"Rassismus darf im Stadion keinen Platz haben"

Wolfgang Niersbach hat mal über Gunter A. Pilz gesagt: "Es gibt nicht viele Menschen, die Zeit ihres Lebens unbequem und auch gegen Widerstände daran arbeiten, die Rahmenbedingungen des Sports nachhaltig zu verbessern", so der DFB-Präsident. "Dafür gibt es nicht immer Applaus. Aber am Ende einen Preis." Und in der Tat: Mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes erhielt der 68-jährige Sportsoziologe im vergangenen September eine bedeutende Auszeichnung.

Mit Rechtsextremismus und Diskriminierung im Sport beschäftigt sich der langjährige akademische Oberrat der Leibniz-Universität Hannover und Honorarprofessor der Fachhochschule Hannover schon ein Forscherleben lang. 2009 fasste Pilz wesentliche Ergebnisse in seiner Studie "Rechtsextremismus und Sport" zusammen. Im DFB.de-Gespräch der Woche redet Redakteur Thomas Hackbarth mit Gunter Pilz darüber.

DFB.de: Herr Professor Pilz, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat in einem offenen Brief an alle 26.000 Fußballvereine vor der Gefahr von Rechtsaußen gewarnt. Wie akut ist die Bedrohung, dass Rechtsradikale die Popularität des Fußballs für ihre Zwecke missbrauchen?

Gunter A. Pilz: Diese Gefahr wird immer vorhanden sein. Wir müssen wachsam bleiben. Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Vereine, die sich klar positionieren, erheblich weniger Probleme bekommen als andere. Gewaltbereite, fremdenfeindliche Szenen im Fußball verändern sich ständig. Wichtig bleibt der Austausch von Erkenntnissen über Ursachen und Erscheinungsformen. Dafür muss es Plattformen geben, wie beim DFB die "AG Anti-Diskriminierung - für Vielfalt im Fußball".

DFB.de: Der DFB-Präsident forderte die Vereine auf, "Respekt, Fairness und Toleranz" in den Satzungen festzuschreiben.

Pilz: Eine gute Idee - wichtig ist auch, dass die Vereinssatzung gelebt wird. Der Sport darf sich vor dieser Aufgabe nicht drücken. Es ist gut, dass der DFB-Präsident mit seinem starken Brief daran erinnert hat.

DFB.de: Wo und wie versuchen Rechtsextreme, die Bühne des Fußballs zu besetzen?

Pilz: In der Bundesliga und darunter versuchen sogenannte Kameradschaften die Meinungshoheit in den Kurven zu erobern. Das Internet ist ein weiteres Mittel der Anhängerrekrutierung, das Medium bietet - leider auch für rechtsextreme Positionen - eine leicht verfügbare und anonyme Plattform. Dass schließlich gerade kleine Vereine händeringend nach ehrenamtlicher Hilfe suchen, öffnet rechten Agitatoren ebenfalls neue Möglichkeiten, etwa durch die Betreuung von Jugendmannschaften. In Deutschland ist jeder Dritte irgendwie mit den Strukturen eines Sportvereins verbunden. Das macht besonders den Fußball für politische Propaganda anfällig und interessant.



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Wolfgang Niersbach hat mal über Gunter A. Pilz gesagt: "Es gibt nicht viele Menschen, die Zeit ihres Lebens unbequem und auch gegen Widerstände daran arbeiten, die Rahmenbedingungen des Sports nachhaltig zu verbessern", so der DFB-Präsident. "Dafür gibt es nicht immer Applaus. Aber am Ende einen Preis." Und in der Tat: Mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes erhielt der 68-jährige Sportsoziologe im vergangenen September eine bedeutende Auszeichnung.

Mit Rechtsextremismus und Diskriminierung im Sport beschäftigt sich der langjährige akademische Oberrat der Leibniz-Universität Hannover und Honorarprofessor der Fachhochschule Hannover schon ein Forscherleben lang. 2009 fasste Pilz wesentliche Ergebnisse in seiner Studie "Rechtsextremismus und Sport" zusammen. Im DFB.de-Gespräch der Woche redet Redakteur Thomas Hackbarth mit Gunter Pilz darüber.

DFB.de: Herr Professor Pilz, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat in einem offenen Brief an alle 26.000 Fußballvereine vor der Gefahr von Rechtsaußen gewarnt. Wie akut ist die Bedrohung, dass Rechtsradikale die Popularität des Fußballs für ihre Zwecke missbrauchen?

Gunter A. Pilz: Diese Gefahr wird immer vorhanden sein. Wir müssen wachsam bleiben. Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Vereine, die sich klar positionieren, erheblich weniger Probleme bekommen als andere. Gewaltbereite, fremdenfeindliche Szenen im Fußball verändern sich ständig. Wichtig bleibt der Austausch von Erkenntnissen über Ursachen und Erscheinungsformen. Dafür muss es Plattformen geben, wie beim DFB die "AG Anti-Diskriminierung - für Vielfalt im Fußball".

DFB.de: Der DFB-Präsident forderte die Vereine auf, "Respekt, Fairness und Toleranz" in den Satzungen festzuschreiben.

Pilz: Eine gute Idee - wichtig ist auch, dass die Vereinssatzung gelebt wird. Der Sport darf sich vor dieser Aufgabe nicht drücken. Es ist gut, dass der DFB-Präsident mit seinem starken Brief daran erinnert hat.

DFB.de: Wo und wie versuchen Rechtsextreme, die Bühne des Fußballs zu besetzen?

Pilz: In der Bundesliga und darunter versuchen sogenannte Kameradschaften die Meinungshoheit in den Kurven zu erobern. Das Internet ist ein weiteres Mittel der Anhängerrekrutierung, das Medium bietet - leider auch für rechtsextreme Positionen - eine leicht verfügbare und anonyme Plattform. Dass schließlich gerade kleine Vereine händeringend nach ehrenamtlicher Hilfe suchen, öffnet rechten Agitatoren ebenfalls neue Möglichkeiten, etwa durch die Betreuung von Jugendmannschaften. In Deutschland ist jeder Dritte irgendwie mit den Strukturen eines Sportvereins verbunden. Das macht besonders den Fußball für politische Propaganda anfällig und interessant.

DFB.de: Wurde mit der Attacke auf Thilo Danielsmeyer in Donezk, der seit 20 Jahren für das BVB-Fanprojekt arbeitet, eine Grenze überschritten?

Pilz: Ja, und zwar massiv. Wenn Danielsmeyer nicht andere zur Hilfe geeilt wären - wer weiß, dann hätte das noch schlimmer ausgehen können. Da bricht sich blanker Hass und brutale Gewalt Bahn. Borussia Dortmund hat hier vorbildlich reagiert. Nachdem ein rechtsextremistisches Banner im Stadion hochgehalten worden war, ist Borussia mit allen kommunikativen Mitteln in die Offensive gegangen, auch beim nächsten Heimspiel im Stadion. Das war bewegend. Gleichzeitig müssen wir verstehen, dass der Fußball alleingestellt überfordert sein wird. Rechtsextreme Propaganda ist ein zivilgesellschaftliches Problem. Bei allen Kontrollen - nie wird man alles verhindern können. Vorwürfe, der Verein sei auf dem rechten Auge blind, werte ich als verantwortungslos und in der Sache absurd.

DFB.de: Experten beobachten, wie rechtsextreme Positionen erst mal populistisch formuliert werden. Es wird vor dem Missbrauch von Sozialleistungen gewarnt, damit erreicht man die Mitte der Gesellschaft. Aber dahinter verbirgt sich immer schon die extreme Position. Ist das die Strategie - sich über den Fußball in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren?

Pilz: Ich fürchte, ja. Deshalb finde ich es auch falsch, wenn Fußballturniere unter dem Motto "Bunt gegen stumpf" veranstaltet werden. Die Vorstellung, nur Dumpfbacken würden rechtsextremes Gedankengut vertreten, ist einfach falsch und entspricht nicht mehr der Realität. Das sind zum Teil hochintellektuelle Leute, die genau mit solchen subtilen Botschaften und langfristigen Strategien versuchen, in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen. Durch ihr Engagement im Sport wollen sie nicht nur die Sympathie der örtlichen Bevölkerung gewinnen, sondern auch ihre rassistische und menschenfeindliche Ideologie als normale Meinung präsentieren. Statt subkultureller Abgrenzung verfolgen Rechtsextremisten vermehrt die Strategie, sich in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren.

DFB.de: Wie sollte der organisierte Fußball reagieren?

Pilz: Wir dürfen nicht eskalieren, wir dürfen nicht hochrüsten; das wäre ein Irrweg. Die Gruppe der wirklich fest entschlossenen Rechtsextremen, auch im Umfeld des Fußballs, ist übersichtlich. Leider gibt es zu viele Fans, die bei den Parolen mitgrölen. Teilweise erklärt sich das fremdenfeindliche oder immer häufiger homophobe Verhalten im Stadion durch eigene Existenzängste. Da wird versucht, durch das kollektive Brüllen von Stammtischparolen, das eigene, schwierige Schicksal erträglicher zu gestalten. Ausgrenzung wäre der falsche Ansatz. Dadurch treiben wir solche Fans in die Fänge des organisierten Rechtsextremismus. Wir müssen das Gespräch suchen und Alternativen aufzeigen.

DFB.de: Auch durch die Arbeit der Fanprojekte?

Pilz: Ganz sicher. Die Sozialarbeiter haben oft direkten Zugang. Ein Bremer Sozialpädagoge hat das mal wunderbar beschrieben: Es geht nicht um die Probleme, die Fußballfans machen, sondern um die Probleme, die Fußballfans haben. Das ist der Lösungsweg, doch den kann der Fußball nicht alleine beschreiten.

DFB.de: Neben der Popularität des Spiels: Warum eignet sich das Stadion besonders für rechte Parolen?

Pilz: Was im vollen Stadion passiert, ist sehr spannend, sehr vielschichtig. Dass Aggression zum Ziel führen kann, dass körperliches Ausagieren einen hohen Wert hat, dass so viele Menschen sich vereint fühlen und über Stunden auf engem Raum zubringen und schließlich dass es eine klare "Wir-sie-Dichotomie" gibt - das alles ist eben leider auch ein guter Nährboden für diskriminierende Parolen.

DFB.de: Haben Sie selbst schon mit rechtsextremen Fangruppen gearbeitet?

Pilz: In Dresden habe ich mit einer Skinhead-Gruppe diskutiert, und wurde mit üblen, rassistischen und antisemitischen Äußerungen attackiert. Ich habe dann nie gesagt: "Ihr spinnt", sondern immer noch mal nachgefragt: "Wie kommt ihr darauf? Habt Ihr das selbst so schon erlebt? Wenn nicht, warum sagt Ihr das?" Nach zwei Stunden Diskussion hat sich der Anführer für das Gespräch bedankt. Ich bilde mir nicht ein, das würde so in jeder Situation funktionieren. Aber in vielen. Ich glaube immer noch an das Gespräch.

DFB.de: Auch ein aktiver Fußballer hat sich klar positioniert. Kevin Prince-Boateng hat sogar eine Ansprache vor den Vereinten Nationen gehalten. Wie hat Ihnen seine Metapher gefallen? Er verglich Rassismus mit Malaria und forderte, die Teiche müssten trocken gelegt werden.

Pilz: Zunächst einmal ist dieses deutliche Zeichen von Zivilcourage sehr zu begrüßen - das hätte ich mir auch von seinen Mannschaftskameraden gewünscht. Es geht nicht ums Ausmerzen. Auch rassistische Parolen werden von Menschen gerufen, die wir im besten Fall wieder von ihrem Irrweg zurückholen können. Der Fußball genießt eben auch ein Privileg, indem er Debatten vorantreiben kann. Es ist doch ganz klar: Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie, also jedwede Form der Diskriminierung, dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Auch nicht im Stadion. Aber wir dürfen selbst diese Fans nicht bekämpfen wie Malaria. Wir müssen reden, wir müssen argumentieren, wir müssen Mitmenschlichkeit vorleben. Die beste "Waffe" gegen Diskrimierung, die der Sport, der Fußball hat, ist das Prinzip des Fairplay. Repression stößt auf Grenzen. Verbote verändern nicht, was in den Köpfen passiert. Das richtige Verbot des Hitlergrußes führt zu versteckten und camouflierten Symbolen und Gesten rechter Gesinnung.

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DFB.de: Darf einer pfeifen oder die Jugend trainieren, auch wenn er oder sie NPD-Mitglied ist?

Pilz: Fußball basiert auf Fairness, Toleranz und Respekt. Wolfgang Niersbach hat die Vereine dazu aufgefordert, diesen Grundsatz unmissverständlich in der eigenen Satzung zu verankern. So kann auch jemand ausgeschlossen werden, der sich etwa politisch klar ausländerfeindlich oder antisemitisch oder homophob äußert. Ansonsten ist die NPD nicht verboten, sie wird laut Parteiengesetz sogar finanziell vom Staat unterstützt. Der DFB kann also grundsätzlich - etwa für den Schiedsrichterbereich - kein Verbot aussprechen.

DFB.de: Findet ein Angriff von Rechtsaußen im Fußball gegenwärtig statt?

Pilz: Wir beobachten dabei immer Wellenbewegungen. Rechtsextreme Meinungsbilder haben Hochkonjunktur, wenn die Zukunftsängste der Menschen zunehmen. Viel wichtiger für den Fußball ist es, unsere Möglichkeiten zu nutzen. Nochmals: Leben wir die Werte des Fußballs, dann entziehen wir dem Rechtsextremismus den Nährboden. Wir sollten denen, die sich weit rechts draußen verirrt haben, einen Weg zurück ebnen. Und denen, die ideologisch total verfestigt sind und die Bühne des Fußballs missbrauchen, müssen wir die Rote Karte zeigen. Gefährlich wird es immer dann, wenn wir denken, jetzt ist die Sache gelaufen. Wir lassen es nicht zu, dass unser Sport durch braune Parolen missbraucht wird. Jeder einzelne rechtsextreme Vorfall im Fußball ist einer zuviel. Deshalb sollten, ja müssen wir immer wachsam sein.