Ottmar Walter: Der Weltmeister von nebenan

Im Alter von 89 Jahren ist Ottmar Walter, einer der fünf Stürmer unserer Helden von Bern, vergangenen Sonntag gestorben. Er hinterlässt einen Sohn, der den gleichen Vornamen trägt, und seine Anneliese, mit der er 66 Jahre verheiratet gewesen war.

Heute war die Trauerfeier für den legendären Weltmeister von 1954 in Kaiserslautern, im Beisein unter anderem von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und von Stefan Kuntz, Vorstandsvorsitzender des 1. FC Kaiserslautern. DFB.de würdigt den kleinen Bruder vom "Großen Fritz", gleichwohl einen der ganz Großen der deutschen Fußballgeschichte.

Ein Leben mit Höhen und Tiefen

Der Tod war eine Erlösung für ihn, neben zahlreicher Gebrechen als Folge einer Fußballerkarriere litt er unter Grauem Star und am Ende seines Lebens unter Alzheimer. So musste er sein Häuschen am Fuße des geliebten Betzenbergs vor Jahren schon verlassen; er wurde in ein Pflegeheim seiner Heimatstadt verlegt. Wer ihn dort besuchte, realisierte er oft nicht mehr.

Selbst Horst Eckel, den Kameraden von Bern und im Trikot des FCK, erkannte er nicht mehr. Ottmar Walter war noch am Leben, aber er nahm nicht mehr daran teil. Und doch war es ein bemerkenswertes Leben, mit Höhen und Tiefen, die die allermeisten Menschen nie erfahren haben dürften.

Granatsplitter im Knie

Nach Ottmar Walter hatte der Tod schon öfter seine Schwingen ausgestreckt. Er kam ihm davon als junger Marinesoldat im 2. Weltkrieg, als er mit elf Kameraden 1944 im Ärmelkanal um sein Leben schwamm. Ein englischer Zerstörer hatte das Torpedoboot seiner Einheit versenkt. Stundenlang klammerte er sich an seine Schwimmweste, ehe er gerettet wurde. Er überstand den Krieg, als Andenken behielt er drei Granatsplitter im Knie.

Dann suchte er eines Tages selbst den Tod. Im Januar 1969, zehn Jahre nach dem Ende seiner Karriere, unternahm er wegen privater Schwierigkeiten einen Selbstmordversuch. "Das war eine Kurzschlusshandlung, die mir im Nachhinein unverständlich ist", sagte Walter. Anneliese, Bruder Fritz und Alt-Bundestrainer Sepp Herberger halfen ihn aus der schwersten Krise seines Lebens heraus.

In Gedenken an Ottmar Walter

Gauliga-Debüt mit 16 Jahren

Doch erzählen wir lieber über den Sportler: Als Kind wollte Ottmar Walter Boxer werden und trat aus Bewunderung für Max Schmeling in einen Boxklub ein, aber schon seit dem neunten Lebensjahr rannte er ab 1933 dem runden Leder beim 1. FC Kaiserslautern nach. Kein Wunder - bei dem Vorbild. Fritz Walter, die Ikone des deutschen Fußballs und sein vier Jahre älterer Bruder, stand schon mit 19 in der Nationalmannschaft. Da wollte Ottmar, der wie Fritz sehr torgefährlich, aber nicht so genial war, auch hin.

Auch wenn ihn Vater Ludwig provozierte: "Du steifer Jockel wirst niemals so gelenkig wie der Fritz und bringst es auch nie so weit." 1940 aber debütierte Ottmar an der Seite des großen Bruder in der ersten Mannschaft des FCK, mit erst 16 Jahren in der Gauliga Südwest gegen den FC Metz. Fortan hatte der FCK ein torgefährliches Brüderpaar. 1943, mitten im Krieg, machte Sepp Herberger dem jüngeren Walter Hoffnung auf ein Länderspiel. "Zum nächsten Lehrgang vor dem Länderspiel gegen Finnland in Breslau lade ich Sie ein", sagte der Chef.

Herberger: "Ottmar, danke!"

Aber auch der konnte nicht verhindern, dass der Länderspielbetrieb wegen der "Frontbegradigung" eingestellt wurde. Ottmar Walter geriet wie seine Brüder in Kriegsgefangenschaft, allerdings in amerikanische. Dort wurde er operiert, 1946 ließen sie ihn gehen, mit 19 Granatsplittern im Körper - davon vier im Knie. Aber ein mitgefangener deutscher Marinearzt versprach ihm: "Vermutlich können Sie wieder Fußball spielen. Das Knie ist gerettet."

Und das war alles, was Ottmar Walter wollte nach sechs verlorenen Jahren. Er schloss sich wieder dem FCK an, und als der DFB 1950 in die FIFA aufgenommen wurde, stand er im Herbst beim ersten Länderspiel nach dem Krieg gegen die Schweiz mit dem Adler auf der Brust in Stuttgart auf dem Platz. "Ich weiß noch genau, was der Chef zu mir gesagt hat", erinnerte sich Walter: "'Ottmar, danke!'"

Bewunderung für den großen Bruder Fritz

Wie auch an andere große Tage. An die Meisterschaften mit dem FCK 1951 und 1953, als alle Welt von "der Walter-Elf" schwärmte. Das galt vor allem dem Genius Fritz, in dessen Schatten er immer stand - ohne sich je zu beklagen. Ottmar ging es nicht anders als den anderen Zeitgenossen Fritz Walters - er hat ihn schlichtweg bewundert.

Und war "stolz, dass der Fritz mich, obwohl ich drei Jahre jünger bin, in rund neunzig Prozent aller Fälle um Rat fragte - gerade in privaten Dingen", sagte Ottmar Walter der Welt 2005. "Dann rief er an oder kam vorbei, danach erst hat er eine Entscheidung getroffen. Darauf bin ich sehr stolz."

336 Tore in 321 Pflichtspielen

Stolz durfte er auch auf seine Karriere an der Seite von Fritz sein. Auf seine fabelhaften 336 Tore in 321 Pflichtspielen, die ihm zum Rekordtorjäger des Vereins machten. 51 Tore waren es allein in der Saison 1947/1948 in der Oberliga Südwest - unerreicht. Auch zehn Tore in 21 Länderspielen sind eine gute Quote. Alles überstrahlen natürlich die Sommertage von Spiez und jener von Bern, das Finale am 4. Juli 1954. Gegen die Ungarn trafen Max Morlock und zweimal Helmut Rahn, aber der gesetzte Stürmer im DFB-Team war Ottmar Walter, der bei der WM in der Schweiz vier Tore schoss.

Ein fünftes wäre womöglich hinzugekommen, hätte "der Boss" in der 84. Minute zum freistehenden Ottmar abgespielt. Aber Rahn schoss lieber selbst - aus dem Hintergrund, zum Sieg. Sonst wäre Ottmar vielleicht doch aus dem Schatten des großen Bruders getreten. Vielleicht wäre vieles anders gekommen nach dem letzten Abpfiff 1959, als ihn das Knie zu einem verfrühten Karriereende zwang.

So gut sich der Gerd Müller der Fünfziger im Strafraum zurechtfand, so schwer tat sich der gelernte KfZ-Mechaniker im Berufsleben. Doch nach dem Misserfolg mit einer gepachteten Tankstelle, zu deren Eröffnung Sepp Herberger persönlich erschienen war, fing ihn die Stadt Kaiserslautern auf, die auch dem kleinen Walter-Bruder viel zu verdanken hat. In der Stadtverwaltung war er ein fleißiger und geschätzter Kollege. Am Wochenende zog es ihn auf den Betze, natürlich hatte er eine Ehrenkarte. Bis zu seinem Tode blieb Ottmar Walter, der 2004 das Große Bundesverdienstkreuz erhielt, der Weltmeister von nebenan.

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Im Alter von 89 Jahren ist Ottmar Walter, einer der fünf Stürmer unserer Helden von Bern, vergangenen Sonntag gestorben. Er hinterlässt einen Sohn, der den gleichen Vornamen trägt, und seine Anneliese, mit der er 66 Jahre verheiratet gewesen war.

Heute war die Trauerfeier für den legendären Weltmeister von 1954 in Kaiserslautern, im Beisein unter anderem von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und von Stefan Kuntz, Vorstandsvorsitzender des 1. FC Kaiserslautern. DFB.de würdigt den kleinen Bruder vom "Großen Fritz", gleichwohl einen der ganz Großen der deutschen Fußballgeschichte.

Ein Leben mit Höhen und Tiefen

Der Tod war eine Erlösung für ihn, neben zahlreicher Gebrechen als Folge einer Fußballerkarriere litt er unter Grauem Star und am Ende seines Lebens unter Alzheimer. So musste er sein Häuschen am Fuße des geliebten Betzenbergs vor Jahren schon verlassen; er wurde in ein Pflegeheim seiner Heimatstadt verlegt. Wer ihn dort besuchte, realisierte er oft nicht mehr.

Selbst Horst Eckel, den Kameraden von Bern und im Trikot des FCK, erkannte er nicht mehr. Ottmar Walter war noch am Leben, aber er nahm nicht mehr daran teil. Und doch war es ein bemerkenswertes Leben, mit Höhen und Tiefen, die die allermeisten Menschen nie erfahren haben dürften.

Granatsplitter im Knie

Nach Ottmar Walter hatte der Tod schon öfter seine Schwingen ausgestreckt. Er kam ihm davon als junger Marinesoldat im 2. Weltkrieg, als er mit elf Kameraden 1944 im Ärmelkanal um sein Leben schwamm. Ein englischer Zerstörer hatte das Torpedoboot seiner Einheit versenkt. Stundenlang klammerte er sich an seine Schwimmweste, ehe er gerettet wurde. Er überstand den Krieg, als Andenken behielt er drei Granatsplitter im Knie.

Dann suchte er eines Tages selbst den Tod. Im Januar 1969, zehn Jahre nach dem Ende seiner Karriere, unternahm er wegen privater Schwierigkeiten einen Selbstmordversuch. "Das war eine Kurzschlusshandlung, die mir im Nachhinein unverständlich ist", sagte Walter. Anneliese, Bruder Fritz und Alt-Bundestrainer Sepp Herberger halfen ihn aus der schwersten Krise seines Lebens heraus.

In Gedenken an Ottmar Walter

Gauliga-Debüt mit 16 Jahren

Doch erzählen wir lieber über den Sportler: Als Kind wollte Ottmar Walter Boxer werden und trat aus Bewunderung für Max Schmeling in einen Boxklub ein, aber schon seit dem neunten Lebensjahr rannte er ab 1933 dem runden Leder beim 1. FC Kaiserslautern nach. Kein Wunder - bei dem Vorbild. Fritz Walter, die Ikone des deutschen Fußballs und sein vier Jahre älterer Bruder, stand schon mit 19 in der Nationalmannschaft. Da wollte Ottmar, der wie Fritz sehr torgefährlich, aber nicht so genial war, auch hin.

Auch wenn ihn Vater Ludwig provozierte: "Du steifer Jockel wirst niemals so gelenkig wie der Fritz und bringst es auch nie so weit." 1940 aber debütierte Ottmar an der Seite des großen Bruder in der ersten Mannschaft des FCK, mit erst 16 Jahren in der Gauliga Südwest gegen den FC Metz. Fortan hatte der FCK ein torgefährliches Brüderpaar. 1943, mitten im Krieg, machte Sepp Herberger dem jüngeren Walter Hoffnung auf ein Länderspiel. "Zum nächsten Lehrgang vor dem Länderspiel gegen Finnland in Breslau lade ich Sie ein", sagte der Chef.

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Herberger: "Ottmar, danke!"

Aber auch der konnte nicht verhindern, dass der Länderspielbetrieb wegen der "Frontbegradigung" eingestellt wurde. Ottmar Walter geriet wie seine Brüder in Kriegsgefangenschaft, allerdings in amerikanische. Dort wurde er operiert, 1946 ließen sie ihn gehen, mit 19 Granatsplittern im Körper - davon vier im Knie. Aber ein mitgefangener deutscher Marinearzt versprach ihm: "Vermutlich können Sie wieder Fußball spielen. Das Knie ist gerettet."

Und das war alles, was Ottmar Walter wollte nach sechs verlorenen Jahren. Er schloss sich wieder dem FCK an, und als der DFB 1950 in die FIFA aufgenommen wurde, stand er im Herbst beim ersten Länderspiel nach dem Krieg gegen die Schweiz mit dem Adler auf der Brust in Stuttgart auf dem Platz. "Ich weiß noch genau, was der Chef zu mir gesagt hat", erinnerte sich Walter: "'Ottmar, danke!'"

Bewunderung für den großen Bruder Fritz

Wie auch an andere große Tage. An die Meisterschaften mit dem FCK 1951 und 1953, als alle Welt von "der Walter-Elf" schwärmte. Das galt vor allem dem Genius Fritz, in dessen Schatten er immer stand - ohne sich je zu beklagen. Ottmar ging es nicht anders als den anderen Zeitgenossen Fritz Walters - er hat ihn schlichtweg bewundert.

Und war "stolz, dass der Fritz mich, obwohl ich drei Jahre jünger bin, in rund neunzig Prozent aller Fälle um Rat fragte - gerade in privaten Dingen", sagte Ottmar Walter der Welt 2005. "Dann rief er an oder kam vorbei, danach erst hat er eine Entscheidung getroffen. Darauf bin ich sehr stolz."

336 Tore in 321 Pflichtspielen

Stolz durfte er auch auf seine Karriere an der Seite von Fritz sein. Auf seine fabelhaften 336 Tore in 321 Pflichtspielen, die ihm zum Rekordtorjäger des Vereins machten. 51 Tore waren es allein in der Saison 1947/1948 in der Oberliga Südwest - unerreicht. Auch zehn Tore in 21 Länderspielen sind eine gute Quote. Alles überstrahlen natürlich die Sommertage von Spiez und jener von Bern, das Finale am 4. Juli 1954. Gegen die Ungarn trafen Max Morlock und zweimal Helmut Rahn, aber der gesetzte Stürmer im DFB-Team war Ottmar Walter, der bei der WM in der Schweiz vier Tore schoss.

Ein fünftes wäre womöglich hinzugekommen, hätte "der Boss" in der 84. Minute zum freistehenden Ottmar abgespielt. Aber Rahn schoss lieber selbst - aus dem Hintergrund, zum Sieg. Sonst wäre Ottmar vielleicht doch aus dem Schatten des großen Bruders getreten. Vielleicht wäre vieles anders gekommen nach dem letzten Abpfiff 1959, als ihn das Knie zu einem verfrühten Karriereende zwang.

So gut sich der Gerd Müller der Fünfziger im Strafraum zurechtfand, so schwer tat sich der gelernte KfZ-Mechaniker im Berufsleben. Doch nach dem Misserfolg mit einer gepachteten Tankstelle, zu deren Eröffnung Sepp Herberger persönlich erschienen war, fing ihn die Stadt Kaiserslautern auf, die auch dem kleinen Walter-Bruder viel zu verdanken hat. In der Stadtverwaltung war er ein fleißiger und geschätzter Kollege. Am Wochenende zog es ihn auf den Betze, natürlich hatte er eine Ehrenkarte. Bis zu seinem Tode blieb Ottmar Walter, der 2004 das Große Bundesverdienstkreuz erhielt, der Weltmeister von nebenan.