschaften, die von ihren eigenen Fans abgestraft werden, bei denen der Fan-Block mit dem Rücken zum Spielfeld steht, werden eine Spielzeit später wieder alle Leidenschaft binden. Die Ressource Fan-Leidenschaft scheint schier unerschöpflich zu sein.

fanclub.dfb.de: Hatten sie Idole?

Roger Willemsen: Das erste Autogramm, das ich mir als Kind besorgt habe, war von Stan Libuda. Das war ja keine schlechte Wahl. Schließlich kam der ja auch an Gott vorbei. (lacht) Das war das eine. Von Helmut Haller hatte ich auch eins. Ich glaube, ich besaß insgesamt nur drei. Und dann war mein Idol vor allen Dingen Katja Kraus. Mit ihr bin ich heute sehr eng befreundet.

fanclub.dfb.de: Sie haben zahlreiche Interviews mit großen Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Bereichen geführt. Es ist schwer, darunter Fußballer zu finden. Warum?

Roger Willemsen: Das lag auch daran, dass meine Sendung am Freitagabend lief und deswegen die Fußballer selten Zeit hatten. Aber dennoch gab es ein paar. Ich erinnere mich an ein ziemlich spektakuläres Interview mit Diego Maradona. Er hatte uns neun Stunden warten lassen. Weil er erst frühstücken musste, dann duschte, dann keine Lust hatte. Er saß damals in Neapel. Wir machten eine Schalte. Es war so spektakulär durch die ungemeine Verachtung gegenüber dem Publikum.

fanclub.dfb.de: Und deutsche Fußball-Stars?

Roger Willemsen: Es hat mich lange Zeit eine Art Freundschaft mit Berti Vogts verbunden. Er hatte ein außergewöhnliches Interview bei uns in der Sendung gegeben. Es war schon bemerkenswert, dass er sich getraut hatte, zu kommen, obwohl er es sich denken hätte können, dass er eine Anti-Figur sein würde. Er hat dann aber so ergreifend über seine Reisen durch die Welt geredet, über das Sitzen in Bäumen in Alaska, das Bären-Beobachten. Oder über den Pfarrer, der am Grab der Eltern sagte, der Tod sei die Schuld des Jungen, der immer frech gewesen sei. Oder über seine Sozialisation durch den Fußball und in der Vereinsgaststätte der Tante. Selbst die Bild-Zeitung schrieb am nächsten Tag: Haben wir Berti Vogts falsch gesehen? Also, er hatte in vielerlei Hinsicht Eindruck gemacht.

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fanclub.dfb.de: Wie schaffen Sie es, den Prominenten solche Geschichten zu entlocken?

Roger Willemsen: Berti Vogts ist eine ehrliche Haut. Und er hat mir irgendwie geglaubt, dass er für mich kein Popanz ist und dass ich mich nicht über ihn erheben werde. Später hat er mir mal gesagt, es sei wie am Küchentisch gewesen: Man sitzt einfach da, steckt die Köpfe zusammen und beginnt zu reden. Ich bin dann beim EM-Endspiel 1996 in England sein Gast in Wembley gewesen. Ich durfte im Allerheiligsten sitzen, bei der Spieler-Feier mit Sammer, Klinsmann und allen. Das war auf eine gewisse Weise ergreifend. Und ich kümmerte mich ein bisschen um seinen Sohn Justin, der oben im Hotel im Bett lag, habe immer mal geschaut, ob er auch wirklich schlief.

fanclub.dfb.de: Wie halten Sie es mit der Nationalmannschaft – ist die etwas Besonderes für Sie?

Roger Willemsen: Ja, ist sie! Sie bindet meine ganze Aufmerksamkeit. Die ist gut aufgestellt. Ich gehöre nicht zu denen, die Zuhause sitzen und sagen, alles hätte anders gemacht werden müssen. Ich habe grundsätzliches Vertrauen darin, dass die Verantwortlichen die Spieler sehr gut auswählen und betreuen.

fanclub.dfb.de: Welche Erwartung haben Sie an die deutsche Nationalmannschaft?

Roger Willemsen: Immer maßlose! (lacht) Wie der Rest der Nation auch. Alles unter dem Titelgewinn ist eigentlich schon eine halbe Blamage. Das sage ich tatsächlich lachend. Es entsteht, was die Nationalmannschaft betrifft, eine merkwürdige Sinnestäuschung. Auf der einen Seite sagt man, es ist die beste Mannschaft, die wir seit 30 Jahren haben. Auf der anderen Seite gibt es das Gefühl, dass sie in entscheidenden Spielen patzt, dass der Trainer sogar Fehler begeht, dass ein Rückstand gegen Italien eine nicht antizipierte Situation schafft. Das wundert mich dann. Und ich denke, wir sind immer gut bis auf weiteres. Und dieses weitere ist der Ernstfall. Da gibt es etwas Unvorhersehbares, ob es klappt oder nicht klappt.

fanclub.dfb.de: Das ist ja das Schöne am Fußball.

Roger Willemsen: Richtig! Das finde ich auch. Selbst wenn es gegen die deutsche Mannschaft geht, dass man dann sagt, all das ist nicht planbar. Letztlich wirkt das Irrationale – und das ist die Tagesform, die Stimmung im Stadion, irgendetwas Psychologisches.

fanclub.dfb.de: Können Sie das nachempfinden, weil Sie sich intellektuell mit dem Thema auseinandergesetzt haben oder weil Sie selbst aktiv gespielt haben?

Roger Willemsen: Ich bin direkt neben dem Fußball-Platz groß geworden. Ich habe mir jeden Sonntag mit meinem Vater den Dorf-Fußball angeguckt. Von der C-Jugend bis zu den Alten Herren rauf. Und Bauern-Fußball zu sehen, ist eine gute Schulung. Das ist die Verlängerung des Bolzplatzes. Bei uns in der Eifel, in der Nähe von Bonn, da ist der Fußball-Platz neben der Kirche fast noch so ein sozialer Brennpunkt gewesen. Ich habe nie richtig in einer Mannschaft gespielt, nur in der Schule, da war ich immer Stürmer, eigentlich Abstauber. Ich konnte meine langen Beine hochheben, und dann ist der Ball dagegen geklatscht und flog ins Tor. Ich habe nie richtig gut gespielt.

fanclub.dfb.de: Hatten Sie früher schon ein Faible für Literatur und Musik – war das eine Konkurrenz für den Sport?

Roger Willemsen: Ja, das gab es. Das kam mit dem Elternhaus. Aber ich glaube, dass hätte sich auch so Bahn gebrochen. Noch bevor ich Sprache richtig beherrscht hatte, war das etwas, was mich fasziniert hatte. Damit habe ich schon immer herumgespielt. Und meine Eltern haben sich häufig über Wortspiele amüsiert. Das war das Erste. Dass ich kein Mann der Leibesübungen werden würde, war früh klar.