"Poldi" und "Schweini": Zehn Jahre A-Nationalmannschaft

Es war eigentlich eine eher trostlose Angelegenheit. Heute vor genau zehn Jahren verlor die deutsche Nationalmannschaft in Kaiserslautern das EM-Vorbereitungsspiel gegen Ungarn mit 0:2, ausgerechnet beim Jubiläumsspiel zu "50 Jahre Wunder von Bern".

Für den deutschen Fußball war dieser 6. Juni 2004 dennoch ein bedeutsames Datum: Auf dem Betzenberg betraten Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger die große Bühne. Zehn Jahre später sind "Poldi" und "Schweini" immer noch dabei, heute (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) im Benefizländerspiel gegen Armenien in Mainz und dann bei der WM in Brasilien. DFB.de über zwei ganz besondere Karrieren.

Neue Männer braucht das Land

Deutschland im Frühsommer 2004. Die Nationalmannschaft fährt wieder Achterbahn mit den Gefühlen der Fans. War dem enttäuschenden EM-Vorrundenaus 2000 der sensationelle Einzug ins WM-Finale 2002 gefolgt, nimmt sie sich jetzt wieder eine Krise. Keineswegs souverän erreicht das Team von Rudi Völler die EM-Endrunde in Portugal, der Beifall bleibt aus nach Zittersiegen über die Färöer und einem 0:0 auf Island. Ein 1:5 in Rumänien sorgt im April für Alarmstimmung. Doch es gibt Gründe für all das: Dem deutschen Fußball fehlen schlicht genügend qualifizierte Spieler, in der Bundesliga ist der Ausländeranteil auf einem absoluten Höchststand (53,1 Prozent).

Kurz vor der EM tritt Carsten Ramelow frustriert über die Kritik zurück und Völler holt in seiner Not den 32-jährigen Christian Ziege von Tottenham Hotspur in den Kader zurück, der in England nur acht Saisonspiele bestritten hat. Er ist einer von neun Spielern im vorläufigem Aufgebot, der die Dreißig schon passiert hat. Aber Völler lässt sich noch eine Option offen: Platz 23 bleibt frei für einen Spieler aus der U 21-Mannschaft, die bei der EM im eigenen Land teilnimmt. Auch er spürt: Neue Männer braucht das Land, auch wenn sie erst dabei sind, welche zu werden.

Im Fokus stehen der 19 Jahre alte Münchner Bastian Schweinsteiger und der 18 Jahre alte Kölner Lukas Podolski. Schweinsteiger hat sich in seiner ersten Profi-Saison bei den Bayern an der Seite eines Michael Ballack gleich einen Stammplatz erkämpft, (26 Spiele/4 Tore), am 17. Februar 2004 debütiert er in der U 21 und erzielt gleich das entscheidende 1:0 gegen die Schweiz. Auch Lukas Podolski debütiert an diesem Tag im DFB-Dress. Fortan sind sie unzertrennlich.

"Lichtblick" Podolski: "Den muss man einfach mögen"

Podolski ist der Lichtblick in der Kölner Mannschaft, die am Saisonende absteigt. Zehn "Poldi"-Tore in 19 Einsätzen sprechen Bände, da wächst ein Riesentalent heran. Ein Junge, der nicht lange fackelt. Nicht am Ball und nicht am Mikrofon. Er ist direkt, lustig und manchmal auch unfreiwillig komisch, er ist ein Typ. Zwei Mal bereits haben ihn die Bundesliga-Kollegen zum "Spieler des Monats" gewählt, im kicker erhält er am 17. Mai 2004 eine Porträt-Doppelseite. Titel: "Den muss man einfach mögen." Sein Jugend-Trainer Frank Schaefer sagt: "Er gibt zu größten Hoffnungen Anlass. Einen leistungslimitierenden Faktor sehe ich bei ihm nicht."

Podolski, den alle "Poldi" nennen, wundert sich über seine plötzliche Popularität: "Da tauchen plötzlich Verwandte auf, die sich seit zehn Jahren nicht gemeldet haben." Nach seinen Zielen befragt, sagt er: "Bei der WM 2006 möchte ich gerne dabei sein." Doch zunächst darf er zur U 21-EM. Beim 2:1 gegen die Schweiz lässt ihn Trainer Ulli Stielike auf der Bank, Schweinsteiger spielt durch, ohne zu glänzen. Trotzdem titelt der kicker am 1. Juni: "Der Trend geht klar zu Podolski/Schweinsteiger." Denn nach der Absage des Bochumers Paul Freier sind nun zwei Plätze frei und die reserviert Völler für "Poldi" und "Schweini".

Aus mit der U 21: Die EM vor der EM

Die Doppelbelastung schreckt den Münchner nicht ab: "Ich hätte körperlich keine Probleme, mit der U 21-EM, der EM in Portugal und eventuell noch bei Olympia drei Großturniere hintereinander zu spielen". Denn bei der U 21-EM geht es auch um die Olympiateilnahme, aber damit soll es nichts werden. Eine Radikalrotation vor dem zweiten Spiel gegen die Schweden (1:2) verkraftet die Mannschaft nicht, Schweinsteiger kommt erst 20 Minuten vor Schluss ins Spiel. Podolski gibt sein Turnierdebüt, ohne Tor und ohne Fortune bei einem Lattenschuss.

Die U 21-EM endet für das Duo früher als erhofft, im letzten Vorrundenspiel gewinnt Portugal mit 2:1. Das Duo spielt jetzt aber durch und "Schweini" erzielt das Tor. Es ändert nichts am Aus, auch für Olympia. Vorteil: die Hochbegabten können noch früher zum A-Team. Zu dem reist nun auch "Poldi" als 19-Jähriger, am 5. Juni hat er Geburtstag. Er sagt zu seiner Beförderung: "Ich spüre keinen Druck, ich kann mich voll auf Fußball konzentrieren."

Länderspielkarriere beginnt auf dem Betzenberg

Zwei Tage später sitzt er in Kaiserslautern neben Schweinsteiger auf der Bank der Nationalmannschaft. Heute vor zehn Jahren beginnt die Länderspiel-Karriere von "Schweini" und "Poldi", den neuen Hoffnungsträgern der Nation, mit einer Blamage – für die sie am wenigsten können. Gegen die von Lothar Matthäus trainierten Ungarn unterliegt die Völler-Auswahl mit 0:2, obwohl die Ungarn 22 (!) Absagen zu verkraften haben und mit einer B-Elf auflaufen. Deutschland aber stellt die Elf, die bei der EM auflaufen soll.

Die Tore fallen schon vor der Pause durch Sandor Torghelle (7., 31.), das Publikum pfeift. Völler reagiert: ab der 46. Minute spielt Schweinsteiger für Andreas Hinkel, nach 74 Minuten kommt Podolski für Fredi Bobic. Schweinsteiger bekommt im kicker eine 3 und wird als "kleiner Lichtblick" bezeichnet, Podolski "bot sich eifrig an". Immerhin. Bei einer Leserumfrage der Zeitschrift bekommt er nach Kevin Kuranyi die meisten Stimmen auf die Frage: "Wer soll im deutschen Sturm spielen?" 46,6 Prozent - weit vor Klose (16,3 Prozent) und Bobic (15,2% Prozent).

Völler beugt sich dem Druck nicht. Bei der EM kommt Podolski (Rückennummer 20) nur im letzten Spiel gegen die Tschechen (1:2) für 45 Minuten zum Einsatz, Schweinsteiger (Nummer 7) ist zwar immer dabei, zwei Mal aber nur als Joker. Auch dieses Turnier endet jäh für das Duo: Deutschland scheidet wieder in der Vorrunde aus, Rudi Völler tritt zurück. Aber für "Schweini" und "Poldi" geht es erst richtig los.

Schweinsteiger und Podolski sind immer noch da

In den vier folgenden Turnieren sind sie dabei, immer kommt die DFB-Elf mindestens ins Halbfinale. Beide haben die 100-Spiele-Marke geknackt, sie sind potentielle Rekord-Nationalspieler. Nur zwei Mitspieler von damals haben die Frischlinge von 2004 bis heute bei allen Turnieren begleitet: der damals 20 Jahre alte Stuttgarter Philipp Lahm und Miroslav Klose, 2004 noch in Kaiserslautern.

Vieles hat sich geändert seit damals. Der Trainerstab, die Trikots, die Spielweise, der Weltranglisten-Platz, die Ansprüche. Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski sind immer noch da. Sie sind keine Talente mehr, sie sind fester Bestandteil der Nationalmannschaft, bei aller Kritik, die gerade auf populäre Spieler zuweilen niederprasselt. Es ist der Fluch der guten Taten. Beide gehen jetzt auf die 30 zu. Sie verkörpern den Werdegang dieser Mannschaft seit der Enttäuschung von Portugal. Sie sind allmählich titelreif. Titelreif wie nie.

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Es war eigentlich eine eher trostlose Angelegenheit. Heute vor genau zehn Jahren verlor die deutsche Nationalmannschaft in Kaiserslautern das EM-Vorbereitungsspiel gegen Ungarn mit 0:2, ausgerechnet beim Jubiläumsspiel zu "50 Jahre Wunder von Bern".

Für den deutschen Fußball war dieser 6. Juni 2004 dennoch ein bedeutsames Datum: Auf dem Betzenberg betraten Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger die große Bühne. Zehn Jahre später sind "Poldi" und "Schweini" immer noch dabei, heute (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) im Benefizländerspiel gegen Armenien in Mainz und dann bei der WM in Brasilien. DFB.de über zwei ganz besondere Karrieren.

Neue Männer braucht das Land

Deutschland im Frühsommer 2004. Die Nationalmannschaft fährt wieder Achterbahn mit den Gefühlen der Fans. War dem enttäuschenden EM-Vorrundenaus 2000 der sensationelle Einzug ins WM-Finale 2002 gefolgt, nimmt sie sich jetzt wieder eine Krise. Keineswegs souverän erreicht das Team von Rudi Völler die EM-Endrunde in Portugal, der Beifall bleibt aus nach Zittersiegen über die Färöer und einem 0:0 auf Island. Ein 1:5 in Rumänien sorgt im April für Alarmstimmung. Doch es gibt Gründe für all das: Dem deutschen Fußball fehlen schlicht genügend qualifizierte Spieler, in der Bundesliga ist der Ausländeranteil auf einem absoluten Höchststand (53,1 Prozent).

Kurz vor der EM tritt Carsten Ramelow frustriert über die Kritik zurück und Völler holt in seiner Not den 32-jährigen Christian Ziege von Tottenham Hotspur in den Kader zurück, der in England nur acht Saisonspiele bestritten hat. Er ist einer von neun Spielern im vorläufigem Aufgebot, der die Dreißig schon passiert hat. Aber Völler lässt sich noch eine Option offen: Platz 23 bleibt frei für einen Spieler aus der U 21-Mannschaft, die bei der EM im eigenen Land teilnimmt. Auch er spürt: Neue Männer braucht das Land, auch wenn sie erst dabei sind, welche zu werden.

Im Fokus stehen der 19 Jahre alte Münchner Bastian Schweinsteiger und der 18 Jahre alte Kölner Lukas Podolski. Schweinsteiger hat sich in seiner ersten Profi-Saison bei den Bayern an der Seite eines Michael Ballack gleich einen Stammplatz erkämpft, (26 Spiele/4 Tore), am 17. Februar 2004 debütiert er in der U 21 und erzielt gleich das entscheidende 1:0 gegen die Schweiz. Auch Lukas Podolski debütiert an diesem Tag im DFB-Dress. Fortan sind sie unzertrennlich.

"Lichtblick" Podolski: "Den muss man einfach mögen"

Podolski ist der Lichtblick in der Kölner Mannschaft, die am Saisonende absteigt. Zehn "Poldi"-Tore in 19 Einsätzen sprechen Bände, da wächst ein Riesentalent heran. Ein Junge, der nicht lange fackelt. Nicht am Ball und nicht am Mikrofon. Er ist direkt, lustig und manchmal auch unfreiwillig komisch, er ist ein Typ. Zwei Mal bereits haben ihn die Bundesliga-Kollegen zum "Spieler des Monats" gewählt, im kicker erhält er am 17. Mai 2004 eine Porträt-Doppelseite. Titel: "Den muss man einfach mögen." Sein Jugend-Trainer Frank Schaefer sagt: "Er gibt zu größten Hoffnungen Anlass. Einen leistungslimitierenden Faktor sehe ich bei ihm nicht."

Podolski, den alle "Poldi" nennen, wundert sich über seine plötzliche Popularität: "Da tauchen plötzlich Verwandte auf, die sich seit zehn Jahren nicht gemeldet haben." Nach seinen Zielen befragt, sagt er: "Bei der WM 2006 möchte ich gerne dabei sein." Doch zunächst darf er zur U 21-EM. Beim 2:1 gegen die Schweiz lässt ihn Trainer Ulli Stielike auf der Bank, Schweinsteiger spielt durch, ohne zu glänzen. Trotzdem titelt der kicker am 1. Juni: "Der Trend geht klar zu Podolski/Schweinsteiger." Denn nach der Absage des Bochumers Paul Freier sind nun zwei Plätze frei und die reserviert Völler für "Poldi" und "Schweini".

Aus mit der U 21: Die EM vor der EM

Die Doppelbelastung schreckt den Münchner nicht ab: "Ich hätte körperlich keine Probleme, mit der U 21-EM, der EM in Portugal und eventuell noch bei Olympia drei Großturniere hintereinander zu spielen". Denn bei der U 21-EM geht es auch um die Olympiateilnahme, aber damit soll es nichts werden. Eine Radikalrotation vor dem zweiten Spiel gegen die Schweden (1:2) verkraftet die Mannschaft nicht, Schweinsteiger kommt erst 20 Minuten vor Schluss ins Spiel. Podolski gibt sein Turnierdebüt, ohne Tor und ohne Fortune bei einem Lattenschuss.

Die U 21-EM endet für das Duo früher als erhofft, im letzten Vorrundenspiel gewinnt Portugal mit 2:1. Das Duo spielt jetzt aber durch und "Schweini" erzielt das Tor. Es ändert nichts am Aus, auch für Olympia. Vorteil: die Hochbegabten können noch früher zum A-Team. Zu dem reist nun auch "Poldi" als 19-Jähriger, am 5. Juni hat er Geburtstag. Er sagt zu seiner Beförderung: "Ich spüre keinen Druck, ich kann mich voll auf Fußball konzentrieren."

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Länderspielkarriere beginnt auf dem Betzenberg

Zwei Tage später sitzt er in Kaiserslautern neben Schweinsteiger auf der Bank der Nationalmannschaft. Heute vor zehn Jahren beginnt die Länderspiel-Karriere von "Schweini" und "Poldi", den neuen Hoffnungsträgern der Nation, mit einer Blamage – für die sie am wenigsten können. Gegen die von Lothar Matthäus trainierten Ungarn unterliegt die Völler-Auswahl mit 0:2, obwohl die Ungarn 22 (!) Absagen zu verkraften haben und mit einer B-Elf auflaufen. Deutschland aber stellt die Elf, die bei der EM auflaufen soll.

Die Tore fallen schon vor der Pause durch Sandor Torghelle (7., 31.), das Publikum pfeift. Völler reagiert: ab der 46. Minute spielt Schweinsteiger für Andreas Hinkel, nach 74 Minuten kommt Podolski für Fredi Bobic. Schweinsteiger bekommt im kicker eine 3 und wird als "kleiner Lichtblick" bezeichnet, Podolski "bot sich eifrig an". Immerhin. Bei einer Leserumfrage der Zeitschrift bekommt er nach Kevin Kuranyi die meisten Stimmen auf die Frage: "Wer soll im deutschen Sturm spielen?" 46,6 Prozent - weit vor Klose (16,3 Prozent) und Bobic (15,2% Prozent).

Völler beugt sich dem Druck nicht. Bei der EM kommt Podolski (Rückennummer 20) nur im letzten Spiel gegen die Tschechen (1:2) für 45 Minuten zum Einsatz, Schweinsteiger (Nummer 7) ist zwar immer dabei, zwei Mal aber nur als Joker. Auch dieses Turnier endet jäh für das Duo: Deutschland scheidet wieder in der Vorrunde aus, Rudi Völler tritt zurück. Aber für "Schweini" und "Poldi" geht es erst richtig los.

Schweinsteiger und Podolski sind immer noch da

In den vier folgenden Turnieren sind sie dabei, immer kommt die DFB-Elf mindestens ins Halbfinale. Beide haben die 100-Spiele-Marke geknackt, sie sind potentielle Rekord-Nationalspieler. Nur zwei Mitspieler von damals haben die Frischlinge von 2004 bis heute bei allen Turnieren begleitet: der damals 20 Jahre alte Stuttgarter Philipp Lahm und Miroslav Klose, 2004 noch in Kaiserslautern.

Vieles hat sich geändert seit damals. Der Trainerstab, die Trikots, die Spielweise, der Weltranglisten-Platz, die Ansprüche. Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski sind immer noch da. Sie sind keine Talente mehr, sie sind fester Bestandteil der Nationalmannschaft, bei aller Kritik, die gerade auf populäre Spieler zuweilen niederprasselt. Es ist der Fluch der guten Taten. Beide gehen jetzt auf die 30 zu. Sie verkörpern den Werdegang dieser Mannschaft seit der Enttäuschung von Portugal. Sie sind allmählich titelreif. Titelreif wie nie.