Osterland: Scholl - vom Vorbild zum Kollegen

Manchmal sind Geschichten eigentlich zu schön, um wahr zu sein, und sind dies gleichwohl. Eine solche ist die von Sören Osterland. Sie beginnt vor mehr als zwei Dekaden, am Donnerstag endete sie nicht, aber sie fand einen vorläufigen Höhepunkt.

Als Osterland in Bonn bei der Abschlussveranstaltung des 58. Fußball-Lehrer-Lehrgangs an der Hennes-Weisweiler-Akademie von DFB-Ausbildungsleiter Frank Wormuth auf die Bühne gebeten wurde, war der Beifall besonders groß. Osterland musste lange warten, die alphabetische Reihenfolge war bei ihm außer Kraft gesetzt, die drei Lehrgangsbesten wurden von Wormuth ganz am Ende nach vorne gebeten. Und kurz nachdem Sven Hübscher als Lehrgangsdritter sein Zertifikat in den Händen hielt, war es soweit: Wormuth nannte den Namen von Osterland.

Nur einer war besser

Unter dem Applaus seiner 22 Mitstreiter nahm er das Zertifikat entgegen, Osterland ist nun stolzer Inhaber der UEFA Pro Lizenz. Auf den ersten Blick eine Geschichte, wie sie an der Hennes-Weisweiler-Akademie von nicht wenigen Absolventen geschrieben wird. Außergewöhnlich wird sie durch drei Dinge: Osterlands Alter, seine Note und seine Vita. Mit 26 Jahren ist er der jüngste Fußball-Lehrer in Deutschland. Er wird von Wormuth zudem mit jeder Menge Lorbeeren in die weitere Karriere entlassen, nur Alexander Zorniger hat die Ausbildung in Hennef mit einer besseren Note abgeschlossen. Vor allem aber hat Osterland erlebt, wie aus Vorbildern Freunde wurden.

Rückblende. 1996, Europameisterschaft, England. Die deutsche Mannschaft spielt, kämpft und siegt sich durch das Turnier. Osterland ist elf Jahre alt, er ist begeistert vom Team von Berti Vogts. Besonders ein Spieler hat es ihm angetan: Mehmet Scholl. Gemeinsam mit seinen Eltern sitzt Osterland in der Wohnung in Stendal vor dem Fernseher und jubelt, als Oliver Bierhoff Deutschland im Finale im Wembley-Stadion mit seinem Golden Goal gegen Tschechien zum Europameister macht. Bei Osterlands geht es zu, wie bei zig Millionen Familien in Deutschland. So weit, so erfreulich, aber noch nichts Besonderes.

Poster von Effe und Mehmet an der Wand

Vorspulen. Osterland wird Teenager. In der Schule brilliert er mit guten Noten, auch auf dem Fußballplatz macht er auf sich aufmerksam. Die Jahre vergehen. Stopp. 2001, die nächste Zäsur. Osterland ist glühender Bayern-Fan, das Finale der Champions Leage steht an. Mehmet Scholl ist dabei. Und ein großer blonder Spieler, der dem 16-Jährigen Osterland genauso begeistert: Stefan Effenberg.

Die Poster von Effenberg und Scholl zieren die Wand in Osterlands Zimmer. In der 50. Minute verwandelt Effenberg in Mailand im Endspiel gegen Valencia einen Elfmeter zum 1:1, Osterland schreit auf vor Freude. Dann der Krimi, das Elfmeterschießen. Effenberg trifft zum 3:2, Thomas Linke zum 5:4, Mauricio Pellegrino scheitert an Oliver Kahn. Bayern hat den Titel, Osterlands Helden haben die Schmach von 1999 getilgt. Die Poster in seinem Zimmer haben nun noch mehr Glanz.

"Man wartet erst mal ab und beobachtet"

Vorspulen: Osterland macht Abitur, mit herausragenden Noten. Er spielt für Optik Rathenow in der Oberliga Nord, später wechselt er zu Lok Stendal und 2008 zur U23 des 1. FC Magdeburg. Parallel strebt er eine zweite Karriere an: Er will Trainer werden. Von 2006 bis 2011 trainiert er im Auswahlbereich des Fußball-Landesverbandes Sachsen-Anhalt die Jahrgänge 1991 bis1995. Ab 2007 ist er zusätzlich an der DFB-Eliteschule des Fußballs in Magdeburg tätig und steigt beim FCM als Co-Trainer unter Erik Burow bei der U 17 ein.

Stopp. 2011, der nächste Einschnitt. Osterland beschließt, die Lizenz zum Fußball-Lehrer zu erwerben. Mit Michael Gentner teilt er sich ein Stipendium der Helmut-Kalthoff-Stiftung, sein Märchen beginnt. Für Osterland startet eine „spannende, aufregende, unterhaltsame, interessante, lehrreiche und lustige Zeit.“ Seine Poster nehmen Gestalt an, Effenberg und Scholl sitzen leibhaftig neben ihm im Klassenzimmer. Ganz hinten, in der letzten Reihe. „Am Anfang habe ich mir schon ein paar Mal die Augen gerieben“, sagt Osterland. Doch tatsächlich, sie sind es wirklich. Und nicht nur Scholl und Effenberg sind da. Mit Christian Wörns, Peter Nemeth, Detlev Dammeier und Jörg Heinrich tummelten sich noch weitere ehemalige Bundesliga-Spieler unter den Teilnehmern.

Natürlich hat sich Osterland, der mit Abstand Jüngste im Kurs, zunächst etwas zurückgehalten. „Man wartet erst mal ab und beobachtet, wer sich wie verhält“, sagt er. Aber ziemlich schnell ist das Eis gebrochen. Auch Europameister und Champions-League-Gewinner sind ganz normale Menschen. Osterland hat dies insbesondere auf den Zugfahrten mit Jörg Heinrich realisiert. Beide sind oft zusammen in die gemeinsame Heimat Rathenow gefahren. Wer über Stunden nebeneinander auf dem Boden eines überfüllten ICE kauert, verliert schnell die Berührungsängste.

Bald mit Scholl beim FC Bayern

Im Verhältnis zu den übrigen Lehrangsteilnehmern hat sich dies mit der Kursfahrt nach Dänemark zur Beobachtung der U 21-EM begeben. „Spätestens danach gab es niemanden mehr, der von den Titeln seines Gegenübers eingeschüchtert war“, sagt Osterland. 14 Tage auf engem Raum leben und lernen, das schweißt die Gruppe zusammen. Ganz besonders Osterland und Scholl. Mit Folgen für die Zukunft.

Vorspulen. Sommer 2012, Säbener Straße, das Trainingsgelände des FC Bayern München. Gemeinsam stehen Osterland und Scholl auf dem Platz, die U 23 des Rekordmeisters trainiert nach ihren Anweisungen. Die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen, es wird viel gelacht. Noch eine Vision - bald Realität.

"Ich war den Prüfungsstress noch gewohnt"

Zurückspulen. Hennef, Sporthochschule im Sommer 2011. Ein beliebiger Tag. Scholl und Osterland albern herum, lachen. „Die Chemie hat sofort gestimmt. Er ist unkompliziert, offen und ehrlich“, sagt Osterland über Scholl. Und ganz wesentlich: „Wir haben denselben Humor. Wir konnten uns vorzüglich zusammen amüsieren.“ Das Verständnis zwischen beiden wächst, auch fachlich denken die beiden ähnlich.

Dann ein Moment, den Osterland nie vergessen wird: „Er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, sein Assistent bei der U 23 in München zu werden.“ Was für eine Frage! Natürlich kann er, natürlich will er, natürlich unterschreibt er wenig später einen Vertrag bei dem Verein, dessen Fan er früher und wird dort mit einem Menschen zusammenarbeiten, dessen Fan er früher war.

Stopp. Gegenwart. Bonn. Die letzte Hürde auf dem Weg dorthin hat Osterland spielend genommen. Die Prüfungen waren für ihn weniger fordernd als für andere, seine gute Note ist keine große Überraschung. „Ich hatte einen Vorteil, weil ich den Prüfungsstress noch gewohnt war“, sagt er. Jetzt steht Osterland also auf dem Podium. Lächelt ein wenig verlegen - und doch selbstbewusst. Unten klatschen zwei am lautesten, die früher seine Vorbilder waren und heute seine Kollegen sind: Stefan Effenberg und Mehmet Scholl.

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Manchmal sind Geschichten eigentlich zu schön, um wahr zu sein, und sind dies gleichwohl. Eine solche ist die von Sören Osterland. Sie beginnt vor mehr als zwei Dekaden, am Donnerstag endete sie nicht, aber sie fand einen vorläufigen Höhepunkt.

Als Osterland in Bonn bei der Abschlussveranstaltung des 58. Fußball-Lehrer-Lehrgangs an der Hennes-Weisweiler-Akademie von DFB-Ausbildungsleiter Frank Wormuth auf die Bühne gebeten wurde, war der Beifall besonders groß. Osterland musste lange warten, die alphabetische Reihenfolge war bei ihm außer Kraft gesetzt, die drei Lehrgangsbesten wurden von Wormuth ganz am Ende nach vorne gebeten. Und kurz nachdem Sven Hübscher als Lehrgangsdritter sein Zertifikat in den Händen hielt, war es soweit: Wormuth nannte den Namen von Osterland.

Nur einer war besser

Unter dem Applaus seiner 22 Mitstreiter nahm er das Zertifikat entgegen, Osterland ist nun stolzer Inhaber der UEFA Pro Lizenz. Auf den ersten Blick eine Geschichte, wie sie an der Hennes-Weisweiler-Akademie von nicht wenigen Absolventen geschrieben wird. Außergewöhnlich wird sie durch drei Dinge: Osterlands Alter, seine Note und seine Vita. Mit 26 Jahren ist er der jüngste Fußball-Lehrer in Deutschland. Er wird von Wormuth zudem mit jeder Menge Lorbeeren in die weitere Karriere entlassen, nur Alexander Zorniger hat die Ausbildung in Hennef mit einer besseren Note abgeschlossen. Vor allem aber hat Osterland erlebt, wie aus Vorbildern Freunde wurden.

Rückblende. 1996, Europameisterschaft, England. Die deutsche Mannschaft spielt, kämpft und siegt sich durch das Turnier. Osterland ist elf Jahre alt, er ist begeistert vom Team von Berti Vogts. Besonders ein Spieler hat es ihm angetan: Mehmet Scholl. Gemeinsam mit seinen Eltern sitzt Osterland in der Wohnung in Stendal vor dem Fernseher und jubelt, als Oliver Bierhoff Deutschland im Finale im Wembley-Stadion mit seinem Golden Goal gegen Tschechien zum Europameister macht. Bei Osterlands geht es zu, wie bei zig Millionen Familien in Deutschland. So weit, so erfreulich, aber noch nichts Besonderes.

Poster von Effe und Mehmet an der Wand

Vorspulen. Osterland wird Teenager. In der Schule brilliert er mit guten Noten, auch auf dem Fußballplatz macht er auf sich aufmerksam. Die Jahre vergehen. Stopp. 2001, die nächste Zäsur. Osterland ist glühender Bayern-Fan, das Finale der Champions Leage steht an. Mehmet Scholl ist dabei. Und ein großer blonder Spieler, der dem 16-Jährigen Osterland genauso begeistert: Stefan Effenberg.

Die Poster von Effenberg und Scholl zieren die Wand in Osterlands Zimmer. In der 50. Minute verwandelt Effenberg in Mailand im Endspiel gegen Valencia einen Elfmeter zum 1:1, Osterland schreit auf vor Freude. Dann der Krimi, das Elfmeterschießen. Effenberg trifft zum 3:2, Thomas Linke zum 5:4, Mauricio Pellegrino scheitert an Oliver Kahn. Bayern hat den Titel, Osterlands Helden haben die Schmach von 1999 getilgt. Die Poster in seinem Zimmer haben nun noch mehr Glanz.

"Man wartet erst mal ab und beobachtet"

Vorspulen: Osterland macht Abitur, mit herausragenden Noten. Er spielt für Optik Rathenow in der Oberliga Nord, später wechselt er zu Lok Stendal und 2008 zur U23 des 1. FC Magdeburg. Parallel strebt er eine zweite Karriere an: Er will Trainer werden. Von 2006 bis 2011 trainiert er im Auswahlbereich des Fußball-Landesverbandes Sachsen-Anhalt die Jahrgänge 1991 bis1995. Ab 2007 ist er zusätzlich an der DFB-Eliteschule des Fußballs in Magdeburg tätig und steigt beim FCM als Co-Trainer unter Erik Burow bei der U 17 ein.

Stopp. 2011, der nächste Einschnitt. Osterland beschließt, die Lizenz zum Fußball-Lehrer zu erwerben. Mit Michael Gentner teilt er sich ein Stipendium der Helmut-Kalthoff-Stiftung, sein Märchen beginnt. Für Osterland startet eine „spannende, aufregende, unterhaltsame, interessante, lehrreiche und lustige Zeit.“ Seine Poster nehmen Gestalt an, Effenberg und Scholl sitzen leibhaftig neben ihm im Klassenzimmer. Ganz hinten, in der letzten Reihe. „Am Anfang habe ich mir schon ein paar Mal die Augen gerieben“, sagt Osterland. Doch tatsächlich, sie sind es wirklich. Und nicht nur Scholl und Effenberg sind da. Mit Christian Wörns, Peter Nemeth, Detlev Dammeier und Jörg Heinrich tummelten sich noch weitere ehemalige Bundesliga-Spieler unter den Teilnehmern.

Natürlich hat sich Osterland, der mit Abstand Jüngste im Kurs, zunächst etwas zurückgehalten. „Man wartet erst mal ab und beobachtet, wer sich wie verhält“, sagt er. Aber ziemlich schnell ist das Eis gebrochen. Auch Europameister und Champions-League-Gewinner sind ganz normale Menschen. Osterland hat dies insbesondere auf den Zugfahrten mit Jörg Heinrich realisiert. Beide sind oft zusammen in die gemeinsame Heimat Rathenow gefahren. Wer über Stunden nebeneinander auf dem Boden eines überfüllten ICE kauert, verliert schnell die Berührungsängste.

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Bald mit Scholl beim FC Bayern

Im Verhältnis zu den übrigen Lehrangsteilnehmern hat sich dies mit der Kursfahrt nach Dänemark zur Beobachtung der U 21-EM begeben. „Spätestens danach gab es niemanden mehr, der von den Titeln seines Gegenübers eingeschüchtert war“, sagt Osterland. 14 Tage auf engem Raum leben und lernen, das schweißt die Gruppe zusammen. Ganz besonders Osterland und Scholl. Mit Folgen für die Zukunft.

Vorspulen. Sommer 2012, Säbener Straße, das Trainingsgelände des FC Bayern München. Gemeinsam stehen Osterland und Scholl auf dem Platz, die U 23 des Rekordmeisters trainiert nach ihren Anweisungen. Die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen, es wird viel gelacht. Noch eine Vision - bald Realität.

"Ich war den Prüfungsstress noch gewohnt"

Zurückspulen. Hennef, Sporthochschule im Sommer 2011. Ein beliebiger Tag. Scholl und Osterland albern herum, lachen. „Die Chemie hat sofort gestimmt. Er ist unkompliziert, offen und ehrlich“, sagt Osterland über Scholl. Und ganz wesentlich: „Wir haben denselben Humor. Wir konnten uns vorzüglich zusammen amüsieren.“ Das Verständnis zwischen beiden wächst, auch fachlich denken die beiden ähnlich.

Dann ein Moment, den Osterland nie vergessen wird: „Er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, sein Assistent bei der U 23 in München zu werden.“ Was für eine Frage! Natürlich kann er, natürlich will er, natürlich unterschreibt er wenig später einen Vertrag bei dem Verein, dessen Fan er früher und wird dort mit einem Menschen zusammenarbeiten, dessen Fan er früher war.

Stopp. Gegenwart. Bonn. Die letzte Hürde auf dem Weg dorthin hat Osterland spielend genommen. Die Prüfungen waren für ihn weniger fordernd als für andere, seine gute Note ist keine große Überraschung. „Ich hatte einen Vorteil, weil ich den Prüfungsstress noch gewohnt war“, sagt er. Jetzt steht Osterland also auf dem Podium. Lächelt ein wenig verlegen - und doch selbstbewusst. Unten klatschen zwei am lautesten, die früher seine Vorbilder waren und heute seine Kollegen sind: Stefan Effenberg und Mehmet Scholl.