Polychronidis: Ein Leben zwischen Olympia und B-Klasse

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jede Woche in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Nico Polychrondis, der erste griechische Skispringer der Olympiageschichte und gleichzeitig Stürmer des B-Ligisten FC Oberstdorf II.

Einlaufen im Olympiastadion von Sotschi

Einlaufen im Olympiastadion von Sotschi. Eröffnung der Winterspiele 2014. Mit den Sportlern seiner Nation. Aber auch: Einlaufen auf dem Sportplatz des FC Oberstdorf. Zum Fußballspiel in der B-Klasse Allgäu. Mit der zweiten Mannschaft seines Vereins. Nico Polychronidis kennt beides. Der 24-Jährige ist seit kurzem der erste griechische Skispringer der olympischen Historie. Und er ist leidenschaftlicher Fußballer beim FC Oberstdorf.

Die ungewöhnliche Geschichte des Nico Polychronidis ist in den vergangenen Monaten von vielen Medien erzählt worden, jedenfalls der Teil vom Skispringen für Griechenland. Polychronidis war bei der ARD, Eurosport hat sich mit ihm beschäftigt, Sport1, die FAZ. Und natürlich haben jede Menge griechische Journalisten angerufen, als eine Woche vor Beginn der olympischen Wettkämpfe feststand, dass er in Sotschi dabei sein wird.

In der Jugend Teamkollege von Olympiasieger Andreas Wank

Polychronidis startete auf der Normal- und der Großschanze. Beide Male schied er in der Qualifikation aus. Ihn mit dem Urtyp des Olympia-Exoten zu vergleichen und sich einen zweiten "Eddy the Eagle" vorzustellen, wäre jedoch falsch. Nico Polychronidis ist in Oberstdorf geboren und aufgewachsen. Er springt seit seinem sechsten Lebensjahr, mit zwölf ging er aufs Ski-Internat. Der Junge mit der deutschen Mutter und dem griechischen Vater gehörte dem C-Kader des Deutschen Ski-Verbandes an. Richard Freitag und Andreas Wank, gerade Olympiasieger mit der deutschen Mannschaft geworden, waren seine Teamkollegen.

Im Continentalcup, eine Etage unter dem Weltcup angesiedelt, stand Polychronidis sogar einmal auf dem Treppchen. Das war 2009. Danach verlor er den Anschluss. Polychronidis hatte Probleme in der Schule, reduzierte deswegen seinen Trainingsaufwand und konzentrierte sich darauf, sein Fachabitur abzulegen. Sportlich war der Zug im DSV-Kader anschließend für ihn abgefahren, zu hoch die Leistungsdichte, zu hoch die Zahl an nachrückenden Talenten.

Polychronidis bei den Winterspielen: "Unbeschreiblich, aber unter Wert verkauft"

Um den Traum von Großereignissen nicht begraben zu müssen, entschied sich Polychronidis für Griechenland. Dort ist er konkurrenzlos. Der Verband hat keine Skisprungabteilung, im ganzen Land gibt es keine einzige Schanze. Weil sich die Abwicklung der Formalitäten in die Länge zog, konnte der Oberstdorfer ein Jahr lang keine Wettkämpfe bestreiten. Zur Saison 2012/2013 stieg er wieder ein und nahm gleich an der Weltmeisterschaft teil - als erster Grieche überhaupt.

Nico Polychronidis mag ein Exot sein, weil er für eine exotische Wintersportnation startet, aber er ist keine Zirkusnummer. Darum ist er mit seinem Abschneiden in Sotschi ziemlich unzufrieden. "Ich habe mich deutlich unter Wert verkauft, das nervt mich", sagt er im Gespräch mit DFB.de. Gleichwohl seien es unvergessliche drei Wochen in Russland gewesen. "Ich durfte Olympia einmal hautnah erleben, davon träumt jedes kleine Kind - unbeschreiblich."

Die zweite große Leidenschaft: Fußball beim FC Oberstdorf II

Seit Ende vergangener Woche ist Polychronidis zurück in der Heimat, zurück in Oberstdorf. Hier lebt er, hier trainiert er. Langsam kehrt der Alltag ein. Die Saison neigt sich dem Ende zu. Ob er an der Skiflug-WM vom 13. bis 16. März im tschechischen Harrachov teilnimmt, ist offen. Und so rückt der Zeitpunkt näher, dass seine zweite sportliche Leidenschaft wieder in den Fokus rückt: der Fußball.

Ungefähr fünf Jahre ist es her, seit Polychronidis merkte, dass er unbedingt einen Ausgleich braucht zum Skispringen, etwas, bei dem er sich körperlich richtig auspowern kann. Ein Mannschaftssport sollte es sein, und da er schon immer gerne gegen das runde Leder getreten hatte, war die Entscheidung für den Fußball eine logische.

Nach einem halben Jahr im Nachbarort Fischen schloss sich Polychronidis dem FC Oberstdorf an - und spielt dort bis heute. Verbindungen zum Skisport sind Normalität beim FCO. Trainer Michael Jipp hat einen Skiverleih, im Verein spielen die Brüder von Alpinrennläuferin Christina Geiger und Weltcup-Abfahrer Tobias Stechert. Das größte Thema aber seit den Tagen von Sotschi ist Nico Polychronidis. "Wir waren alle glücklich, als er die Qualifikation für Olympia geschafft hatte, der ganze Klub hat mitgefieber", erzählt Michael Jipp.

Aktuelle Saisonbilanz: Elf Spiele, drei Tore, zwei Vorlagen

Nico Polychronidis ist eine feste Größe in der zweiten Mannschaft des FC Oberstdorf. Von 15 Punktspielen in der laufenden Saison der B-Klasse Allgäu hat er elf bestritten, drei Tore und zwei Vorlagen stehen zu Buche. Eingesetzt wird der Linksfuß im Sturm oder als offensiver Flügelspieler, weil er ein bisschen schneller, wendiger und fitter ist als die meisten in der Liga. Dass der 1,84 Meter große Skispringer im Kopfballduell den Kürzeren zieht, kommt auch eher selten vor.

Allüren sind Polychronidis bei allem Rummel um seine Person fremd. "Nico ist ein echter Teamplayer", unterstreicht Coach Jipp, "ein feiner Spieler, regelmäßig im Training und technisch ein richtig Guter." Bei den Skisprungtrainern, mit denen Polychronidis arbeitet, hält sich die Begeisterung über das Hobby ihres Schützlings - wenig verwunderlich - in Grenzen. Sie fürchten die Verletzungsgefahr. "Aber sie haben gelernt, sich damit zu arrangieren", sagt Polychronidis mit einem Schmunzeln.

Die Zukunft heißt Pyeongchang, die Gegenwart TSV Heising II

Unnötigen Zweikämpfen geht er vorausschauend aus dem Weg - ohne immer den Fuß wegzuziehen, wenn es mal eng wird. "Im Spiel bin ich eher Fußballer als Skispringer", betont er. Bei den Gegenspielern ist er bekannt und anerkannt. Viele kennen seine Geschichte. "Sie machen mir deswegen nicht den Weg zum Tor frei, aber ich merke, dass sie auch nicht rücksichtslos zur Sache gehen", sagt Polychronidis.

Der 24-Jährige hat noch große Ziele, allen voran die Winterspiele 2018 im südkoreanischen Pyeongchang. Polychronidis hat Gefallen gefunden an der großen weiten Sportwelt und seinem exotischen Platz darin. Pyeongchang ist die Zukunft, Sotschi die Vergangenheit.

Die Gegenwart heißt erst einmal TSV Heising II. Der Tabellensechste der B-Klasse Allgäu ist am 5. April der Gegner im ersten Pflichtspiel nach der Winterpause für Nico Polychronidis und den FC Oberstdorf II.

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Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jede Woche in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Nico Polychrondis, der erste griechische Skispringer der Olympiageschichte und gleichzeitig Stürmer des B-Ligisten FC Oberstdorf II.

Einlaufen im Olympiastadion von Sotschi

Einlaufen im Olympiastadion von Sotschi. Eröffnung der Winterspiele 2014. Mit den Sportlern seiner Nation. Aber auch: Einlaufen auf dem Sportplatz des FC Oberstdorf. Zum Fußballspiel in der B-Klasse Allgäu. Mit der zweiten Mannschaft seines Vereins. Nico Polychronidis kennt beides. Der 24-Jährige ist seit kurzem der erste griechische Skispringer der olympischen Historie. Und er ist leidenschaftlicher Fußballer beim FC Oberstdorf.

Die ungewöhnliche Geschichte des Nico Polychronidis ist in den vergangenen Monaten von vielen Medien erzählt worden, jedenfalls der Teil vom Skispringen für Griechenland. Polychronidis war bei der ARD, Eurosport hat sich mit ihm beschäftigt, Sport1, die FAZ. Und natürlich haben jede Menge griechische Journalisten angerufen, als eine Woche vor Beginn der olympischen Wettkämpfe feststand, dass er in Sotschi dabei sein wird.

In der Jugend Teamkollege von Olympiasieger Andreas Wank

Polychronidis startete auf der Normal- und der Großschanze. Beide Male schied er in der Qualifikation aus. Ihn mit dem Urtyp des Olympia-Exoten zu vergleichen und sich einen zweiten "Eddy the Eagle" vorzustellen, wäre jedoch falsch. Nico Polychronidis ist in Oberstdorf geboren und aufgewachsen. Er springt seit seinem sechsten Lebensjahr, mit zwölf ging er aufs Ski-Internat. Der Junge mit der deutschen Mutter und dem griechischen Vater gehörte dem C-Kader des Deutschen Ski-Verbandes an. Richard Freitag und Andreas Wank, gerade Olympiasieger mit der deutschen Mannschaft geworden, waren seine Teamkollegen.

Im Continentalcup, eine Etage unter dem Weltcup angesiedelt, stand Polychronidis sogar einmal auf dem Treppchen. Das war 2009. Danach verlor er den Anschluss. Polychronidis hatte Probleme in der Schule, reduzierte deswegen seinen Trainingsaufwand und konzentrierte sich darauf, sein Fachabitur abzulegen. Sportlich war der Zug im DSV-Kader anschließend für ihn abgefahren, zu hoch die Leistungsdichte, zu hoch die Zahl an nachrückenden Talenten.

Polychronidis bei den Winterspielen: "Unbeschreiblich, aber unter Wert verkauft"

Um den Traum von Großereignissen nicht begraben zu müssen, entschied sich Polychronidis für Griechenland. Dort ist er konkurrenzlos. Der Verband hat keine Skisprungabteilung, im ganzen Land gibt es keine einzige Schanze. Weil sich die Abwicklung der Formalitäten in die Länge zog, konnte der Oberstdorfer ein Jahr lang keine Wettkämpfe bestreiten. Zur Saison 2012/2013 stieg er wieder ein und nahm gleich an der Weltmeisterschaft teil - als erster Grieche überhaupt.

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Nico Polychronidis mag ein Exot sein, weil er für eine exotische Wintersportnation startet, aber er ist keine Zirkusnummer. Darum ist er mit seinem Abschneiden in Sotschi ziemlich unzufrieden. "Ich habe mich deutlich unter Wert verkauft, das nervt mich", sagt er im Gespräch mit DFB.de. Gleichwohl seien es unvergessliche drei Wochen in Russland gewesen. "Ich durfte Olympia einmal hautnah erleben, davon träumt jedes kleine Kind - unbeschreiblich."

Die zweite große Leidenschaft: Fußball beim FC Oberstdorf II

Seit Ende vergangener Woche ist Polychronidis zurück in der Heimat, zurück in Oberstdorf. Hier lebt er, hier trainiert er. Langsam kehrt der Alltag ein. Die Saison neigt sich dem Ende zu. Ob er an der Skiflug-WM vom 13. bis 16. März im tschechischen Harrachov teilnimmt, ist offen. Und so rückt der Zeitpunkt näher, dass seine zweite sportliche Leidenschaft wieder in den Fokus rückt: der Fußball.

Ungefähr fünf Jahre ist es her, seit Polychronidis merkte, dass er unbedingt einen Ausgleich braucht zum Skispringen, etwas, bei dem er sich körperlich richtig auspowern kann. Ein Mannschaftssport sollte es sein, und da er schon immer gerne gegen das runde Leder getreten hatte, war die Entscheidung für den Fußball eine logische.

Nach einem halben Jahr im Nachbarort Fischen schloss sich Polychronidis dem FC Oberstdorf an - und spielt dort bis heute. Verbindungen zum Skisport sind Normalität beim FCO. Trainer Michael Jipp hat einen Skiverleih, im Verein spielen die Brüder von Alpinrennläuferin Christina Geiger und Weltcup-Abfahrer Tobias Stechert. Das größte Thema aber seit den Tagen von Sotschi ist Nico Polychronidis. "Wir waren alle glücklich, als er die Qualifikation für Olympia geschafft hatte, der ganze Klub hat mitgefieber", erzählt Michael Jipp.

Aktuelle Saisonbilanz: Elf Spiele, drei Tore, zwei Vorlagen

Nico Polychronidis ist eine feste Größe in der zweiten Mannschaft des FC Oberstdorf. Von 15 Punktspielen in der laufenden Saison der B-Klasse Allgäu hat er elf bestritten, drei Tore und zwei Vorlagen stehen zu Buche. Eingesetzt wird der Linksfuß im Sturm oder als offensiver Flügelspieler, weil er ein bisschen schneller, wendiger und fitter ist als die meisten in der Liga. Dass der 1,84 Meter große Skispringer im Kopfballduell den Kürzeren zieht, kommt auch eher selten vor.

Allüren sind Polychronidis bei allem Rummel um seine Person fremd. "Nico ist ein echter Teamplayer", unterstreicht Coach Jipp, "ein feiner Spieler, regelmäßig im Training und technisch ein richtig Guter." Bei den Skisprungtrainern, mit denen Polychronidis arbeitet, hält sich die Begeisterung über das Hobby ihres Schützlings - wenig verwunderlich - in Grenzen. Sie fürchten die Verletzungsgefahr. "Aber sie haben gelernt, sich damit zu arrangieren", sagt Polychronidis mit einem Schmunzeln.

Die Zukunft heißt Pyeongchang, die Gegenwart TSV Heising II

Unnötigen Zweikämpfen geht er vorausschauend aus dem Weg - ohne immer den Fuß wegzuziehen, wenn es mal eng wird. "Im Spiel bin ich eher Fußballer als Skispringer", betont er. Bei den Gegenspielern ist er bekannt und anerkannt. Viele kennen seine Geschichte. "Sie machen mir deswegen nicht den Weg zum Tor frei, aber ich merke, dass sie auch nicht rücksichtslos zur Sache gehen", sagt Polychronidis.

Der 24-Jährige hat noch große Ziele, allen voran die Winterspiele 2018 im südkoreanischen Pyeongchang. Polychronidis hat Gefallen gefunden an der großen weiten Sportwelt und seinem exotischen Platz darin. Pyeongchang ist die Zukunft, Sotschi die Vergangenheit.

Die Gegenwart heißt erst einmal TSV Heising II. Der Tabellensechste der B-Klasse Allgäu ist am 5. April der Gegner im ersten Pflichtspiel nach der Winterpause für Nico Polychronidis und den FC Oberstdorf II.